15.
Der Start der Orient-Rallye
Holger:
Vom Allgäu in den Orient? Okay, machen wir, erzählen wir, aber vorher möchte ich noch kurz …
Hans-Jürgen:
Holger, unsere Orient-Rallye ist dran!
Holger:
… vorher möchte ich noch kurz unsere kleine Feierstunde anlässlich des 100000sten Abonnenten erwähnen. Wie wir da auf unserem kleinen Werkstatttisch aus Zündspule und Zündkerze und Zündschnüren mit ein bisschen Bohren, ein bisschen Löten, unter Zuhilfenahme von fünf Feuerwerkskörpern ein echtes Kfz-Werkstatt-Feuerwerk gebastelt haben, und wie wir dann Hans-Jürgens Halle abgedunkelt und die Zündschnur an eine Batterie angeschlossen haben, woraufhin die fünf Feuerwerkskörper einen herrlichen Funkenregen versprühten und eine wirklich festliche Stimmung verbreiteten – war das schön! Ich stand da mit meinem Gaslöschgerät und war so aufgeregt, als würden wir ein Hochhaus in die Luft sprengen wollen …
Hans-Jürgen:
… leider hat der fünfte Feuerwerkskörper nicht mitgemacht.
Holger:
Trotzdem waren alle ergriffen, selbst der Kameramann …
Hans-Jürgen:
… und um doch noch die Kurve zu unserer Orient-Rallye zu kriegen: Mit ähnlich großen Gefühlen verbinden wir auch unsere Reise vom Allgäu in die Türkei. Eine überwältigende Geschichte. Am Ende haben wir fast geheult; beim letzten Interview im Hafen von Mersin sind uns tatsächlich Tränen der Rührung runtergelaufen.
Holger:
Wir haben in einem Puff übernachtet, wir haben in einer Höhle geschlafen, es war das Unglaublichste …
Hans-Jürgen:
… und Anstrengendste, was wir je gemacht haben. Wie sind wir überhaupt darauf gekommen?
Holger:
VOX
hatte uns Bescheid gesagt. »Da gibt es eine Rallye von Oberstaufen nach Jordanien, 6000 Kilometer, 100 Teams, 300 Autos – fahrt doch mit, kommt mit einem Zwei-Stunden-Film zurück und leistet unterwegs ein bisschen Pannenhilfe, die Arbeit wird euch sicherlich nicht ausgehen.« Tatsächlich gingen dann in Oberstaufen lauter alte Kisten an den Start – nicht unbedingt museumsreif, auch nicht schrottreif, aber doch sichtbar in die Jahre gekommen.
Das entsprach dem Reglement. Der Veranstalter hatte einige Spaßfaktoren eingebaut. So hatte er zum Beispiel verfügt: Jedes Auto muss mindestens 25 Jahre auf dem Buckel haben, keins darf den Wert von 1111 Euro übersteigen, und außerdem: Jeder kann sich seine Route durch Südosteuropa und die Türkei selbst aussuchen, Autobahnen aber sind zu meiden, Navis dürfen in keinem Fall benutzt werden, und an Unterkünften sind nur die billigsten erlaubt – 15 Euro für die Nacht ist schon das Äußerste.
Hans-Jürgen:
So lauteten die Spielregeln. Wenn wir teilnehmen wollten, müssten auch wir uns weitgehend daran halten. Lediglich ein paar Ausnahmen wurden für uns gemacht: Autobahn benutzen, Navi einschalten, ab und zu in einer ordentlichen Herberge absteigen – uns wäre das erlaubt. Die Grundidee des ganzen Unternehmens war: Jeder nimmt an Hilfsgütern mit, was er in seinem Auto verstauen kann, Nähmaschinen, Rollstühle, was auch immer ärmeren Schichten das Leben in Jordanien erleichtern könnte, und am Zielort in Amman würde alles unter der Schirmherrschaft des Königshauses an Bedürftige verteilt, auch die Autos. Zurück würde es mit dem Flugzeug gehen. Und jetzt die Frage: Wollten wir?
Holger:
Hans-Jürgen – wir wollten. Wir wollten unbedingt. Es war ja abzusehen, dass das der reine Irrsinn würde. Sechs Personen pro Team, 100 Teams insgesamt, alles in allem 300 Fahrzeuge im Einsatz, ein Riesenfeld also, da würden wir wahrscheinlich kaum zum Schlafen kommen, aber jede Menge Spaß mit kaputten Autos haben. Die Autodoktoren vor ihrer größten Herausforderung! Ja, wir wollten.
Alles nahm seinen Anfang im Mai 2011 mit einer fetten Party in der Stadthalle von Oberstaufen. Drinnen Allgäuer Akkordeonmusik, also Bier und Tanz und Schwof und Festzelt-Atmosphäre, wir Verrückten mittendrin, auch Lars natürlich, auch der Kameramann, auch Assistent und Tonmann – leider Männerüberschuss, weil von den 100 Teams nur eins komplett aus Frauen bestand … und draußen die ganzen aufgedonnerten alten Karren, verkleidet, beklebt, bemalt, mit Extra-Scheinwerfern, mit Reservereifen, mit Ersatzteilen und Matratzen, ausgerüstet wie zu einer Kalahari-Expedition – von Ente und R4 bis zum angegrauten 7er-BMW
. Dass in Syrien seit ein paar Monaten geschossen wurde, blendeten die meisten da noch aus.
Als die Band eine Pause einlegte, wurden wir – wie von Lars beim Veranstalter erbeten – auf die Bühne gerufen. Wir wollten den Leuten ja schließlich mitteilen, dass sie sich bei Pannen und Problemen bei uns melden sollten. Sonst hätten wir ja nichts zu drehen gehabt – und eine Reisedoku erwartete der Sender sicher auch nicht von uns. Wir also ans Mikro. Oha, die Autodoktoren? »Ja. Wir sind das mobile Pannenkommando. Wir haben Werkzeug dabei. Hier ist unsere Telefonnummer, wer unterwegs Probleme mit seinem Auto hat, der kann sich jederzeit an uns wenden. Also – wer liegen bleibt, der ruft uns einfach an.« Tusch, und Weiterschwofen bis zum Morgengrauen.
Hans-Jürgen:
Nein, Holger. Wir mussten sofort ran. Wir hatten noch am selben Abend unseren ersten Einsatz. Gleich kam nämlich einer angelaufen und sagte: »Ich habe einen Mercedes 190 vor der Tür stehen, der wird zu heiß.« Wir zwei raus, der Kameramann hinterher, ein Blick auf den 190er und Fehlerquelle in null Komma nichts identifiziert! Dem Fahrer war nämlich entgangen, dass er am Armaturenbrett einen Extra-Schalter für den Lüfter im Motorraum hatte. Diesen Lüfter hatte ihm der Verkäufer noch schnell eingebaut, weil es doch in die Wüste gehen sollte, dem Besitzer aber nichts davon gesagt, und jetzt brauchten wir unsere Diagnose nur noch zu überprüfen: Schalter ein, Gebläse bläst, Fahrer staunt … großes Hallo.
Holger:
Es hatte sich nämlich sofort eine Meute um uns gebildet, alles Leute, die vor Neugier platzten, ob die Autodoktoren ihren ersten Fall auf Anhieb lösen würden. Und nicht nur das. Einige hatten die Scheinwerfer ihrer Autos eingeschaltet und auf uns gerichtet, damit wir in der Dunkelheit überhaupt filmen konnten. Es war wie Straßenzirkus, und am Ende ein Applaus, als hätte Hans-Jürgen eine Arie gesungen. Und dann kam schon der Nächste an: »Mein Mercedes stinkt nach Benzin!« Okay, aber nicht jetzt. Kümmern wir uns gleich morgen früh drum …
Am nächsten Morgen machen sich alle für den Start fertig, werden vom Veranstalter einzeln vorgestellt und begeben sich dann auf die Reise – nur wir nicht. Wir schrauben am Straßenrand unter Hochdruck an der kaputten Einspritzdüse des stinkenden Mercedes. Und jetzt kommt mal wieder der Autodoktoren-Bonus ins Spiel. Uns fehlt ein Gewindeschneider, wir haben aber schon vom Hotelzimmerfenster aus in der Ferne eine Werkstatt erspäht, fahren hin, werden erkannt – und die dortigen Kollegen schnüren uns gleich ein ganzes Hilfspaket, mit Gewindeschneider und anderen Kleinigkeiten, die unterwegs von Nutzen sein könnten. Wunderbar, diese Hilfsbereitschaft. Ob das auch in Albanien funktionieren wird?
Als wir fertig sind, haben alle anderen Oberstaufen bereits verlassen. Aber bevor wir jetzt Gas geben, Hans-Jürgen, sollten wir noch unsere eigene Flotte vorstellen.
Hans-Jürgen:
Okay. Fangen wir mit dem Flaggschiff an, in dem wir beide, Holger und ich, sitzen. Es ist ein Mercedes 320 SE
, ein voluminöses Ding, Baujahr … irgendwann in den 80er-Jahren. Aber kaum wiederzuerkennen. Wir haben ihm eine Solaranlage auf den Kofferraum gepflanzt, ein Reserverad aufs Dach geschraubt, eine Dusche mit schwenkbarem Duscharm und Duschvorhang an die Seite montiert, einen großen Wassertank aufs Dach gesetzt und andere Federn eingebaut, um den Wagen höherzulegen, damit er auch in der Wüste manövrierfähig bleibt. Außerdem haben wir eine 220-Volt-Anlage eingebaut, hinten ein Loch in die Seite gefräst und eine Steckdose reingestopft, sodass wir eine Bohrmaschine anschließen können, sollte eine gebraucht werden.
Holger:
Aber das ist noch nicht alles. Der Benz bekam noch eine Sirene und über der Frontscheibe auf dem Dach vier kolossale Scheinwerfer verpasst. Alle auf die Fahrbahn gerichtet. Des Nachts, in Albanien zum Beispiel, haben wir diese Flutlichtanlage eingeschaltet, und da muss jeder gedacht haben, der Coca-Cola-Truck ist im Anmarsch. Übrigens – unsere Außendusche funktionierte tatsächlich.
Hans-Jürgen:
So, das ist der fahrende Leitstand, dem die beiden Begleitfahrzeuge folgen, nämlich zwei Mercedes 230, der eine als Limousine – mit Lars und seinem Assistenten bemannt –, der andere als Kombi – abwechselnd von Kameramann und Tonmann gesteuert. Diese drei Autos verlassen jetzt Oberstaufen, um die übrigen 297 Autos einzuholen, aber wir kommen nicht weit, nach einer halben Stunde wartet die erste Sonderprüfung auf uns:
Holger:
Wir sollen mit einem Boot das Logbuch auf einer Insel in einem See abholen. Als wir zum Bootsverleiher kommen, hat er zwar noch einen Kahn am Ufer liegen, aber keine Ruder mehr übrig. Wir müssten mit den Händen rüberpaddeln. Fällt uns nicht ein, würde auch zu lange dauern – aber was ist mit dem alten Lüftermotor, den wir hinten im Wagen haben? Wir frickeln ein paar Kabel zusammen, schließen eine Batterie an, befestigen den Lüfter als Schiffsschraube am Heck – und tuckern los. Das Motörchen muss richtig arbeiten, aber wir schaffen es bis zur Insel und halten jetzt das Logbuch mit der kompletten Reiseroute in Händen. Jetzt wissen wir, welche Strecke die anderen in etwa nehmen und wo sie im Notfall zu finden wären, wenn wir, um verlorene Zeit gutzumachen, über die ihnen verbotene Autobahn fahren wollten.
Tatsächlich entwickelte sich die ganze Fahrt zu einer einzigen Aufholjagd. Kaum hatten wir wieder Anschluss gefunden, wurden wir zur nächsten Panne gerufen, fuhren von der Autobahn ab, reparierten am Rand einer Landstraße, sahen die anderen winkend an uns vorüberziehen, sprangen nach getaner Tat wieder ins Auto, machten Dampf und holten auf der Autobahn einen kleinen Vorsprung raus, den wir durch die nächste Reparatur wieder verspielten.
So ging es die ganze Zeit. Wahnsinnig anstrengend. Manchmal waren wir sogar gezwungen, wieder umzukehren und ein Stück zurückzufahren.
Hans-Jürgen:
Das waren ja alles vorsintflutliche Autos. Da ging ständig was kaputt. Wir sprechen hier gar nicht von Abgasnormen. Auch wir haben ja richtig Kraftstoff verblasen, und in der Türkei, wo der Sprit damals 1,85 kostete, zeigte das Zählwerk der Zapfsäule nicht selten 380 Euro an, nachdem alle drei Fahrzeuge nacheinander getankt hatten. Tanken war für Lars immer eine bittere Erfahrung. Und so, mit ständigem Hin und Her und Vor und Zurück, kamen wir über Österreich nach Slowenien.