19.
Wer zweimal kauft, kauft öfters
Holger:
Und nun zurück in die Werkstatt. In Gedanken bleiben wir allerdings noch eine Weile im Ausland, denn die Produkte, die uns jetzt interessieren, kommen vielfach aus den Weiten des ostasiatischen Raums.
Hans-Jürgen:
Und sie kommen meistens übers Internet zu uns. Es sind Autoteile jeder Art, es sind aber auch Werkzeuge, wie sie im Alltagsbetrieb einer Kfz-Werkstatt eingesetzt werden, und das Faszinierende daran ist: Man bekommt sie manchmal sogar fast geschenkt. Alles, was das Herz auf diesem Gebiet begehrt, lässt sich im Netz finden und bestellen – zu einem Bruchteil des Preises, den hiesige Hersteller verlangen. Ja, da greift doch jeder vernünftige Mensch zu!
Holger:
Und um es gleich vorwegzunehmen: Es gibt auch viele seriöse Anbieter im Netz, überhaupt keine Frage. Aber eben auch nicht so seriöse. Ich habe einmal bei einem wohl eher nicht so seriösen Angebot zugegriffen. Das kam so: Ich brauchte ein Spezialwerkzeug, um beim Mini die Steuerzeiten einzustellen. Wenn die nicht hundertprozentig stimmen, läuft der Motor unrund oder geht sogar kaputt, folglich braucht man so was. Das Originalwerkzeug hätte mich 360 Euro gekostet, aber mein Sohn hatte eine bessere Idee. »360 Euro?«, sagte er. »Guck mal hier, Papa, beim allseits bekannten Online-Auktionshaus kriegst du dieses Ding für 32 Euro.« – »Das taugt doch nichts.« – »Aber überleg mal – 32 statt 360 Euro!« Ich habe mich breitschlagen lassen und dieses Billigteil gekauft, schon aus Neugier.
Nun muss man wissen: Bei Fahrzeugen müssen die Steuerzeiten eingestellt werden, damit die Stellung der Kurbelwelle zur Nockenwelle stimmt. Über die Nockenwelle wird das Ventil gesteuert – sollten Kurbelwelle und Nockenwelle aber nicht absolut exakt aufeinander abgestimmt sein, kann es passieren, dass sich das Ventil im Zylinderkopf beim Einlass oder Auslass nicht schließt und der Kolben aufs Ventil schlägt.
Um die exakte Abstimmung der Steuerzeiten zu gewährleisten, gibt es besagtes Spezialwerkzeug. Es hat die Form einer Brücke. Wenn man es aufklemmt oder aufschraubt, kann man beide Nockenwellen fixieren und anschließend die Kurbelwelle einstellen. Sobald man diese Teile auf mechanischem Weg in die vorgeschriebene Position zueinander gebracht hat, wird der Zahnriemen aufgelegt oder die Steuerkette montiert, und jetzt kann man sicher sein, dass sich die Kurbelwelle im richtigen Rhythmus zum genau richtigen Zündzeitpunkt dreht. Falls die Nockenwelle auch nur um einen Zahn verrutscht, kann es zum Kapitalschaden kommen, und der Wagen läuft gar nicht mehr.
Hier geht es also um Millimeter. Die Nockenwelle muss so blockiert werden, dass sie keinerlei Spiel mehr hat. Jetzt setze ich meine Neuerwerbung aus dem Internet an, und siehe da, die Nockenwelle lässt sich hin- und herbewegen. Sie hat Spiel, sie kann um mindestens einen Zahn in diese oder jene Richtung verrutschen. Und das soll ein Präzisionswerkzeug sein? Es ist völlig unbrauchbar, es ist Schrott. Ich reklamiere also bei der Firma, die mir dieses Teil geliefert hat – »Was ist denn das für ein Müll?« –, sie versprechen mir, ein neues zu schicken, und was soll ich sagen? Als es eintrifft, stelle ich fest: Das neue ist noch schlimmer. Es passt hinten und vorne nicht.
Hans-Jürgen:
Das muss man sich mal vorstellen: Die Firma schickt diese Teile unbesehen raus. Ungeprüft. Sie verkauft Pfusch und merkt es nicht.
Holger:
Das sind eben Handelsfirmen, Hans-Jürgen, die in China einkaufen und das Zeug hier in den Versand bringen. Sie zahlen 20 Euro dafür, schlagen noch mal 10 Euro drauf, und wer sich vom Preis beeindrucken lässt, erhält unbrauchbaren Schrott. Ich habe diese Teile nicht einmal zurückgeschickt, ich habe sie weggeworfen. Damit sind 32 Euro plus Versand gleich in die Tonne gewandert. Diese Handelsfirma hat natürlich überhaupt keine Ahnung, nur – wenn sie keine Ahnung hat, sollte sie eigentlich die Finger davonlassen. Hätte ich den Mini-Motor damit eingestellt, wäre er hinüber gewesen oder gar nicht erst angesprungen.
Hans-Jürgen:
Es gibt aber Werkstätten, die mit solchen Billiggeräten tatsächlich arbeiten. Das Ergebnis liegt dann auf der Hand: Hinterher läuft der Wagen trotzdem nicht – und jetzt geht das Rummurksen los. Hier wird geschraubt, dort wird geschraubt, dies wird ausgetauscht, jenes wird erneuert, am Ende landet der Wagen bei uns, und wir denken dann: Will man uns verarschen? Der Fehler ist doch eindeutig, die Steuerzeiten stimmen einfach nicht!
Holger:
Apropos rummurksen: Neulich hatte ich einen Audi mit einer endlosen Mängelliste bei mir in der Werkstatt. Der Motor lief nicht rund, die Kupplung machte Probleme, und, und, und … Bis dahin war an dem Auto schon ein Riesenaufwand betrieben worden – man hatte die Kompression gemessen, man hatte einen Druckverlusttest gemacht, man hatte sich die ausgefallensten Sachen einfallen lassen. Ich sage also zu meinem Gesellen: »Wir fahren mit dem Wagen zusammen raus und gucken, was da alles zusammenkommt. Es dürfte eine Menge sein, und womöglich verliert der Kunde dann jedes Interesse an einer Reparatur.« Wir fahren also los, und nach den ersten fünf Metern merke ich: Die Zündspulen sind kaputt. Das ist alles, da gibt’s gar kein Vertun. Ich gucke meinen Gesellen an und sage nur: »Wo bitte ist hier die versteckte Kamera?«
Um aber wieder sachlich zu werden: Viele Reparaturgeschichten folgen demselben Muster. Es kommt in der Werkstatt ein Werkzeug zum Superbilligpreis zum Einsatz, oder es wird ein Ersatzteil der gleichen Güteklasse eingebaut, jetzt ist das Fahrzeug also repariert, der Fehler ist aber komischerweise trotzdem nicht behoben, und dann geht eine sinnlose Bastelei los.
Hans-Jürgen:
Das ist der Grund, warum wir in unseren Filmen auf YouTube den Programmpunkt »Wer zweimal kauft, kauft öfters« eingeführt haben. Die Formulierung ist natürlich etwas überdreht ausgefallen, aber es weiß ja jeder, dass es hier um die Erfahrungen mit Billigteilen geht. Wir zeigen bei dieser Gelegenheit ein oder zwei Bauteile von sehr beschränkter Qualität und Lebensdauer, und oft schicken uns Zuschauer dann neues Anschauungsmaterial aus ihren eigenen Beständen.
Holger:
Ich habe bei mir eine ganze Wand aus Kartons voller unbrauchbarer Billigteile. Wir kommen gar nicht so schnell nach, wie diese Importe auf dem Markt auftauchen. Es muss echt unfassbar viele Fälscherwerkstätten geben.
Hans-Jürgen:
Um einmal ein paar Beispiele zu nennen … Es gibt LED
-Lampen zu kaufen, die normale Scheinwerfer-Glühlampen ersetzen sollen. Denen sieht man von außen nichts an. Aber wenn man sie einsetzt und die Scheinwerfer anschaltet, stellt man fest: Man hätte vorne auch zwei Teelichter reinstellen können.
Holger:
Nächstes Beispiel: Zündkerzen, die normalerweise 18 Euro kosten, bekommt man schon für 1 Euro. Die halten ein paar Monate und brennen dann durch. Das Verrückte ist: Kein Mensch weiß, wo sie herkommen, aber es steht groß und deutlich Bosch drauf. Weiß Bosch überhaupt davon? Wir haben dort angerufen und gesagt: »Prüft mal, ob das ein Fake ist oder ob ihr bei euch ein Produktionsproblem habt.«
Es macht uns also nicht nur viel Freude, Imitate zu entlarven, wir kümmern uns auch ein wenig um die Hintergründe und setzen uns mit betroffenen Herstellern in Verbindung. Die schrecken dann manchmal regelrecht auf wie im folgenden Fall: Ein Zuschauer schickt uns einen Zahnriemen, der nach wenigen Tausend Kilometern seinen Geist aufgegeben hat. Tatsächlich, der wäre beinahe auseinandergeflogen, da sind schon die Zähne weggerissen. Fake oder nicht ist hier die Frage, denn der Aufschrift nach handelt es sich um einen namhaften Hersteller; folglich halte ich mich zurück, gehe der Sache erst mal nach und rufe den mutmaßlichen Hersteller an. Die schicken gleich jemanden vorbei, der sich den Zahnriemen anschaut, allerdings auch die dazugehörigen Zahnriemenrollen zu sehen verlangt. Nun rückt der Zuschauer die Rollen natürlich nicht raus, ohne neue dafür zu bekommen, aber siehe da, gar kein Problem – der Hersteller liefert einen Satz nagelneuer Rollen, der Geschädigte lässt uns die alten zukommen, und jetzt wird geprüft: Fälschung oder Produktionsproblem? Man wird sehen.
Hans-Jürgen:
Das ist schon Detektivarbeit – auch deshalb, weil selbst bekannte Hersteller in Asien produzieren lassen. In meinem Betrieb haben wir zurzeit folgendes merkwürdige Problem: Wir bauen das brandneue Radlager eines namhaften Herstellers ein, drehen es an und stutzen: Ab einem bestimmten Punkt dreht es nicht mehr rund, da fühlt es sich wie eine Rastnase an. Das darf aber nicht sein! Na ja, denken wir, ein Radlager ist halt nicht in Ordnung, bestellen wir das nächste … Ist das zweite auch nicht besser! Mittlerweile haben wir elf unbrauchbare Radlager herumliegen; zwei davon waren bereits verbaut gewesen und hatten ein solches Brummen erzeugt, dass man es durch die Fußsohlen spürte.
Gut, man weiß sich zu helfen, nehmen wir eben das gleiche Radlager von einem anderen Hersteller. Wir packen es aus, wir setzen es ein – und es macht klack klack klack. Derselbe Effekt. Das gibt es doch nicht! Bis uns auffällt: Alle diese Radlager tragen denselben Stempel! Das also ist des Rätsels Lösung: Irgendwo im Fernen Osten produziert irgendjemand diese Radlager für unterschiedliche europäische Hersteller … Unser Hauslieferant lässt jetzt gerade prüfen, was bei denen in der Produktion schiefläuft.
Holger:
Ja, die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Richtig gruselig wird’s aber immer dann, wenn sicherheitsrelevante Teile gefälscht werden. Nehmen wir an, du hast eine Bremsscheibe bestellt, weil sie so schön billig ist, und packst sie jetzt aus. Auf dem Karton steht tatsächlich der Name eines bekannten Herstellers – allerdings nicht der Name dessen, der diese Scheibe in Wirklichkeit produziert hat –, nimmst sie in die Hand und guckst sie dir an – wird dir dann gleich auffallen, dass diese Scheibe 4 bis 5 Millimeter zu dünn ist? Vielleicht nicht. Und anfangs funktioniert sie auch, man kann damit tatsächlich bremsen, nur – spätestens nach 60000 Kilometern wird sie dir bei einer Gefahrenbremsung womöglich wegbrechen.
Und ähnlich gefährlich wäre ein gefälschtes Dom-Lager. Darunter versteht man ein Gummi-Metall-Element, in dem der Stoßdämpfer der Vorderachse oben an der Karosserie beweglich gelagert ist. Ohne Dom-Lager wäre das Fahrzeug gar nicht lenkbar, da würde sich die Feder verwinden, wenn man die Lenkung einschlägt – also schon ein wichtiges Teil. Ein solches Dom-Lager bekamen wir zugeschickt. Es trug einen VW
-Stempel, war aber totaler Schrott. In solchen Fällen braucht man natürlich nicht erst bei Volkswagen anzurufen, weil die Fälschung ins Auge springt. Sollte ein solches Teil nun auf der Autobahn ausreißen, schießt das Auto womöglich quer über die Leitplanke, es kommt zu Toten, und alle fragen sich: Wie konnte das geschehen? Ja, das dürfte sich kaum noch ermitteln lassen, weil das Fahrzeug nur noch ein Schrotthaufen und der Fahrer tot ist. Vielleicht lag’s an einem Billig-Querlenker. Vielleicht lag’s an gefälschten Spurstangenköpfen. Vielleicht lag’s aber auch an einem Dom-Lager-Imitat wie dem, das man uns zugeschickt hatte. Schlimmstenfalls bezahlt man die wei verbreitete Pfennigfuchserei also mit dem eigenen Leben.