20.
Wenn der gesunde Menschenverstand aussetzt
Holger:
Hans-Jürgen, uns ist ja klar: Das Thema Fälschungen und Billigkrempel ist unerschöpflich, da könnte man ein eigenes Buch drüber schreiben. Aber sparen wir uns weitere Beispiele, betrachten wir die Sache ausnahmsweise mal philosophisch.
Wie ist die Ausgangslage? Es gibt ein Originalteil für, sagen wir, 100 Euro. Und es gibt das gleiche Teil bei irgendeinem unseriösen Anbieter im Internet für, sagen wir, 20 Euro. Der potenzielle Käufer denkt sich nun: Wow, 80 Euro weniger? Das ist kein Pappenstiel, und so schlecht kann das No-name-Produkt doch wohl nicht sein … Da erwirbt er es doch gerne für 20 Euro, baut es ein und macht die Erfahrung: Entweder funktioniert es gar nicht, oder es ist nach zwei Monaten kaputt.
Nun sollte sich diese Tatsache längst herumgesprochen haben, es ist ja immer wieder das Gleiche. Trotzdem stellen wir fest: Von einem vermeintlichen Schnäppchen scheint eine unwiderstehliche Faszination auszugehen. Ein solches Angebot zieht die Leute magisch an. Mit dem Ergebnis, dass Unmengen von Müll in unser Land kommen, den man eigentlich gleich wegschmeißen und verschrotten könnte, bloß weil die Leute auf den Preisunterschied anspringen. Das ist schon ein bisschen irrational, aber nicht das Einzige, was mich daran irritiert.
Ich frage mich sowieso, wie dieses Geschäft überhaupt funktioniert. Der Hersteller in China, Pakistan oder Vietnam hat die Produktionskosten, er hat die Versandkosten, der deutsche Händler schlägt auch noch was drauf, und am Ende kostet das Teil 10 Euro! Äußerstenfalls 100. An dieser Sache muss doch etwas faul sein. Und wenn man dann bedenkt, was hier an Containern ankommt, welche Mengen kurz nach dem Abladen auf dem Müll landen und was das für die Umwelt bedeutet, wie viele Ressourcen auf diese Art verschwendet werden – also, ich finde das beängstigend.
Hans-Jürgen:
Ganz irre ist: Du kannst dir im Internet eine Armbanduhr für 1 Cent kaufen, und die funktioniert, die tickt und zeigt die Zeit an. Dafür gibt es nur eine Erklärung: Der Hersteller verdient sein Geld mit dem Porto. Der kalkuliert die Versandkosten so, dass er davon leben kann. Irgendwie gespenstisch.
Holger:
Jetzt muss man aber einräumen: Es ist längst nicht alles schlecht, was aus Südostasien kommt. Auch viele deutsche Markenhersteller lassen in China und ähnlichen Ländern nach ihren Vorgaben produzieren, und diese Sachen sind richtig gut. Man kann aus China also durchaus eine Wasserpumpe in Erstausrüsterqualität beziehen, man kann dort aber auch die gleiche Wasserpumpe zu einem Zehntel des Preises kaufen, und die ist – nicht gerade überraschenderweise – Schrott, weil der Hersteller zum Beispiel nicht über die nötigen, hochwertigen Stanzwerkzeuge verfügt.
Hans-Jürgen:
Mit anderen Worten: Der Indikator für Pfusch ist nicht das Herkunftsland, der Indikator ist eben dann doch leider gern der Preis. Ganz einfach. Und der einzige Tipp, den wir unseren Zuschauern geben können, wenn sie vor Reinfällen sicher sein wollen, lautet: Schaltet euren gesunden Menschenverstand ein. Wenn etwas dermaßen billig ist, dann kann und wird es nichts taugen … Und nicht vergessen: Kein Autoteil ist davor sicher, gefälscht zu werden! Keins, außer vielleicht Steuergeräte und die Batterie eines Teslas. Bei allen mechanischen Teilen aber darf man getrost davon ausgehen, dass sie von Produktpiraten nachgebaut werden.
Holger:
So, und aus all diesen Gründen sind wir dahinter her, Fälschungen aufzudecken. Mehr können wir nicht tun. Etwas weniger machtlos sind wir allerdings bei Produktionsfehlern deutscher Hersteller. Diese Hersteller können wir anrufen und sagen: »Hört mal, was ist denn bei euch los, stimmt da irgendwas nicht …?« Dann treten die Hersteller sofort in Aktion – und sind im Übrigen auch glücklich über unseren Hinweis, denn andernfalls würden sie den Fehler vielleicht erst dann bemerken, wenn die Rückläufe kommen.
Hans-Jürgen:
Außerdem vermeiden es mittlerweile tatsächlich viele, die Autodoktoren gegen sich aufzubringen!
Holger:
Gut gesagt, Hans-Jürgen. Selbstverständlich hauen wir keinen in die Pfanne.
Hans-Jürgen:
Aber damit sind wir beim Thema Werkstätten und Billigteile. Ein brisantes Thema. Natürlich kommt es vor, dass Privatleute den frisch übers Internet erworbenen Schrott eigenhändig einbauen – das ist ihre Sache. Es gibt aber auch Werkstätten, die ihre Felle schwimmen sehen, wenn sie nicht das einbauen, was der Kunde anschleppt.
Holger:
Wir bauen aus Prinzip nichts ein, was ein Kunde anliefert, weil wir nicht nachprüfen können, woher es kommt. Mag ja sein, dass der Markenname auf dem Karton tatsächlich der des Herstellers ist. Kann stimmen, muss aber nicht. Tatsache ist: Nach europäischem Recht sind wir verantwortlich für die Teile, die wir einbauen, wir geben sogar eine Gewährleistung auf alle eingebauten Teile, und deshalb verwenden wir grundsätzlich keine Ersatzteile uns unbekannter Herkunft.
Hans-Jürgen:
Diese Entscheidung liegt eben immer im Ermessen der Werkstatt. Wir als Meister oder Inhaber stehen ja jedes Mal aufs Neue vor der Frage: Wie weit wollen wir dem Kunden entgegenkommen? Welchen Gefallen wollen wir ihm tun? Und die Erfahrung zeigt: Mit Billigteilen fallen wir auf die Schnauze, sie sind in aller Regel unbrauchbar oder defekt. Nach wie vor aber gibt es Werkstätten, die solche Teile einbauen, weil sie sich sagen: So verkaufe ich wenigstens meine Arbeit.
Nebenbei gesagt unterscheiden sich in diesem Punkt Männer mal wieder von Frauen. Frauen kommen nicht mit dem Ersatzteil in der Hand in die Werkstatt; das habe ich noch nie erlebt. Wenn, dann sind es Männer. Die kennen sich ja aus, die setzen ihren Ehrgeiz darein, das ganze Sortiment von Ersatzteilen selbst zusammenzustellen, und beglücken uns dann mit der forschen Ansage: »Ich habe übrigens den Ölfilter und alles andere schon dabei.« Oder aber sie finden unser Angebot überteuert, weil es dieselben Teile im Netz doch fast umsonst gibt … Wem das an Qualität reicht, darf es ja gerne kaufen. Aber wir bauen es aus Überzeugung nicht ein, der Vorsichtige muss eben nicht immer nachgeben, das ist allemal klüger.
Zur Abschreckung will ich noch ein letztes Beispiel anführen: die Produktion von Bremsklötzen. Die geht überall auf der Welt so vor sich, dass eine weiche Masse auf eine Trägerplatte aufgebracht wird und die Klötze später ausgestanzt werden.
Nun gibt es für diesen Produktionsprozess ein Reinheitsgebot. Damit soll sichergestellt werden, dass es bei der Herstellung der Masse nicht zu Verunreinigungen kommt. Bei der Produktion von Billigprodukten aus unseriöser Quelle nimmt man es damit natürlich nicht so genau. Schon weil die technische Ausstattung primitiv ist, und dann kann es passieren, dass eine Schraube oder ein Metallstück in die weiche Masse fällt, unbemerkt bleibt und mitverarbeitet wird. Und diese Schraube, dieses Metallstück wird die Bremsscheibe mit der Zeit buchstäblich zersägen. Wir haben jedenfalls schon zweimal eine Bremsscheibe in Händen gehalten, in die sich ein Fremdkörper so tief eingefräst hatte, dass sie an der betreffenden Stelle auseinanderzubrechen drohen. Ja, kein Wunder: Der Hersteller dürfte noch nicht einmal über ein Magnetband verfügt haben, das in seriösen Firmen Fremdkörper gegebenenfalls herausfiltert.
Holger:
Abschließend daher noch einmal ein Appell an den gesunden Menschenverstand: Lassen Sie sich Ihr Urteilsvermögen nicht von verlockenden Preisangeboten vernebeln! Auch Werkstätten nutzen mittlerweile E-Commerce – da wissen sie aber, von wem es kommt, weil nur bei seriösen Anbietern bestellt wird. Oder halt beim stationären Großhandel. In beiden Fällen wird der Werkstatt bei Reklamationen der Schaden auch ersetzt, sollte es wirklich mal zu Problemen kommen.