21.
Licht- und Schattenseiten des »Ruhms«
Holger:
Ist damit genug gefachsimpelt, diagnostiziert und repariert? Nein, natürlich nicht. Wir haben noch hinreißende Außendrehs mit vertrackten Fällen auf Lager, zum Beispiel ein Auto, das nachts selbstständig hupt. Aber jetzt wollen wir zur Abwechslung ein brennendes Thema von allgemein menschlichem Interesse anschneiden, nämlich: Ist es ein Segen, so bekannt zu sein – oder ist es ein Fluch? Und meine erste Frage geht an Hans-Jürgen Faul. Sie lautet: Wann ist dir zum ersten Mal aufgefallen, dass du berühmt bist?
Hans-Jürgen:
Ich bin nicht berühmt. Aber wir genießen einen überdurchschnittlichen Bekanntheitsgrad, das stimmt. Und dazu kann ich eine Geschichte erzählen.
Die ersten 30 Sendungen mit den Autodoktoren lagen hinter uns, es war also noch ziemlich am Anfang, da machten wir, meine Frau und ich, Urlaub in der Dominikanischen Republik. Eines Tages nehmen wir an einer Segeltour teil, steuern kleinere Inseln an und planschen zwischendurch in der großen Badewanne namens Karibik. Da kommt einer der Teilnehmer angeschwommen, paddelt neben mir her und sagt: »Du bist doch einer von den Autodoktoren?!« – »Ja, warum?« Aha, natürlich, er hat einen Hintergedanken. Ich erfahre, dass er daheim in Berlin einen Ferrari stehen hat, der Probleme macht, und ich soll jetzt, bis zum Kopf im Wasser, eine Ferndiagnose abgeben. Meine Frau schwimmt in der Nähe und reagiert leicht ungehalten: »Muss aber jetzt nicht sein, oder? Das fehlt noch, dass du ihm von der Karibik aus sein Auto reparierst …« Das war der Augenblick, in dem mir zum ersten Mal schwante: Möglicherweise passiert mir so was künftig häufiger.
Holger:
Verleidet dir das dein Autodoktoren-Dasein?
Hans-Jürgen:
Nein. Ich bin gern Autodoktor. Ich nehme auch gern alles in Kauf, was an Begleitumständen dazugehört. Lass mich noch ein weiteres Beispiel erzählen. Wir stehen mit unserem Wohnmobil in einem Hafen an der kroatischen Küste und warten auf die Fähre, die uns zur Insel Braç bringen soll. Weil es noch dauert, bis das Schiff kommt, lege ich mich im Wohnmobil aufs Ohr, während meine Frau vor dem Auto sitzt und beim Warten raucht. Da höre ich draußen eine Männerstimme: »Ist Ihr Mann auch da?« Den Frager hat offenbar die große Autodoktor-Reklame auf meinem Wagen angelockt. »Ja«, sagt meine Frau, »aber er schläft gerade.« Doch so schnell gibt die Männerstimme nicht auf. »Ich hätte ihn so gern mal gesprochen …« Na, denke ich, du kannst den Mann jetzt nicht enttäuschen, stehe also wieder auf, zeige mich, und der Mann strahlt. Was erfahre ich? Dass er auf der Insel eine Autovermietung betreibt und durch unsere Filme so viel über Autos gelernt hat, dass er sogar häufiger schon Defekte an seiner eigenen Flotte selbst reparieren kann. »Ich bin begeistert davon, wie ihr es versteht, technische Zusammenhänge zu erklären.« Auch wenn ich das nicht zum ersten Mal höre – es tut immer wieder gut. Es ist unglaublich schön zu hören, dass jemand toll findet, was du machst, und stolz ist, dir zu begegnen.
Holger:
Das heißt, du bist gerne berühmt? Oder bekannt?
Hans-Jürgen:
Na ja, Holger, du weißt selbst: So einfach ist das nicht. Manchmal möchte man unerkannt bleiben. Aber selbst dann, wenn ich in Norddeutschland mit Kapuze über den Kopf gezogen, den Schal vor den Mund gebunden, über den Deich laufe, heften sich Leute an meine Fersen. Da stupst meine Frau mich an und sagt: »Wir müssen schneller gehen. Die Leute hinter uns wollen was von dir.« – »Keine Angst«, sage ich, »das ist bloß ein Ehepaar, das genauso spazieren geht wie wir.« – »Nee«, insistiert meine Frau, »die verfolgen uns.« Gut, ich bleibe stehen, und der Mann spricht mich tatsächlich an – ob ich einer der Autodoktoren sei? Ich versuch’s mit Dummstellen: »Wer soll ich sein? Mit Autos habe ich nichts zu tun.« Sofort trifft mich ein strafender Blick meiner Frau. »So was. Sie sehen aus wie der Faul aus dem Fernsehen.« Der nächste strafende Blick meiner Frau, prophylaktisch. »Das ist er«, sagt sie. Meine Frau mag es nicht, wenn ich lüge. Kurz und gut: Ich muss mich zu erkennen geben, auch wenn’s mir gerade nicht passt. Ich kann’s nicht ändern, ich falle auf.
Holger:
Jetzt erzähle ich mal was. Ich stehe mit meiner Frau zusammen in einer Seilbahngondel, dick vermummt. Die anderen in der Gondel unterhalten sich, und ich habe die Eigenart, mich in fremder Leute Gespräche einzumischen, wenn’s lustig werden könnte. Ich lasse also eine Bemerkung fallen, und sofort sagt einer: »Die Stimme kenne ich.« Es ist der Typ mir gegenüber. »Sag mal schnell … Sag mal schnell … Du machst doch Fernsehen, oder?« – »Nee, was soll ich da machen?« – »Doch, doch … Du bist – Fernsehkoch!« – »Falsch! Was guckst du eigentlich für Filme?« – »Hä?« – »Ich bin nämlich Synchronsprecher in Pornofilmen.« Meine Frau kriegt fast einen Herzinfarkt. Jedenfalls, der Mann rätselt rum, bis wir auf der Bergstation ankommen, und jetzt erlöse ich ihn: »Ich bin einer der Autodoktoren bei VOX
.« Und er, glückselig: »Genau …!!!«
Ja, so ist es. Es liegt den Leuten viel daran, eine Verbindung zwischen Film und wahrem Leben herzustellen. Wir sind eben beides in einer Person, aber – wie ich es empfinde – irgendwie realer als viele andere Leute, die im Fernsehen zu sehen sind. Es ist ja ganz leicht, von uns ein Foto oder ein Autogramm zu bekommen, man braucht uns nur in unseren Werkstätten aufzusuchen. Bei mir sind es täglich bis zu 15 Menschen …
Hans-Jürgen:
Ich stehe gern zur Verfügung. Mich kostet das nichts.
Holger:
Mich schon. Für mich bedeutet es nämlich, immer wieder die Rolle wechseln zu müssen. Natürlich bin ich auch der Holger Parsch aus dem Fernsehen. Aber wenn ich mit meiner Süßen über die Straße laufe oder mit meinem Hund Gassi gehe, mache ich das nicht fürs Publikum, sondern für mich. Wenn mich dann jemand als Autodoktor anspricht, bin ich gezwungen, aus der einen Haut in die andere zu schlüpfen, und vielleicht will ich das gerade nicht.
Oder: Ich bin auf einem Campingplatz und beobachte jemanden durchs Fenster, der draußen Fotos von meinem Wohnmobil macht. In diesem Moment laufen bei mir zwei verschiedene Filme ab – als Holger Normalverbraucher frage ich mich: Was will der Typ, was führt er im Schilde? Als Autodoktor denke ich: Der Mensch wird ein Fan von uns sein, der ist vermutlich bloß auf Trophäenjagd. Um mich zu vergewissern, steige ich aus, und tatsächlich, schon heißt es: »Du bist doch einer von den Autodoktoren …« Ja. Und nein! Ich bin eben auch Privatmann – muss ich jetzt schon wieder der Fernsehfritze sein? Also diesen ständigen Rollenwechsel finde ich mitunter anstrengend. Hans-Jürgen ist da anders.
Hans-Jürgen:
Ja. Weil ich mir sage: Als Autodoktor machst du Dinge, die du sonst nie im Leben gemacht hättest! Du gehörst einem Team an, mit dem du die verrücktesten Sachen erlebst, und ohne meine Zuschauer wäre mir dieses schöne Leben nicht vergönnt. Also schulde ich den Leuten Respekt – und lasse mich gern drauf ein, mal kurz fotografiert zu werden. Nur beim Essen werde ich ungern gestört. Es kommt wirklich vor, dass ein besonders glühender Fan mich im Restaurant um ein Autogramm bittet, während ich gerade die Gabel zum Mund führe. Das empfinde ich als Dreistigkeit, da spiele ich nicht mit.
Aber Tatsache ist: Wir können uns gar nicht mehr verstecken. Ich kriege ja mit, wie viele mich auf der Straße mit Blicken verfolgen. Immer wieder hat jemand das Gefühl, mich irgendwo gesehen zu haben, kann sich aber nicht gleich einen Reim auf mein Gesicht machen und guckt wieder weg, guckt wieder hin, bis ihm ein Licht aufgeht. Wenn er mich dann anspricht, habe ich nichts dagegen – ich hätte doch im Leben nicht damit gerechnet, in der Öffentlichkeit mal die Blicke auf mich zu ziehen! Soll ich mich belästigt fühlen? Viele Menschen warten dienstags und freitags schon auf unser neues Video, sie sind meine Zuschauer, also bekommt jeder von ihnen sein Foto von mir.
Holger:
Du kommst ja richtig in Fahrt, Hans-Jürgen.
Hans-Jürgen:
Ja. Und ich verrate dir noch etwas: Ich kenne drei Kategorien von Fans. Nehmen wir die klassische Situation auf dem Campingplatz. Einige von meinen Nachbarn können mich zuordnen und überlegen sich: Der Mann ist im Urlaub, das sei ihm gegönnt, da wollen wir ihn nicht stören … Die nächste Kategorie grübelt und rätselt und spricht mich in ihrer Not irgendwann an: »Sind wir uns auf diesem Campingplatz schon mal begegnet?« – »Nein, das glaube ich nicht.« – »Aber wir haben uns doch schon gesehen?« – »Das ist nicht ganz richtig. Du hast mich gesehen, aber ich bin dir noch nie begegnet. Autodoktoren – sagt dir das was?« Ja, da fällt der Groschen. Jetzt ist ein Foto fällig.
Und nun zur dritten Kategorie. Ich mache Urlaub am Meer, und jemand beobachtet mich. Irgendwann wechsele ich ein paar Worte mit seinem Kind, weil es gerade herumkaspert, der Vater kommt dazu, man unterhält sich über eigene und fremde Kinder, und dabei bleibt es. Das sind die diskreten Fans, über die ich mich am meisten freue. Sie machen kein Aufheben von mir, sie nutzen bloß die günstige Gelegenheit zu einem normalen Gespräch, und ich bin glücklich – endlich jemand, für den du noch etwas anderes als der Autodoktor bist. Irgendwann heißt es dann: »Was macht ihr heute Abend? Gehen wir essen, fahren wir in den Ort, nehmen wir mein Auto?« Okay, einverstanden, machen wir. Natürlich kennt er mich, das merke ich, aber gleichzeitig lässt er mich spüren: Der reale Hans-Jürgen Faul ist mir nicht weniger lieb als der Autodoktor auf dem Bildschirm … Und mir, dem realen Hans-Jürgen Faul, liegt meinerseits nichts daran, den Promi herauszukehren und dezent zu verstehen zu geben, dass man mich kennen sollte.
Holger:
Du hast recht. Gerade erinnere ich mich an eine Situation vor wenigen Jahren …
Hans-Jürgen:
… als dein Sohn Leukämie hatte.
Holger:
Danke, Hans-Jürgen. Ich zögere einen Moment, weil ich kurz schlucken muss, und schon springst du ein. So funktioniert das zwischen uns beiden. Du bist ein Schatz!
Ich kenne dich wahrscheinlich besser als meine eigene Frau.
Was ich erzählen wollte: Die Leukämie meines Sohns hat mich damals fürchterlich mitgenommen. Das war eine Zeit, die auch das Team unendlich viel Energie gekostet hat. Während der langen Wochen, die mein Sohn im Krankenhaus lag, habe ich mich gefragt, ob man der Sache nicht auch etwas Gutes abgewinnen könnte. Da hatten wir die Idee, die Deutsche Knochenmark-Spenderdatei aus dem Verkauf unserer Autodoktoren-Tassen zu unterstützen, haben auch ein Video dazu gedreht, und innerhalb von anderthalb Tagen waren die ersten 600 Tassen weg. Weitere Aktionen folgten, und jedes Mal haben unsere Fans fantastisch mitgezogen. Danach wussten wir, dass uns 99 Prozent unserer Zuschauer wirklich wohlgesonnen sind. Ich muss aber auch kurz auf das eine restliche Prozent eingehen.
Als wir mit dem Fernsehen anfingen, waren wir vor blödsinnigen Zuschauerkommentaren geschützt, beim Fernsehen gibt’s eben keine Kommentarfunktion. Seit geraumer Zeit aber bespielen wir auch YouTube, und jetzt melden sich bei uns die Stänkerer. Für einen gefühlvollen Menschen wie mich war das schlimm. Anfangs habe ich alle Kommentare durchgelesen, und drei Monate später war ich so weit, aus YouTube auszusteigen. »Warum?«, wollte Lars wissen. »Ich verkrafte die gehässigen Kommentare nicht mehr; gleichzeitig kann ich es aber auch nicht sein lassen, alles zu lesen.« Und Lars: »Du wirst lernen müssen, damit zu leben.« Wollte ich aber nicht. Inzwischen geht’s. Mittlerweile nehme ich mir diesen Schund nicht mehr so sehr zu Herzen. Der Spaß an unseren YouTube-Filmen überwiegt das Unbehagen jedenfalls deutlich.
Hans-Jürgen:
Was besonders ärgerlich ist: Unsere Videos und unsere Firmen werden oft in einen Topf geworfen. Autodoktoren und Werkstatt sind aber zweierlei, und wenn der Betrieb bewertet wird, sollte derjenige zumindest mal bei uns gewesen sein. Stattdessen passiert Folgendes: Wir stellen einen Film ins Netz, und anderntags haben wir 350 Bewertungen auf unserer Firmenseite, darunter extrem abfällige – Daumen runter, Finger weg, blöder Laden –, die meisten davon anonym. Aber mich nimmt das weniger mit als Holger. Wenn sich einer auskotzen möchte, bitte – das kann ich ignorieren. Sollte ausnahmsweise ein Name dabeistehen, schaue ich in meiner Kundendatei nach – hatten wir dessen Fahrzeug überhaupt schon mal in der Werkstatt? Sieht nicht so aus. Ich schreibe dann zurück: Wann waren Sie bei uns? Gab’s ein Problem, kann ich helfen …? Nie kommt es vor, dass einer antwortet.
Holger:
Aber wir wollen dieses schöne Kapitel über Licht- und Schattenseiten des »Ruhms« versöhnlich ausklingen lassen. Die Schwachköpfe bilden nämlich eine absolute Minderheit; der weitaus größere Teil der Zuschauer ist glücklich mit dem, was wir machen. Erst kürzlich kam einer mit zwei Familienpackungen Haribo bei mir vorbei, legte eine pneumatische Pumpe für die Niveauregulierung bei der E-Klasse drauf und sagte: »Die fällt in die Kategorie ›Wer zweimal kauft, kauft öfters‹ – nach zwei Monaten war sie kaputt.« Richtig nett, und so geht es die ganze Zeit. Einmal habe ich beim Dreh gehustet und durchblicken lassen, dass ich gern Nüsse esse und gerade ein paar Krümel in den falschen Hals bekommen hätte. Zwei Tage später kam einer mit einer ganzen Karre voller Nüsse an, bestimmt 10 Kilo – inzwischen alle verspeist. Nachdem wir das Pro und Contra unserer Medienpräsenz gegeneinander abgewogen haben, kann das Fazit also nur lauten: Wir werden gemocht, wir werden gelobt, wir werden beschenkt – und von 1 Prozent Idioten werden wir gemobbt.
Letzte Frage, Hans-Jürgen: Ist es schön, bekannt zu sein?
Hans-Jürgen:
Auf jeden Fall.