27.
Ein Puma in Holland
Hans-Jürgen: Damit sind wir am Ende unserer Rückschau. Den Rest hatten wir schon: Eines Tages ruft die Innung an, und die Autodoktoren erblicken das Licht der Welt.
Holger: Und was machen die Autodoktoren jetzt? Gehen sie zurück in die Werkstatt?
Hans-Jürgen: Nein. Jedenfalls nicht, bevor dieses Buch aus ist. Lass uns bis dahin draußen bleiben, auf der freien Wildbahn, wo wir uns sowieso am wohlsten fühlen.
Holger: Mit freier Wildbahn meinst du Autobahnrastplätze, Garageneinfahrten, Campingplätze, Straßenränder, mit einem Wort: unsere Außendrehs? Stundenlang auf dem Straßenpflaster unterm Auto liegen und hinterher zum Grillen eingeladen werden?
Hans-Jürgen: Genau. Länder, Menschen, Abenteuer. Reisen und Reparieren und Improvisieren – Entfernungen spielen keine Rolle. Mobiles Pannenkommando, aber ohne den Stress einer Orient-Rallye.
Holger: Gut. Das Beste soll man sich bis zum Schluss aufheben, und nichts kommt unseren wilden Neigungen so entgegen wie die Außendrehs. Zumindest, was unser Berufsleben angeht. Wie sind wir überhaupt darauf gekommen?
Hans-Jürgen: Es war Lars’ Idee. Nach drei Jahren Autodoktoren kam er an und sagte: »Sollen wir nicht mal was anderes machen?« Dann hat er den Sender gefragt, ob man dort – nach all den Acht-Minuten-Filmen – zur Abwechslung an einem Ein-Stunden-Film interessiert wäre. Das hätte natürlich einen enormen Aufwand bedeutet, zwei bis drei Wochen Dreharbeiten bestimmt. Es hatte sich aber schon gezeigt, dass das Zusammenspiel zwischen Holger und mir glänzend funktionierte, und Lars ging davon aus, dass uns eine Woche Drehzeit reichen würde.
Holger: Eine andere Überlegung war: Mal sieben Tage hintereinander gemeinsam abrocken – inklusive Kameramann, der fest zum Team gehört – und gucken, ob es der Freundschaft guttut. Wir wären dann ja nicht nur tagsüber bei den Dreharbeiten zusammen, wir würden auch abends zusammenhocken, beim Abendessen und vor allem hinterher … Womit wir nicht gerechnet hatten: dass sich diese gemeinsame Woche als ein einziger, endloser, beinahe pausenloser Dreh herausstellen sollte. Als es losging, haben wir tatsächlich bis tief in die Nacht hinein gearbeitet, nämlich so lange, bis wir mit Reparieren fertig oder schlichtweg am Ende unserer Kräfte waren. Ich kann jetzt schon sagen, dass wir bei Außendrehs oft an unsere Grenzen und darüber hinaus gegangen sind.
Dabei sind wir eigentlich auf alle Eventualitäten vorbereitet. Wir haben immer unsere Wohnmobil dabei, fallen einfach irgendwann in die Betten und machen am nächsten Morgen gleich weiter. Das heißt aber auch, dass wir aus unserer Autodoktoren-Kluft kaum rauskommen. Einmal übrigens haben Hans-Jürgen und ich unsere Doktoren-T-Shirts aus Jux und Dollerei getauscht. Morgens begegnen wir uns vor dem Wohnmobil – Hans-Jürgen im gelben, ich im blauen T-Shirt –, gucken uns an und wenden uns im selben Moment weinend ab. Nein, es geht einfach nicht.
Hans-Jürgen: Ja, grausam … Aber Tatsache ist: Viele Geschichten, die wir als mobiles Pannenkommando erlebt haben, bleiben im Kopf haften, weil es krasse Fälle waren, weil sie uns Kopfzerbrechen bereiteten, weil sie bis an die Schmerzgrenze gingen. Damit ist schon klar, dass der Sender seinerzeit auf Lars’ Idee eingegangen ist, und so kann es gleich losgehen mit unserer ersten Autodoktoren-Tournee durch die Republik im Jahr 2010.
Holger: Vorsicht, Hans-Jürgen. Unsere erste Reise ging nach Holland. Wir wollen die beiden Länder schön auseinanderhalten. Jedenfalls war uns zu Ohren gekommen: Auf einem Campingplatz in Holland steht ein Fahrzeug, das merkwürdige Geräusche macht. Da wird der Autodoktor natürlich hellhörig und macht sich gleich auf den Weg.
Hans-Jürgen: Wir kamen allerdings nicht weit. In Frechen bei Köln war gleich wieder Schluss. Wir hatten nämlich unsere Zahnbürsten vergessen und uns auf der Autobahnraststätte Frechen welche besorgt, und wie wir über den Parkplatz schlendern, spricht uns jemand an – als Autodoktoren sind wir ja leicht zu erkennen.
Holger: Womit Hans-Jürgen sagen will: Nach nur drei Jahren Fernsehen waren die Autodoktoren schon ein Begriff. Nun gut, der Mann steht ratlos vor seinem Mercedes, kommt auf uns zu und klagt uns sein Leid: Der Wagen springt bei warmem Motor nicht mehr an. Wir schauen genauer hin, da handelt es sich um einen 190er mit 2,2-Liter-Motor und sechs Zylindern – ein Brabus, also getunt und mit fetten Felgen aufgemöbelt. Okay, wir haben Ahnung von solchen Motoren, wir haben eine Woche Zeit, fangen wir doch gleich an.
Es war kein Vergnügen. Seither rate ich von Spontanreparaturen auf Autobahnparkplätzen ab. Bis dahin hatte ich nämlich nicht gewusst, wie viele Zigarettenkippen auf einem solchen Parkplatz landen, und jetzt lag ich unter dem Auto in Dreck und Gestank und kämpfte gegen den Ekel an. Und ich lag lange dort. Weil wir zunächst das Rückschlagventil in Verdacht hatten, haben wir in Frechen ein neues besorgt, aber nach dem Einbau keine Veränderung festgestellt, also blieb nur noch der Druckspeicher übrig. An den ist aber schlecht ranzukommen. Dafür muss man unter dem Auto auf dem Rücken liegend die Kraftstoffleitungen lösen, dabei spritzt einem Benzin ins Gesicht, und anschließend stank ich nicht bloß nach kalten Zigaretten.
Hans-Jürgen: Es war jedenfalls ein anspruchsvolles Auto. Wir haben es tatsächlich auf diesem Rastplatz wieder flottgekriegt, haben einen neuen Druckspeicher bei Mercedes in Frechen besorgt und eingebaut, aber die ganze Veranstaltung dauerte bis spät in die Nacht. Wir haben an diesem ersten Tag unsere Reise also gar nicht fortgesetzt, sondern an Ort und Stelle im Wohnmobil geschlafen und sind erst am nächsten Morgen nach Holland weitergefahren, wo uns auf besagtem Campingplatz ein Ford Puma erwartete.
Holger: Diesmal waren unserer Klienten zwei junge Frauen auf Urlaubsreise. Sie hatten sich sonntags unsere Sendung mit unserem Aufruf angeschaut und sich umgehend an den Sender gewendet; jetzt trafen wir sie vor ihrem kleinen Zelt sitzend an. Und ihr Puma war nicht ohne. Wir sind ordentlich ins Schwitzen gekommen. Irgendwas stimmte mit der Zahnriemensteuerung nicht – der Zahnriemen flatterte, auch die Umlenkrolle war kaputt, und jetzt hieß es, auf einem Campingplatz einen Zahnriemen zu wechseln.
Hans-Jürgen: Eine knifflige Sache. Vor allem deshalb, weil wir auch von unten an den Motor dran mussten, was sich auf dem unebenen Gelände des Campingplatzes als unmöglich herausstellte. Was tun? Ganz einfach: Den Campingplatzbetreiber um einen Gabelstapler bitten! Der Mann sprach nur Holländisch, den Gabelstapler bekamen wir aber trotzdem, und jetzt zeigte sich: Der Boden war nicht nur uneben, er war auch weich; eine feuchte Wiese, in die der Gabelstapler mit seiner Last von 1,5 Tonnen mit seinen kleinen Vorderrädern immer tiefer einsank. Die ganze Angelegenheit war jetzt so wackelig, dass sich keiner von uns beiden drunterlegen wollte.
Holger: Von Spontanreparaturen auf Campingplätzen rate ich seither ab – es sei denn, man weiß sich zu helfen. Wir haben nämlich den Chef des Campingplatzes ein weiteres Mal eingespannt und ihn um Balken gebeten. Der Mann hat sich auch diesmal wieder bewährt, und schließlich ist es uns gelungen, den Puma mit diesen Balken halbwegs stabil in der Schwebe zu halten. Gut, irgendwann war der Zahnriemen getauscht …
Hans-Jürgen: … und die Spannrolle ausgewechselt und der ganze andere Kram erledigt – wie gesagt, kein leichter Fall, aber das Schönste kam noch, nämlich die traute abendliche Runde vor dem kleinen Zelt und der Holzkohlegrill und die Würstchen. Das ist ein Gefühl, nach getaner Tat noch beisammenzusitzen! – was in unserem Fall ja zweierlei bedeutet: Das Auto ist repariert, und der Kameramann hat schöne Bilder im Kasten. An diesem Abend haben wir obendrein Bekanntschaft mit Genever gemacht, ein paar Bier dazu getrunken und bald festgestellt, dass man von dieser Kombination lustig wird.
Der erste Außendreh war überhaupt ein voller Erfolg. Wir haben in dieser Woche sehr viel Spaß gehabt und konnten auch mit unserer Arbeit zufrieden sein. Unser Anspruch ist ja, ein Auto wieder ans Laufen zu bringen, das heißt aber auch: Solange der Fehler nicht gefunden und beseitigt ist, gibt es kein Würstchen und kein Bier.
Holger: Dazu kam, dass die ganze Mechanik bei diesem Puma richtig festsaß. Da klemmte alles. Wir mussten die Riemenscheibe mit Hammer und Meißel runterknüppeln. Hans-Jürgen war am Drücken, ich war am Hämmern, und ein Scheitern lag in der Luft. Oder vorher … Du stehst da und sagst dir: Okay, wir müssen dieses Auto jetzt hochheben, wir können den nicht auf dieser Wiese instand setzen, aber – wie soll das gehen, hier, auf einem Campingplatz? Gar nicht zu machen … Kurz vor dem Aufgeben aber kommt einem von uns die Idee: Wie wär’s mit einem Gabelstapler? Ich glaube, Lars hatte die Idee, weil er das Ding zuvor in der Scheune gesehen hatte. Aber auf jeden Fall: Schon bist du wieder auf 100 Prozent. Eben noch völlig entmutigt, im nächsten Moment Feuer und Flamme, das liebe ich. Dann kommt das nächste Problem – wir kriegen die Scheibe nicht los, und schon sackt dir das Herz wieder in die Hose, bis Hans-Jürgen mit einem Mal sagt: Komm, lass mich mal machen … und rums, ist die Scheibe ab! Sofort bist du wieder bei Laune.
Dieses beständige Auf und Ab der Emotionen, diese brutale Aneinanderreihung von Enttäuschung, von Verzweiflung und innerem Jubel und Siegesgewissheit – das ist die Würze der Außendrehs. Du bist gezwungen zu improvisieren, und jetzt reichen Wissen und Erfahrung nicht aus, jetzt sind Fantasie und Einfallsreichtum und schnelle Kombinationsgabe gefragt, jetzt arbeitet dein Grips auf Hochtouren, und am Ende hast du’s geschafft. Gerade eben warst du noch von der Unmöglichkeit überzeugt, im nächsten Augenblick eröffnet sich plötzlich ein Ausweg, und so folgt ein kleiner Triumph auf den nächsten – einfach toll! Emotional wirst du durch den Wolf gedreht, und nebenbei machst du die Erfahrung: Eine Lösung gibt es immer. Fast immer. Du siehst sie gerade nicht, sie versteckt sich noch hinter einer Nebelwand, aber sie existiert, und jetzt gibt es nur eins: unerschütterlich dran glauben! Nur ja nicht die Flinte ins Korn werfen!
Der Augenblick der Erleuchtung ist jedenfalls ein unglaublicher Moment. Es kommt ja vieles zusammen, was dich motiviert, wenn du kurz vor dem Scheitern stehst. Für uns ist es Ehrensache, nicht aufzugeben. Es ist unser Ehrgeiz, unseren Job gut zu machen. Dazu kommt die Befürchtung, unser Ansehen als Autodoktoren könnte Schaden nehmen, weil wir doch diejenigen sind, die jeden Fehler finden und jeden Defekt beseitigen, sodass die Latte ständig extrem hoch liegt. Aber diesen Anspruch haben nicht nur unsere Fans und Zuschauer an uns, daran messen wir uns auch selbst.
Hans-Jürgen: Wir sind zwar auf alles vorbereitet, aber wir wissen nie, was uns erwartet. Für Außendrehs gibt es kein Drehbuch, keine Gebrauchsanweisung, keinen Plan. Wir setzen uns dem Zufall aus, und im Vergleich zur Arbeit in der Werkstatt sind diese Ausflüge in die Republik das reine Abenteuer.
Holger: Natürlich. Weil wir in der Werkstatt viel mehr Möglichkeiten haben. Unterwegs führen wir zwar die Werkzeugkiste mit, sind aber oft auf Hilfe angewiesen. Wie oft haben wir uns nicht schon bei fremden Werkstätten Werkzeug ausgeliehen! Oder wir marschieren bei den Kollegen rein und sagen: »Können wir mal eure Bühne haben?« Und da uns die meisten mögen, heißt es dann in der Regel: »Klar, kommt her, wir helfen euch.« Manchmal besorgen sie uns sogar Ersatzteile über Nacht …
Doch wie gesagt: Wenn sich wider Erwarten ein neuer Weg vor uns auftut, wenn am Ende alle Widrigkeiten besiegt und alle Probleme gelöst sind, dann fühlt man sich rundum gut. Die Niedergeschlagenheit aber gehört dazu. Das Pendel muss schwingen, es muss sehr weit in beide Richtungen ausschwingen, damit wir Würstchen und Bier anschließend in aufgeräumter Stimmung genießen können.
Hans-Jürgen: Und was passierte? Wir erreichten eine sensationelle Zuschauerquote!
Holger: Unser Film hatte sogar die höchste Einschaltquote, die VOX auf diesem Sendeplatz jemals registriert hat. Das war einfach ein toller Erfolg!