28.
… und im Hintergrund ’ne Karawane
Hans-Jürgen: So ging’s mit den Außendrehs los. Natürlich haben wir weitergemacht. Auch deshalb, weil unser Kameramann Darius draußen im wahren Leben endlich auf seine Kosten kam. In der Werkstatt kocht er ja künstlerisch ständig auf Sparflamme.
Holger: Genau. So ein Kameramann hat ja seine Traumeinstellungen im Kopf, nach dem Motto: Im Vordergrund sind Holger und Hans-Jürgen am Schrauben, und im Hintergrund zieht gleichzeitig eine schwer beladene Karawane aus fünfzig Kamelen vorbei … Bei uns in Holland war es leider keine Karawane, aber immerhin eine Gruppe von Reiterinnen mit ihren Pferden – Holland eben. In dieser Reisewoche entstehen jedenfalls Bilder, die so schön sind, dass man sie für inszeniert halten würde. Es ist aber alles Zufall, alles Gunst des Augenblicks. Deshalb kommt es auch für unseren Kameramann ständig zu Glücksmomenten.
Allerdings hat der Kameramann gelegentlich auch in der Werkstatt Grund zum Jubeln. Erinnere dich bitte, Hans-Jürgen – wir fahren ein Auto aus meiner Halle, da kommt uns in der Einfahrt jemand mit einem pinkfarbenen Tuktuk entgegen, ein Typ mit Frack und Zylinder. Wir trauen unseren Augen nicht. Darius fragt auch noch: »Soll ich das aufnehmen?« – »Ja, selbstverständlich, das glaubt uns doch keiner!«, antwortet Lars. Das Tuktuk qualmt und knattert, es hat sich nur mit letzter Kraft zu uns gerettet, und jetzt erfahren wir auch den Grund seines Erscheinens: An der letzten Tankstelle haben sie dem befrackten Typ aus Versehen Diesel in den Tank geschüttet –, ob wir ihm helfen könnten? Und während wir seinen Tank ausbauen, die Dieselbrühe auskippen und Benzin einfüllen, zeigt er uns ein paar Zaubertricks. Da war dieser Mensch auf dem Weg zu einer Party, und wir hatten das Vergnügen, ihm noch rechtzeitig zu seinem Auftritt zu verhelfen! Die ganze Nummer wurde gefilmt und gesendet, und hinterher hieß es natürlich: »War doch niemals Zufall. Den habt ihr bestellt.«
Hans-Jürgen: Genauso großartig war dieser Jogger in Badehose.
Holger: Richtig. Wir drehen am Rand eines Felds, da läuft im Hintergrund ein Mensch mit nacktem Oberkörper, dicker Wampe, Brille, Kopfhörer und Badehose durchs Bild. Den Pulsmesser über der massigen Brust nicht zu vergessen. Und läuft wie aufgezogen, kerzengerade und eckig wie ein Paradepferd – als wären wir plötzlich in eine italienische Filmklamotte mit Adriano Celentano aus den 70er-Jahren geraten. Ein Kamel hätte nicht skurriler wirken können.
Hans-Jürgen: Bestellt hatten wir ihn nicht.
Holger: Das ist dann was fürs Auge. Aber zurück zu unseren Außendrehs. Bei denen rührt die Dramatik in erster Linie daher, dass wir keine Ahnung haben, was auf uns zukommt. Bei den Fahrzeugen, die wir in der Werkstatt vor der Kamera reparieren, wissen wir vorher schon in etwa, in welche Richtung es geht, sodass wir die nötigen Ersatzteile vorab besorgen können – andernfalls würden wir abends bei den Dreharbeiten ohne Ersatzteile dastehen. Wenn wir das Auto vorher in Augenschein genommen haben, sind wir auf jeden Fall entspannter.
Unterwegs aber kann es passieren, dass du eine kaputte Pumpe austauschen musst, aber keine Ahnung hast, wo auf die Schnelle eine neue herkommen soll. Oft fahren wir dann zur nächsten Filiale des Großhändlers, an den wir angeschlossen sind, besorgen uns die Pumpe dort und brauchen sie nicht einmal gleich zu bezahlen. In jedem Fall bringen diese Unwägbarkeiten zusätzliche Dramatik ins Geschehen – ganz abgesehen davon, dass ein Auto manchmal partout nicht repariert werden will. Wie dieser hinterhältige VW Tiguan, mit dem wir es auf unserer Ostfrieslandreise zu tun bekamen.
Hans-Jürgen: Ja, der … Sein Besitzer hatte sich nach unserem Aufruf bei uns gemeldet. Aus seinen Angaben konnten wir uns kein Bild von dem Defekt machen. Das ist nichts Ungewöhnliches – auf jeden Fall ungewöhnlich aber war, dass wir den Fehler um 22 Uhr immer noch nicht gefunden hatten.
Holger: Inzwischen hatten wir schon zwölf Stunden lang gesucht, gebastelt und geschraubt. Hatten an einem Feldrand im Dreck gelegen, hatten eine neue Hochdruckpumpe für 1000 Euro eingesetzt und wieder ausgebaut, hatten uns eine komplizierte Vorrichtung aus Schläuchen und einem Eimer ausgedacht, mit der wir mit Vollgas über die Feldwege gestocht waren, um den Kraftstoffaustritt aus den Einspritzdüsen zu überprüfen, hatten immer wieder längere Phasen des Grübelns eingelegt, aber die Erleuchtung war ausgeblieben, der Wagen bockte weiterhin. Wir sind ja immer auf Schlimmes gefasst, aber dass es so schlimm kommen würde … Es gibt eine Aufnahme, wo man uns wie zwei Häufchen Elend vor besagtem Tiguan auf dem Boden sitzen sieht, Hans-Jürgen schaut mich an, ich schaue ihn an, und jeder Betrachter weiß, was wir in diesem Augenblick denken: Scheiße, so doof sind wir doch nicht! Warum kommen wir diesem Auto nicht auf die Schliche?
Lag’s an unserem begrenzten Equipment? Lag’s an der undurchschaubaren Reparaturgeschichte eines Autos, das vorher schon durch fünf andere Werkstätten gegangen war? Trotzdem, so etwas durfte uns nicht passieren. Schon gar nicht, wenn wir am nächsten Morgen in aller Frühe nach Norderney übersetzen müssen. Und der Film fertig werden muss. Und unser Ruf auf dem Spiel steht … Also?
Erst mal Feierabend. Drehschluss. Nicht mal mehr ein letztes Bier, weil jedem die Lust vergangen war. Und dann den Besitzer irgendwie vertrösten. Vielleicht mit der Zusicherung, auf dem Rückweg wieder vorbeizukommen? Genau! »Wir holen dein Auto auf der Rückreise ab und nehmen es mit nach Köln«, versprachen wir ihm. »Egal wie.« Die Kosten durften jetzt keine Rolle mehr spielen. In diesem Fall ging es nur noch und ausschließlich um die Ehre.
Auf Norderney hatten wir das Erlebnis mit dem Mercedes, der scharfe Pfeifgeräusche von sich gab – wie schon erwähnt lag’s am Auspuffkrümmer, der eine undichte Stelle aufwies. Und die Rückfahrt habe ich tatsächlich in diesem Unglücksauto gemacht, mal mit 40 Stundenkilometern auf der Autobahn, dann wieder mit 150, es war wirklich zum Verrücktwerden. In Köln dann also noch mal alles von vorn, die Lampen aufgebaut, die Kamera eingeschaltet und die Suche fortgesetzt – bis wir die Ursache endlich gefunden hatten: ein kaputtes Ventil, Neupreis 15 Euro. Aber wir hatten Spezialwerkzeug im Wert von 2000 Euro gebraucht, und diesen Fehler zu finden …
Ventile
Solche Pannen sind grundsätzlich unangenehm. Peinlich. Wir wissen ja: Es geht immer weiter, bis zum letzten Atemzug, manchmal allerdings fühlt sich ein drohendes Versagen für uns wie Sterben an.
Hans-Jürgen: Zwei Tage Ausruhen brauchen wir nach dieser Woche auf jeden Fall. Die Außendrehs zehren an den Kräften, machen aber eigentlich auch extrem glücklich. Schon deshalb, weil wir zwischendurch, in den Drehpausen, nie trübe herumsitzen. Einmal, in Bayern, wollte der Regen kein Ende nehmen. Es sah ganz nach einem verlorenen Tag aus. Da gab’s nur eins: Alle Mann ins Brauhaus, ein paar Bier ordern, Essen bestellen und kräftig zulangen und weitere Biere in Auftrag geben. Und noch welche. Und gegen 22 Uhr die letzten.
Holger: Ein wunderbarer Tag. Wir saßen da vom Mittag bis in die Nacht, und immer wieder kamen Leute an unseren Tisch, setzten sich dazu und standen wieder auf und machten anderen Platz. Draußen regnete es in Strömen, drinnen wurden Gespräche geführt, auch ganz persönliche Gespräche innerhalb des Teams, mit jedem Bier wuchs das Gefühl der Verbundenheit, und am nächsten Morgen um sieben Uhr standen alle wieder auf der Matte.
Kurz und gut, die Außendrehs haben sich als die Erfüllung im Leben der Autodoktoren herausgestellt. Aber auch zwischendurch, so drei-, viermal im Jahr, treibt es uns für die üblichen 15-Minuten-Filme hinaus ins Freie. Ab und zu juckt es uns einfach, Autos auf der Straße zu reparieren. Ich besorge dann morgens noch schnell Brötchen und Teilchen von meiner Lieblingsbäckerei, wir packen den Kofferraum mit Werkzeugen und Ersatzteilen voll, und wenig später liegen wir auf der Straße oder in der Garageneinfahrt unterm Auto. Ich finde das total sexy, auch weil wir die Leute persönlich kennenlernen, weil wir manchmal hinterher sogar eingeladen werden.
Hans-Jürgen: Eine Mischung aus Show und Abenteuer. Einmal waren wir in Dortmund, wo uns wahrscheinlich die Hälfte der Einwohner kennt. Wir liegen da vor einer Garage, von der Straße aus gut einsehbar, und jeder Zweite, der vorbeifährt, hupt oder winkt uns zu wie alten Bekannten. Und dann hält ein Transporter mit der Aufschrift »Getz kommt lecker«, ein Metzger steigt aus, und für den Rest des Tages sind wir mit Wurstbrötchen bestens versorgt.
Holger: Aber was uns wirklich nahegeht, sind die Menschen, denen wir helfen können. Es sind Leute darunter, die kaum Kohle haben. Etliche Werkstätten sind an ihrem Auto schon gescheitert, sie haben viel Geld dabei verloren, mittlerweile sind sie mit den Nerven am Ende, und jetzt kommen wir und können ihnen helfen. Hinterher stehen sie vor uns, haben Tränen in den Augen, nehmen uns in den Arm und drücken uns von Herzen.
Das ist die schönste Belohnung. Und dann laden sie dich womöglich noch zum Essen ein! Sie kochen für uns, sie werfen den Grill an, sie fahren Kuchen auf. Wir haben unseren Proviant zwar immer dabei, aber meistens werden wir von unseren Kunden durchgefüttert. Und wenn dann noch die Sonne scheint und die Würstchen auf dem Grill brutzeln, dann verschwimmt die Grenze zwischen Arbeit und Party, dann kriegt das Ganze einen familiären Anstrich, und es herrscht eitel Freude an allen Fronten.
Hans-Jürgen: Wobei wir es manchmal schon drauf anlegen. Lars wollte bei einem Außendreh den Fehlerteufel eines Audis den Zuschauern unbedingt im ausgebauten Zustand zeigen. Es war eine Sekundärluftpumpe – und die soll mit zusätzlich eingeblasener Luft im Auspuff für eine schnelle Erhitzung der Lambdasonde führen. »Damit fachen wir die Glut eines Grills an, dann gibt’s danach vielleicht ja noch ein paar Würstchen«, meinte Lars. Gute Idee – das gab dann schöne und einfach erklärende Bilder und für jeden im Team Würstchen vom Grill.
Sekundärluftgebläse
Jetzt kann man natürlich fragen: Muss ein Mensch das wissen? Lars findet, ja. Und wir ja auch. Wahrscheinlich kann man auch in Unkenntnis des Sekundärluftgebläses glücklich werden. Jedenfalls haben wir die Kohle im Grill zum Glühen gebracht und dann besagtes Sekundärluftgebläse drübergehalten. In dem Moment, als die Luft rausschoss, schlugen zur Freude aller Beteiligten hohe Flammen aus der Glut, und damit dürfte auch der Letzte verstanden haben: Das Gleiche spielt sich – im Prinzip – im Abgasstrang des Motors ab. Anschließend kamen die Würste auf den Grill, das Picknick im Kreis der glücklichen Kunden nahm seinen Lauf, und dann hieß es wieder: Ab unters Auto!