»Das ist doch langweilig«, sagte Nog. Er saß auf der oberen Etage der Promenade, ließ die Füße hinabbaumeln und trat hin und her. Das Kinn drückte er gegen das Geländer, das verhinderte, dass er sechs Meter tief auf die Hauptebene hinabfiel.
»Das sagst du jetzt schon zum siebenten Mal«, beklagte Jake sich. Er saß neben Nog und langweilte sich nicht minder.
»Aber nur, weil es wirklich langweilig ist«, murrte Nog. »Wir sitzen jetzt schon den ganzen Abend hier und verschwenden unsere Zeit damit, Riv zu beobachten, wie er absolut nichts anstellt. Wir hätten Geld verdienen können, aber nein, du musst ja unbedingt diesen langweiligen Bajoraner beobachten. Jetzt schließen alle Geschäfte, und wir haben nicht das geringste herausgefunden.«
»Riv hat irgend etwas vor«, beharrte Jake.
»Ja«, stimmte Nog ihm zu. »Er versucht, uns zu Tode zu langweilen! Geben wir auf und gehen nach Hause.«
»Nein«, sagte Jake starrköpfig. »Er wird irgend etwas anstellen. Ich weiß es.« Während er sprach, ergriff er Nogs Schulter und zeigte nach unten. »Da ist er! Er geht über die Promenade.«
Dort unten war nur noch etwa ein Dutzend Leute unterwegs, und es fiel ihnen nicht schwer, den kleinen Bajoraner im Auge zu behalten. Nog runzelte die Stirn. »Na und? Wahrscheinlich wird er sich noch einen gefrorenen Yashi kaufen.« Er leckte sich bei dem Gedanken über die Lippen. »Und das ist gar keine schlechte Idee.«
»Die Bude hat geschlossen«, antwortete Jake. »Außerdem hält er sich in den Schatten.«
Riv ging ganz langsam und sah sich immer wieder kurz um. Jake fiel auf, dass der junge Bajoraner ein kleines Stoffbündel trug.
»Da«, sagte er leise. »Er hat irgend etwas dabei. Und er geht zu Garaks Laden.« Ihm kam eine Idee. »Vielleicht sind das die gestohlenen Kleidungsstücke, und er will sie zurückgeben?«
»Dafür ist es jetzt ein bisschen spät«, warf Nog ein. »Sie wurden bereits als gestohlen gemeldet.«
»Vielleicht will er Garak nur als Trottel hinstellen?«, schlug Jake vor. »Es so aussehen lassen, als wären die Sachen gar nicht gestohlen worden?« Er erhob sich. »Komm, folgen wir ihm.«
Während Nog hinter seinem Freund hertrottete, dachte er über dessen Vermutung nach. Dann schüttelte er den Kopf. »Darauf würde Odo nie reinfallen«, sagte er leise. »Er hat doch die Computerdateien überprüft.«
»Ja, wir wissen, dass man Odo damit nicht überlisten kann«, stimmte Jake zu. Er zuckte zusammen, als er an ein paar Streiche dachte, die er und Nog ausgeheckt und die Odos Zorn auf sie gelenkt hatten. »Aber Riv ist nicht so klug wie wir, oder?«
»Niemand ist so klug wie wir«, erwiderte der Ferengi. Dann verzog er das Gesicht. »Außer Odo vielleicht.«
Jake hielt Nog fest, und sie drückten sich gegen die Wand. Die Promenade war jetzt bis auf sie beide und Riv leer. Der junge Bajoraner hatte Garaks bereits geschlossenen Laden erreicht und sah sich um. Als er nichts ausmachte, was dazu angetan war, ihn zu beunruhigen, gab er etwas in die kleine Computer-Schalttafel neben dem Laden ein. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Zischen, und Riv glitt hinein.
»Er hat den Sicherheitskode außer Kraft gesetzt«, sagte Nog. In seiner Stimme lag Bewunderung. »Ob er mir den Trick verrät?«
»Komm schon«, sagte Jake und ging langsam über die Promenade voraus. Sie blieben neben der offenen Tür stehen, und Jake warf einen schnellen Blick in den Laden. Er wurde von einer schwachen Notbeleuchtung erhellt, die gerade so viel Licht spendete, dass man die Kleiderständer als Schatten ausmachen konnte. Jake machte Riv am anderen Ende des Raums aus, in der Nähe des Ladentisches. Mit einer Kopfbewegung bedeutete Jake seinem Freund, dass sie in das Geschäft schlüpfen sollten. Jake bewegte sich schnell und leise, kauerte sich dann hinter einem Kleiderständer nieder. Durch die Lücken zwischen den Gewändern sah er, dass Nog hinter einem anderen Ständer in Deckung gegangen war. Aufmerksam beobachteten sie Riv.
Der junge Bajoraner wickelte das Bündel aus, das er mitgebracht hatte. Bei der schwachen Beleuchtung konnte Jake nicht genau erkennen, was Riv tat, doch es hatte den Anschein, als würde er an einer kleinen Maschine oder einem Gerät herumbasteln.
Leise klickte ein Schalter, und Riv sprang auf. Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht eilte er zum Eingang zurück. Er ging an Jake und Nog vorbei, die in ihren Verstecken praktisch unsichtbar waren. Riv blieb kurz stehen, gab einen anderen Befehl in das Sicherheitspaneel neben der Tür ein und eilte dann davon, als die Tür sich wieder zischend schloss.
Nun, da sie allein waren, trat Jake auf den Gang hinaus. Nog gesellte sich zu ihm, und beide sahen zum Ladentisch. Davor lag der Mantel, den Riv mitgebracht hatte, und in den Falten des Stoffes konnte Jake einen kleinen Kasten ausmachen. Selbst in der schwachen Beleuchtung war das Funkeln von Metall unverkennbar.
»Was könnte das sein?«, fragte Jake.
»Finden wir es doch heraus«, sagte Nog grinsend. Er huschte vor und bückte sich. Als Jake zu ihm trat, wäre Nog fast aus der Haut gefahren. »Es ist eine Bombe!«, rief er.
Jakes Herzschlag raste. »Eine Bombe?«, fragte er nervös. »Bist du sicher?«
»Ja.« Nog deutete auf den kleinen Kasten. An ihm war ein flaches, stumpfes Päckchen angebracht, und ein Draht verlief von dort zu einem kleinen, runden Zifferblatt auf dem Kasten. »Das ist Vebrit – ein bajoranischer Sprengstoff. Er ist nicht sehr wirksam, brennt aber wie verrückt. Es wird höchste Zeit, dass wir von hier verschwinden!«
Jake hielt ihn fest, bevor er wegrennen konnte. Ihm war nicht wohl zumute, so dicht neben einer Bombe zu stehen, aber er konnte nicht einfach davonlaufen. »Wir können sie doch nicht einfach explodieren lassen«, sagte er.
»Ach nein?«, fragte Nog. »Dann pass mal auf.«
Obwohl Nog sich heftig wehrte, ließ Jake ihn nicht los. »Ein paar Minuten lang sind wir noch in Sicherheit«, argumentierte er. »Riv wird die Bombe so eingestellt haben, dass ihm genug Zeit bleibt, um von hier zu verschwinden.« Er betrachtete das kleine Zifferblatt. Es war eine Uhr, die auf bajoranische Zeit geeicht war. Er rechnete schnell nach. »Wir haben noch jede Menge Zeit – mindestens fünf Minuten.«
»Toll«, sagte Nog. »Dann können wir ja im Spielkasino meines Onkels sein, wenn das Ding hochgeht.«
»Wir sollten Odo informieren«, sagte Jake.
»Rufe du Odo. Ich sehe dich dann morgen.«
Jake fiel etwas ein. Er ließ Nog los. »Na schön, zieh Leine.« Trotz des flauen Gefühls in seinem Magen brachte er ein winziges Lächeln zustande. »Als Riv ging, hat er die Tür wieder verschlossen. Kannst du den Kode in fünf Minuten knacken?«
Dieser Gedanke war Nog offensichtlich noch nicht gekommen. Der kleine Ferengi erstarrte, und sein Gesicht wurde noch blasser. »Äh … nein.« Er nagte nachdenklich an seiner Lippe. »Hast du eine bessere Idee?«
Jake wünschte, er hätte einen der kleinen Kommunikatoren, die sein Vater und die anderen Starfleet-Offiziere trugen. »Ist hier irgendwo in dem Laden ein Kommunikator oder etwas, womit wir um Hilfe rufen können?«
Nog zuckte mit den Achseln. »Woher soll ich das denn wissen? Ich bin nur selten hier. Ich kann es nicht ausstehen, wenn man mir neue Kleider verpasst.«
Jake teilte dieses Gefühl – obwohl er jetzt wünschte, es wäre anders. Wahrscheinlich befand sich irgendwo in Garaks Laden ein Kommunikator – aber wo? »Vielleicht können wir eine Schaufensterscheibe einschlagen?«, meinte er. »Das müsste Odo oder eine seiner Sicherheitswachen herlocken. Und wir könnten durch das Loch rausklettern.«
»Sinnlos«, sagte Nog seufzend. »Nach Abzug der Cardassianer und den folgenden Unruhen haben sie alle Scheiben durch bruchsicheres Plastahl ersetzt. Die Ladenbesitzer waren es leid, ständig die Scherben aufkehren zu müssen. Um die Schaufenster zu beschädigen, braucht man jetzt mindestens einen Phaser.«
In Jakes Magen breitete sich ein schrecklicher Schmerz aus. Er wusste, dass es Furcht war. Mit einer tickenden Bombe in einem Laden eingeschlossen zu sein, stand ganz bestimmt nicht ganz oben auf der Liste seiner beliebtesten Freizeitaktivitäten. »Äh … ich bin für alle Vorschläge offen«, sagte er.
»Na klar«, murmelte Nog. »Du bringst mich in diesen Schlamassel und erwartest, dass ich uns da raushole.« Er verdrehte die Augen. »Na schön, such du nach einem Kommunikator. Ich will mal sehen, ob ich etwas mit der Bombe anstellen kann.«
»Du willst versuchen, sie zu entschärfen?«, fragte Jake schockiert.
Nog runzelte die Stirn. »Glaubst du etwa, ich will versuchen, sie zur Explosion zu bringen?«, fauchte er. »Natürlich will ich sie entschärfen.«
»Weißt du wirklich, was du tust?«, fragte Jake sehr nervös.
»Frag mich in knapp vier Minuten noch mal«, schlug Nog vor. »Was spielt das schon für eine Rolle, wenn wir sowieso umkommen werden? Also mach dich endlich auf die Suche, ja?«
Jake antwortete nicht; ihm fiel einfach nichts ein, was er sagen konnte. In vier Minuten waren sie vielleicht tot … Er schluckte heftig und sah zu, wie Nog neben der Bombe niederkniete. Er hoffte wirklich, dass sein Freund ahnte, worauf er sich da einließ. Alles mögliche konnte schiefgehen und die Bombe vorzeitig zur Explosion bringen. Das beste wäre es wirklich, wenn er einen Kommunikator fand – und zwar schnell!
Als er zum Ladentisch ging und die Schubladen darin durchsuchte, merkte er, dass er heftig schwitzte. Er fand zahlreiche kleine Geräte zum Maßnehmen, Größentabellen und Modebücher. Computerdisketten und sogar so altertümliche Instrumente wie Scheren lagen darin, aber kein Kommunikator.
Er fragte sich nervös, wie viel Zeit ihnen noch blieb, ging zu einem kleinen Lagerraum hinüber und durchsuchte ihn. Er fand jede Menge Stoffe, aber keinen Kommunikator. Viel Zeit konnte ihnen nicht mehr bleiben … Er wischte sich mit einem Stoffrest den Schweiß von der Stirn und schaute dann zu Nog hinüber. Seinem Freund war es gelungen, einen Teil der Uhr auseinanderzunehmen, und mehrere kleine Einzelteile lagen auf dem Boden verstreut. Dem leisen Gemurmel zufolge, das er vernahm, klang es jedoch nicht so, als hätte Nog die Bombe bereits entschärft. Und jetzt?
Sein Blick fiel auf eins der Werkzeuge, die er gefunden hatte. Ein Laserschneider, den Garak benutzte, um Grobschnitte der Stoffe anzufertigen. Er hob ihn hoch und schaltete ihn ein. Der Strahl, den das Gerät erzeugte, war schwach und schmal, aber immerhin besser als nichts. Er war nur dazu gedacht, Stoffe und ähnliche Materialien zu durchtrennen, doch vielleicht konnte er ihn benutzen, um das Türschloss zu zerstören, damit sie den Raum verlassen konnten. Er öffnete schon den Mund, um Nog über seinen Fund zu unterrichten, überlegte es sich dann jedoch anders.
Er umklammerte den Laser, lief an seinem Freund vorbei und zur Tür. Dann schaltete er das Gerät wieder ein und richtete es auf das Schloss. Ein paar entsetzliche Sekunden lang konnte er nicht feststellen, ob er irgendeine Wirkung damit erzielte, doch dann sah er ein schwaches Leuchten in der Tür, und etwas Metall tropfte hinab.
Es funktionierte! Aber würden sie es noch rechtzeitig schaffen? Er warf einen weiteren Blick auf die Bombe. Er hätte gern gefragt, wie viel Zeit ihnen noch blieb, wagte es aber nicht, Nog abzulenken. Statt dessen konzentrierte er sich auf das Schloss. Ein weiterer glühender Metalltropfen fiel zu Boden.
Es dauerte viel zu lange …
»Oha«, sagte Nog.
Jakes Magen drehte sich um. »Was meinst du mit oha?«, rief er.
»Ich meine damit, dass auf der Uhr noch fünf Sekunden bleiben.« Nog sprang auf und lief zu Jake zur Tür. »Ich glaube, mir ist es gelungen, den Zeitzünder anzuhalten. Aber ich bin mir nicht sicher.«
»Sei dir lieber sicher!«, rief Jake, als Nog versuchte, sich hinter ihm zu verstecken.
Die Bombe gab ein sehr lautes Klicken von sich.
Sonst passierte nichts.
Nog spähte unter Jakes Arm hervor. »Ich bin mir sicher«, sagte er schließlich.
»Du hast es geschafft!«, rief Jake. »Du hast die Bombe entschärft!«
»Ja«, sagte Nog. Jake wäre es lieber gewesen, er hätte nicht so überrascht geklungen. »Ich bin Experte im Schlösserknacken«, erklärte er. »Das habe ich gelernt, als die Cardassianer hier waren. So etwas vergisst man wohl nie.« Er grinste und zeigte all seine spitzen Zähne. »He, vielleicht kann ich das Vebrit verkaufen?«, sagte er. »Das Zeug ist ziemlich wertvoll.« Er ging zurück zu den verstreuten Überresten der Bombe, raffte sie zusammen und legte sie auf den Mantel.
Jake widmete sich wieder dem Schloss. Jetzt war es zwar nicht mehr ganz so eilig, aber sie mussten trotzdem hier heraus. Schließlich knackte es dumpf, und die Tür sprang auf. »Ich hab's geschafft«, rief er Nog zu. »Komm, verschwinden wir von hier.«
»Das musst du mir nicht zweimal sagen«, murmelte der Ferengi. Er hatte alle Einzelteile der Bombe in den Mantel eingeschlagen und klemmte ihn sich unter den Arm. »Gehen wir.«
Jake schob die Tür auf, und sie wären fast aus dem Laden gesprungen. Dann zog Jake die Tür hinter ihnen wieder zu; sie drehten sich um und wollten loslaufen …
Vor ihnen stand Odo, und er hatte seinen strengsten Gesichtsausdruck aufgesetzt.
»Was haben wir denn hier?«, knurrte er. »Einkäufe nach Ladenschluss, vermute ich. Lasst mich das mal sehen«, fügte er hinzu und deutete auf den Mantel, den Nog umklammerte.
»Das wird Ihnen nicht gefallen«, warnte Nog ihn.
»Das möchte ich doch lieber selbst beurteilen«, schnauzte der Gestaltwandler. »Zeig mal her.«
Zögernd öffnete Nog das Bündel. Odos Augen wurden ganz groß.
»Eine Vebrit-Bombe?«, sagte er schockiert.
»Ich habe Ihnen ja gesagt, dass es Ihnen nicht gefallen wird«, murmelte Nog.
Jake zuckte zusammen. Fast wünschte er sich, die Bombe wäre explodiert. Der grimmige Ausdruck auf Odos Gesicht ließ nicht den geringsten Zweifel zu, dass er und Nog sich diesmal gewaltigen Ärger eingebrockt hatten.