Jake starrte das magere cardassianische Mädchen an. »Erzähle uns alles darüber«, schlug er vor.
Kam nickte und nahm hinter einem der Pulte Platz. Die anderen scharten sich um sie herum. Nachdem Kam ein paar Sekunden lang auf ihre Unterlippe gebissen hatte und dabei ihre Gedanken ordnete, fing sie endlich an. »Ihr wisst wahrscheinlich nicht, wie es auf Cardassia ist«, sagte sie. Jake konnte den Schmerz in ihrer Stimme hören. »Das Militär beherrscht unsere Welt, und fast alle Leute müssen dafür arbeiten. Cardassia ist keine sehr reiche Welt, und wir bauen darauf, dass unsere Kolonialplaneten uns fast alles liefern, einschließlich der Nahrung. Wenn das Militär seine Schlachten gewinnt, haben wir von allem genug. Wenn nicht, gibt es allen möglichen Mangel – besonders an Nahrung.« Sie seufzte. »Es hat viele Tage gegeben, an denen ich fast nichts zu essen hatte. Danach schmeckt sogar Eintopf und Käsekuchen hervorragend.«
»Es muss dort schrecklich sein«, sagte Ashley. »Warum ertragt ihr das? Warum hält niemand das Militär auf?«
»Machst du Witze?«, fragte Kam. »Sie haben alle Waffen, alle Raumschiffe – alles. Wenn man auch nur ein Wort gegen das Militär sagt, wird man vielleicht verprügelt oder sogar getötet. Selbst, wenn man den Familien der militärischen Führer angehört. Wir müssen tun, was man uns sagt. Und das Militär kontrolliert auch die Schulen. Jede Unterrichtsstunde, die wir bekommen, muss vom Kriegsrat gebilligt werden. Man erzählt uns, die Föderation sei eine Vereinigung von Kriegstreibern und habe es darauf abgesehen, alle Cardassianer zu töten und unsere Welten zu stehlen.«
»Das stimmt nicht!«, sagte T'Ara und vergaß, dass sie eigentlich nicht wütend werden durfte. »Die Föderation will den Frieden und dass alle Spezies einander helfen.«
»Ja, aber den Cardassianern sagt man das nicht«, erklärte Kam. »Würde man es ihnen sagen, kämen sie vielleicht auf den Gedanken, das Militär zu entmachten. Also erzählt man uns, was für Ungeheuer ihr seid und dass ihr Cardassianer zum Spaß tötet und foltert. Die meisten Leute glauben es und haben schreckliche Angst vor euch. Sie sind der Meinung, dass lediglich die Raumflotte sie davor bewahrt, getötet zu werden. Das ist noch ein Grund, warum alle hinter dem Militär stehen.
Na ja, wie ich schon sagte, ist mein Vater einer der höchsten Offiziere in der Raumflotte. Er ist der Gul der Dritten Flotte und wirklich wichtig. Also wurden wir zu Hause etwas besser behandelt als die meisten anderen Leute. Und man hat uns ständig gesagt, was für ein großer Held er sei, und so weiter. Aber ich war mir dessen nicht immer sicher, denn manchmal kann er wirklich in Wut geraten. Wenn jemand ihn verärgert, schlägt er einfach auf ihn ein, schlägt ihn so lange, bis er zu erschöpft ist, um damit weiterzumachen. Er hat oft meine Mutter und meinen älteren Bruder geschlagen. Manchmal auch mich, aber auf mich war er nur selten so böse. Ich weiß wirklich nicht, warum, aber er schien zu glauben, dass ich ihm ähnlicher war als mein Bruder.
Er hat mir immer erzählt, wie wunderbar die Schlachten waren, in denen er gekämpft hat, und wie er die Föderation besiegt hat, und so weiter. Aber das hat nie so geklungen, als glaubte er wirklich daran. Versteht ihr, was ich meine? Als würde er versuchen, daran zu glauben, obwohl er es besser wusste. Ich dachte immer wieder, wenn es falsch war, dass er uns alle schlug, war es vielleicht auch falsch, dass wir gegen die Föderation kämpften. Ich habe mich immer gefragt, ob hier wirklich alle Leute so böse sind, wie er immer behauptet.
Auf jeden Fall hat er mich an meinem letzten Geburtstag zu den Raumdocks mitgenommen und mir einige der Schiffe dort gezeigt. Er war sehr stolz auf sie und hat mir erklärt, wie schnell und mächtig sie sind und wie viele andere Schiffe sie zerstört haben. Er hat wohl geglaubt, ich wäre wirklich beeindruckt, aber es hat mich sehr traurig gemacht, dass sie dazu dienten, andere Wesen zu töten.
Es lagen auch ein paar alte, schmutzig aussehende Schiffe dort. Als ich mich nach ihnen erkundigte, erklärte er mir, das seien Frachter, die hauptsächlich zu den verschiedenen Kolonialwelten fliegen. Dann wurde er wegen irgendeines Problems weggerufen und ließ mich bei einem seiner jungen Offiziere zurück, einem Mann namens Tak.« Sie lächelte traurig. »Er ist sehr nett, und ich bin immer gut mit ihm ausgekommen. Hoffentlich hat er wegen mir keine Schwierigkeiten bekommen.«
Jake war verblüfft. Kam klang plötzlich genau wie Riv, der auch nicht gewollt hatte, dass jemand wegen einer Sache, die er angestellt hatte, in Schwierigkeiten geriet. Seltsam!
»Tak hat mir dann einen der Frachter gezeigt, die gerade beladen wurden«, fuhr Kam fort. »Er ließ mich zusehen und hat gesagt, das Schiff würde hierherfliegen, nach Deep Space Nine. Das hat mich wirklich interessiert. Zu Hause auf Cardassia heißt es nur, die Bajoraner wären ein Pack von Feiglingen und Verrätern, die sich mit der Föderation zusammengetan hätten, um uns zu verraten. Und man sagt uns, sie hätten uns Deep Space Nine gestohlen. Aber ich habe diese Geschichten nie geglaubt, denn ich habe gehört, wie mein Vater sich mit anderen Soldaten unterhielt. Ich habe sie belauscht, und sie haben gesagt, sie selbst hätten Deep Space Nine übergeben, weil die Station für sie nutzlos geworden war. Und die Bajoraner seien unschuldig, und wir hätten sie überfallen.
Danach schämte ich mich, denn als Kind hatte ich die Föderation immer gehasst. Ich war schrecklich wütend gewesen, weil ihr alle angeblich versucht, uns zu überfallen und zu töten. Dann hörte ich meinen Vater sagen, dass wir Bajor angegriffen hatten. Ich fragte mich nun, wie viele andere Lügen man mir noch erzählt hatte. Je länger ich den Frachter betrachtete, desto lieber wäre ich auf ihm gewesen. Ich wollte hierherkommen und selbst sehen, wie es wirklich war. Ich wollte erfahren, ob die Leute in der Föderation wirklich Ungeheuer sind. Ich wollte ein für allemal die Wahrheit wissen.« Kam klang sehr wütend.
»Und wie bist du an Bord gelangt?«, fragte Ashley.
»Na ja«, fuhr Kam fort, »als mein Vater zurückkam, war er wegen irgendeiner Sache unheimlich wütend. Er hat Tak zu sich gerufen. Der arme Tak musste dort stehen und sich anbrüllen lassen – wahrscheinlich wegen einer Sache, für die er gar nichts konnte. Niemand hat auf mich geachtet, und da nahm ich all meinen Mut zusammen und habe mich davongeschlichen. Ich schaffte es, zu einem der Container zu gelangen, die gerade verladen wurden.« Sie lächelte schwach. »Ich kann ganz gut mit Computern umgehen. So habe ich auch herausbekommen, wie ich den Replikator neu einstellen musste. Ich versteckte mich in dem Container und wartete ab.
Ich hatte schreckliche Angst, dass mein Vater oder Tak merkten, dass ich verschwunden war, und herausfinden würden, wo ich mich versteckt hatte. Aber irgendwie kam es nicht dazu. Statt dessen wurde der Container an Bord des Frachters gebracht. Kurz darauf startete das Schiff dann. Ich wartete eine Weile, schlüpfte dann aus dem Container und verbarg mich im Schiff. Der Frachter brauchte etwa einen Tag, um hierherzugelangen. Als er angedockt hatte, ging ich wieder in den Container zurück und wartete einfach ab, bis er entladen wurde. Seitdem verstecke ich mich hier.«
Nach einem Augenblick der Stille schüttelte Nog den Kopf. »Mann! Du musst wirklich sehr mutig sein, so etwas zu wagen!«
»Eigentlich nicht«, erwiderte Kam und lächelte schwach. »Die meiste Zeit über hatte ich schreckliche Angst.«
»Aber du bist hierhergekommen«, sagte T'Ara. »Obwohl man dir ständig gesagt hast, dass wir Ungeheuer und ganz schreckliche Leute sind. Das war sehr tapfer, auch wenn du eigentlich nicht geglaubt hast, dass wir so schrecklich sind.«
»Aber weshalb hast du dich in der Zwischendecke über dem Schulraum versteckt?«, fragte Jake.
Kam schaute ein wenig traurig drein. »Na ja, zuerst habe ich es nicht gewagt, mich zu zeigen. Aber ich weiß, wie diese Raumstationen konstruiert sind. Mein Vater hat den Bau von einigen von ihnen beaufsichtigt, und ich habe ein paar Pläne gefunden. Ich wusste, dass es hier jede Menge Orte gab, an denen ich mich verstecken konnte, aber ich wollte auch herausfinden, wie die Leute hier wirklich sind. Am ersten Tag habe ich mich in der Nähe des Andockrings versteckt. Dann sah ich dich und Nog, und mir wurde klar, dass es auf dieser Station auch Jugendliche in meinem Alter gibt. Also bin ich euch gefolgt. Ich dachte, ich könnte am besten herausfinden, wie ihr wirklich seid, indem ich euern Unterricht belausche. Und ich habe einen der Computer mitgenommen, um des Nachts lernen zu können.«
Ashley runzelte die Stirn. »Und du hast ein paar Kleidungsstücke aus Garaks Laden gestohlen, nicht wahr?«
Kam nickte. »Mir blieb nichts anderes übrig. Wisst ihr, wie unangenehm es ist, eine Woche lang jeden Tag dieselbe Kleidung zu tragen? Ich hatte schon Angst, ihr würdet mich hier oben riechen.«
Jake musste angesichts dieser Vorstellung lachen. »Du bist wirklich verrückt«, sagte er. »Aber was hältst du denn jetzt von der Föderation?«
»Hältst du uns noch immer für Ungeheuer?«, fragte T'Ara.
Kam schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Nein, schon lange nicht mehr. Ihr alle kamt mir wirklich ganz nett vor. Und nachdem ich jetzt mit euch sprechen konnte, weiß ich, dass ihr nett seid.« Sie sah sie hoffnungsvoll an. »Ich würde gern eure Freundin sein – wenn ihr das auch möchtet.«
»Worauf du dich verlassen kannst«, pflichtete Jake ihr bereitwillig bei.
»Ganz bestimmt«, fügte Ashley hinzu.
»Ich hab nichts dagegen«, sagte Nog grinsend.
»Das wäre akzeptabel«, sagte T'Ara. Ashley funkelte das jüngere Mädchen wütend an, und T'Ara fügte hinzu: »Ich würde mich freuen, Kam.«
Die junge Cardassianerin lächelte breit, stand dann auf und umarmte die anderen nacheinander. »Danke«, sagte sie und wischte an ihren Augenwinkeln herum. »Ich bin wirklich froh, dass wir Freunde statt Feinde sein können.«
»Aber das bringt uns auch Scherereien ein«, sagte Jake. Vier Augenpaare starrten ihn an. »Na ja, wir können dich nicht einfach in den Zwischenraum über der Decke zurückbringen und so tun, als wäre nichts passiert«, erklärte er. »Mein Dad ist der Kommandant dieser Station und hat mir und Nog erst gestern Abend ins Gewissen geredet.«
Ashley nickte verdrossen. »Und Mrs. O'Brien weiß, dass wir die Person ergreifen wollen, die den Replikator manipuliert hat«, warf sie ein. »Wir müssen ihr irgend etwas sagen, oder sie wird misstrauisch.«
»Und da ist die Kleidung, die du Garak gestohlen hast«, fügte T'Ara hinzu. »Früher oder später wirst du frische Kleider brauchen. Und noch so ein Diebstahl wird dir wohl kaum gelingen.«
Nog kicherte. »Ich weiß, was wir tun könnten«, sagte er. »Wir könnten die ganze Sache einfach Riv in die Schuhe schieben.«
»Aber das wäre gelogen«, sagte T'Ara.
Nog zuckte mit den Achseln. »Ja – aber wenn irgend jemand es verdient hat, Schwierigkeiten wegen etwas zu bekommen, das er nicht getan hat, dann Riv.«
Kam schüttelte den Kopf. »Es ist nicht richtig, jemandem die Schuld für etwas in die Schuhe zu schieben, das ich getan habe.«
»Mag schon sein«, stimmte Nog zu. »Aber es würde Spaß machen.«
»Nein.« Kam seufzte. »Ich fürchte, ihr werdet mich ausliefern müssen.« Der Gedanke schien ihr nicht zu behagen. »Ob sie mich nach Cardassia zurückschicken werden? Ich hasse das Leben dort! Und ich will nicht zu meinem Vater zurück!«
Ashley runzelte die Stirn. »Ob dein Vater ihr Asyl gewähren wird?«, fragte sie Jake. »Dann könnte sie hierbleiben.«
Jake dachte darüber nach. Normalerweise gewährte die Föderation anderen Personen Bleiberecht, wenn sie darum baten – aber das galt für Erwachsene. »Ich weiß nicht, ob er dazu befugt ist«, gestand er ein. »Schließlich ist Kam noch ziemlich jung. Dad hat vielleicht keine andere Wahl, als sie auszuliefern.«
»Aber du könntest ihn doch fragen«, sagte Ashley.
»Natürlich kann ich das!«, rief Jake. »Und das werde ich auch – und zwar sofort!« Er wandte sich an Kam. »Ich möchte, dass du hierbleiben kannst. Und mein Dad ist normalerweise ziemlich vernünftig, was solche Dinge betrifft. Wenn es eine Möglichkeit gibt, wird sie ihm schon einfallen.«
Kam lächelte etwas traurig. »Es muss schön sein, so einen Vater zu haben.«
»Das ist es auch«, erklärte Jake. »Meistens jedenfalls. Aber wenn ich etwas Dummes tue, sagt er mir auch die Meinung.«
Die junge Cardassianerin nickte. »Aber schlägt er dich auch, wie mein Vater es tut?«
»Nie!« Jake wurde klar, wie glücklich er sich schätzen konnte, solch einen Vater zu haben. »Also, Nog und ich werden mit meinem Dad sprechen. Ich weiß, dass er Verständnis für dich haben wird.« Er drehte sich zu Ashley um. »Und du könntest mit T'Ara Mrs. O'Brien suchen. Sie wird uns ebenfalls helfen.«
»Genau«, sagte Ashley. »Sie ist nett«, erklärte sie Kam. »Sie hilft uns bestimmt.«
»Dann ist ja alles klar«, entschied Jake. »Kam, sobald wir weg sind, versteckst du dich wieder da oben. Es dauert noch eine Weile, bis der Unterricht anfängt, aber es soll niemand erfahren, dass du hier bist, bis wir es ihnen sagen.«
Kam nickte. »Einverstanden.« Sie sah ihre vier neuen Freunde an. »Vielen Dank«, sagte sie schlicht. »Ich weiß wirklich zu schätzen, was ihr für mich tut. Ganz gleich, was geschieht, ich werde das nie vergessen.« Jetzt standen eindeutig Tränen in ihren Augen.
»Ach«, knurrte Nog, »das wird mir zu sentimental. Das hat man davon, wenn man sich mit Mädchen einlässt.«
Jake grinste, als er zur Tür ging. »Worauf wartest du?«, sagte er, und Nog folgte ihm schnell. Ashley und T'Ara begleiteten sie bis zur ersten Kreuzung und schlugen dann einen anderen Weg ein, um ihre Lehrerin zu suchen.
Keiner von ihnen kam auf die Idee, sich umzuschauen. Hätten sie es getan, hätten sie vielleicht Riv gesehen. Der junge Bajoraner schlüpfte verstohlen in den Unterrichtsraum. Er hatte eine geraume Weile an der Tür gelauscht, und jetzt legte sich ein breites Grinsen auf sein Gesicht.