Kapitel 9

Harvey

E ndlich Freitag, und noch endlicher würde ich Adam wiedersehen. Die ganze Woche hatten wir es nicht geschafft, weil er mit Arbeit und Studium und so was beschäftigt gewesen war und ich mit Mom nicht wegkonnte.

Ich war immer davon ausgegangen, dass es ein Mann nicht verstehen würde, dass ich so wenig Zeit hatte, aber Adam schien das nicht nur zu verstehen, sondern auch selbst genug um die Ohren zu haben, dass er es mir nicht übel nahm. Außerdem schrieben wir uns regelmäßig, von Guten Morgen -Nachrichten bis in zu Gute Nacht- Nachrichten. Und wann immer es ging, telefonierten wir. Allerdings gestaltete sich das auch schwierig, weil er abends oft arbeitete, wenn ich Mom nicht mehr im Auge behalten musste. Tagsüber könnte er, aber ich nicht. Er schien das alles locker zu sehen, ohne sich aufzuregen. Fast schon zu locker. Wären da nicht die Nachrichten, die er mir schrieb, könnte ich auf den Gedanken kommen, dass es ihm nicht ernst war, aber so schien es eher, als würde er respektieren, welche Einschränkungen meine Verpflichtungen mit sich brachten. Konnte ein Mann eigentlich zu perfekt sein? Wenn ja, dann war es Adam.

Ich starrte mich im Spiegel an, unsicher, ob ich gut genug aussah. Jeans, T-Shirt, die Haare gestylt. Rasiert hatte ich mich heute Morgen, also waren noch kaum Bartstoppeln zu sehen. Das dunkelblaue T-Shirt brachte meine blauen Augen besonders zur Geltung, und ich trug etwas von dem Parfum auf, das ich mir vor einer gefühlten Ewigkeit mal gekauft hatte.

War das gut so? Was sonst sollte ich noch tun? Frauen schminkten sich, aber wie sonst sollte ich mich attraktiver machen? Adam kannte mich schon länger, also war es eigentlich unnötig, sich zu stylen, aber ich wollte für ihn gut aussehen. Er hatte mich erst jetzt bemerkt, also schadete es nicht, mich von meiner besten Seite zu zeigen, oder?

Aber die hatte ich wohl schon hervorgeholt, so wie es aussah. Mehr konnte ich nicht machen, zumindest fiel mir nichts ein. Die nächste Stufe wäre Make-up, und ich befürchtete, das war nicht so meins.

Also würde es so gehen müssen.

Mit einem letzten Blick in den Spiegel verließ ich das Zimmer, verabschiedete mich von meinen Eltern und fuhr zum Club. Adam hatte eine späte Vorlesung, also konnten wir uns nicht früher treffen, was ich bevorzugt hätte. Wir würden uns erst im Club sehen, und das bedeutete, dass ich mir den Kopf darüber zerbrach, wie ich ihn begrüßen sollte. Sollte ich ihn küssen? Oder mich so verhalten, wie wir es in der Arbeit immer getan hatten? Wollte er, dass seine Kollegen es wussten, oder war es ihm peinlich?

Sobald mein Kopf einmal damit angefangen hatte, konnte ich nicht mehr aufhören und als ich an einer roten Ampel stand, nur noch zwei Minuten vom Club entfernt, war ich bereit, mich krankzumelden und Adam nicht unter die Augen zu treten. Die Hälfte meiner Zweifel waren eingebildet, das wusste ich, aber das hielt mein Herz nicht davon ab, wie wild zu rasen und auch meine Hände waren feucht vor Schweiß, wo sie das Lenkrad umklammerten. Fuck, warum musste ich immer alles so zerdenken? Warum konnte ich nicht einfach mal etwas auf mich zukommen lassen?

Nur die Tatsache, dass ich Adam schon gesagt hatte, ich würde kommen, hielt mich davon ab, wieder umzudrehen. So nervös ich auch davor war, ihn wieder zu treffen, schlimmer klang die Vorstellung, ihm erklären zu müssen, warum ich gekniffen hatte. Außerdem wollte ich ihn besser kennenlernen, wollte sehen, wohin das führte, und das würde nicht geschehen, wenn ich es nicht schaffte, mich irgendwo mit ihm zu treffen.

Gut, sagte ich mir selbst, ich hatte ihn schon getroffen, hier ging es um die Arbeit, aber auch das musste ich hinbekommen. Das war nur eins der Dinge, denen ich mich stellen musste, und irgendwie würde ich das schaffen. Schlimmer war eigentlich, dass ich ihm irgendwann beichten müsste, wie unerfahren ich war, und diesen Gedanken wollte ich gar nicht erst weiter verfolgen, sonst würde ich wahrscheinlich schreiend wegrennen.

Ich schnaubte. Drama Queen , das war ich. Sonst nichts.

Adam war verdammt heiß, und ich hatte keine Ahnung, was er in mir sah, aber er hatte mehr als klargemacht, dass er mich wollte, und zwar nicht nur für eine Nacht. Ich glaubte es ihm auch, denn sonst würde er sich nicht die Zeit nehmen, mit mir auszugehen. Das bedeutete, dass er auch meine Probleme und Unerfahrenheit hoffentlich akzeptieren würde.

Wenigstens konnte ich mich nicht weiter gedanklich im Kreis drehen, denn ich bog auf den Mitarbeiterparkplatz ein, aber mein Herz machte einen Satz, noch bevor ich überhaupt einen Parkplatz gefunden hatte. Da stand er, an sein Auto gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt, was die starken Muskeln noch betonte. Das schwarze T-Shirt hob zusätzlich hervor, wie sehr sich sein Bizeps wölbte, und seine Bartstoppeln wirkten einfach nur sexy. Wann immer ich das versuchte, sah ich aus, als hätte ich vergessen, mich zu rasieren.

Dunkle Augen verfolgten meinen nicht ganz eleganten Einparkversuch – meine Hände waren schweißnass und mein Herz raste – und bevor ich mich genug gesammelt hatte, um die Autotür selbst zu öffnen, riss Adam sie schon auf.

Er ergriff meine Hand, umschloss sie fest und zerrte mich förmlich aus dem Auto und in seine Arme. Ich schaffte es nicht mal, meine Hände noch abzuwischen, aber so, wie sich seine Lippen auf meine drückten, war ihm das vermutlich komplett egal.

Genauso egal, wie es ihm war, wer uns sah. Das war der letzte zusammenhängende Gedanke, den ich hatte. Der darauffolgende Kurzschluss, als Adam den Kuss nicht beendete, sondern tiefer werden ließ, verhinderte alle weiteren Überlegungen.

Als Adam mich losließ, atmeten wir beide schwer, aber die Bedenken in meinem Kopf waren verschwunden. Das konnte daran liegen, dass er mein Gehirn frittiert hatte, aber wenn, dann war mir das auch egal. Wichtig war, dass er es geschafft hatte, vieles von dem, worüber ich mich in den Wahnsinn getrieben hatte, einfach so verschwinden zu lassen.

„Fuck, darauf habe ich mich schon die ganze Woche gefreut“, flüsterte Adam, dann küsste er mich noch mal. „Ist das okay für dich hier? In der Arbeit? Wenn du willst, versuche ich, hier meine Hände bei mir zu behalten.“

Ich ließ meinen Kopf gegen seine Schulter sinken und atmete seinen warmen Duft zusammen mit der kühleren Abendluft ein. Die Mischung allein war schon schwindelerregend, aber seine Frage war es noch mehr.

„Ich – du –“ Ich räusperte mich, versuchte meine Gedanken zu sortieren, atmete ihn dabei wieder ein und gab das auf. Mein Kopfschütteln erntete mir allerdings nur ein leises Lachen von Adam.

„Okay, anders gefragt. Möchtest du unsere … Beziehung … vor den anderen geheim halten?“

Es half nicht, dass er das Wort Beziehung verwendete. Das klang so … ernst. So fest.

Aber ich schaffte es, den Kopf zu schütteln, immer noch an seiner Schulter versteckt. Hier roch es so gut, war es so warm und angenehm, versteckt und geborgen in Adams Armen, dass ich nie wieder gehen wollte.

Er drückte mir einen Kuss seitlich auf den Kopf. „Okay, also darf ich allen zeigen, dass ich die Finger nicht von dir lassen kann? Ist das wirklich in Ordnung für dich? Ich will dich nicht unter Druck setzen.“

Das waren zu viele Fragen, um sie mit einer Kopfbewegung zu beantworten, also musste ich eine Antwort formulieren. Irgendwie. Ich räusperte mich. „Das ist vollkommen okay. Wenn es dich nicht stört, mit mir gesehen zu werden.“

Adam lachte so sehr, dass ich von meiner bequemen Stelle an seiner Schulter geschüttelt wurde. Er nutzte das, um mir noch einen Kuss auf die Lippen zu drücken, dann antwortete er: „Süßer, glaub mir, ich habe viele, viele Gedanken, wenn es um dich geht, aber keiner handelt davon, dass es mir peinlich wäre, mit dir gesehen zu werden. Ganz im Gegenteil.“

Hitze zog sich über meine Haut und ich war mir sicher, dass ich den dunkler werdenden Parkplatz erhellte, so sehr glühte mein Gesicht.

„Sorry. Zu viel?“

Ich schaffte es nur, den Kopf zu schütteln. Er musste mich für einen kompletten Idioten halten.

„Dann … sagst du mir, wenn es das werden sollte? Ich will es nicht übertreiben, aber ich will auch nichts verstecken. So bin ich einfach nicht. Aber wenn dir das unangenehm ist oder du dich unwohl fühlst oder was auch immer, dann sag bitte was oder schieb mich weg, oder sonst was. Ich verspreche, dass ich es dir nicht übel nehme, okay? Ich will, dass du dich wohlfühlst, und bis wir uns besser kennen, musst du mir helfen, sollte ich Grenzen überschreiten.“

Das war entschieden zu viel, um das alles auszupacken und darüber nachzudenken, während er mich an seinen harten Körper gedrückt hielt. Dinge wie besser kennenlernen , Grenzen, Versprechen … Damit konnte ich gerade nicht umgehen. Nicht, wenn ich es kaum schaffte, einen Satz zu formulieren, der aus mehr als einem Wort bestand. Das musste ich zu Hause, in Ruhe, alles durchgehen. Jetzt brauchte ich alle verfügbaren Gehirnzellen, um mehr zu tun, als nur zu nicken.

„Ich fühle mich ganz und gar nicht unwohl, sondern mag es sehr. Sollte sich das ändern, würde ich es dir sagen.“ Der Satz klang etwas sehr hochgestochen, aber immerhin hatte ich ihn rausgebracht. Das zählte als Sieg.

„Danke, Süßer. Ich werde mir Mühe geben, es nicht zu übertreiben.“

Ich nickte erneut.

„Na komm, ich denke, wir müssen reingehen.“ Adam ließ die Arme sinken und ich vermisste sofort seine Berührung. Allerdings legte sich seine Hand um meine, drückte sie, und dann führte er mich zum Eingang des Clubs. Und das war das richtige Wort, denn ich stand immer noch zu sehr neben mir, um die Tür selbst zu finden. Wer weiß, wo ich gelandet wäre.

Aber Adams starke Hand leitete mich, und auch als wir Max trafen, der einen sehr neugierigen Blick auf unsere verbundenen Hände warf, ließ Adam mich nicht los. Meine Haut kribbelte nicht nur dort, wo er mich berührte, sondern am ganzen Körper. Er zeigte allen ganz offen, was zwischen uns vor sich ging.

Adam ließ mich erst los, als wir beide in der Umkleide standen, aber bevor ich mich zu meinem Spind umdrehen konnte, zog er mich noch einmal in die Arme, um mich zu küssen.

„Sorry. Ich versuche es, okay?“

Ich starrte ihn an, nicht ganz sicher, was er mir damit sagen wollte.

Adam lachte leise. „Umziehen, Süßer. Arbeiten. Und ich versuche mich zusammenzureißen und dich nicht in irgendeine dunkle Ecke zu schleppen.“

Ich schluckte. Ein Teil von mir wollte diese dunkle Ecke suchen, aber der andere, lautere Teil verlangte, dass ich Adam erst die Wahrheit sagte, was meine mangelnde Erfahrung anging. Immerhin war ich jetzt nicht mehr so nervös, was das anging. Der heutige Abend hatte klargemacht, dass es ihn vermutlich nicht stören würde, dass ich noch nie weitergegangen war als Küssen.

Jetzt musste ich die Worte nur noch rausbringen, dann hätte ich das hinter mir. Nach der Arbeit oder in der Pause oder so. Vielleicht konnte ich es ihm auch schreiben, dann müsste ich seine Reaktion nicht sehen. Nein, das war nicht gut. Das musste ich persönlich sagen, und außerdem wollte ich seine Arme um mich herum spüren, wenn ich dieses Geheimnis preisgab.

Adam fasste mich an den Schultern, drehte mich sanft in Richtung meines Spindes, drückte sich an meinen Rücken und hob meine Hand, um damit meinen Spind zu öffnen. Sein warmer Atem strich über mein Ohr, als er flüsterte: „Umziehen, Süßer. Es hilft nichts.“

Seine Worte hätten genauso gut schmutzig sein können, so heftig war der Schauer, der mir über den Rücken lief. Dann bewegte sich Adam und etwas Hartes rieb sich an meinem Hintern. Es war subtil, vermutlich ungewollt oder unbewusst, aber ich ließ den Kopf nach hinten auf Adams Schulter fallen, als sich Gänsehaut auf meinem ganzen Körper ausbreitete.

Fuck.

Er war hart? Zumindest teilweise? Nur davon, dass er so hier stand, oder davon, dass wir uns geküsst hatten? Die Gänsehaut wurde noch mehr.

Weiche Lippen und raue Bartstoppeln drückten sich auf die empfindliche Haut meines Halses, als Adam meine Hand am Spind losließ, um sie auf meinen unteren Bauch zu legen und mich an sich gedrückt zu halten. Ich zitterte. Das hatte er damit gemeint, dass er die Finger nicht von mir lassen konnte, oder? Himmel, ich würde ihm nie, nie sagen, er solle das nicht tun.

Wenn es nach mir ginge, würden wir für immer so hier stehen bleiben und einfach … nichts weiter tun. Mein Atem kam rau und abgehackt heraus und wurde immer heftiger, je weiter Adams Hände wanderten. Sie schlüpften unter mein T-Shirt, strichen über die Haut meines Bauches, dann weiter nach oben. Als er einen Nippel erreichte, hörte ich ganz auf zu atmen.

Fuck. Fuck. Fuck. Das fühlte sich so gut an, so sexy, so gewollt.

Adam atmete schwer, das konnte ich daran spüren, wie sich sein Brustkorb hob und senkte, weil er sich so fest an meinen Rücken drückte. Er war hart, wie ich genauso fühlen konnte. Da war er nicht der Einzige, um es vorsichtig auszudrücken. So weit war ich mit anderen Typen schon gekommen, aber mit Adam fühlte es sich ganz, ganz anders an. Vielleicht, weil er nicht nur eine schnelle Nummer wollte?

„Ich komme ja gleich wieder, verdammt!“, brüllte eine Stimme von der Tür her, und wir beide zuckten zusammen. Ein Teil von mir erwartete sofort, dass Adam zurückspringen würde, aber das tat er nicht. Stattdessen hielt er mich noch fester und ließ mich nicht umdrehen. Ich wusste auch so, wer uns störte, denn ich hatte Tylers Stimme erkannt. So angepisst, wie er klang, gab es mit irgendwas Ärger. Normalerweise fluchte er nicht allzu sehr, zumindest nicht, wenn er nicht versuchte, Jason dazu zu bringen, ihn zu bestrafen.

„Oh, hier seid ihr. Ich bin ja keiner, der sich beschwert, wenn man ein bisschen Spaß hat, aber ihr könntet dann vielleicht auch mal an die Arbeit gehen. Nur, wenn es euch dann passt und so.“ Tyler öffnete seinen Spind, holte irgendwas heraus, schlug ihn zu und war wieder verschwunden. Mit einem Türknallen.

Adam atmete mit einem Seufzen aus, dann trat er langsam zurück. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht in eine solche Situation bringen. Ich hätte dich dich einfach umziehen lassen sollen.“

Ich drehte mich um, zog seine Hände wieder auf meine Hüften und blickte ihm in die Augen. „Habe ich mich mit einem Wort beschwert? Ich habe nichts gehört. Solange es nicht zu sehr Ärger gibt, weil wir unseren Job nicht machen, nur zu.“

Adam grinste mich an, als hätte ich ihm gerade einen Freibrief gegeben, mich über die Theke gebeugt zu ficken. Das ging dann doch etwas zu weit, oder? Zumindest, wenn wir nicht vorher im Bett erste Erfahrungen gesammelt hatten. Außerdem war es unhygienisch.

„Ich muss dir noch was sagen, was … vielleicht wichtig ist. Für dich wahrscheinlich nicht so wie für mich, aber –“

Adam unterbrach mich mit einem sanften Kuss. „Wenn es für dich wichtig ist, dann ist es das auch für mich, ganz einfach.“

Ich schluckte. Wie konnte er nur so perfekt sein? War das überhaupt möglich? Anscheinend ja, auch wenn ich immer noch versuchte herauszufinden, ob es doch irgendwo einen Haken gab, den ich bis jetzt nicht gesehen hatte.

„Ich … ich weiß einfach nicht, wie ich –“

„Harvey. Es ist okay, was auch immer es ist. Außer du trittst Hundewelpen oder so, dann glaube ich, kann ich nicht damit umgehen.“ Seine Lippen zuckten. „Das ist aber auch schon alles. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass du das tust.“

Ich schnaubte. „Nein, keine Angst. Ich war sogar mal eine Zeit lang Vegetarier. Hunde und andere Tierbabys sind sicher vor mir. Und ich glaube auch, dass das, was ich dir sagen muss, nicht so schlimm ist wie Tierbabys treten.“

Adam runzelte die Stirn. „Du glaubst??“

„IchbinnochJungfrau“, stieß ich hervor.

Adams Augenbrauen wanderten noch weiter nach oben. „Du bist noch Jungfrau? Habe ich das richtig verstanden?“

Ich nickte, dankbar, dass er die Worte hatte ausmachen können und ich es nicht noch mal sagen musste. Statt ihn anzusehen, versteckte ich mein Gesicht an seiner Schulter und atmete seinen Duft ein. Das war wesentlich besser, als mich mit seinem Gesichtsausdruck auseinanderzusetzen.

„Das war es? Und ich rede hier von so schlimmen Sachen wie Hundebabys treten … ts, ts, ts. Süßer, das ist etwas, worüber du dir keine Gedanken machen musst. Ich hatte sowieso nicht vor, dich beim ersten Date abzuschleppen, und auch nicht beim dritten. Alles, was zwischen uns passiert, passiert mit deinem Einverständnis und nur, wenn du bereit bist.“ Er schob einen Finger unter mein Kinn und hob meinen Kopf, bis ich ihm in die Augen sah. „Es macht nichts, okay? Ich freue mich darauf, der Erste zu sein, der deinen Körper erkunden darf, und ich würde nie, nie anders von dir denken, weil du noch nicht mit einem Kerl im Bett warst, okay?“ Er drückte mir einen sanften Kuss auf die Lippen. „Aber ich bin stolz auf dich, dass du es mir gesagt hast. Es war nicht leicht für dich, das ist offensichtlich. Danke, Süßer, dafür, dass du mir so vertraust.“ Er sah mich mit so viel Aufrichtigkeit in den Augen an, dass ich gleich noch mehr an ihn schmolz.

„Ich – ich war mir wirklich nicht sicher, was du denken würdest. Es ist irgendwie peinlich, dass ich noch nie … Aber es hat eben nie gepasst, und ich wollte es nicht irgendwie schnell hinter mich bringen, und –“

„Schhhh. Du brauchst dich nicht erklären oder rechtfertigen. Es ist wirklich in Ordnung.“ Er ließ die Hände über meine Hüften gleiten, bis sie gerade so oben an meinem Hintern lagen. Nicht drauf, aber es war klar, was er eigentlich wollte. „Ich finde es wirklich heiß, also hör auf, dir darüber Gedanken zu machen. Bitte.“

Ich nickte, noch nicht ganz überzeugt, aber so wie er reagiert hatte, brauchte ich zumindest nicht mehr befürchten, dass er mich deswegen abservieren würde. Ob es dann zwischen uns peinlich werden würde oder nicht, blieb abzuwarten, aber fürs Erste würde ich mit dieser Reaktion zufrieden sein.

Adam schluckte, dann sah er mir in die Augen, als wollte auch er etwas sagen, wusste aber nicht, wie. Oder bildete ich mir das nur ein, weil ich endlich das rausgebracht hatte, was ich sagen wollte oder musste?

„Ich –“

„Adam! Harvey!“ Jason riss die Tür auf. „Verdammt, raus mit euch jetzt! Wir haben seit fünf Minuten geöffnet, und Max ist allein an der Bar. Noch schlimmer ist allerdings, dass ich niemanden an der Tür habe.“

Wir sprangen auseinander. Hitze zog sich über mein Gesicht und ich beeilte mich, mein T-Shirt gegen das Arbeits-T-Shirt auszutauschen, wie ich es schon längst hätte tun sollen.

„Sorry, wir wollten dich nicht hängen lassen, aber du weißt ja, wie das manchmal ist. Und ganz ehrlich, kannst du mir verdenken, dass ich vom Weg abgekommen bin?“

Adams Worte ließen mich mitten in der Bewegung, mein T-Shirt zu richten, erstarren. Dann zog sich noch mehr Hitze über meinen Hals und meine Wangen.

Jason lachte laut auf, dann sagte er: „Ich verstehe dich nur zu gut, aber trotzdem, auf jetzt. Arbeit ist Arbeit, ihr könnt danach Spaß haben.“ Mit diesen Worten scheuchte er Adam praktisch aus der Umkleide.

Ich hatte mich umgedreht, auch wenn ich ihm mein wahrscheinlich feuerrotes Gesicht nicht zeigen wollte, und machte zwei Schritte Richtung Tür.

„Harvey, ganz kurz noch, bitte.“ Mit diesem Satz verschwand jegliche Röte sowie das warme, flauschige Gefühl in meinem Magen. An seine Stelle trat ein schwerer, eisiger Klumpen. Würde ich jetzt rausfliegen, weil wir zu spät an unseren Plätzen gewesen waren? Adam war schon länger dabei als ich, ihm drohte das vielleicht nicht, aber mir? Was sollte ich dann machen?

„Ich wollte fragen, ob alles in Ordnung ist und dir anbieten, dass du jederzeit zu mir oder auch Tyler kommen kannst, sollte dir irgendwas unangenehm sein. Bitte glaube nicht, dass wir hier irgendwas dulden würden, nur weil Adam schon länger hier arbeitet als du.“

Ich verschluckte mich an meiner Spucke und begann so heftig zu husten, dass mir die Tränen in die Augen traten. Es dauerte einen peinlich langen Moment, bis ich wieder Luft bekam und mich gefangen hatte.

Als ich endlich wieder atmen konnte und mir die Tränen aus den Augen wischte, merkte ich, dass Jason mich neugierig beobachtete. „Alles okay?“

Ich nickte, denn meiner Stimme traute ich noch nicht so ganz. Dann räusperte ich mich. „Ja, alles okay. Das kam nur überraschend.“ Ich schluckte, hustete noch einmal, dann brachte ich die Frage raus, die mir auf der Zunge brannte: „Warum fragst du das? Adam ist der netteste, freundlichste Kerl, den ich seit Langem getroffen habe. Ich kann mir nicht mal vorstellen, dass er irgendwas macht, was ich nicht will.“

Jasons Mundwinkel zuckte. „Erstens, weil wir mitbekommen haben, dass zwischen euch was läuft und wir alle hier großen Wert darauf legen, dass es einvernehmlich ist. Dazu gehört auch, dir anzubieten, zu einem von uns zu kommen, sollte irgendwas sein. Und zweitens, ja, Adam ist ein verdammt netter Kerl, aber trotzdem kann man in niemanden reinschauen. Egal, wie sich jemand in der Öffentlichkeit verhält, er kann zu Hause ganz anders sein, und das sollte man immer im Kopf behalten. Das soll in keiner Weise andeuten, dass er gewalttätig wäre oder dich zu irgendwas drängen oder zwingen würde, versteh das bitte nicht falsch. Es geht nur darum, dir klarzumachen, dass es immer einen Ausweg gibt, sollte so etwas vorkommen, mit ihm oder jemand anderem.“

Jetzt war ich noch sprachloser als zuvor, und das wollte was heißen. Meine Gedanken waren ein einziges Chaos, und ich schaffte es kaum, sie genug zu kontrollieren, um überhaupt zu wissen, welche Emotion ich fühlen sollte. Also starrte ich Jason an und versuchte, irgendwas zu sagen.

Jason stand einfach da und wartete, bis ich mich gesammelt hatte. Das dauerte ein paar Minuten, und dann erst wusste ich, was ich sagen wollte. „Wusstest du, dass ich meine Mom pflege? Zusammen mit meinem Dad?“

Jason sah mich erstaunt an. Er hatte es nicht gewusst, wie auch?

„Sie hat Demenz und wird manchmal grob, wenn sie ihren Willen nicht bekommt, fast wie ein Kleinkind mit einem Wutanfall. Ich habe immer mal blaue Flecken, wenn sie mich grob packt oder mich schubst oder so. Sie meint es nicht böse, und sie versteht auch nicht, was sie tut, aber es ist nicht zu leugnen, dass ich Spuren davon habe. Adam hat sie neulich gesehen, als ich mich umgezogen hatte. Er wollte mir helfen, dachte, ich hätte einen Partner, der mich schlägt oder so.“ Ich machte eine kurze Pause. „Er hat mir das angeboten, was du gerade auch getan hast, dass ich jederzeit zu ihm oder jemand anderem aus dem Club gehen kann, wenn ich Hilfe brauche, wenn ich rauswill. Er hat mir sogar die Adresse und Nummer einer Hilfsorganisation gegeben. So sind wir erst ins Gespräch gekommen und nachdem er erfahren hat, dass es bei mir niemanden gibt, der sich mein Partner oder sonst was nennt, nur eine Mutter, die sich nicht mal an meinen Namen erinnert, wurde die Sache zwischen uns persönlicher.“

Ich schloss meinen Spind, um einen Moment Zeit zu haben, mich zu sammeln. Das waren zwei Personen in nicht mal zwei Wochen, denen ich von Mom erzählte. „Also gehe ich nicht davon aus, dass er seine gewalttätige Seite noch versteckt, sonst hätte er nicht so viel unternommen, um mir zu helfen. Aber ich bin dir wirklich dankbar, dass du mir das anbietest. Ich hätte das nie erwartet, ganz ehrlich, aber es ist schön zu wissen, dass ich nicht allein bin.“

Jason nickte. „Das mit deiner Mom tut mir leid. Wenn ich etwas tun kann, lass es mich bitte wissen. Und wenn wir deine Arbeitszeiten anpassen oder flexibler gestalten müssen, sag bitte auch was. Ansonsten … ich glaube dir mit Adam, und wie gesagt, ich hatte auch nicht den Verdacht, aber mir ist es wichtig, klarzumachen, dass dieses Angebot immer steht.“

Ich nickte, immer noch zu überwältigt von allem. „Danke. Ich – danke.“ Mehr brachte ich nicht heraus.

Jason nickte, dann drehte er sich um und verließ die Umkleide. Ich folgte ihm einen Moment später, immer noch tief in Gedanken versunken.

Egal, wie sehr ich geahnt hatte, dass meine Kollegen gute Menschen waren, das brachte mich total durcheinander. Diese Bereitschaft, nicht nur von Adam, sondern auch von den anderen, mir zu helfen, sollte irgendwas in einer Beziehung schieflaufen, machte mich sprachlos. Adam hatte ein Auge auf mich geworfen, auch wenn er erst dachte, ich würde geschlagen, aber das erklärte, warum er mir helfen wollte. Jason hingegen war mit Tyler absolut glücklich, und es gab für ihn keinerlei Grund, mir das anzubieten, außer, dass er wirklich helfen wollte.

In Gedanken verloren machte ich mich an die Arbeit, und netterweise kommentierte keiner der Gäste, wenn ich einen Drink nicht so machte wie bestellt. Ich war einfach zu abgelenkt, um immer voll bei der Sache zu sein.