22

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Hurakan behielt recht. Der Rückweg aus der Leere nach Venice Beach war das krasse Gegenteil des Hinwegs. Alles war dunkel und kalt und ich hörte unsichtbare Stimmen raunen:

Schwach.

Erbärmlich.

Ich trudelte durch den rot gestreiften Himmel.

Todgeweiht.

Dummkopf.

Außerdem hörte ich Rosie leise jaulen und es brach mir das Herz. Dann ließ sich Miss Cab vernehmen: »Trödel nicht rum!«

Kein Netz federte den Sturz in meinen Körper ab, es war wie ein Bauchklatscher im Schwimmbad. Ich konnte die Augen nicht öffnen, konnte mich weder bewegen noch sprechen, sondern nur zuhören und versuchen zu atmen.

»Hat es aufgehört zu bluten?« Das war Brooks.

»Stopf ihm lieber noch ein Papiertuch in die Nase!«, sagte Hondo.

»Passt bitte mit den Kissen auf«, warf Jazz ein. »Die sind ein Mitbringsel aus Marrakesch.«

Zum Glück lag ich weich, auf einem Bett oder Sofa. Ich spürte förmlich, wie ich wieder zum Leben erwachte, wie das Blut überall in mir pulsierte, als müsste es sich erst wieder daran erinnern, was es zu tun hatte. Ich musste an Hurakans Worte denken: das Blut eines Schöpfers. Die Schöpfergottheiten hatten sich seinerzeit zusammengetan, um die Welt zu erschaffen – immer wieder von Neuem –, aber wenn ich mich recht entsann, waren sie auch diejenigen, die die Welt zerstörten. Was wiederum bedeuten würde …

… dass in meinen Adern auch das Blut eines Zerstörers floss.

Dann gelang es mir endlich, die Augen aufzumachen. Ich blickte an eine hellblau gestrichene, golden eingefasste Zimmerdecke.

»Na endlich!«, sagte Hondo. »Ich dachte schon, du wirst gar nicht mehr wach.«

Ich setzte mich auf und rupfte mir die zerfetzten Papiertaschentücher aus der Nase. Mein ganzes Sweatshirt war voller Blut. Bitte merken: Der Rückweg aus der Leere ist kalt und man versaut sich die Klamotten.

Ich schaute mich um. »Wo bin ich hier?«

Jazz grinste. »In meiner Wohnung über dem Laden. Gefällt’s dir? Pass mit den Taschentüchern auf, dass du nichts dreckig machst.«

Der Raum war in Blau- und Grüntönen gestaltet wie eine Unterwasserwelt. Es gab wuchtige geschnitzte Möbel und die gemauerten Wände hatten Löcher und Kerben, als wäre jemand in einem Wutanfall mit der Axt darauf losgegangen. Überall glänzte und blinkte es – Schalen, Gläser und Spiegel – und die hellblauen Läufer auf dem unpolierten Marmorboden erinnerten mich an die Navajoteppiche, die für New Mexico typisch waren.

»Schön hast du’s hier«, sagte ich und massierte meine Schläfen. »Was war denn los?«

»Du hast schreckliches Nasenbluten bekommen und bist ohnmächtig geworden«, sagte Brooks fröhlich. »So wie die anderen Male auch. Ich habe Jazz schon gesagt, dass er sich keine Sorgen machen muss.«

Die anderen Male?

Hondo warf mir einen ärgerlichen Immer-dasselbe-Blick zu. »So was kommt öfter vor, wenn er sich aufregt«, wandte er sich an Jazz. »Er blutet dann wie ein Schwein und kippt um.«

Ich konnte Jazz’ mitleidigen Blick kaum ertragen. Am liebsten hätte ich ihm erzählt, dass das alles gelogen war. Dass ich kein blutender Schwächling war, sondern ein Halbgott!

Brooks schwang sich zu mir auf das Bett, das sehr hoch war, bestimmt einen Meter. Dann nahm sie meine Hand.

Das war ein Seelensprung, stimmt’s?

Woher weißt du das?

Erzähl den anderen nicht, wo du warst und was du erlebt hast. Das ist zu riskant.

Aber ich dachte, Jazz ist dein Freund?

Deswegen soll er ja gerade nichts davon wissen. Wenn irgendwelche Schnüffler hier auftauchen, ist es besser, wenn er keine Ahnung hat. Wer nichts weiß, den kann man auch nicht bluten lassen.

Bluten?!

Jazz schüttelte den Kopf. »Tut mir echt leid, wenn ich dir Angst gemacht habe. Wir Riesen können nichts dafür.« Ich spürte, dass sein Bedauern echt war. Auch wenn mein Stolz aufbegehrte – Brooks hatte recht. Es war besser, wenn Jazz die Wahrheit nicht kannte. Er sollte meinetwegen keinen Ärger bekommen.

Hondo ging am Fußende des Betts auf und ab. »Das war der reinste Geysir, Mann!«

Ich nickte und befühlte meine Nasenspitze, aber sie war trocken. »Ich wollte euch nicht erschrecken.«

Jazz schmunzelte, nahm seine kostbaren Kissen wieder an sich und erklärte uns langatmig, dass Marrakesch im Osten lag, dass der Osten Glück brächte und dass der Bakab auf dieser Seite des Himmels ein alter Kumpel von ihm war und …

»Hast du eben Bakab gesagt?«, unterbrach ich ihn.

Er nickte. »Kennst du die vier Bakabs?«

»Na ja … nicht persönlich. Ich hab mal was über sie gelesen.«

Das freute Jazz sichtlich. »Mir fällt gerade ein, dass ich etwas für dich habe«, sagte er dann und stapfte aus dem Zimmer.

Brooks hielt meine Hand immer noch fest. Das Blut ist eine Nebenwirkung des Seelensprungs, vor allem bei Anfängern.

Bei Anfängern? Inzwischen hatte ich beträchtliche Zweifel, ob der Seelensprung diese Folgen wert war und ob ich das Ganze noch einmal erleben wollte. Ich fasste nach dem Jadezahn in meiner Hosentasche. Ab jetzt musste ich gut aufpassen, was ich sagte, und durfte nicht mehr so unbekümmert von meinem Vater sprechen.

Das klingt ja, als ob du das Ganze auch schon durchgemacht hast.

Noch nicht. Ich habe es schon bei anderen gesehen, aber die Verwandlung in einen Falken ist erst mal genug Magie.

Unsere Unterhaltung über Blut und Magie erinnerte mich wieder an die Frist, die mir Ah-Puch gesetzt hatte. »Wie spät ist es eigentlich?« Das Zimmer hatte keine Fenster und kein Tageslicht.

»Schon fast acht Uhr abends. Du warst stundenlang weg«, gab Brooks zurück.

Der zweite Mond! Ich rutschte hastig vom Bett und landete ungeschickt auf dem Steinfußboden. Ein scheußlicher Schmerz schoss durch mein verkürztes Bein. »Aber wie …? Es hat sich nur wie ein paar Minuten angefühlt.«

»In Zwischenwelten herrschen andere Zeitverhältnisse.«

Jazz kam mit einem riesigen Keramikbecher zurück, den ich mit beiden Händen festhalten musste. »Trink das!«

Ich spähte in den Becher. Die dunkle Flüssigkeit strudelte, als braute sich darin ein Sturm zusammen. »Warum dreht sich das Zeug?« Ich hatte tatsächlich Angst, dass in dem Becher etwas Lebendiges hockte, und egal was es war, ich wollte es nicht im Magen haben.

»Das ist Schokolade«, sagte Jazz mit Nachdruck, aber er sprach es spanisch aus: Tscho-ko-la-té. »Es ist der lebendige Trank der Götter«, ergänzte er. »Hast du schon mal von Ixkakaw gehört?«

»Das ist die Schokogöttin, oder?«

»Alle Götter sind ganz verrückt nach dem Zeug und Heilkräfte besitzt es außerdem. Hey – pass auf!« Er hielt den Becher mit seiner Riesenpranke fest. »Klecker nicht auf den Teppich.«

»Es gibt eine Schokoladengöttin?«, sagte Hondo belustigt. »Die muss ich unbedingt kennenlernen!«

»Diese Schokolade hier ist ein ausgezeichneter Jahrgang«, verkündete Jazz strahlend. »Mit Noten von Vanille, Kirsch und Karamell. Na los, probier mal!«

Weil auch Brooks mir ermutigend zunickte, trank ich ein Schlückchen. Die Schokolade war warm und dickflüssig. Sie schmeckte köstlich und flutschte die Kehle hinunter wie Pudding. Kein Wunder, dass die Götter so wild darauf waren. Ich konnte mich nicht entsinnen, je so etwas Leckeres gekostet zu haben.

Als Jazz mir lachend auf die Schulter schlug, flog ich fast durchs Zimmer. »Na, wie geht’s dir jetzt?«

Ich horchte in mich hinein. Komisch … die Schmerzen und die unangenehme Kälte – alles war weg. Ich fühlte mich kräftig und erfrischt und hatte wieder einen klaren Kopf. »Super«, sagte ich und bedauerte es, dass der Becher mit dem Göttertrank schon leer war.

»Ich hab’s gewusst!«, freute sich der Riese. »Mir kannst du nichts vormachen. Du bist ein Übernatürlicher! Wärst du ein gewöhnlicher Mensch, hätte die Schokolade bei dir ernsten Schaden angerichtet.«

»Wie bitte?!«

»Du hättest ihn umbringen können!«, rief Hondo empört.

»Ach was«, winkte Jazz ab. »Wir Riesen haben ein Gespür für so was. Gleich, als er in den Laden gekommen ist, habe ich gemerkt, dass er Magie im Blut hat.« Er sah Brooks vielsagend an.

Sie gab sich einen Ruck. »Hör mal, Jazz … ich wollte es dir längst sagen, a-aber …« Sie verhaspelte sich. »Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen.«

»Wir Riesen sind für Gefahr geschaffen, Kleiner Falke. Also schieß los.«

Ich blickte zwischen den beiden hin und her. Dass ich ein Gottgeborener war, durften wir Jazz auf keinen Fall erzählen.

Brooks reckte das Kinn und sagte, ohne mit der Wimper zu zucken: »Zane ist ein Magier.«

Jazz machte ein argwöhnisches Gesicht und knöpfte seine Weste auf. »Dann zaubere mir doch mal was vor!«, wandte er sich an mich.

»Ich … na ja, ich fühle mich immer noch ziemlich schwach und …«

»Er ist noch in der Ausbildung«, kam mir Hondo zu Hilfe.

Brooks kletterte aufs Bett und nahm Jazz’ Gesicht in beide Hände. »Ich habe dich noch nie angelogen, das weißt du. Und wir müssen jetzt los. Uns läuft die Zeit davon.«

Sie war echt überzeugend. Wie oft sie mich wohl schon so überzeugend angelogen hatte?

Bei Jazz schien es zu funktionieren. »Ich glaube dir.«

Brooks gab ihm ein Küsschen auf die Wange, sprang vom Bett und warf ihren Rucksack über die Schulter. »Danke. Für alles.«

»Moment noch«, erwiderte Jazz. »Ich habe noch etwas für euch.« Er ging kurz hinaus und kam mit drei an Bügeln hängenden Kleidersäcken zurück. »Während Zane bewusstlos war, habe ich rasch das besorgt, worum du mich gebeten hattest, Kleiner Falke. In diesem Aufzug …«, er musterte jeden von uns von oben bis unten, »… könnt ihr auf keinen Fall auf der großen Geburtstagsparty aufkreuzen.«

Ich schaute an meinem blutbespritzten Sweatshirt hinunter. Von den Flecken mal abgesehen, fand ich es eigentlich ganz cool.

Hondo nahm den Kleidersack, den Jazz ihm hinhielt, und zog den Reißverschluss auf. Dann sah er erst Jazz an, danach wieder den Sack und schließlich sagte er: »Ich geh doch nicht auf eine Beerdigung!«

Jazz lachte nur. »Wer weiß?«

Das beruhigte mich natürlich ungemein.

Brooks spähte in ihren Kleidersack und verdrehte die Augen. »Ist das dein Ernst, Jazz? Ich hasse Kleider!« Ich konnte mir Brooks auch nicht in einem Kleid vorstellen. Genau genommen, konnte ich sie mir auch nicht auf einer Party vorstellen. Sie wirkte nicht wie jemand, der ungezwungen mit anderen ins Gespräch kam.

Jazz verschränkte die Arme. »Um von den Zwillingen beachtet zu werden, muss man schön sein.«

Jetzt musste Hondo lachen. »›Schön‹ ist was für Mädchen. Bei mir helfen da auch keine Klamotten.«

»Die Sachen besitzen Zauberkräfte«, klärte Brooks ihn auf.

»Zauberkräfte?« Ich betrachtete das gebügelte weiße Hemd und den schwarzen Anzug in meinem Kleidersack. Sogar eine kurze schwarze Krawatte war dabei, anscheinend, um daraus eine Fliege zu binden. Wollte Jazz mich verarschen?

Brooks nahm mir den Sack aus der Hand und warf ihn aufs Bett. »Wenn du das anziehst, siehst du toll aus. Alles, was dich an dir stört oder nicht okay ist, verschwindet. In diesen Sachen ist jeder einfach nur …« Sie stockte und sah verlegen weg. »… schön.«

Jazz rieb sich das Kinn. »Ein bisschen so wie bei Aschenputtel. Übrigens ist das Märchen ein schlechtes Plagiat meiner Familiengeschichte, aber dazu ein andermal mehr. Damit der Zauber wirkt, muss man sich allerdings an ein paar Regeln halten. Zunächst einmal: Hat einer von euch im Lauf des letzten Jahrs Zauberklamotten getragen?«

Hondo und ich wechselten einen verwunderten Blick, dann schüttelten wir beide den Kopf.

»Ich auch nicht«, schloss Brooks sich uns an.

»Sehr gut. Der Zauber hält nur zwei Stunden lang. Ihr müsst euch also ranhalten, wenn ihr die Zwillinge auf euch aufmerksam machen wollt.«

»Und wenn wir das hier anziehen, sehen wir wirklich toll aus?« Ein breites Grinsen ging über Hondos Gesicht. »Ich kann’s kaum erwarten!«

»Oh Mann!« Brooks verdrehte die Augen.

»Bedeutet das denn auch, dass wir von den Zwillingen alles verlangen können, solange wir die Sachen tragen?«, fragte ich.

»Nein«, antwortete Brooks. »Es bedeutet nur, dass sie überhaupt mit euch reden. Sie mögen keine hässlichen Leute. Wie gesagt, die beiden sind eingebildete Schnösel.«

Hondos Grinsen erlosch. »Hört sich an, als könnten sie mal eine ordentliche Abreibung gebrauchen!«

Jazz zeigte Brooks und Hondo Zimmer, in denen sie sich umziehen konnten, und ich blieb allein in dem Unterwasserzimmer zurück und betrachtete den Inhalt meines Kleidersacks. Ob ich dann auch nicht mehr humple? War ich oberflächlich, weil ich mir das wünschte? Weil ich von anderen Menschen nicht nur wegen meiner Behinderung beachtet werden wollte?

Ich zog die Sachen an. Jazz hatte genau die richtige Größe besorgt, das musste man ihm lassen. Sogar die Schuhe passten wie angegossen. Der Typ hatte echt ein Händchen für Mode – was komisch war, wenn man bedachte, wie er selber angezogen war. Jetzt nur noch die Fliege … Wie zum Teufel band man so ein Ding?

Ich ging zu dem goldgerahmten Standspiegel in der Ecke und mir blieb fast das Herz stehen. Nicht, weil ich so toll aussah, sondern weil mir plötzlich auffiel, dass ich mindestens anderthalb Meter zurückgelegt hatte, ohne zu humpeln. Ich machte kehrt und ging wieder ein Stück. Meine beiden Beine bewegten sich in perfektem Einklang.

»Wahnsinn!«, entfuhr es mir. Ich rannte zum Bett, sprang hinauf und wieder hinunter. Es war total irre! Ich lief wieder zum Spiegel. Ob es nun ein Zauber war oder nicht, die Sachen sahen auf jeden Fall cool aus. Es war die beste Tarnkleidung des Universums!

Apropos tarnen … Mein Blick fiel auf einen vollen Becher mit Trinkschokolade, der auf Jazz’ Nachttisch stand, und mir kam eine verrückte Idee. Der Göttertrank … Jazz hatte gesagt, die Götter könnten ihm nicht widerstehen. Wie wäre es also, wenn ich die Kerne von Mr O.s todbringender Chilischote in das Zeug mischte und es Ah-Puch anbot? Sobald La Muerte gewirkt hatte, würde ich den ollen Stinker wieder nach Xib’alb’a verfrachten. Genial!

Rasch lief ich ins Bad und sah mich nach einem Gefäß für die Schokolade um, fand aber nur Zahnpastatuben im Riesenformat und Seifen in Muschelform. Als ich wieder ins Zimmer zurückkehrte, entdeckte ich neben dem Sofa ein Schränkchen mit alkoholischen Getränken. Außer normal großen Flaschen gab es auch ein paar kleine. Ich leerte ein Fläschchen mit der Aufschrift JACK DANIEL’S ALUX BLEND ins Badezimmerwaschbecken und holte La Muerte aus dem Rucksack. Erst brach ich die Schote auf und ließ die Kerne in die Flasche fallen, dann kippte ich die Trinkschokolade hinterher.

»Wow!« Das war Hondo. »Das gibt’s doch nicht!«

Ich bekam einen solchen Schreck, dass ich die Flasche beinahe fallen ließ. Schnell ließ ich sie in meiner Jackentasche verschwinden und drehte mich um. Es hatte mich nie interessiert, ob Hondo eigentlich gut aussah oder nicht. Schließlich hatte er haufenweise Freundinnen (jedenfalls behauptete er das, auch wenn er sie nie mit nach Hause brachte). Aber jetzt sah er auf einmal wie diese breitschultrigen, superlässigen Typen aus der Werbung für schnelle Autos aus. Sein schwarzer Anzug mit dem weißen Hemd und der schwarzen Fliege war das gleiche Modell wie meiner.

Ich sah noch einmal hin. »Du bist gewachsen!«

»Der Hammer, oder? Jazz sagt, der Zauber besteht darin, dass das, was man an sich selber am wenigsten leiden kann, nicht mehr sichtbar ist. Und was ist mit dir? Ich wusste gar nicht, dass du so gut aussiehst! Das hast du natürlich von mir geerbt, aber trotzdem.«

Ich holte tief Luft, dann ging ich auf ihn zu. Ihm fielen fast die Augen aus dem Kopf. »Dein Humpeln …!«

»Weg.«

Allerdings wusste ich ja, dass dieses Wunder nicht ewig anhalten würde. »Wir sehen wie die Typen aus Men in Black aus.«

Hondo stellte sich vor den Spiegel und richtete seine Fliege. »Die haben den Außerirdischen auch in den Hintern getreten!«

Die Tür ging auf und Jazz kam wieder ins Zimmer. Der Riese strahlte von einem Ohr zum anderen. Brooks kam nach ihm herein.

Ich habe schon eine Menge Filme gesehen und in einer Menge Zeitschriften geblättert, aber noch nie – und ich meine nie! – hatte ich jemanden wie sie gesehen. Und egal was Jazz behauptete – das lag nicht an irgendeinem Zauber oder daran, dass sie ihr weißes Kleid, das eine Schulter freiließ, so majestätisch wie eine römische Göttin trug oder dass ihr langes dunkles Haar offen war und von zwei kleinen Zöpfen aus dem Gesicht gehalten wurde. Es lag daran, dass die Brooks, die in Kampfstiefeln und mit einem Millionen-Watt-Lächeln vor Pater Baumgartens Büro aufgetaucht war, hinter alldem immer noch zu erkennen war – das Mädchen, das für mich ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatte.

Es verschlug mir buchstäblich den Atem.

Hondo schlenderte zu ihr hin. »Nicht schlecht, Capitán!«

Ich dachte, Brooks würde vielleicht rot werden oder wieder verlegen wegschauen, aber sie bewahrte Haltung. Sie präsentierte ihre Schönheit, als wäre sie … daran gewöhnt. Als ihr Falkenblick meinem Blick begegnete, war ich derjenige, der rot wurde. Ich war derjenige, der wegsehen musste, denn – kein Witz! – sie anzuschauen, war, wie in die Sonne zu schauen.

Ich war froh, als Hondo das Thema wechselte und fragte: »Sagt mal, gibt es auf dieser fiesta eigentlich auch was zu essen?« Er tätschelte sich den Bauch. »Ich verhungere nämlich!«

»Bergeweise«, beruhigte ihn Jazz und sah auf seine dicke, goldene Armbanduhr. »Aber unsere Prinzessin hier hat getrödelt und ihr müsst langsam mal los. Noch eine halbe Stunde, dann kommt keiner mehr rein, und mit dem Auto schafft ihr es sowieso schon nicht mehr.«

»Können wir nicht einfach hinlaufen?«, fragte ich, denn mit meinem neuen Bein hätte ich mir auch einen Marathon zugetraut.

Jazz rieb sich das Kinn und überlegte. »Ich habe eine bessere Idee. Kommt mal mit runter.«

Unten im Laden zwängte er sich zwischen den Fahrrädern durch und schob einen Elektro-Scooter aus einer Kammer. Allerdings war das Ding an seine Statur angepasst – soll heißen, das Trittbrett war riesig, und die beiden Vorderräder genauso.

»Wir sollen mit einem Roller zur Party fahren?« Brooks wirkte ausgesprochen skeptisch.

Jazz war gekränkt. »Das hier ist nicht irgendein Roller! Ich nenne ihn den Super-Turbo-Jazz. Ein echtes Kraftpaket mit Scheibenbremsen und Stoßdämpfern.«

Hondo nickte und streichelte das Gefährt ehrfürchtig, als wäre es auch verzaubert. Er konnte es sichtlich kaum erwarten, den Roller auf der Straße auszuprobieren. »Mann, seht euch mal das Reifenprofil an! Die Dinger sind bestimmt geländetauglich!«

»Ich habe ihm auch einen Bordcomputer verpasst«, verkündete Jazz stolz. »Der Roller fährt praktisch von allein. Aber drückt bloß nie den Turboknopf.«

»Warum nicht?«, wollte ich wissen.

»Als ich den Turbo zuletzt ausprobiert habe, hat der Roller Feuer gefangen. Ich glaube zwar, ich habe den Kurzschluss inzwischen behoben, aber getestet habe ich das Ganze noch nicht wieder.«

»Alles klar«, sagte Brooks. »Kein Turbo-Knopf. Wie lange brauchen wir bis zur Party?«

Jazz tippte auf dem Tastenfeld am Lenker herum. »So, jetzt ist die Strecke nach Beverly Hills einprogrammiert. In fünf Minuten seid ihr da.«

Brooks fiel die Kinnlade herunter. »Das sind mindestens fünfundzwanzig Kilometer!«

»Ich sag doch, der Roller ist superschnell. Ihr könnt euch zwischen den Autos durchschlängeln und sogar den Bordstein hoch und auf dem Bürgersteig fahren. Hauptsache, ihr nietet keine Passanten um – ich hab schon genug Strafzettel. Ach ja, und der Roller ist nicht offiziell zugelassen, also lasst euch nicht von den Bullen erwischen.«

»Wir fahren ihnen einfach davon«, sagte Hondo ein bisschen zu begeistert.

Wir schoben den Super-Turbo-Jazz nach draußen. Über der Promenade hing ein feiner Abendnebel und es waren nicht mehr so viele Leute unterwegs. Die Händler (wenn es überhaupt welche waren) packten zusammen und auch die Musiker und Straßenkünstler verschwanden mit den letzten Sonnenstrahlen.

»Wer lenkt?«, fragte Jazz.

»Ich!«, erwiderte Hondo prompt.

Brooks und ich erhoben keine Einwände.

»Der mit den kräftigsten Beinen muss hinten stehen und den Roller ausbalancieren«, sagte Jazz. »Nicht dass noch jemand runterfliegt.«

Brooks verpasste mir einen Rippenstoß. »Dann gehst du nach hinten.«

Habt ihr das mitgekriegt? Sie war der Meinung, dass ich die kräftigsten Beine hatte!

Hondo stellte sich auf den Roller und drückte einen Knopf. Der Roller vibrierte fast geräuschlos. Ich konnte zwar keinen Akku oder dergleichen entdecken, aber ich hatte ja eben erst erlebt, was Zauberei alles vermochte.

»Soll ich vielleicht lieber mitkommen?«, wandte sich Jazz an Brooks, und als er sie ansah, wurde der Blick seines grauen Auges ganz sanft.

Sie seufzte. »Lass nur. Ich krieg das schon hin.«

Wir durften unsere Sachen im Laden lassen und hinterher wieder abholen. Und wisst ihr, was das Allerbeste war? Ich konnte meinen Stock dalassen!