Armin Laschet

D ie wöchentliche Redaktionskonferenz beginnt mit einer halb im Spaß, halb im Ernst hingeworfenen Frage: «Was macht eigentlich Armin Laschet?»

Allgemeines Getuschel und Gekicher, allerlei Gerätsel und Geraune, keiner weiß Genaues.

Laschet war 2021 als Kanzlerkandidat der CDU angetreten – und grandios gescheitert. Kurz nach der Niederlage hatte er sowohl sein Amt als Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens als auch den CDU -Vorsitz abgegeben. Allein sein Bundestagsmandat hatte ihn vor dem Sturz in die politische Bedeutungslosigkeit bewahrt.

Ich merke, wie mich die Reporter-Neugier packt: Wie empfindet Laschet den Machtverlust? Wie begegnen ihm die Politiker und Politikerinnen, die er seinerzeit anführte und denen er jetzt gleichgestellt ist? Und wie fühlt sich der Gemütsmensch aus dem Rheinland unter all den Preußen inmitten der kalten Hauptstadt?

Unser Chefredakteur unterbricht mich: «Gekauft! Auftrag erteilt! Wann kannst du liefern?»

Zurück in meinem Büro lege ich sofort los, doch die Anbahnung des Interviews gestaltet sich überraschend schwierig. In Laschets Abgeordnetenbüro in Berlin verweist man mich an sein Wahlkreisbüro in Nordrhein-Westfalen – sein Heimatbüro verweist mich an die Büro-Adresse in Berlin. Ich bin verloren im Teufelskreis der Zuständigkeiten.

Zum Glück weiß ein älterer Kollege Rat und schiebt mir einen Zettel mit Laschets privater Festnetznummer zu: «Ruf doch einfach bei ihm zu Hause an!»

Etwas nervös tippe ich die Zahlenkombination in mein Handy ein. Das Freizeichen ertönt, eine weibliche Stimme ist zu hören. Susanne Laschet ist am Apparat, seine Ehefrau.

Die private Störung ist mir unangenehm, und so stottere ich einige entschuldigende Worte, bevor ich mit meinem Wunsch herausrücke.

Susanne Laschet ist zunächst zurückhaltend, taut im Verlauf des Gesprächs jedoch auf. Wie ihr Mann ist sie eine rheinische Frohnatur von erfrischender Unkompliziertheit: «Ach, kommen Sie am besten direkt zu uns nach Aachen.» Berlin, das sei eine Art urbaner Dschungel für ihn, Aachen mehr ein Kleingarten, lacht sie. «Da fühlt der Armin sich wohler.»

Frau Laschet hat die Verfügungsgewalt über den Kalender ihres Mannes, was die Sache leicht macht. Hörbar blättert sie einige Sekunden in dem Buch und bietet mir einen Termin samt Treffpunkt an. Laschet werde mich dort abholen. Alles Weitere werde sich dann zeigen.

Sicherheitshalber tauschen wir die Daten per Mail aus, und sieben Wochen später stehe ich am vereinbarten Treffpunkt auf dem Münsterplatz, direkt vor Aachens mächtigem Dom.

Mein Blick wandert über den weitläufigen Platz und das stolze Kirchenbauwerk. Es regnet. Eine Mutter zerrt ihr Kind weiter, das mit Wonne in jede Pfütze tritt. Ein Liebespaar drängt sich unter seinem Regenschirm zusammen. In der Ferne taucht ein rotes Fahrzeug mit eingeschalteter Warnblinkanlage auf. Im Schritttempo bewegt sich das Auto vorwärts und bleibt ruckelnd wenige Zentimeter vor mir stehen.

Es handelt sich um einen in die Jahre gekommenen Kombi. Der Lack ist stumpf, die Scheiben sind mit Tönungsfolie beklebt, auf dem Armaturenbrett liegen abgelaufene Parkscheine und Verpackungen von Schokoriegeln.

Schemenhaft sind drei Personen auszumachen: der Fahrer, Armin Laschet auf dem Beifahrersitz und ein weiterer Begleiter auf der Rückbank. Die Türen öffnen sich. Drei Männer im Alter von etwa 60 Jahren steigen aus.

Laschet reicht mir die Hand: «Guten Tag, junger Mann! Ich glaube, wir haben heute ein Rendezvous!» Vergnügt strahlt er mich mit seinen funkelnden Knopfaugen an.

Bevor wir in «medias res gehen», wolle er mir seine Begleiter vorstellen. «Das ist der Hennes. Das ist der Walter.»

Ich versuche, mir meine Verwirrung nicht anmerken zu lassen und schüttele die sich mir entgegenstreckenden Männerhände. Laschets Begleiter sehen so gar nicht nach Politiker aus. Derbes Schuhwerk, Arbeitshosen und Pullover. Ich habe den süß-würzigen Geruch von Mulch in der Nase, aber vielleicht ist es auch nur eine olfaktorische Täuschung.

Für weitere Überlegungen bleibt mir keine Zeit. Laschet will uns etwas von seiner Familiengeschichte erzählen.

«Das Auto können wir direkt hier stehen lassen. Das ist der Vorteil bei einem Mann in meiner Position!»

Laschet deutet auf das Kirchengebäude in der Mitte des Platzes: «Der Aachener Dom, ein Weltkulturerbe. Von Karl dem Großen gebaut. Von dem stamme ich übrigens ab, in direkter Linie. Hat mein Bruder herausgefunden.» Er macht eine Pause und setzt neu an: «Wir Laschets stammen in direkter Linie von Karl dem Großen ab!»

Er müsse mir unbedingt die berühmte Kirche zeigen. «Wo wir schon mal da sind», fügt er an.

Wenig später befinden wir uns im Inneren des Bauwerks. Wir, das sind Laschet, die beiden Männer und ich.

Laschet beginnt mit lauter Stimme zu dozieren. Mit ausladenden Gesten und ohne uns anzusehen, erzählt Laschet vom karolingischen Oktogon, deutet auf Gewölbe und Kuppel, erklärt Mosaiken und Schnitzwerk und überschüttet uns mit historischen Daten. Ich verstehe kein Wort, aber nicke höflich. Hennes und Walter stehen etwas abseits. Ihren Gesichtern ist zu entnehmen, dass sie seinen Vortrag bereits kennen.

«Dort oben, sehen Sie, dort oben im Obergeschoss gegenüber dem Chor befindet sich der Königsthron.» Unzählige Könige hätten diesen Stuhl nach ihrer Krönung bestiegen, erzählt er weiter, und seine Augen werden ganz glasig.

Ich frage ihn nach seiner Haltung zur Aufklärung von Fällen sexualisierter Gewalt durch Geistliche. Er habe da volles Vertrauen in die Kirche, antwortet er schnell. Außerdem müsse man an die Arbeitsplätze denken, und überhaupt gebe es Wichtigeres. «Die europäische Frage! Deutschland muss zunächst seine Hausaufgaben machen, und das ist die Lösung der europäischen Frage! Nicht mehr und nicht weniger, aber auch nicht weniger und nicht mehr! Verstehen Sie?»

Ich merke, wie er ungeduldig wird. «So, jetzt müssen WIR aber unsere Hausaufgaben machen. Also, schnell raus hier!» Laschet schiebt uns zum Ausgang, und wir stehen wieder auf dem Dom-Platz. Vom hellen Tageslicht geblendet, erkenne ich blinzelnd, wie ein Abschleppwagen Laschets Kombi an den Haken legt.

Wild gestikulierend und schnaufend läuft Laschet auf den Fahrer zu: «Halt! Stopp! Um Himmels willen! Aufhören!»

Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, drückt der Fahrer den Knopf seiner Handsteuerung und zieht das Fahrzeug auf die Ladefläche.

«Wissen Sie nicht, mit wem Sie es zu tun haben? Ich bin Armin Laschet! Der Armin Laschet!»

Der Fahrer mustert ihn: «Und ich bin Helmut Wagner. Der Helmut Wagner vom Abschleppdienst Helmut Wagner.» Ungerührt klettert er in seinen Abschleppwagen und fährt davon.

«Das wird Konsequenzen haben. Das können Sie mit jedem x-beliebigen Trottel machen. Ich bin aber kein x-beliebiger Trottel! Ich bin Armin Laschet, Nachfolger von Karl dem Großen», tobt Laschet und hebt dabei drohend die Faust.

So schnell, wie er die Fassung verliert, findet er sie wieder. Vielleicht ist es das, was einen erfahrenen Spitzenpolitiker ausmacht, denke ich.

Kühl kommentiert er: «Wahrscheinlich ein Racheakt der Opposition, den ich an dieser Stelle nur auf das Äußerste verurteilen kann. Entschuldigen Sie, derartige parteipolitische Aktionen führen zu nichts außer zu persönlichen Verletzungen.»

Mittlerweile hat es aufgehört zu regnen. Um uns hat sich eine kleine Traube von Zuschauern gebildet.

Ich bin etwas verlegen, aber Laschet scheint die Aufmerksamkeit nichts auszumachen. Im Gegenteil.

Liebevoll wandert sein Blick über die Menschenmenge: «Unser Land ist geprägt durch seine breite kulturelle und regionale Vielfalt. Wir wollen die Stärken unseres Landes und das Engagement seiner Bürger nutzen, um das Leben für alle noch besser zu machen. Oder anders ausgedrückt: Wir wollen die Starken stärken und die Schwachen schwächen. Nein, pardon! Wir wollen die Stärken stärken und die Schwächen schwächen! Aber nun gehaben Sie sich wohl und gehaben Sie, ähh, haben Sie noch einen schönen Tag, meine sehr verehrten Mitbürger und Mitbürgerinnen!»

Während sich die Gruppe auflöst, blickt Laschet zunächst auf seine Uhr und dann zu uns.

«Hennes, bestell uns doch rasch ein Taxi!», lautet seine Anweisung, und ehe ich es mich versehe, sitze ich auf der Rückbank eines Taxis – eingequetscht zwischen zwei mir bis eben unbekannten alten Männern.

Laschet hat es sich auf dem Beifahrerplatz gemütlich gemacht. Es sei Zeit, uns einander vorzustellen: «Der Hennes ist bei uns für die Ernährung und Landwirtschaft zuständig. Walter kümmert sich um Inneres, Bau und Heimat.»

Ich drehe meinen Kopf in die jeweilige Richtung und nicke jedem von ihnen höflich zu. Mir ist unwohl, da wir eng nebeneinandersitzen und unsere Gesichter uns näher sind, als mir lieb ist.

Endlich haben wir das Ziel erreicht und steigen aus. Ich blicke mich um. Nur ein Schotterweg und ein Tor, über dem das Schild eines Kleingartenvereins hängt.

«Da sind wir», sagt Laschet und öffnet strahlend das Tor: «Nur hineinspaziert, junger Mann! Das ist die zweitkleinste Kleingartenkolonie Aachens, aber alle unsere elf Parzellenpächter haben das Herz am rechten Fleck.»

Auf einmal sind wir in einer anderen Welt. Der Lärm und die Hektik der Stadt sind vergessen. Um uns das Grün der Natur, alles wächst und gedeiht.

Jede der Parzellen ist sorgsam in einen Nutz- und Erholungsbereich unterteilt, im Hintergrund das obligatorische Gartenhaus.

Wir schlendern durch die Klein-Kolonie. Laschet hat für alle ein freundliches Wort, lobt hier das prächtige Gemüse, schwärmt dort von den farbenfrohen Blumen, hält hier mit einem alten Mütterchen ein Schwätzchen und streichelt dort gütig über einen Kinderschopf. Zwischendurch gratuliert er mir: «Sie haben Glück. Heute findet unsere Kabinettssitzung statt. Wenn Sie wollen, können Sie mich dorthin begleiten.»

Natürlich will ich, und schon haben wir das Vereinsheim erreicht, das mit grauen Eternitplatten verkleidet ist.

Wir betreten das Häuschen, das aus einer Art Sitzungsraum besteht. Tische verschiedener Höhen sind zu einer langen Tafel zusammengeschoben. Überall stehen Deutschland-Wimpel und kleine Flaggen mit dem Wappen des Aachener Ortsteils Burtscheid.

Ich studiere die sorgsam vorbereiteten Platzkarten.

Zwei der Teilnehmer kenne ich: «Hennes, Ernährung und Landwirtschaft. Walter, Inneres, Bau und Heimat».

Mittlerweile trudeln weitere Männer ein. Alle begrüßen sich herzlich, umarmen sich und klopfen sich auf die Schultern. Die Atmosphäre ist entspannt, es wird gescherzt und gelacht.

Als Laschets Besucher wird mir die Ehre zuteil, dass sich alle elf Parzellenbesitzer mit Name und Funktion bei mir vorstellen.

Mir wird schwindlig vor lauter Namen und Titeln. Wolfgang von den Finanzen, Peter von der Wirtschaft, Hans von der Justiz, Dieter von Familie und Gesundheit, Klaus von der Umwelt, Holger von der Bildung, Jürgen vom Verkehr und Werner von der Verteidigung.

Überfordert schüttele ich jedem die Hand. Wie soll es mir gelingen, so schnell die Namen, Gesichter und Funktionen auseinanderzuhalten?

Am Kopfende hat Laschet Platz genommen. Erst jetzt entdecke ich das Schwarz-Weiß-Porträt, das an der Stirnseite über ihm hängt. Laschet ist darauf etwa 20 Jahre jünger, aber wegen seines typischen Schmunzelns gut zu erkennen.

Laschet läutet eine große Messing-Glocke, und augenblicklich verstummen alle Gespräche.

«Ich begrüße Sie zur Kabinettsversammlung unserer Kleingartenkolonie. Einladung und Tagesordnung sind Ihnen fristgerecht zugegangen? Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so im Protokoll vermerkt. Aber jetzt zum Wichtigsten: Wer will was trinken? Hol doch einer mal die Roswitha, die soll die Bestellungen aufnehmen.»

Mein Sitznachbar steht auf und verschwindet nach draußen. Das gibt mir die Gelegenheit, seine Platzkarte zu studieren. Es ist Eberhard, zuständig für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Nachdem alle Bestellungen aufgenommen und ausgeliefert sind, eröffnet Laschet die Sitzung und fragt die einzelnen Ressorts ab. Er beginnt bei Walter, zuständig für Inneres, Bau und Heimat.

Mit ernster Stimme berichtet dieser von baulichen Missständen in der Gartenanlage. Die Instandhaltung der Wege lasse zu wünschen übrig und die Gemeinschaftsflächen seien heruntergekommen.

Laschet schaut ihn mild-tadelnd an: «Natürlich können wir hier noch drei Wochen über Gehwege diskutieren, Walter, aber wir können auch gleich die wichtigen Fragen anpacken: Wir müssen besser werden! Und zwar nicht nur morgen, sondern am besten heute, das ist nämlich in gewisser Weise der Tag vor morgen. Dazu muss jeder seinen Beitrag leisten, ohne Wenn und Aber. Haben wir da insoweit einen Konsens?» Walter nickt, wenn auch mit etwas Verzögerung.

Wolfgang aus dem Finanzressort sorgt sich um den Beitragsrückstand einiger säumiger Mitglieder. Wenn die Beiträge nicht beigetrieben würden, drohe dem Verein eine Finanzkrise.

«Ach, wisst ihr … In den letzten Jahren gab es zahlreiche Weltkrisen: die Weltfinanzkrise, die Euro-Schulden-Krise, die Flüchtlingskrise und jetzt die Beitrags-Krise. Gemeinsam haben wir noch jede dieser Krisen gemeistert und werden es auch diesmal tun. Oder anders gesagt: Die Menschen in unserer Kolonie können sich sicher sein, dass ich sie auch sicher durch diese Krise führen werde.»

Peter von der Wirtschaft beklagt sich über die mangelhafte Unterstützung bei der Vermarktung von Obst und Gemüse aus dem Gemeinschaftsgarten.

Entspannt lehnt sich Laschet zurück: «Ich danke dir für deinen Beitrag, Peter. Ich kann dir versprechen, und dafür stehe ich mit meinem Wort: Wir werden sehr bald rechtzeitig vor der nächsten Ernte gemeinsame Grundregeln für die Konzepte vor Ort beschließen. Zu gegebener Zeit werde ich dich mit der notwendigen Gründlichkeit davon in Kenntnis setzen. Bis dahin bitte ich von etwaigen Rückfragen abzusehen.»

Hans aus dem Justizressort sorgt sich wegen einiger Laubenaufbrüche der letzten Zeit. Es gebe Fälle von Vandalismus, bei denen die Eindringlinge unter Alkoholeinfluss gestanden hätten. Das habe man anhand der leer getrunkenen Schnapsvorräte und der umherliegenden leeren Flaschen festgestellt. Es gebe aber auch eine Aufbruchserie, bei der es die Täter auf Elektronik wie Fernseher, DVD -Player und Tablets abgesehen hätten.

In seiner Antwort betont Laschet seine verantwortungsvolle Funktion als Wächter über Gesetze, Tugend und Moral: «Wir brauchen noch mehr Tempo bei der Bekämpfung von Kriminalität. Da sind wir uns, glaube ich, völlig einig. Und ganz wichtig: Wir müssen auch in Sachen Langsamkeit schneller werden.»

Dabei dürfe man aber auch nicht übers Ziel hinausschießen, ergänzt er. Darüber hinaus gelte das, was er eben beschrieben habe.

Rasch ruft er den Nächsten auf: «Hennes, du bist bei uns für Ernährung und Landwirtschaft zuständig. Was gibt es aus deiner Sicht zu berichten?»

Hennes erzählt von den saisonalen Schwierigkeiten beim Brokkolianbau, wird aber von Laschet unterbrochen.

«Ich glaube, hier wird gerade eine Menge drumherum geredet: Es geht jetzt nicht um Geschichten über einzelne Brokkolipflanzen. Es geht um ein schlüssiges Konzept zur Ernte. Und da können uns Flugtaxis helfen. Wir müssen auf dem Weg dorthin aber auch die Menschen mitnehmen!»

Jürgen vom Verkehr regt einen Kreisverkehr vor dem Kompostplatz an, um sicherzustellen, dass es zu keinen Zusammenstößen von voll beladenen Schubkarren kommt.

Dieter vom Ressort «Familie und Gesundheit» macht den Vorschlag, Eltern von Neugeborenen einen «Willkommensbonus» von 500 Euro zu zahlen. Vorausgesetzt, sie könnten nachweisen, dass das Baby in der Gartenanlage gezeugt worden sei.

Daran schließt sich eine aufgeregte Diskussion an, in welcher Form die Eltern den Zeugungsakt belegen müssen. Einige plädieren für die Abgabe einer schriftlichen Erklärung. Das wird mit dem Hinweis «Kann ja jeder behaupten» verworfen. Andere regen die Installation von Webcams an, deren nächtliche Mitschnitte im Bedarfsfall als Beweis herangezogen werden können. In der anschließenden Abstimmung wird diese Vorgehensweise jedoch mehrheitlich abgelehnt, da sie datenschutzrechtliche Probleme aufwerfe.

Zuletzt kommt Werner von der Verteidigung zu Wort, und es wird still im Raum. Offensichtlich gibt es einen Konflikt mit der benachbarten, aus lediglich fünf Parzellen bestehenden Kleinstkolonie, mit der man sich aus alten Zeiten das Vereinsheim teile.

Ich verstehe nicht, worum es im Einzelnen geht, und höre nur Schlagworte wie «Grenzbebauung», «Notwegerecht» und «Gefahrenabwehr».

Es scheint sich um einen dieser historisch gewachsenen Konflikte zu handeln, bei denen die Beteiligten irgendwann nicht mehr wissen, warum sie miteinander verfeindet sind.

Laschet hat einen Geistesblitz, lässt sich den Katasterplan mit allen Grenzlinien vorlegen und breitet ihn großflächig auf dem Tisch aus.

Mit dem Finger fährt er die Linien ab. «Hier könnte man die elf Parzellen von uns nehmen, in der Mitte die Parzelle mit dem Gemeinschaftshaus und dann die fünf Gartengrundstücke von denen da im Osten dazu packen. Das ergibt einen neuen Verein mit 16 Parzellen! Fantastisch!»

Die Idee lässt ihm keine Ruhe. «Das muss ich mit der Leitung unseres Nachbarvereins besprechen. Die Verhandlung übernehme ich in kleiner Delegation. Hennes und Walter, ihr kommt mit. Der Rest bleibt auf unserem Territorium!»

Stunde um Stunde vergeht, aber Laschet und seine Begleiter kehren nicht zurück. Mittlerweile bin ich der Letzte im Vereinsheim, draußen ist es schon lange dunkel.

Resigniert beschließe ich, den Heimweg anzutreten, und schlage mich mit meiner Handy-Taschenlampe durch die stockdunkle Kleingartenkolonie Richtung Ausgang durch. Dort rufe ich ein Taxi und lasse mich zurück ins Hotel bringen.

Ich würde das Interview gerne fortsetzen und telefoniere mit Susanne Laschet, doch sie macht mir wenig Hoffnungen. «Armin befindet sich gerade in wichtigen Beitrittsverhandlungen.»

Monate später, als ich den Vorgang schon längst vergessen hatte, bekomme ich Post von Laschet. Im Brief ein fotokopierter Bericht der «Aachener Zeitung», in dem Laschet als «Architekt der Einheit» gefeiert wird.

Eine Stelle des Berichts ist mit rotem Filzstift markiert: «In der Mitte von Laschets vereinigtem Kleingartenreich steht eine imposante, drei Meter hohe Nachbildung des Aachener Doms aus kesseldruckimprägniertem Lärchenholz. Laschet wies bei der Einweihung darauf hin, dass er in direkter Linie von Karl dem Großen abstamme.»