Angela Merkel

D ie Quartalszahlen sind raus. Wir sind im Print und im Netz geschrumpft, und alle rätseln über die möglichen Ursachen. Sicher, das Mediennutzungsverhalten hat sich geändert, aber das betrifft auch unsere Mitbewerber, die teilweise deutlich im Plus sind. In der Redaktionskonferenz sind sich alle einig: Wir brauchen eine Geschichte, die uns nach vorne bringt. Eine Story, die zündet, die sich am Kiosk verkauft und die neue Abonnements generiert.

Reihum bittet unser Redaktionschef um Vorschläge. Irgendwann bin ich dran. «Was sagt das Ein-Mann-Ressort für Interviews? Ist da was in der Pipeline?»

«Nicht so richtig, alles noch nicht spruchreif», druckse ich herum.

«Angela Merkel hatte dir doch ein Interview zugesagt. Was ist daraus geworden?»

«Ich bin mir nicht sicher, ob das ernst gemeint war», entgegne ich ausweichend. «Merkel befand sich zu der Zeit in einem psychischen Ausnahmezustand.»

Ich erwähne die Buchpräsentation, die so tragisch aus dem Ruder gelaufen war, und erzähle von dem unangenehmen Moment in Merkels Garderobe, als sie hemmungslos weinte und ich mich so ohnmächtig und hilflos fühlte.

«Du hast uns damals aber auch erzählt, dass du Merkel emotional aufgefangen hast und dass sie dir zum Abschied ein Interview zugesagt und ihre Handynummer gegeben hat.»

«Ja, aber darauf würde ich sie ungern festnageln …»

«Das verlangt doch keiner. Abgesehen davon ist Frau Merkel volljährig und wird dir sagen, ob sie dazu bereit ist oder nicht. Nur anrufen und fragen musst du sie schon selbst.»

Diesem Argument kann ich nichts entgegensetzen und nicke. Trotzdem ist mir die Angelegenheit unangenehm, und so zögere ich das Telefonat einige Tage hinaus.

Nach etlichen Rückfragen und Erinnerungen überwinde ich mich, greife zum Handy und rufe Merkel auf ihrer privaten Handynummer an. Ich habe Glück, nach dem dritten Klingeln nimmt sie ab und ist sofort orientiert. Natürlich könne sie sich an «jenen Abend» erinnern, aber darüber wolle sie nicht mehr sprechen. Sie habe das Ereignis aus ihrem Gedächtnis gestrichen. Warum ich anrufen würde?

Stockend erzähle ich von ihrem damaligen Angebot, mir bei Gelegenheit für ein Exklusiv-Interview zur Verfügung zu stehen.

«Das gilt nach wie vor», antwortet sie und fügt halb singend hinzu: «Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen!»

Die nächste Zeit sei sie verplant:

«Ich habe das Golfspiel für mich entdeckt und stehe schon frühmorgens auf dem Platz. Das ist eine Leidenschaft, die ich mit meinem ehemaligen Kollegen Donald Trump teile.»

Es sei ihr jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass es die einzige Leidenschaft sei, die sie mit Trump teile, fügt sie an. Ich wüsste sicher, dass der US -amerikanische Ex-Präsident eine ganze Reihe von Golfclubs besitze. Während seiner Amtszeit habe er mehr Zeit auf dem Golfplatz in Palm Beach verbracht als im Oval Office in Washington.

«Mir gehört mittlerweile auch ein Golfplatz, aber der liegt nicht in Kalifornien oder Florida, sondern in Templin in der Uckermark.»

Ich bin verblüfft, das hatte ich nicht gewusst.

«Wie denn auch, das weiß bislang keiner», antwortet die ehemalige Kanzlerin trocken, aber nicht unfreundlich.

Sie fragt mich, ob ich mich mit Golf auskennen würde.

«Nun ja, ich … ein Bekannter hat mich mal mitgenommen, aber das war, also, nun ja …»

Peinlich berührt denke ich an meine kläglichen Versuche auf der Driving Range zurück. Ich hatte mir an einem «Tag der offenen Tür» einen Korb mit Übungsbällen geholt und nicht einen einzigen der Bälle sauber getroffen. Die meisten sprangen nach links oder rechts, hoppelten über den Rasen oder blieben schlicht liegen, weil ich daneben geschlagen hatte. Das Bild der davonfliegenden Grassoden habe ich jetzt noch vor Augen.

«Na, dann üben Sie mal fleißig und kommen danach in Templin vorbei. Dann spielen wir eine Runde!», lacht Merkel. Ob sechs Wochen Vorbereitungszeit ausreichen würden?

Ich frage mich, wie ich es in dieser kurzen Zeitspanne schaffen soll, die Grundzüge des Golfens zu erlernen, stimme aber zu. Die Gelegenheit, sich mit einer Ex-Kanzlerin zu einer exklusiven Golfrunde zu treffen, darf sich ein Reporter nicht entgehen lassen.

Wir beenden das Telefonat. Hektisch suche ich im Internet nach dem nächstgelegenen Golfplatz und melde mich für einen Platzreifekurs an, der in Deutschland Voraussetzung ist, um Golf spielen zu dürfen.

Die nächsten Wochen lerne ich, was «lose Naturstoffe» und «bewegliche Hemmnisse» sind, wie man Pitchmarken repariert und wann ein Ball «unspielbar» ist. Ich pauke Regeln zum korrekten Verhalten auf dem Platz, mache mich mit der «Zählweise nach Stableford» vertraut und lerne Vokabeln wie Bogey , Birdie und Eagle .

Jetzt geht es an die Abschlussprüfung. Obwohl ich das offizielle Regelbuch benutzen darf, schwitze ich Blut und Wasser, erreiche aber knapp die notwendige Punktzahl. Danach muss ich in Anwesenheit eines Prüfers neun Löcher in einer vorgeschriebenen Anzahl von Schlägen bewältigen. Trotz enormer Nervosität und einiger spektakulärer Fehlschläge gelingt mir auch der praktische Teil der Prüfung.

Nun benötige ich die passende Ausrüstung. Als Journalist ist mein Budget begrenzt, und so bestelle ich mir online ein markenloses Einsteigerset. Es besteht aus einem Golfbag mit den wichtigsten Eisen, einem Putter, einem Sandwedge, einem Driver und einem sogenannten Hybridschläger. Dazu kommt Zubehör wie ein Golftrolley, ein kleines Handtuch, ein großformatiger Regenschirm, ein Handschuh und Bälle. Außerdem muss ich mir rasenschonende Golfschuhe mit Spikes besorgen. Um an das Merkel-Interview zu gelangen, habe ich neben meiner Zeit etwa eintausend Euro investiert. Eine Ausgabe, die ich, obwohl sie ausschließlich aus beruflichen Gründen erfolgte, nicht erstattet bekomme und noch nicht mal von der Steuer absetzen kann.

Endlich ist es so weit, und ich fahre mit dem Zug in den Norden Brandenburgs nach Templin. Im Abteil ernte ich wegen des voluminösen Golfbags abschätzige Blicke und erreiche nach mehrmaligem Umsteigen mein Ziel.

Am Bahnhof rufe ich Merkel an. Sie hatte angeboten, mich mit dem Auto abzuholen. Keine fünf Minuten später ist sie da.

«Oh, Sie haben eigene Schläger mitgebracht? Hätten Sie nicht machen müssen. Davon haben wir reichlich», begrüßt sie mich.

Ich erkenne Merkel fast nicht wieder. Statt ihres typischen Kanzlerinnen-Outfits aus dunkler Hose und farbigem Jackett trägt sie einen altrosafarbenen Trainingsanzug, der bei jeder Bewegung leise raschelt.

Ich lege meine Golftasche in den Kofferraum eines etwas in die Jahre gekommenen Mittelklasse-Fahrzeugs und nehme Platz.

Während der Fahrt fragt sie mich, wie viel Zeit ich mitgebracht habe: «Wollen wir eine Runde spielen, oder reicht es für mehrere Runden?»

Im Kopf überschlage ich den Zeitbedarf: Eine volle Golfrunde mit 18 Löchern dauert etwa drei Stunden. Zwei Runden mit einer Pause zwischendurch wären demnach sechseinhalb bis sieben Stunden. Ich schaue auf meine Uhr. Abgesehen vom beträchtlichen Zeitbedarf weiß ich nicht, ob ich zwei Runden konditionell durchstehe.

«Vielleicht eine Runde und anschließend noch eine halbe …», antworte ich zögerlich.

Merkel lacht: «An mir soll es nicht liegen. Ich habe schon mal vier Runden hintereinander geschafft.»

Ich bin perplex. Das wären nach meiner Rechnung zwölf Stunden reines Spiel, die Pausen nicht miteingerechnet.

Mittlerweile sind wir an einem idyllischen See am Rand von Templin angelangt. Ich wuchte mein Golfbag aus dem Auto und folge Merkel den schmalen Weg zum Wasser hinunter. Dort gibt es eine Liegewiese und einen aufgeschütteten Badestrand.

«So, da sind wir!», strahlt mich Merkel an und öffnet die Pforte eines Jägerzauns, der einen Minigolfplatz umgrenzt.

Einen Minigolfplatz!

Abrupt lasse ich die schwere Golftasche mit den vielen Schlägern fallen.

Merkel muss mir meine Verblüffung angemerkt haben:

«Eine häufige Reaktion, wenn man Minigolf spielt, ist ja ein Schmunzeln oder ein süffisantes Ah ja . Das kenne ich gut. Das habe ich in den ersten Jahren meiner Kanzlerschaft fast täglich erlebt.»

Wir gehen zu einer kleinen Hütte, die gleichzeitig als Kasse, Schläger-Ausgabe und Eisverkauf fungiert.

«Gestatten Sie mir diesen einen Satz: Für mich persönlich ist Minigolf die Kombination aus Leidenschaft und Ekstase», schwärmt sie. «Kein anderer Sport bietet die Vereinigung von Konzentration, Präzision und Emotion auf einem derart hohen Niveau! Das sage ich Ihnen hier an dieser Stelle und mit all der notwendigen Offenheit, zu der ich fähig bin.»

Wir verstauen meine Sachen und gehen zur ersten Bahn. Sie schaut mich an: «Ich freue mich darauf, Ihnen heute im Rahmen dieses Hierseins Rede und Antwort zu allen Themen zu stehen, die uns beschäftigen, die Sie beschäftigen …»

Sie öffnet die große Handtasche, mit der ich sie bereits im Fernsehen auf einem G 20-Treffen gesehen habe. Die Tasche ist randvoll gefüllt mit Minigolfbällen.

«Man unterscheidet bei den Bällen nach allgemeinem Verständnis, eingeübter Praxis und dem aktuellen Reglement zwischen Sprunghöhe, Gewicht und Härtegrad. Dazu kommen die verschiedenen Größen von 37 bis 43 Millimeter und Oberflächen, ob glatt lackiert, roh oder rau geschliffen. Ich besitze mehrere Hundert davon und bin im Kenntnisstand der physikalischen Eigenschaften jedes einzelnen Balles.»

Ich schaue sie erstaunt an.

Sie will es mir beweisen: «Ich schließe die Augen, und Sie greifen in die Tasche, nehmen sich irgendeinen Ball und lassen ihn fallen. Anhand des Klangs vom Aufprall werde ich Ihnen anschließend sagen, um was für einen Ball es sich handelt.»

Ich wühle in der Handtasche, nehme einen beliebigen Ball und lasse ihn über einer Gehwegplatte fallen.

«Das ist ein Reisiger 10 mit einem Gewicht von 43 Gramm und einem Durchmesser von 38,5 Millimeter. Er hat eine Härte von 100 und wird bevorzugt für die Bahn 16 verwendet.»

Ich kann die Angaben nicht nachprüfen, habe aber keinen Anlass, ihre Worte anzuzweifeln.

«Das Rollverhalten ist stark von der Umgebungstemperatur und der Temperatur des Balles abhängig. Manche führen deshalb beheizbare Balltaschen mit sich. Aber als Frau hat man da natürlich andere Möglichkeiten. Ich sage nur: Körpertemperatur!»

Sie schiebt den Bund ihrer Hose beiseite, wühlt zwischen den Kleidungsschichten und hält mir stolz drei Bälle hin: «Fühlen Sie mal! Ganz warm.»

Zum Glück kommen in dem Moment zwei ältere Herrschaften auf uns zu.

«Oh, welche Freude! Da sind ja Eberhard und Monika.»

Merkel fordert die beiden spontan zu einem Team-Duell heraus:

«Ich würde euch gerne einladen, in einem belastbaren Bündnis und in Opposition zu mir und dem mir beigeordneten Mitspieler in einen ergebnisoffenen Wettbewerb einzutreten, der am Ende des Tages sowohl substanzielle Ergebnisse nach sich zieht als auch das von uns allen dringend erwartete Signal des Aufbruchs an die kommenden Generationen sendet, unserem Beispiel im Rahmen von Respekt, sportlicher Fairness und gegenseitiger Wertschätzung zu folgen. Für ein Land, in dem wir gut und gerne leben!»

«Was hat sie gesagt, Monika?»

«Dass die beiden gegen uns spielen wollen, Eberhard!»

Das Paar ist einverstanden, und wir stellen uns gegenseitig vor. Monika und Eberhard sind seit Kurzem berentet und gehören zu den Stamm-Besuchern von Merkels Minigolfplatz.

Nachdem die Formalitäten geklärt und unsere Gegner mit Minigolfschlägern und Bällen ausgestattet sind, beginnt Merkel bei Bahn eins. Sie nimmt einen Ball, schlägt und erzielt auf Anhieb ein As.

Nun bin ich dran. Etwas nervös lege ich den Ball in das Abschlagfeld.

Merkel stupst mich mit ihrem Minigolfschläger an: «Wettbewerbsfähigkeit ist kein Selbstzweck, das muss man einmal in aller Deutlichkeit sagen. Nur wenn Sie Ihre Hausaufgaben machen und den Willen haben, die Zukunft zu gestalten, kann es gelingen, alle Chancen und Möglichkeiten auch wirklich zu nutzen und wahrzunehmen, die für die Gestaltung eines erfolgreichen Spiels notwendig sind.»

Ich verstehe nicht, was sie mir damit sagen will, und kann mich nur mühsam konzentrieren. Trotzdem benötige ich nur drei Schläge für die Bahn.

Unsere Gegner brauchen jedoch beide zusammen nur drei Schläge und haben die Bahn damit für sich entschieden.

Merkel raunt mir aufmunternd zu: «Es ist noch sehr viel Arbeit zu leisten, aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Die eigentliche Frage, die heute wirklich zur Debatte steht, lautet aber: Wem können die Menschen mehr vertrauen, dass es mit den nächsten Bahnen weiter gut geht, dass das, was auch im internationalen Umfeld an Sorgen und Schwierigkeiten vorhanden ist, von uns gut gelöst wird?»

Sie muss mir meine Verwirrung ansehen und redet beruhigend auf mich ein: «Wir haben das bislang gut gemeistert, alles in allem. Und wir brauchen auch unser Land und diesen Platz nicht schlechtreden. Aber das heißt nicht, dass wir nicht weitermachen müssen.»

Sie nimmt ihre Handtasche und geht zur nächsten Bahn: «Vielleicht haben Sie ja, wie ich gerade auch, in den letzten Minuten gespürt, dass es eine Zeit rasanter Beschleunigung und Veränderungen ist. Wir sollten uns daran erinnern: Alles, was noch nicht gewesen ist, ist Zukunft, wenn es nicht gerade jetzt ist.»

Merkel schlägt ab, der Ball rollt langsam und in gerader Linie am Loch vorbei, stößt hinten an die Bande und kullert zurück ins Loch.

Sie flüstert mir zu: «Ich habe einen Deutschmann 083 mit einer Sprunghöhe von 31 Zentimetern und einem Gewicht von 78 Gramm benutzt. Über die Frage, wie ich mich bezüglich der nächsten Bahn entscheide, werde ich zum gegebenen Zeitpunkt Bericht erstatten oder gegebenenfalls eine diesbezügliche Aussage machen.»

Sie schaut mich ernst an und wird wieder lauter:

«Wir haben ganz klar gesagt, wir müssen jetzt zeigen, die gesamte kurz- und mittelfristige Spielplanung muss überschaubar sein, und damit kommen Stabilität und Verlässlichkeit auch in diese Dinge hinein. Trotz aller schwieriger Entscheidungen sage ich: Dieses ist notwendig! Notwendig für unser Spiel und für die Zukunft unseres Landes.»

Mit ihren Worten macht sie es mir nicht unbedingt leichter. Ich spüre, wie der Druck wächst, und benötige diesmal vier Schläge. Erwartungsgemäß geht auch diese Bahn an unsere Konkurrenten verloren.

Nun sind wir an einer Bahn mit einem Mittelhügel angelangt. Ich soll den Anfang machen.

Merkel sieht mich an: «Auch wenn, das will ich ganz deutlich sagen, es bislang ernste Stunden waren und ich es auch für eine durchaus ernste Situation für unser Land halte, bin ich optimistisch, dass wir das schaffen können, wenn wir das jetzt auch so umsetzen, wie wir es geplant haben. Wenn wir uns nur lang genug zurückerinnern, werden wir feststellen, dass uns das zu früheren Zeiten jedes Mal in harter Arbeit gelungen ist. Daran müssen wir nun anknüpfen!» Sie reicht mir einen Ball: «Maier Classic 3, 39 Gramm mit einer Sprunghöhe von 18 Zentimetern.»

Ich brauche sechs Schläge und bekomme einen Strafpunkt hinzugerechnet. Damit ist klar, dass die Bahn verloren ist.

Merkel schaut mich streng an:

«Nun gilt es, umfassend, ohne Ansehen der Personen, die Ursachen aufzuklären. Die Menschen erwarten von uns, dass sie auf die bestehenden Fragen eine Antwort bekommen. Es ist immer richtig und wichtig in Demokratien, das, was die Menschen beunruhigt, mit einer Antwort zu versehen!»

Sie macht eine Pause und fügt an: «Auch sonst bietet unser Land großartige Voraussetzungen, die wir nun endlich nutzen und wahrnehmen sollten.»

Mir ist die Sache äußerst unangenehm, denn mir ist klar, dass Merkel mit dem «wir» mich meint.

«Wir müssen die Leitplanken unseres Handelns neu ausrichten, um Schaden vom Land abzuwenden. An der Tatsache gibt es nichts zu beschönigen, und jetzt sind Sie dran. Nehmen Sie einen Birdie Italo Bomba und spielen Sie schön langsam!»

Ich setze meinen Ball auf dem Abschlag auf.

Bevor ich schlage, wendet sich Merkel noch mal an mich: «In erster Linie ist es das gemeinsam geteilte Verständnis von Grundwerten, das unser Team im Innersten zusammenhält. Dieses Fundament, das gibt uns auch die Kraft, die Gemeinschaftsaufgabe trotz aller Widrigkeiten, trotz aller unterschiedlichen Meinungen als eine solche Gemeinschaftsaufgabe anzusehen.»

Nach 18 Bahnen werden die Punkte zusammengerechnet. Wir haben verloren.

Merkel will unbedingt weitermachen. Man müsse «fragen, was wir gemeinsam besser machen können – ohne uns dabei dauernd mit Schuldigkeiten aufzuhalten». So kämpfen wir uns durch die zweite Runde, die wir aufgrund einer Serie genialer Asse von Merkel und einiger glücklicher Schläge von mir knapp gewinnen.

Nun steht der Entscheidungssatz an.

Wir sitzen auf einer Bank und essen schweigend ein Eis. Merkel ist sich sicher: «Wenn man Verschiedenes denken will, braucht man vor dem Reden eine Phase des Schweigens.»

Ich traue mich nicht, ihr laut zuzustimmen, und nicke nur.

«Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Der Ball liegt nun im Feld des Gegners. Wir tragen Verantwortung für dieses Land. Scheitern wir, dann scheitert Europa!»

Ruckartig steht sie auf, und wir beide spielen das beste Minigolf unseres Lebens.

Nach dem letzten Schlag würde ich sie gerne vor Freude umarmen, spüre jedoch, wie sie sofort zurückweicht.

Wir setzen uns wieder auf unsere Bank und stoßen mit einem Gläschen lauwarmer Orangenlimonade an.

Beim Abschied fällt ihr ein Zitat eines großen Staatsmanns ein, der einmal treffend gesagt habe:

«Nach erfolgter Ankunft und Inaugenscheinnahme der Örtlichkeit gelang mir die Erringung des Sieges.»

Auf der Rückfahrt gehen mir ihre letzten Worte nicht aus dem Sinn, und ich füttere die Suchmaschine damit. Es ist ein Beispielsatz für Amtsdeutsch, der in Behördenseminaren zur Veranschaulichung überladener Sprache verwendet wird.

Zurückübersetzt ergibt es ein Zitat des römischen Feldherrn Gaius Julius Caesar. Das lateinische Original lautet: «Veni, vidi, vici» (Ich kam, sah und siegte).