Hunde des August

14. August

 

Das anhaltende Klingeln an meiner Wohnungstür weckte mich, dann hörte ich die Hunde. Ich stieg in Jeans und taumelte zur Tür, wo Donna Lutas den Klingelknopf dauerdrückte und schrie: »Kommen Sie endlich aus Ihrem Scheißbett und regeln das hier?«

Ich ignorierte sie, schlüpfte in die Laufschuhe, die ich vor der Tür gelassen hatte, und eilte die Treppen runter, vorbei an einem Spalier erzürnter Nachbarn – einschließlich Mr. ­Contreras in einem prächtigen magentarosa Pyjama.

Peppy und Mitch, die Hunde, die ich mir mit ihm teile, warfen sich in wilder Aufregung gegen die Eingangstür im Treppenhausflur. Eine kluge Detektivin öffnet um vier Uhr früh nicht die Haustür, wenn eine unbekannte Gefahr auf der anderen Seite die Hunde aufgestört hat, aber Donna Lutas keifte Drohungen, das Baby der Sungs brüllte wie am Spieß, und alle brabbelten wild ihre Ängste durcheinander – sollte man die Polizei rufen? Sollte man die Hunde erschießen?

Ich öffnete die Tür gerade weit genug, um hindurchzuschlüpfen. Ein großer brauner Hund mit vierschrötigem Gesicht und tief besorgter Miene war vorm Eingang an einem Laternenmast angeleint, neben sich auf dem Gehweg eine Papiertragetasche. Um sein Halsband war ein weißer Zettel gewickelt. Ich entrollte ihn und hielt ihn ins Licht der Laterne.

 

Warshawski –

Sie scheinen mit Hunden umgehen zu können, auch wenn Sie mit Menschen grauenhaft sind. Kümmern Sie sich um Bär, bis ich ihn holen komme.

Coop

 

Ich joggte die Straße runter, stolperte über meine Schnürsenkel, hoffte zu sehen, in welche Richtung Coop verschwunden war. Sinnlose Aktion: Er hatte seinen Hund an den Laternenpfahl gebunden und sich im Dunkeln verdrückt, noch ehe Mitch und Peppy zu bellen anfingen.

Ich machte kehrt. Bär winselte und leckte sich aufgeregt die Lefzen, als ich zu ihm kam. Ich band die Leine los.

»Na, Junge, was läuft hier?«, sagte ich leise.

Der Hund winselte wieder und strebte den Gehweg entlang. Ich stellte mich kurz auf seine Leine, um mir die Schnürsenkel zuzubinden, dann überließ ich ihm die Führung. Wir waren etwa fünf Blocks weit gelaufen, ehe mir klar wurde, dass er zur South Side wollte, vermutlich zu Coops gewohnter Meile, statt einer frischen Spur zu folgen. Aber als ich versuchte, mit Bär kehrtzumachen, legte er sich auf den Bürgersteig und streikte. Ich bin kräftig, aber nicht stark genug, um einen großen Hund eine halbe Meile zu schleppen.

Ich hockte mich neben ihn. Trotz der warmen Nacht fühlte ich mich nackt in Schlafshirt und Jeans, keine Unterwäsche, keine Socken, kein Telefon, kein Hausschlüssel.

»Wenn Coop dich bei mir lässt, ist er auf sicher nicht zu Hause, Junge. Komm lieber mit mir mit. Wir schlafen ein bisschen und sehen morgen weiter. Machen wir das Beste aus einer Situation, die wir uns beide nicht ausgesucht haben.«

Waren es meine Worte, mein Ton oder die traurige Erkenntnis seines hoffnungslosen Schicksals, jedenfalls stand er auf und trottete neben mir die Straße lang.

»Wie ist ein friedlicher Kerl wie du bloß an so ein explosives Gerät wie ihn geraten?«, fragte ich den Hund.

Ich kannte Coop eigentlich kaum – ich wusste nicht mal, ob das sein Vor- oder Nachname oder bloß ein Spitzname war. Ich hatte keine Ahnung, wo er wohnte, wo er herkam oder wo er vielleicht hinwollte, falls er aus Chicago abgehauen war.

Wir waren uns nur einige Male über den Weg gelaufen, und dabei hatte er sich jedes Mal in weniger als einer Minute von grimmig zu Vulkanausbruch hochgeschaukelt. Vielleicht hatte er ja wirklich Leo Prinz umgebracht und dachte sich, dass ihm die Cops schon im Nacken saßen.

»Nur hätte er dich ganz sicher mitgenommen, wenn er untergetaucht wäre, stimmt’s?«, sagte ich zu dem Hund. »Und wieso gerade ich? Er hat doch klargestellt, dass er mich nicht aus­stehen kann. Nicht bös gemeint, aber was soll ich bloß mit dir anfangen?«

Wir erreichten mein Haus. Ich nahm die Tüte mit rein, die Coop dagelassen hatte.

»Noch ein Hund?«, schrie Donna Lutas. Sie stand in ihrer offenen Wohnungstür. »Sie können hier nicht noch einen Hund anschleppen.«

»Ja, Vic«, sagte Mr. Sung. »Es wird zu viel, immer dieses Gebell, und dann wissen wir nie, ob jemand einbricht und Sie erschießen will, aber versehentlich einen von uns trifft.«

Mr. Contreras ist für gewöhnlich auf meiner Seite, aber heute Nacht nicht. Mr. Sung sang nur dasselbe Lied, das auch er oft anstimmte, wiewohl einfühlsamer: Warum warf ich mich kopfüber in gefährliche Situationen? Waren mir denn die Leute, die mich gern hatten, völlig egal?

Peppy und Mitch machten die Sache nicht besser. Als sie sahen, dass ich Bär in den dritten Stock mitnahm, gab es prompt neues Gebell und Gezerre: Keinesfalls sollte irgendein Daher­gelaufener die Aufmerksamkeit abgreifen, die ihnen zustand.

»Scheiße, jetzt reicht’s endgültig!«, giftete Lutas. »Morgen früh geh ich zur Hausverwaltung und verlange Ihre Zwangsräumung. Drei Hunde? Wo einer erlaubt ist?« Lutas vertrat unsere Hausgemeinschaft bei der Verwaltung, die das Gebäude betreute. Sie war Junior-Anwältin bei einer der großen Rechtsanwaltskanzleien in der Innenstadt. Sie schuftete neunzig Stunden die Woche wie alle Junior-Anwältinnen. Ich wusste, dass sie unter Schlafmangel litt. Ich wusste auch, dass ich keine ­ideale Nachbarin war: Erst kürzlich war bei einem Scharmützel mit einem Angreifer ein Treppengeländer zu Bruch gegangen. Trotz alledem brachte ich wenig Verständnis für sie auf – sie war fast geplatzt vor Schadenfreude, als sie mir den Bescheid überbrachte, dass ich allein für die Erneuerung aufzukommen hatte.

Bestimmt würde sie versuchen, mich zwangsräumen zu lassen, und vielleicht schaffte sie das sogar, zumal bei den erbosten Blicken, die mir die anderen Bewohner jetzt zuwarfen.

Aus Coops Tüte zog ich eine Decke, Bärs Futternäpfe und etwas Hundespielzeug. Ich machte ihm einen Platz in der Küche und ging zurück ins Bett, aber ich fühlte mich wie ein zu heftig gestärktes Hemd, steif und unnachgiebig, lauschte, wie Bärs Zehennägel auf den Böden schrammten, als er die Wohnung erkundete. Zuletzt kam er in mein Zimmer und beschnüffelte mich ein paar Minuten, dann seufzte er schwer und ließ sich vor meinem Bett zu Boden ­fallen.

»Hätte ich doch« ist ein sinnloses Spiel. Aber ich konnte nicht umhin zu denken, ach wäre ich doch meinem spontanen Wunsch gefolgt, meinen Geburtstag mit Peter Sansen und den Hunden auf dem Land mit Wandern zu verbringen – dann wäre das alles gar nicht passiert.