EIN NEUER
MORGEN IN
LAGUNA
BEACH
Ein erster Silberstreifen am Horizont kündigte den neuen Tag an, als Alison Page mit einer Thermoskanne Kaffee unter dem Arm das Haus verließ. Gähnend kraulte sie ihren Bernhardiner Doodle hinter den Ohren, ehe sie mit müden Schritten die Verandastufen hinunter zu ihrem Pick-up schlurfte.
»Heute wird ein Scheißtag«, erklärte sie Doodle und hielt ihm die Beifahrertür auf. Der Hund sah sie mitleidig an. Sein tief grollendes Bellen sollte wohl so etwas wie Zustimmung bekunden, ehe er sich auf der obersten Verandastufe gemächlich wieder niederließ. Alison klopfte auf den staubigen Sitz, um ihren Hund zum Einsteigen zu bewegen. »Komm schon, du Faulpelz. Rein mit dir. Wir müssen los.«
Doodle setzte sich in Bewegung. Mit der Schnauze knapp über dem staubigen Boden, schnupperte er mal links, mal rechts vom Haus in die Büsche, ohne Alison zu beachten.
Dieses Spiel war nichts Neues und so seufzte Alison geduldig und fasste ihre roten Locken zu einem lockeren Zopf zusammen. »Wird das heute noch was?«, fragte sie schließlich, als Doodle langsam in ihre Richtung stromerte. »Na also.
Warum nicht gleich«, murmelte sie, während der schwerfällige Bernhardiner sich schnaubend auf die Beifahrersitzbank des Pick-ups wuchtete. Alison stopfte ihre Thermoskanne zwischen Lehne und Hundekörper, ehe sie hinter dem Steuer Platz nahm. Auf dem Armaturenbrett lag das Klemmbrett vom Vortag. Mit gerümpfter Nase zog sie es heran und warf einen Blick auf die anstehenden Termine.
»Ein echter Scheißtag«, flüsterte sie und sah Doodle an. »Wir treffen gleich einen echten Kotzbrocken«, erklärte sie dem Hund und startete den Motor. »Wir hätten im Bett bleiben sollen.«
Mit einer schwungvollen Wende auf dem Hof der Baufirma steuerte Alison den Pick-up unter dem Schild mit dem Firmennamen »Page & Son« hindurch und fuhr in Richtung Stadt. Die kurze Fahrt durch die bewaldeten Hügel nach Laguna Beach hinunter dauerte keine fünf Minuten. Trotzdem erschien es ihr jedes Mal wie eine Fahrt in eine andere Welt. Die Baufirma lag nur eine Meile abseits des heiteren Trubels von Laguna Beach, doch keiner der sportbegeisterten Surfer oder der sonnensüchtigen Strandbesucher verirrte sich je zu ihrem Haus. Sie genoss diese Abgeschiedenheit und Stille, auch wenn ihr das Umfeld gerade jetzt, wo ihr Vater im Krankenhaus lag, fast etwas zu ruhig war.
Als sie an der ersten Ampel anhalten musste, kurbelte sie das Fenster herunter. Die Sonne kroch hinter dem Horizont hervor und blendete, was Doodle dazu bewog, eine seiner haarigen Pfoten über sein Gesicht zu legen.
Alison schmunzelte und gähnte noch einmal. Die frische Morgenluft, die durch das Fenster drang, weckte ihre Lebensgeister. Und das war auch dringend nötig. Denn der Termin, auf den sie so wenig Lust verspürte, war von größter Wichtigkeit.
Wie von selbst glitt Alisons Blick auf den Stapel achtlos gefalteter Blätter, der in der Mittelkonsole lag. Seit ihr jemand das Radio aus dem Wagen geklaut hatte, nutzte sie das leere Fach für Zettel und Kaugummipäckchen. Es quoll fast über und sie nahm sich vor, hier bald mal Ordnung reinzubringen. Dabei wusste sie genau, warum sie die Papiere am Vorabend nicht mit hineingenommen hatte. Sie wollte sich die Probleme nicht ins Haus holen. So einfach war das. Dabei ließen sich die Rechnungen aus dem Krankenhaus nicht leichter bezahlen, wenn sie sie verdrängte. Das war ihr klar.
»Wir müssen dem Teufel unsere Seele verkaufen«, raunte sie Doodle zu und fuhr an, als die Ampel auf Grün schaltete. Ihr Weg führte sie durch die Stadt, an der City Hall vorbei, auf dem Pacific Boulevard in Richtung Hafen. Das Old Harbour Inn seitlich der Straße strahlte in seinem neuen Glanz und vielleicht würde sie sich heute Abend hier einen Burger gönnen. Doch bis dahin …
Alison drückte aufs Gas, als sie der Straße aus Laguna Beach hinaus in Richtung Sunset Beach folgte. Das Coral Cave Resort erhob sich in leuchtendem Blau vor dem morgendlichen Himmel. Die Glasfronten reflektierten das Licht und der große Springbrunnen am Eingang stieß eine regenbogenfarben schillernde Wasserfontäne in den Himmel. Alison ließ den Pick-up in eine der Parklücken rollen und zog den Zündschlüssel. Zu Hause ließ sie ihn immer stecken, aber hier in der Welt der Schönen und Reichen wurde einem ja, wenn man nicht aufpasste, noch der Arsch aus der Hose geklaut.
Der Widerwille gegen diesen Geschäftstermin war so groß, dass Alison es zunächst nicht einmal schaffte, die Hände vom Lenkrad zu nehmen. Sie trommelte mit den Fingern auf den Kunststoff und starrte durch die Scheibe, ohne wirklich etwas zu sehen. Das einzige Bild, das ihr vor Augen stand, war die horrende Summe auf der Krankenhausrechnung.
»Na schön«, versuchte sie, sich selbst Mut zu machen. »Dad braucht diesen Auftrag«, redete sie sich selbst zu. Durch den Ausfall ihres Vaters hatte Alison einige Aufträge absagen müssen, weil sie sie allein nicht bewältigen konnte. Auch diesen Auftrag hätte sie zu gern abgelehnt, doch gerade jetzt war es vernünftiger, einen Großauftrag anzunehmen anstatt mehrerer kleiner Aufträge, die unterm Strich viel mehr Aufmerksamkeit erforderten. Genau deshalb saß sie jetzt hier. Sie atmete tief durch, öffnete entschlossen die Tür und stieg mit dem Klemmbrett unterm Arm aus, ehe ihr Widerwille noch die Oberhand gewann.
Sie ließ Doodle aus dem Wagen und gemeinsam gingen sie auf den Eingang des Coral Cave Resort zu. Der ordentlich livrierte Page am Eingang sah missbilligend auf den Hund, sagte aber nichts, als Alison ihm knapp mitteilte, dass sie einen Termin mit Mister St. James habe.
Ein Mitarbeiter von der Hotelrezeption kam ihr entgegen und bat sie in einen Fahrstuhl. Auch er schien nicht angetan von ihrer vierbeinigen Begleitung. »Mister St. James erwartet Sie bereits«, teilte ihr der Hotelmitarbeiter mit und entsperrte mit seiner Schlüsselkarte den Zugang zur obersten Etage, woraufhin er sich dezent wieder aus der Aufzugkabine zurückzog.
»Mister St. James erwartet Sie bereits«, äffte Alison ihn nach, während der Fahrstuhl nach oben fuhr. Doodle sah sie fragend an und Alison seufzte. »Das verstehst du nicht«, sagte sie und kratzte sich dabei etwas Zementstaub von der Latzhose.
Die Kabinentüren öffneten sich und noch ehe sie einen Fuß in das Heiligtum des St.-James-Clans setzte, sackte ihr schon das Herz in die Hose. Ian St. James stand am Empfangstresen und reichte einer Angestellten einige Papiere. Er sah nicht in Alisons Richtung, was ihr einen Moment verschaffte, sich wieder zu fassen.
Ian St. James war eine beeindruckende Erscheinung. Allein schon durch seine Größe. Dazu diese Ausstrahlung. Trotz seines arrogant wirkenden markanten Kinns, der verächtlich scheinenden schmalen Lippen und ungeduldig dreinblickenden, strengen Augen war er … umwerfend attraktiv.
Und dessen war sich Ian St. James auch bewusst. Die Geste, mit der er sich das Haar locker seitlich über den Kopf strich – das hatte Alison noch bei keinem anderen so gesehen.
»Na dann«, stöhnte sie und betrat die Etage. Doodle senkte die Schnauze und tappte schnuppernd und vollkommen unbeeindruckt über den Travertin. Alison tätschelte ihm den Kopf. Dann straffte sie die Schultern, gerade in dem Moment, in dem sich Ian St. James’ sachlicher Blick auf sie heftete.
»Miss Page«, sprach er sie an und kam ihr entgegen. Sein Blick verfinsterte sich, als er den Hund bemerkte. Dennoch reichte er ihr die Hand zum Gruß.
Die Berührung durchfuhr Alison wie ein Blitz, nur zu gern hätte sie ihre Hand zurückgerissen, doch sie tat es nicht. Stattdessen lächelte sie den Mann, der sie einst das hässlichste Mädchen der Welt genannt hatte, gezwungen freundlich an.
Das konnte ja heiter werden.
Ende der Leseprobe