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RAUCH UND GESCHREI

Yukiko wusste, sie war im Kerker unter dem Palast der fünf Blumen, aber sie fühlte sich, als ginge sie wieder neben Hiro durch die feuchten Gänge des Kigener Gefängnisses auf die Zelle zu, in der ihr Vater eingesperrt war. Unwillkürlich legte sie die Hand auf das Tantō in ihrem Obi und tastete nach dem Arashitora, der über der Feste seine Kreise zog.

Nur eine wortlose Berührung – als drücke man die Hand eines alten Freundes, um ihn wissen zu lassen, dass man da war. Sie spürte seine Wärme, die statische Elektrizität, die über seine Federn flackerte, und wünschte sich so sehnlich, bei ihm am Himmel zu sein, dass es beinahe schmerzte. Wie giftig würde der schwarze Regen in Yama sein? Immerhin waren sie den Iishis nahe … Würde er sie dennoch verbrennen, sollten sie in einen Wolkenbruch geraten?

Pass gut auf dich auf, Bruder. Der Regen hier ist nicht wie im ewigen Sturm oder im Gebirge .

DAS WASSER IST WOHL NASSER?

Giftig ist es. Schwarz wie die Nacht. Es verbrennt dir die Haut, wenn du zu viel davon abbekommst. Selbst Metall schmilzt nach ein paar Jahren im schwarzen Regen .

NA SCHÖN. ICH VERSPRECHE, DASS ICH REINKOMME, WENN ES ZU REGNEN ANFÄNGT, MUTTER .

Sie musste lächeln und zog sich nicht gleich wieder aus seinem Geist zurück. Vor sich sah sie die Silhouette des Kitsune-Hauptmanns in seiner Ōyoroi. Er hielt eine handkurbelbetriebene Laterne in die Höhe. Neben ihr ging Misaki, hinter ihr Michi. Vier Samurai in altertümlichen Rüstungen folgten ihnen.

Die anderen waren im Festsaal des Daimyō zurückgeblieben. Yukiko hatte Akihito gefragt, ob er sie begleiten wolle, aber da hatte der Hüne ein Gesicht gemacht, als hätte sie ihm die Faust in den Magen gerammt. Sie hatte sofort begriffen: Er hatte an Kasumi denken müssen, daran, wie sie im Kigener Gefängnis gestorben war. Also hatte sie ihn umarmt und gesagt, er solle in Ruhe aufessen. Er hatte sie an sich gedrückt, so fest, dass sie ihre Rippen hatte knacken hören.

Die Gänge des Kerkers waren schmal, in den Wänden saßen verrostete Eisentüren. Yukiko spürte die Lebensfunken Hunderter Ratten, die einander in den lichtlosen Zellen anzischten. Dutzende Gildenmänner hockten mit nichts als schwarz angelaufenem Brot und schmutzigem Wasser im Dunkeln. Sie waren ihre Feinde, das wusste sie – und wäre sie eine Gefangene der Gilde, würde es ihr weit schlechter ergehen. Trotzdem drehte sich ihr der Magen um, wenn sie an das Leiden ihres Vaters in Yoritomos Zelle dachte. Oder daran, was Daichi vielleicht gerade jetzt angetan wurde – falls er überhaupt noch am Leben war. Und sie konnte nicht anders: Sie fragte sich, warum diese Gildenmänner dasselbe Schicksal erdulden mussten.

Sie tun mir leid, Buruu. Wie viele wussten überhaupt, was die Gilde anrichtet? Wie viele haben einfach blind gehorcht? Sie kennen es ja nicht anders …

SCHÄM DICH NICHT FÜR DEIN MITLEID. DASS DU WELCHES EMPFINDEN KANNST, UNTERSCHEIDET DICH VON IHNEN .

Ich schäme mich nicht. Aber ich fühle mich furchtbar .

WIR ALLE MÜSSEN MIT UNSEREN ENTSCHEIDUNGEN LEBEN … UND MIT DEN KONSEQUENZEN .

Da wir gerade davon sprechen – ist Kaiah bei dir?

IRGENDWO IN DER NÄHE .

Redet sie wieder mit dir?

Eine kurze Stille. NEIN .

Eines Tages musst du mir erzählen, was passiert ist, Buruu .

EINES TAGES .

Bald, hoffe ich .

DIESE HOFFNUNG TEILE ICH NICHT .

»Hier ist es.«

Hauptmann Ginjirōs Stimme holte sie in den Kerker zurück. Sie bedauerte es sofort: Der Gestank trieb ihr die Tränen in die Augen. Michi und sie banden sich Tücher um Mund und Nase, Misaki dagegen schien ohne ihren Helm jeden neuen Anblick und jeden unbekannten Geruch zu genießen. Unbekümmert atmete sie tief durch.

Sie hatten vor einer Eisentür Halt gemacht, die genau wie alle anderen aussah. Yukiko öffnete sich gerade weit genug, um mit dem Gespür hindurchzutasten. In der Zelle fand sie das unbegreifliche Knäuel menschlicher Empfindungen und Gedanken, zu hell und verworren, um es lange anzuschauen. Ihr Schädel begann zu schmerzen, als wolle er zerspringen.

»Ich glaube …« Sie runzelte die Stirn. »Ich glaube, mit ihm stimmt etwas nicht.«

»Bleibt zurück«, mahnte Ginjirō.

Er klappte ein schmales Sichtfenster auf und spähte hindurch, die Augen verengt. Dann entriegelte er die Tür und führte seine Samurai ins Dunkel. Die Geräusche eines kurzen Handgemenges drangen aus der Zelle, ein leises Stöhnen. Dann erschien Ginjirō im Türrahmen und winkte Yukiko, Michi und Misaki näher. Seine Laterne hing jetzt in der Zelle an der Wand und beleuchtete nackten, feuchten Granit, einen Haufen schmutziges Stroh in einer Ecke und einen leeren, schmutzverkrusteten Eimer in einer anderen.

Zwei Samurai hielten den Inquisitor zwischen sich, ein dritter stand hinter ihm und hatte ihm einen Arm um den Hals geschlungen. Er war kaum größer als Yukiko. Eisenschellen fesselten seine Handgelenke. Ein Schweißfilm glänzte auf seiner kränklich grauen Haut, und sein Kopf hing schlaff herab, als sei sein Nacken gebrochen. Die geröteten Augen rollten in ihren Höhlen. Er hatte einen furchtbaren Bluterguss auf der linken Wange, das Auge darüber war beinahe zugeschwollen. Seine Wärter hatten ihm Mech-Abakus und Hemd fortgenommen, sodass man die schwarze Schlange sehen konnte, die sich um seinen Bizeps wand – ein wunderschönes, aufwendiges Irezumi, die Arbeit eines meisterhaften Tätowierers. Der Anblick der Bajonettverschlüsse in seiner Haut erinnerte Yukiko an Kin und ließen sie daran denken, wie er im Iishi-Regen an seinem Handgelenk herumgefummelt hatte.

»Ich würde dich nie verletzen. Dich nie verraten. Nie.«

»Das weiß ich« , hatte sie gesagt.

»Du bedeutest mir alles. Was ich auch getan habe … Alles. Du bist der Grund dafür. Der erste und einzige Grund …«

Der Inquisitor zitterte heftig. Speichel lief ihm übers Kinn. Yukiko erkannte die Symptome sofort: So hatte ihr Vater ausgesehen, wenn er beim Kartenspielen so viel Geld verloren hatte, dass er sich keinen Lotustabak kaufen konnte.

»Er ist auf Entzug«, sagte sie. »Das ist ein Lotusjunkie.«

»Wie gesagt«, erwiderte Misaki. »Sie atmen Tag und Nacht den Rauch ein.«

»Aber Kin …« Yukiko unterbrach sich. »Man hat mir gesagt, Gildenmänner müssten sich vom Lotus fernhalten! Ihr esst gereinigtes Essen und lebt in euren Panzern. Wie kann es sein, dass das Gegenteil für die Inquisitoren gilt?«

»Die Gildendoktrin besagt, es helfe ihnen, ›Unreinheit‹ zu erkennen. Sie blicken in die Finsternis, sodass es dem Rest der Gilde erspart bleibt. Der Lotus ermöglicht es ihnen zu ›sehen‹.«

Angewidert verzog Michi den Mund. »Und was sieht er wohl jetzt gerade?«

Der Hauptmann griff in eine Tasche, die er über der Schulter trug, und holte eine kleine Brennkammer an einem Ledergeschirr hervor. Daran baumelte eine Atemmaske in Form eines grinsenden Mundes.

»Das hatte er umgeschnallt. Wir haben noch drei wie ihn gefunden, aber die hatten sich alle das Leben genommen. Der hier war ohnmächtig, sonst hätte er’s vermutlich genauso gemacht.«

Yukiko trat dichter vor den Inquisitor und rümpfte die Nase, so schlimm stank er: nach Rauch, Schweiß und irgendetwas Verdorbenem. »Hörst du mich?«

Der Mann stöhnte zittrig, aber das war alles.

Sie seufzte. »So bekommen wir ganz sicher nichts aus ihm heraus.«

Mit geschlossenen Augen berührte sie das Knäuel seiner Gedanken. Die Glühfäden fühlten sich kalt und ölig an und waren an den Rändern blauschwarz verfärbt. Sie zu entwirren, war unmöglich – das war ihr noch bei keinem menschlichen Geist gelungen. Sie wischte sich ein schmales Rinnsal Blut von der Oberlippe und schnitt eine Grimasse. Ihr Kopf hämmerte.

»Sollen wir ihm mal ein bisschen Lotus geben?« Ginjirō richtete die Frage an Misaki.

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was das bewirken würde, Hauptmann …«

Der Hauptmann tippte gegen die Stirn des Inquisitors und hielt ihm die Atemmaske vor den Mund. »Willst du das hier?«

Gebrabbel. Speichel spritzte.

Ginjirō schnallte dem kleinen Mann die Maske um und fummelte an den Düsen der Verbrennungskammer herum, bis sie zu zischen begannen. Die Veränderung war verblüffend: Beinahe unverzüglich hörte der Inquisitor auf zu zittern. Schon im nächsten Augenblick hielt er sich aus eigener Kraft aufrecht, und dann öffnete er die Augen und starrte Yukiko an.

In sie hinein .

»Hörst du mich?«, fragte sie noch einmal.

»Kitsune Yukiko.« Er klang wie jemand, der gerade erst aus tiefem Schlaf erwacht war.

»Woher kennst du meinen Namen?«

Der Blick seiner rollenden, roten Augen irrte durch die Zelle. »Ich bin nicht zum ersten Mal hier.«

»Was soll das heißen? Wann warst du je hier?«

»Jede Nacht, solange ich mich zurückerinnern kann …«

Da fiel Yukiko wieder ein, was Kin ihr über sein Erwachen erzählt hatte: dass er Zukunftsvisionen gesehen hatte. »Das Bevorstehende.«

Der kleine Mann legte den Kopf schief. »Träume ich jetzt?«, fragte er flüsternd.

Ginjirō versetzte ihm eine harte Ohrfeige. Die Atemmaske verrutschte. »Fühlt sich das wirklich genug an?«

Der Inquisitor verzog das leichengraue Gesicht zu einem Lächeln. »Nein …«

Yukiko rückte die Atemmaske wieder zurecht und blickte dem Mann in die roten Augen. Irgendetwas hieran war vertraut – ein quälendes Déjà-vu-Gefühl, so stark, dass es sich trotz der heftigen Kopfschmerzen in den Vordergrund drängte. Der Geruch nach Lotusrauch erinnerte sie an ihren Vater, an lange Nächte, während denen sie …

»Masaru-san lässt dich grüßen«, sagte der kleine Mann.

Es verschlug ihr den Atem. »Wie bitte?«, brachte sie endlich heraus.

»Kitsune Masaru. Der Schwarze Fuchs Shimas. Er lässt dich grüßen.«

Plötzlich packte sie der Zorn. »Mein Vater ist tot!«

»Ich weiß. Ich sehe ihn häufig auf meinen Reisen.«

»Was bei allen neun Höllen redest du da?«

»Neun Höllen«, raunte der kleine Mann. »Ja, genau …«

»Der ist doch irre«, sagte Michi. »Wir verschwenden bloß unsere Zeit.«

»Auch deinem Onkel bin ich schon begegnet, kleine Michi.« Der Blick des Inquisitors glitt zu ihr hinüber. »Die Wunde in seinem Bauch blutet noch immer. Er taumelt durch die Finsternis und ruft nach seiner Frau und seinen Kindern.« Leicht schüttelte er den Kopf. »Umsonst.«

Michis Augen waren groß. »Was?«, flüsterte sie. »Was?«

Der Blick des kleinen Mannes war auf die leere Luft über ihrer Schulter gerichtet. »Oh … sieh nur …«

Ginjirō rammte ihm die Faust in den Magen, und der Inquisitor krümmte sich zusammen. Die Samurai, die ihn hielten, zerrten ihn wieder in die Höhe, und Ginjirō schlug erneut zu. Seine Ōyoroi wimmerte. Der Inquisitor hustete Rauch.

»Jetzt reicht’s«, knurrte der Hauptmann. »Ich will keine Lügen mehr hören! Du antwortest, wenn wir dich etwas fragen – das war’s. Sag noch ein einziges unnötiges Wort, dann kannst du dich ohne deine Maske im Dunkeln in den Schlaf schreien. Hast du mich verstanden?«

Keuchend richtete sich der kleine Mann auf. »Ja.«

Ginjirō nickte Misaki zu.

»Wie heißt du?«, fragte sie.

»Inquisitoren haben keine Namen, Schwester.«

»Und unter euch? Wie rufen sie dich da?«

»Sie rufen nicht mich. Sie rufen sie

Ginjirō schlug ihm ins Gesicht. Der Kopf des Inquisitors flog auf die Seite, Blut tropfte ihm aus dem Ohr. Er fing an zu kichern, als sei ihm ein Witz wieder eingefallen, den er vor langer Zeit vergessen hatte.

»Sie?« Misaki runzelte die Stirn. »Wer ist ›sie‹?«

Der Inquisitor riss sich zusammen. Sein Lachen erstarb. »Ihr werdet schon sehen.«

Der nächste Schlag riss ihn von den Füßen. Zusammen mit dem Qualm kam ein feiner roter Nebel aus der Atemmaske gesprüht. Röchelnd rang er nach Luft und hing wie eine zerbrochene Puppe im Griff der Samurai.

»Ginjirō-san«, sagte Yukiko warnend. »Du bringst ihn noch um.«

»Das ist schon in Ordnung«, keuchte der kleine Mann. »Ich glaube, ich sterbe hier …«

»Das Irezumi auf deinem Arm«, sagte Misaki. »Was bedeutet es? Gehörst du zum Schlangen-Clan?«

»Die Schlangen sind tot. Die Füchse haben sie gefressen.«

»Steht die erste Blüte unter eurer Kontrolle? Die Gilde? Was wollt ihr?«

»Nichts. Wir wollen gar nichts.«

Misaki blickte Yukiko an und schüttelte den Kopf. Michi starrte noch immer den Inquisitor an. Ihr Gesicht spiegelte Grauen. In der Zelle war es bitterkalt. Es war nicht die frostige Kälte des ersten Schnees, sondern die eines Grabes. Trostlos. Die Kälte voranschreitender Zeit und des unabwendbaren Todes.

»Jetzt ist es nicht mehr lange hin«, flüsterte der kleine Mann. »Ein Jahr wird noch ins Land gehen, vielleicht zwei. Es ist genug Blut vergossen worden, glaubt ihr nicht? Immerhin sind die Kleinen schon da.« Sein Blick wanderte an Yukiko hinab und blieb an ihrem Bauch hängen. »Vielleicht können sie mit deinen spielen …«

Yukiko legte die Hände vor den Bauch und trat einen Schritt zurück.

»Zwei Jahre noch. Allerhöchstens drei.« Fältchen erschienen in seinen Augenwinkeln, als würde er unter der Maske lächeln. »Dann sind deine Kinder schon so groß, dass sie versuchen können, fortzulaufen.«

»Er ist des Wahnsinns«, hauchte sie. »Großer Izanagi, rette ihn!«

Später sollte Yukiko Stein und Bein schwören, dass das Licht der Laterne sich in jenem Augenblick trübte, als hätte jemand ein Tuch darüber geworfen. Der kleine Mann riss die Augen auf und schnappte durch die Atemmaske nach Luft. Und dann hob er ein fürchterliches Geschrei an und bäumte sich im Griff der Samurai auf. Sein Gesicht lief dunkelrot an.

»Du betest für mich?«, kreischte er. »Betet für euch selbst!«

Seine Gestalt verschwamm, und plötzlich war sein rasselnder Atem nicht mehr zu hören. Yukiko blinzelte, überzeugt davon, dass ihre Augen ihr einen Streich spielten. Wo gerade noch der Inquisitor gestanden hatte, war jetzt nur noch wogender Qualm. Die eisernen Ketten fielen klirrend zu Boden, die Samurai griffen in die leere Luft.

Michi schrie. Misakis silberne Arme fächerten sich auf. Und in der nächsten Sekunde stand der Inquisitor vor Yukiko, so echt wie die Steinmauern der Feste, und griff so schnell an, dass sie kaum sah, wie er sich bewegte.

Michi rettete sie: Sie packte Yukiko, zerrte sie zurück und wirbelte sie gleichzeitig zu sich herum, sodass der Tritt sie zwischen die Schulterblätter traf. Trotzdem kam es Yukiko vor, als sei ein Blitz in ihren Leib eingeschlagen – sie wurde gegen Michi geschleudert, und gemeinsam taumelten sie aus der Zelle und prallten gegen die gegenüberliegende Wand des Ganges.

Ein Geräusch, als würden Knochen brechen. Ein abgerissener Schrei. Yukiko blinzelte sich die Tränen aus den Augen und sah, wie der Inquisitor einen Samurai zu Boden warf, als sei der Mann eine Lumpenpuppe. Ein anderer wollte ihn packen, aber da löste er sich wieder in wabernden, mitternachtsschwarzen Rauch auf. Er schlüpfte dem Samurai durch die Arme, an Misakis nadelbewehrten Spinnengliedern vorbei und in den Gang hinaus. Und dort nahm er erneut Gestalt an, die Augen blutrot, das Gesicht aschfahl. Er griff nach Yukiko wie ein Ungeheuer aus einem Albtraum.

»Schwester der Yōkai«, raunte er. »Sie erwartet dich …«

Da trat ihm Michi mit der Wucht eines außer Kontrolle geratenen Frachtzugs zwischen die Beine. Es war die Art von Tritt, die Mönche macht. Mit dem Ellenbogen fegte sie ihm die Atemmaske aus dem Gesicht. Er stolperte, und Michis Faust fuhr durch Rauch. Der Inquisitor erschien hinter ihr; er wollte gerade die Hände um ihren Hals schließen, da schob sich Yukiko an der Wand in die Höhe und griff in seinen Kopf. Blut lief ihr aus der Nase, aber darauf achtete sie nicht weiter.

Sie drückte zu.

Der Inquisitor krümmte sich zusammen und keuchte – der letzte Rest Rauch, den er noch in der Lunge gehabt hatte, stieg in die Luft. Hauptmann Ginjirō kam aus der Zelle gestürmt und packte ihn an den Handgelenken. Der Inquisitor zappelte und wand sich in seinem Griff. Seine Konturen flimmerten, lösten sich jedoch nicht auf. Der kleine Mann schielte auf seine Maske hinab, die ihm nun um den Hals hing, und brach in schrilles Wehklagen aus.

»Er darf keinen Rauch mehr inhalieren!«, rief Yukiko.

Ginjirōs Halbmaske war einem Oni nachempfunden. Plötzlich rammte der Inquisitor sein Gesicht auf die Spitzen der stattlichen Hauer – ein übelkeiterregendes Knacken ertönte, dazu ein Geräusch, als würde eine Flüssigkeit verspritzt. Ginjirō schrie auf. Wieder stieß der kleine Mann mit dem Kopf zu. Die Spitzen der Hauer hatten sich rot gefärbt, winzige Knochenfragmente hingen daran. Yukiko schlug die Hände vor den Mund. Ginjirō versuchte, den Inquisitor zurückzuhalten, aber der stürzte sich noch ein drittes und ein viertes Mal auf die eisernen Hauer. Endlich packte einer der anderen Samurai ihn um die Stirn. Im Gang roch es nach Blut. Die schrecklichen, gurgelnden Schreie des kleinen Mannes echoten zwischen den engen Wänden.

Er hatte sich die Augen ausgestochen.

»Ihr Götter!«, hauchte Michi.

»Ich sehe dich dort, Schwester der Yōkai!« Der Inquisitor spuckte Blut. »Ich warte auf dich! «

»Bei Izanagis Klöten, schafft sie hier raus!«, bellte Ginjirō.

Michi und Misaki nahmen Yukiko zwischen sich und führten sie eilig davon. Ihr war schlecht und schwindelig. Blut lief ihr aus der Nase, die Schreie des Inquisitors verfolgten sie. Sie sah ihn vor sich: Seine Augen waren leere Höhlen, das Gesicht hatte er sich eingeschlagen, so wand er sich im Wahn. Reflexhaft und ängstlich tastete sie nach den beiden warmen Lebensfunken in ihrem Bauch. Wieder und wieder hallten seine Worte in ihren Ohren nach.

Immerhin sind die Kleinen schon da .

Sie versuchte zu schlucken, aber ihre Kehle war wie ausgedörrt.

Vielleicht können sie mit deinen spielen …