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Archäologie undercover

Wenn Archäologen eines können, dann ist es träumen. Besonders abends am Feuer, nachdem der Tag wieder nur eine Handvoll Scherben eingebracht hat. Je stärker die Knochen schmerzen, umso leidenschaftlicher das Fabulieren. Was man nicht alles endlich einmal finden müsste! Einen Keltenfürsten in einem Grab voller Schätze! Einen Neandertaler mit Faustkeil in der Hand! Warum nicht ein zweites Pompeji? Ötzis Frau wäre auch nicht schlecht, eisgekühlt und taufrisch wie am ersten Tag! Als Archäologe hat man also durchaus ein Faible für Überraschungen. Dass aber die Jagd nach der wichtigsten Entdeckung seines Lebens ausgerechnet auf der Herrentoilette einer Hotelbar enden könnte, hätte Harald Meller sich nicht einmal in seinen wildesten Träumen ausmalen können.

Wenigstens war es die Toilette des Hilton-Hotels in Basel, was die Sache jedoch auch nicht wirklich besser machte. Es war der 23. Februar 2002. Meller war seit knapp einem Jahr Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt und Museumsdirektor des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle an der Saale. Fast genauso lange war er einem Fund auf der Spur, der ihm ebenso seltsam wie sensationell anmutete: eine Bronzescheibe, die mit Sonne, Mond und Sternen aus Gold die älteste Himmelsdarstellung der Welt zu sein schien; dazu goldverzierte Schwerter, Beile, Armspiralen und ein Meißel, alles gut 3600 Jahre alt. Heute endlich hatte er die Hehler getroffen, die Scheibe in Händen gehalten – und sich dann in eine ausweglose Situation manövriert.

Meller stand am Waschbecken und wusch sich die Hände. Er hatte sein Handy schon in den letzten Winkel des Raums bugsiert. Kein Empfang, nirgends. Die Hotelbar lag im Kellergeschoss. Wieso hatte ihn die Polizei aus den Augen verloren? Heute früh, in der Staatsanwaltschaft Basel, war bis ins Detail besprochen worden, wie das Treffen mit den Hehlern ablaufen sollte. Verschiedene Szenarien waren durchgespielt worden. Auch Mellers Auftrag als Lockvogel war klar formuliert: »Unternehmen Sie nichts auf eigene Faust! Wir haben Sie stets im Auge!«, hatte ihm der leitende Kriminalkommissär Mario Plachesi eingeschärft, ein ebenso freundlicher wie bestimmter Mann. »Steigen Sie in kein Auto! Die sind mit Ihnen ganz schnell in Frankreich. Dann können wir Ihnen nicht mehr helfen. Sie wären nicht der Erste, den wir aus dem Rhein gefischt hätten!«

Alles war besprochen worden, aber niemand hatte ihm geraten: »Gehen Sie in keine Hotelbar!« Woher hätte er denn wissen sollen, dass sich die Polizei mit einer so einfachen Finte aus dem Konzept bringen lässt? Und jetzt? Endstation Herrenklo?

Die Situation war kurios. Fast am Ziel, und dann ging alles fürchterlich schief. Jeder Versuch, einen Hilferuf abzusetzen, scheiterte am Beton des Basler Untergrunds. Draußen, wenige Meter von der Toilettentür entfernt, saßen die beiden Hehler. Vollkommen unverdächtig sahen sie aus: eine blonde Dame um die 40 und ein grauhaariger Herr, Typ Oberstudienrat, gut 20 Jahre älter als sie. Niemand hätte sich irgendetwas dabei gedacht, wenn er die beiden gesehen hätte, wie sie eben noch mit ihm in der Bar zusammensaßen.

Offiziell hatte man sich getroffen, damit Meller überprüfen sollte, es mit keiner Fälschung zu tun zu haben. Man tat das in Basel, weil die beiden Angst hatten, die deutsche Polizei könnte sie wegen Hehlerei festnehmen. Inoffiziell aber war die ganze Angelegenheit eine Falle. Meller diente der Schweizer Polizei als Lockvogel, damit diese die Hehler verhaften und das archäologische Mysterium in Scheibengestalt sicherstellen konnte.

Doch nun war Meller selbst in die Falle getappt, die Polizei hatte ihn aus den Augen verloren. Wie konnte das passieren? Als er die Frau, ihr Name war Hildegard B., vorhin im Foyer des Hilton getroffen hatte, ging es entgegen der Abmachung weder in eine Bank noch in ein Hotelzimmer, sondern in die holzvertäfelte Kellerbar hinab, die so gut wie leer war. Bloß eine junge Frau war da und ein Herr, der nur ein Bein besaß. Keine Spur von der Polizei. In einer Sitzgruppe saß der angebliche Besitzer des Bronzefunds. Seinen Namen verriet er nicht. Man bestellte Kaffee.

»Sie wissen gar nicht, wie sehr ich mich freue, endlich die Scheibe zu sehen«, war der Museumsdirektor in die Offensive gegangen, als das Gespräch drohte, sich zu lange bei der wegen Schnees recht beschwerlichen Anreise aufzuhalten. »Ich habe alles für die Prüfung dabei.« Er zeigte seinen gelben Werkzeugkoffer. Der Leiter der Restaurierungsabteilung des Museums, Christian-Heinrich Wunderlich, hatte ihn mit hochwissenschaftlich aussehenden Utensilien bestückt, damit sein Direktor auf eindrucksvolle Weise nachweisen konnte, dass es sich um Bronzestücke handelte, ohne dass dabei allzu viel schiefgehen konnte. Echtheit ließ sich mit dem Test keine beweisen; das Prozedere diente in erster Linie dazu, die Hehler in Sicherheit zu wiegen, bis die Polizei einträfe.

Der Mann holte aus einer Tasche ein Paket und wickelte ein grün patiniertes Beil aus der Noppenfolie. »Fangen wir mit diesem hier an.« Meller kramte eine Magnesia-Rinne hervor. Sie fungierte als Feile, mit der er einen hauchzarten Abstrich von der Bronze machte. Darauf tropfte er aus einem Fläschchen 90-prozentige Salpetersäure. »Vorsichtig!«, hatte ihm der Restaurator eingeschärft. Dann wartete er einen Moment und gab aus einem zweiten Fläschchen etwas Natriumsulfit-Lösung hinzu, schließlich noch aus einem dritten Fläschchen das unaussprechliche Toluoldithiol. Sollte Zinn vorhanden sein, würde es sich rot verfärben. »Ein Schwangerschaftstest für Bronze«, hatte Wunderlich gescherzt. Es klappte.

Der namenlose Herr nahm ein Schwert aus der Tasche. Eine hervorragende Arbeit, der Griff war mit einer Goldmanschette verziert. Doch Meller stutzte, er hatte einen Blick in die Tasche geworfen. Da war nichts Großes mehr drin! Sollten die beiden die Bronzescheibe gar nicht mitgebracht haben? War das alles hier umsonst?

Er war verstört; schaute, ob Frau B. eine Tasche dabeihatte, und musste deshalb etwas mit den Chemikalien verkehrt gemacht haben. Jedenfalls scheiterte die Echtheitsprüfung des Schwerts. »Nicht schwanger«, dachte er noch, aber seine Gegenüber hätten das kaum lustig gefunden. Die Stimmung am Tisch trübte sich. Meller war das egal, ihn interessierte nur eins: Wo war die Scheibe? Ein Jahr hatte er darauf gewartet, sie in Händen zu halten. Seine Geduld war zu Ende.

»Entschuldigen Sie«, sagte er, »es kann sein, dass ich die Flüssigkeiten vertauscht habe. Lassen Sie uns die Bronzescheibe testen.«

Der Mann blickte fragend zu seiner Begleiterin – sie nickte. Der grauhaarige Herr sah sich einmal um und schob dann seinen karierten Lehrerpullover hoch. Darunter kamen Handtücher zum Vorschein, die er sich um den Bauch gebunden hatte. Ebenso umständlich wie vorsichtig befreite er sich von ihnen. Ein großes, rundes Stück Bronze kam zum Vorschein. Meller konnte es nicht fassen: Der Mann hatte sich die Himmelsscheibe um den Bauch gebunden!

Meller musste sich einen Moment lang beherrschen, um nicht loszulachen. Doch schon zog die Scheibe seine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Bisher kannte er sie ja nur von Fotos; wusste, dass sie groß wie eine Langspielplatte war, von grünem Malachit überwuchert, unter dem golden die Himmelskörper funkelten. Zögerlich reichte der Mann dem Museumsdirektor die Scheibe. Überrascht vom Gewicht musste Meller nachfassen. Auf den Fotos hatte sie leichter, filigraner ausgesehen, als sei sie aus Bronzeblech. Die Scheibe hier war massiv, richtig schwer.

Harald Meller ist später oft gefragt worden, was das für ein Gefühl war, als er die Himmelsscheibe von Nebra zum ersten Mal in den Händen hielt. »Ehrlich gesagt«, antwortet er dann, »war da für große Gefühle keine Zeit. Die Situation schien mir zu ernst, zu viele Dinge stürzten auf mich ein.« Natürlich war er stolz und glücklich, sie endlich gefunden zu haben. Dass es sich um ein einzigartiges archäologisches Stück handelte, konnte er selbst im schummrigen Licht der Hilton-Bar erkennen. »Das war ein ehrfürchtiger Moment, ja. Doch in diesem Augenblick ging es mir vor allem um eins: zu verhindern, dass die Hehler misstrauisch wurden.«

Meller machte sich an den verabredeten Echtheitstest. Nicht dass er Zweifel an der Authentizität gehabt hätte. Die war offensichtlich. An vielen Stellen war die Malachitpatina mit Erde und Sand fest verbacken. Auch die Hacke der Raubgräber hatte sie überdeutlich demoliert, sogar ein Stück Gold war herausgerissen. Doch all das registrierte er nebenbei. Die Situation war zu ernst. Wo blieb die Polizei?

Unter skeptischen Blicken machte sich Meller an die Prüfung der Scheibe. Wieder rieb er mit der Magnesia-Rinne Bronze ab, achtete aber nun penibel auf die korrekte Reihenfolge der Flüssigkeiten. Und siehe da: Die Probe verfärbte sich rot. Selbst der stoische Mann zeigte so etwas wie ein Lächeln. Meller war erleichtert.

Zumindest einen Moment lang, dann machte sich Nervosität breit. Warum kam die Polizei nicht? Er hatte die Scheibe in die Höhe gehalten, um zu signalisieren: »Hier ist sie! Ich habe sie!« Nichts geschah. Meller sah sich vorsichtig um. Nicht einmal ein Kellner war da. Nur der Einbeinige und die junge Frau rührten in ihren Tassen. Dann geschah etwas Unerwartetes. Hildegard B. kramte einen Vertrag aus der Handtasche und reichte ihn Meller. Man wolle gerne die Modalitäten für den Verkauf regeln.

Der Museumsdirektor schaute erstaunt, schüttelte den Kopf. »Das haben wir nicht verabredet. Sie werden verstehen, dass ich hier nichts unterschreiben kann.«

Er hatte keine Ahnung, welche Konsequenzen das hätte, wenn er als Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt nun mit den Hehlern einen Kaufvertrag abschloß. Doch verdammt, was sollte er tun, wenn die Polizei nicht käme? Wenn er den Vertrag nicht unterschriebe – würden die beiden die Scheibe wieder um den Bauch binden und verschwinden?

Meller überlegte, ob er sich die Himmelsscheibe nicht einfach schnappen sollte. Er war jünger, sicher auch stärker als der Mann. Frau B. würde ihn ebenso wenig aufhalten können, wenn er mit der Scheibe die Treppe hochrennen würde. Seine Augen fielen auf die Hand des Mannes. Sie ruhte in der Tasche. Und wenn er da drin eine Pistole hatte?

»Gehen Sie nicht das geringste Risiko ein«, hatte die Polizei dem Museumsdirektor eingeschärft, »die mögen noch so harmlos aussehen. Sie wissen nie, wer da seine Finger im Spiel hat.« Die Polizei hatte ihm gehörig Angst eingejagt. »Spielen Sie auf keinen Fall den Helden! Und täuschen Sie sich nicht! Illegaler Kunst- und Antikenhandel sind eine Domäne organisierter Kriminalität. Das geht mit Waffenschmuggel, Drogen- und Menschenhandel einher. Wenn Sie wüssten, was wir hier alles erleben.«

Meller stand der Schweiß auf der Stirn. Wie ging es jetzt weiter? Frau B. suchte nach einem Kugelschreiber. Da wusste Meller, was er zu tun hatte: Wenn die Polizei nicht erschien, holte er sie eben selbst!

»Entschuldigen Sie mich bitte, ich muss mir die Hände waschen. Irgendwie haben mir die Chemikalien die Haut verätzt.«

Und damit war er in die Falle getappt. Er tigerte durch die Herrentoilette, den Blick abwechselnd aufs Handy und auf die Eingangstür gerichtet. Der Mann käme sicher gleich nachsehen, wo der Museumsdirektor Meller so lange bliebe. In was war er da nur hineingeraten?

***

Dabei hätte er ja vorgewarnt sein können. Es hatte schon alles kurios begonnen, als Harald Meller das erste Mal von diesem merkwürdigen Fund erfahren hatte. Vergangenes Jahr war das. Es war der 10. Mai 2001, sein 41. Geburtstag. Er war damals als neuer Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt und Direktor des Museums für Vorgeschichte nach Berlin gefahren, um einen Antrittsbesuch bei seinem Berliner Kollegen Wilfried Menghin zu machen. Man kannte sich, die offiziellen Dinge waren schnell erledigt. Menghin, Direktor des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte, stopfte seine Pfeife und öffnete ein Fenster. Das Büro lag im Seitenflügel des Charlottenburger Schlosses, die Fenster gingen zum Park hinaus. Menghin ging zu seinem Schreibtisch und kehrte mit einem Stapel Fotos zurück. Langsam blätterte er ein Bild nach dem anderen auf den Glastisch. Er schmunzelte dabei so genüsslich, als wäre er ein Pokerspieler, der einen Straight Flush aufdeckte.

Die überbelichteten Fotos zeigten je zwei Schwerter, Beile, Armringe und einen Meißel. Die Stücke waren aus Bronze, erdverdreckt, wie vor Kurzem aus dem Boden geholt. Sie lagen auf grünen und blauen Frotteehandtüchern. Offenbar nicht von Profis geborgen. Dann kamen Fotos, die eine Scheibe aus grün patinierter Bronze zeigten, daneben ein Zollstock. Das Ding maß mehr als 30 Zentimeter im Durchmesser. Meller, auf dem Biedermeiersofa sitzend, nahm seine Brille ab, um die Bilder genauer zu studieren. Unter dem Dreck blitzte es golden. Er erkannte eine Sonne, eine Mondsichel, und die kleinen, über die Scheibe verteilten Punkte schienen Sterne zu sein. Er hatte so etwas noch nie gesehen. Am Rand der Scheibe waren Bögen aus Gold befestigt. Was um Himmels willen war das?

Dann griff sich Meller die Fotos mit den Schwertern. Wunderbar gearbeitete Stücke! In die Klingen waren Verzierungen eingelegt. Züngelte da eine dreiköpfige Schlange? Am Griff prangten Klammern aus Gold. Sie erinnerten an die berühmten Schwerter aus dem Hortfund von Apa in Ungarn. Das waren Prestigeobjekte ihrer Zeit, von Waffenschmieden bis nach Skandinavien kopiert. Bemerkenswert war, dass von Scheibe und Meißel abgesehen die Objekte doppelt vorhanden waren. Solche sogenannten Überausstattungen kannte man aus den prächtigen Fürstengräbern von Leubingen und Helmsdorf. Die stammten aus der frühen Bronzezeit und ihre Grabbeigaben zeichneten sich durch die gleiche Kombination von Gold und Bronze aus.

Wenn also die Stücke zusammengehörten, sollten sie vom Ende der frühen Bronzezeit stammen. Dann datierten sie in die Zeit um 1600 vor Christus. Damals tauchten die ersten Schwerter in Europa auf. Das wäre eine Sensation! Meller kannte keine Darstellung des Himmels, die älter wäre. Vor allem keine, die den Himmel so konkret zeigte.

Menghin begann zu erzählen. Im Herbst 1999 habe ihn ein Mann angerufen, der erklärte, er hätte da etwas äußerst Interessantes. Man traf sich im Café Castello am Spandauer Damm. Ein zweiter, breites Kölsch sprechender Mann war dabei. Die beiden zeigten Menghin Fotos und wollten eine Million Mark für die Stücke.

»Ich war wie elektrisiert! Obwohl der Preis horrend war, hätte ich sofort gekauft. Aber ich durfte nicht.«

»Warum nicht?«

Menghin prüfte seine Pfeife. »Die Männer waren so dumm, mir zu erzählen, wo sie die Scheibe herhatten. Aus einem Bundesland mit Schatzregal!«

Meller lachte. Dass es sich um Raubgräberware handelte, hatte er schon wegen der Frotteehandtücher vermutet. Aber dass die Männer so dreist waren, einem Museumsdirektor freiheraus illegale Ware anzubieten! Denn in Bundesländern mit Schatzregal gehört ein archäologisch bedeutsamer Fund nicht den Findern oder dem Besitzer des Grundstücks, auf dem er gemacht wurde, sondern ist Eigentum des Bundeslandes. Der Scheiben-Fund war also Raubgut. Der Berliner Museumsdirektor hätte sich zum Hehler gemacht, wenn er ihn gekauft hätte.

»Übrigens«, Menghin setzte ein breites Grinsen auf, »was Sie auf den Fotos sehen – das stammt aus Sachsen-Anhalt! Sie sind der zuständige Landesarchäologe. Herr Kollege, diese Scheibe ist Ihre Sache!«

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1 Millionenfund: Mit diesem Foto bot ein Hehler die von Raubgräbern geborgene Himmelsscheibe Museen zum Kauf an. Deutlich sind die Beschädigungen zu erkennen.

***

So also hatte das mit der Himmelsscheibe begonnen. Und jetzt sollte das hier in Basel enden? Was für eine Geschichte! Vom Biedermeiersofa in Berlins Schloss Charlottenburg in die Herrentoilette der Basler Hilton-Bar. Das nennt man einen tiefen Fall. Meller fluchte. Was sollte er nur tun? Er konnte ja nicht ewig hierbleiben. Die hatten längst Verdacht geschöpft. Und wenn die Polizei recht hatte und die beiden mit der Kunstmafia zu tun hatten? Dann kämen sie jetzt nachschauen! Aber vielleicht war ihnen die Angelegenheit selbst nicht mehr ganz geheuer; vielleicht überlegten sie gerade, zu verschwinden. Dann wäre die ganze Jagd umsonst gewesen. Das durfte nicht passieren! Meller musste zurück in die Bar.

***

Im vergangenen Mai hatte Menghin seinem Kollegen noch berichtet, dass die beiden Männer erzählten, der Fund sei von ehrenamtlichen Ausgräbern in der Nähe des Kyffhäusers gemacht worden, im Wall einer bronzezeitlichen Höhensiedlung bei Sangerhausen. Zunächst hätten sie die Stücke der Archäologischen Staatssammlung in München zum Kauf angeboten – ohne Erfolg. Menghin habe ihnen dann geraten, sich ans zuständige Museum in Halle zu wenden. »Das war noch vor Ihrer Zeit, Herr Meller.« Doch in Halle sei man nicht sonderlich kooperativ gewesen. »Bringen Sie den Fund nur vorbei«, soll ihnen dort angeblich am Telefon gesagt worden sein. »Aber Sie müssen tapfer sein! Wir lassen Sie verhaften!«

Das lag im Mai 2001 über ein Jahr zurück. In der Zwischenzeit hatte sich ein Kunsthändler bei Menghin gemeldet, der Fund mit der Scheibe sei wieder auf dem Markt. Der Händler habe versprochen, sich umzuhören, auch wenn das eine heikle Angelegenheit sei. Der Fund war Raubgräbergut und damit unrechtmäßig in die Hände der jetzigen Besitzer geraten. Ja, sagte der Kunsthändler, er trete auch gar nicht als Händler auf, er sei ja kein Hehler. Er wolle lediglich helfen, den Fund an den rechten Ort zu bringen. Vielleicht fände sich eine Möglichkeit.

Zurück in Halle, sprach Meller mit dem Kultusministerium und dem Landeskriminalamt in Magdeburg. Auch wenn die Echtheit dessen, was jetzt der »Bronzefund von Sangerhausen« genannt wurde, noch nicht definitiv feststand, sprach doch vieles dafür, dass man es mit einem Schlüsselfund für die europäische Vorzeit zu tun haben könnte. Ließ sich die Botschaft der Scheibe entschlüsseln, würde das vielleicht helfen, prähistorische Monumente wie Stonehenge besser zu verstehen, an deren astronomischen Bezügen die Archäologen seit Generationen herumrätselten.

Die Behörden waren rasch überzeugt, dass der Bronzefund für das Land Sachsen-Anhalt gerettet werden musste. Vordergründig sollte geprüft werden, ob nicht eine Institution wie die Kulturstiftung der Länder den Fund erwerben könnte. Im Hintergrund aber würde das Dezernat für verdeckte Ermittlung des Landeskriminalamts die Ermittlungen aufnehmen und in Absprache mit der zuständigen Staatsanwaltschaft den Museumsdirektor bei allen Schritten unterstützen. Das Ziel war klar: den Fund beschlagnahmen und die Besitzerkette von den Hehlern zurück bis zu den Raubgräbern lückenlos aufklären.

Eine Alternative gab es nicht: Einem Ankauf haftete immer der Makel an, illegal erworbenes Gut gekauft zu haben. Schlimmer noch: Der Fund bekam dabei nicht selten eine Alibi-Geschichte verpasst. Das beraubte ihn seines historischen Kontextes und machte ihn für die Forschung wertlos. Der ebenfalls aus der Bronzezeit stammende Berliner Goldhut, den Menghin im Hinterzimmer eines Zürcher Hotels angekauft hatte, war ein Beispiel dafür. Über die Fundumstände ist nichts bekannt. »Aus einer Schweizer Sammlung«, heißt es bloß. Wahrscheinlich aber war er bei Nacht und Nebel in Süddeutschland ausgegraben worden. Seither ist der Goldhut kaum mehr als eine geheimnisvolle Schönheit, die sich in Schweigen hüllt.

Die Suche geriet jedoch bald zum Stochern im Nebel. Die heiße Spur erkaltete, der Kunsthändler ließ nichts mehr von sich hören. Damit war die einzige Verbindung zum Fund abgebrochen. Hatte der Kunsthändler nur geblufft, und sein Kontakt zu den Besitzern war nicht halb so gut, wie behauptet? Oder hatte er kalte Füße bekommen? Schließlich bewegte er sich auf dünnem Eis – immer in Gefahr, als Hehler ins Visier der Polizei zu geraten.

Man tappte im Dunkeln. Es gab keine Hinweise, mit wem man es zu tun hatte. Die Überprüfung der üblichen Verdächtigen – auffällig gewordene Raubgräber etwa – erbrachte nichts. Die einschlägige Szene war schwer zu überschauen. Im ganzen Osten Deutschlands galt das Schatzregal. Sondengänger schreckte das nicht ab. Militariasammler suchten die Orte der großen Kesselschlachten des Zweiten Weltkriegs ab, stets erpicht auf NS-Ehrenzeichen, Helme oder Waffen. Nach der Wende war der Osten zum Eldorado der Schatzjäger geworden. Metalldetektoren waren in der DDR verboten gewesen. Mit dem Fall der Mauer herrschte Goldgräberstimmung. Viele kamen aus dem Westen, besorgten sich Karten, auf denen Bodendenkmäler verzeichnet waren, und zogen los. Auch statteten sie Arbeitslose mit Detektoren aus und drückten ihnen Telefonnummern in die Hand für den Fall, dass sie etwas fanden. Manches Waldstück sah bald wie eine Mondlandschaft aus, Raubgräberkrater an Raubgräberkrater. Während der Polizei vor Ort der eine oder andere Sondengänger ins Netz ging und eine Geldbuße erhielt, agierten die Hintermänner im Westen im Verborgenen und machten mit den Funden den großen Reibach.

Insofern waren der Fantasie keine Grenzen gesetzt, als man sich in Halle ausmalte, wer die Besitzer der Bronzescheibe sein könnten und was sie wohl im Schilde führten. Womöglich war die Scheibe schon längst ins Ausland verkauft und diente einem reichen Sammler als Obstschale auf der Louis-Seize-Kommode. Das war eine Vorstellung, die Meller schlaflose Nächte bereitete.

Es gab noch einen zweiten Gedanken, der ihn quälte: Was, wenn alles nur eine Fälschung war? Wenn er wie Don Quijote Riesen nachjagte, die in Wirklichkeit bloß Windmühlen waren? Träumte er sich vielleicht einen Sensationsfund herbei, der gar keiner war? Andererseits: So dilettantisch und in einem traurig restaurierungsbedürftigen Zustand wurde doch keine aufwendige Fälschung präsentiert, das schreckte jeden Käufer ab. Und überhaupt: Wer würde sich eine so abstruse Fundlegende ausdenken? Aus einem Schatzregal-Land! Damit waren die Stücke praktisch unverkäuflich! Nein, die ganze Geschichte war viel zu idiotisch, um erfunden zu sein. Wenn man etwas fälscht, dann etwas Glaubhaftes. Ein Gemälde von Picasso vielleicht oder eine Dalí-Zeichnung, aber nichts völlig Überraschendes. Oder man macht etwas Hübsches aus Gold, schmiert ein bisschen Lehm dran und stattet es mit einem akzeptablen Fundort wie Bayern aus, da gibt es kein Schatzregal.

Bei Menghin in Berlin meldete sich ein Rechtsanwalt, der behauptete, den Besitzer des Bronzefunds zu vertreten, und nun wissen wollte, ob Menghin die Objekte nicht der Öffentlichkeit in einer wissenschaftlichen Publikation vorstellen wollte. Als Menghin Meller davon erzählte, schmiedeten die beiden Pläne, wie sie dieser Spur nachgehen konnten. Leider war der Polizei die Ermittlungslust der Museumsdirektoren nicht geheuer. Man verfolge die Angelegenheit auf bewährte Weise, ließ das LKA verlautbaren. Die Direktoren waren zum Nichtstun verdammt.

Erst im Januar 2002 tat sich wieder eine heiße Spur auf. Ein Redakteur des Münchener Nachrichtenmagazins Focus meldete sich, man habe Fotos vom Schatzfund von Sangerhausen und bäte nun diverse Archäologen um ihre Einschätzung. Ja, der Fund sei noch beisammen, sagte der Redakteur, aber er dürfe seine Quelle nicht nennen. Man habe unter konspirativen Bedingungen Fotos gemacht. Doch die Zeit dränge, es gäbe Interessenten aus den USA. Nein, über die Besitzer könne er wirklich nichts sagen.

Meller war elektrisiert, rief das Kultusministerium an, rief Menghin an. Käme die Bronzescheibe in die Zeitung, adelte die Expertise der befragten Archäologen sie zu einem Jahrhundertfund – und für sensationelle Stücke gibt es immer einen Markt. Der Artikel würde sich nicht verhindern lassen; aber vielleicht könnte man ihn hinauszögern, bis man an die Hintermänner herangekommen war. Wenigstens erteilte die Polizei Menghin nun die Erlaubnis, den Rechtsanwalt, der sich bei ihm gemeldet hatte, zu kontaktieren.

Und das erzielte Wirkung. Zwar behauptete der Anwalt, mit dem ominösen Bronzefund nichts zu tun zu haben, doch eine halbe Stunde später klingelte bei Menghin das Telefon. Eine Frau Hildegard B. war am Apparat. Sie sei Museumspädagogin und im Besitz von Fotos des Schatzes mit der »Sternenscheibe«. Die Stücke befänden sich derzeit in der Schweiz. Ein Privatmann habe sie gekauft, weil er sie für Deutschland retten wollte. Und sie selbst habe einen Roman über die Sternenscheibe geschrieben. Menghin staunte. Sie versprach, sich bei Harald Meller in Halle zu melden.

Das tat Hildegard B. am 12. Februar 2002. Sie erzählte am Telefon, sie sei seit je geschichtsbegeistert und betreibe das Restaurant Historia am Niederrhein. Das sei eine Art Privatmuseum, in dem sich Sammler und Hobbyarchäologen treffen. Schon seit einer ganzen Zeit wisse sie von dem Sternenscheiben-Fund, der sei ja das große Thema in der Szene. Jetzt endlich sei es ihr gelungen, einen Bekannten zu überzeugen, ihn zu kaufen. Dafür habe der Mann 700 000 DM aus seiner Altersvorsorge genommen – ohne dass dessen Frau davon wisse. Ansonsten wäre der Schatz sicher in die USA oder Schweiz verkauft worden. Ihr sei es aber eine Herzensangelegenheit, dass die Scheibe dorthin komme, wo sie hingehöre: ins Museum nach Halle. Nur müsse der Mann sein Geld zurückerhalten, damit seine Familie nicht ruiniert werde. Das müsse Meller unbedingt verstehen.

Sie selbst habe die Scheibe einmal in Händen gehalten – und eine magische Kraft gespürt. Er dürfe sie nicht für verrückt halten, aber sie habe eine Vision erlebt. Für einen Augenblick glaubte sie, sie sei mit der Sternenscheibe schnurstracks in die Bronzezeit zurückgeflogen, auf eine Lichtung mitten im dunklen Wald. Vielleicht komme er einmal zum Essen ins Historia? Dann könne man alles gemeinsam bereden.

Tatsächlich fuhr Meller einige Tage nach dem Anruf ins Historia an den Niederrhein. Nach dem Telefonat hatte er das LKA informiert. Die Polizei stimmte dem Besuch zu, instruierte den Archäologen in Sachen Verhandlungstaktik und stellte ihm einen verdeckten Ermittler an die Seite, den er als Herrn Kaiser, den neuen Verwaltungsleiter des Museums, vorstellen sollte.

Als die beiden in der Nähe von Düsseldorf eintrafen, hatten sie mit vielem gerechnet, nicht aber mit Schröder. Das war der nach dem damals amtierenden Bundeskanzler benannte Yorkshireterrier des anwesenden Rechtsanwalts. Während des Abends sprang der kleine Hund immer wieder auf einen Stuhl, streckte sich, um über den Tisch zu schauen, und legte sein Köpfchen mit den Knopfaugen so schief, als bedenke er jeden geäußerten Satz auf das Genaueste.

Das Gespräch kam schnell auf den Bronzefund von Sangerhausen. Die ursprünglichen Finder hatten 32 000 DM dafür erhalten, erfuhr Meller. Ein erster Zwischenhändler soll dann stolze 270 000 DM Profit gemacht haben. Um den einzigartigen Fund zu retten, habe Frau B. dann einen Bekannten überzeugt, die Stücke zu kaufen. Ihr ginge es gar nicht darum, etwas zu verdienen; sie wolle nur den Fund für die Öffentlichkeit retten und dafür sorgen, dass ihr Bekannter seine 700 000 DM zurückerhalte. Meller müsse verstehen, dass ihr Bekannter besorgt und sehr vorsichtig sei. Er habe eine Heidenangst, alles zu verlieren. Deshalb sei an der Summe auch nicht zu rütteln. Die Sternenscheibe werde nicht billiger, aber auch nicht teurer.

Meller erklärte, dass ein Erwerb der Stücke durch das Land unmöglich sei, dass aber ein Ankauf durch die Kulturstiftung der Länder eine Option sein könnte. Die hatte in den Neunzigern auch den Quedlinburger Domschatz angekauft, obwohl er nach dem Zweiten Weltkrieg illegal in die USA gelangt war. Ein Prozess erschien damals als eine zu unsichere Angelegenheit, weshalb man sich für den unbürokratischen Weg des Ankaufs über die Kulturstiftung entschied.

Hildegard B. nickte, das wäre doch eine Möglichkeit.

»Dazu ist es aber zwingend notwendig, ihre Echtheit zu prüfen«, entgegnete der Museumsdirektor.

Der Anwalt, der zwar betonte, nur als Freund und nicht als Rechtsberater am Tisch zu sitzen, warf ein, das Land Sachsen-Anhalt könne auf sein Eigentumsrecht verzichten, dann wäre der Fund frei handelbar. Meller winkte ab; Herr Kaiser, der neue Verwaltungsleiter des Museums, schüttelte ebenfalls den Kopf. Hildegard B. brachte daraufhin die Schweiz ins Spiel, wo sich die Scheibe ja ohnehin derzeit befände. Meller könne die Sternenscheibe zum Beispiel in Basel begutachten. Auch wenn der Rechtsanwalt davon abriet, war das der Plan, auf den man sich schließlich einigte. Sollte der Besitzer zustimmen, würde die Echtheitsprüfung in einem Hotelzimmer oder Tresorraum einer Bank in Basel durchgeführt. Schröder bellte zweimal – ob vor Glück oder als Warnung, ließ sich nicht abschließend feststellen.

***

Eine Woche später, am 22. Februar 2002, stieg Meller ins Auto und machte sich auf den Weg in die Schweiz. Am nächsten Morgen fand in aller Herrgottsfrüh die Lagebesprechung in der Staatsanwaltschaft statt. Es handelte sich um eine große Runde der Basler Kantonspolizei, auch drei Kommissare vom LKA aus Magdeburg waren dabei. Die Schweiz hatte das deutsche Rechtshilfegesuch rasch positiv beschieden. Alles lief routiniert ab: Der Kampf gegen illegalen Handel mit Raubgut gehörte zum Alltagsgeschäft in Basel. Fotos von Harald Meller wurden verteilt. »Das ist der Gute«, scherzte der leitende Kriminalkommissär Mario Plachesi, »wir wollen ja nachher nicht den Falschen erschießen!«

Dann, noch in der Staatsanwaltschaft, klingelte Mellers Handy. Hildegard B. war dran. Man wolle sich um elf Uhr im Hilton am Aeschengraben treffen. »Auch wenn Sie uns nicht sehen: Wir sind immer in Ihrer Nähe«, sagte Plachesi zum Abschied, »unternehmen Sie nichts Unbedachtes!« Der Museumsdirektor machte sich mit dem gelben Köfferchen in der Hand auf den Weg. Kaum war er in der Hotellobby angekommen, zupfte ihn Hildegard B. von hinten am Ärmel. Sie zog ihn zu einer Wendeltreppe, die ins Untergeschoss führte.

»Haben Sie denn kein Zimmer hier?«

Hildegard B. schüttelte den Kopf. Meller war überrascht. Wusste die Polizei davon? Sah sie, dass es die Treppe hinunterging? Schweren Herzens stieg er hinab, wie Orpheus auf dem Weg zu Eurydike in die Unterwelt. Das war sein Fehler gewesen, das wusste er nun. Aber was hätte er anderes tun sollen?

***

»Egal«, dachte Meller in der Toilette der Hilton-Bar und wusch sich zum dritten Mal die Hände, »die Frage ist doch: Was mache ich jetzt? Ich kann mich ja hier nicht ewig verstecken.« Er ging noch einmal die Optionen durch. Den Vertrag unterzeichnen? Nein. Den beiden die Scheibe entreißen 

Was war das?

Das Handy hatte vibriert.

Sollte … ja!

Tatsächlich, die SMS war raus!

Das Handy signalisierte Empfang. Doch schon war der Balken wieder weg. Egal! Jetzt wusste die Polizei, wo er steckte. Meller trocknete sich die Hände und ging hinaus.

In der Hotelbar war noch alles wie gehabt: der einbeinige Mann, die junge Frau. Immerhin stand nun ein Kellner hinterm Tresen. Auf dem Tisch lag der Vertrag. »Da sind Sie ja endlich«, sagte Frau B., »wir haben uns schon Sorgen gemacht!« Meller solle doch bitte unterschreiben, es müsse doch alles seine Ordnung haben.

Jetzt musste auf Zeit gespielt werden. Wer konnte wissen, wie lange die Polizei brauchen würde, bis sie hier war. Meller nahm das Papier, begann den Vertrag zu studieren. Plötzlich war da Getümmel, die Bar voller Menschen. So schnell, dass er gar nicht registriert hatte, wo die hergekommen waren. Alle trugen Zivil.

»Polizei, kommen Sie bitte mit!«

Hinter jedem der drei hatten sich kräftige Männer postiert. Auch Meller wurde festgenommen. Immerhin blieben ihm die Handschellen erspart, die man dem grauhaarigen Herrn anlegte. Der wirkte geradezu apathisch, er konnte nicht fassen, wie ihm geschah. Auch Hildegard B. stand der Schock ins Gesicht geschrieben. Sie protestierte, sah den Museumsdirektor bestürzt an. Dann wurden sie abgeführt.

In der Staatsanwaltschaft ließ die Polizei Harald Meller wieder frei. Die Festnahme hatte nur verhindern sollen, dass in der Hektik des Zugriffs der Falsche entkam. Als Meller von seiner Verzweiflung erzählte und fragte, wieso man ihn aus den Augen verloren hatte, blickte er in amüsierte Gesichter.

»Sie hätten sich nicht die geringsten Sorgen machen müssen. Wir haben Sie die ganze Zeit observiert.«

»Wie denn das?«

»Haben Sie denn niemanden gesehen?«

»Doch, einen Einbeinigen und eine junge Frau.«

Kriminalkommissär Plachesi nickte grinsend. »Wir betreiben verdeckte Ermittlungen und keine offenen. Sie befanden sich stets in besten Händen.«

Meller wusste nicht, ob er lachen oder fluchen sollte. Doch da musste er schon ins Nebenzimmer, wo die beschlagnahmten Gegenstände auf einem weißen Resopaltisch lagen – die Himmelsscheibe in der Mitte. Die einzelnen Stücke wurden mit den Fotos des kompletten Funds verglichen. Es waren nicht alle da. Aber das war Meller in diesem Moment egal. Hauptsache, die Scheibe war gerettet!

Die beiden Hehler saßen währenddessen in weiß gekachelten Zellen, mit grüner Plastikmatratze und in den Boden eingelassener Stahltoilette. Der Mann, sein Name war Reinhold S., erwies sich bei der Vernehmung als kooperativ. Er sei Realschullehrer und begeisterter Sammler, gab er zu Protokoll. Der Rest des Funds liege im Keller seines Einfamilienhauses am Niederrhein. Tatsächlich meldeten wenige Stunden später die deutschen Behörden die Sicherstellung der fehlenden Stücke. Am Ende des Tages übergab die Schweizer Polizei die Himmelsscheibe den Kriminalbeamten aus Sachsen-Anhalt, die sie in den Tresor des Landeskriminalamts in Magdeburg brachten. Damit war tatsächlich ein – wenn auch etwas bizarrer – Archäologentraum in Erfüllung gegangen. Zwar hatte Harald Meller die Himmelsscheibe nicht eigenhändig ausgegraben, wohl aber immerhin dabei geholfen, sie aus den Tiefen der Basler Unterwelt für die Öffentlichkeit zu retten.