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Die Mannschaft

Bob – August 2333

Virt

Ich schaute mich in meiner Bibliothek um und überlegte, ob ich für diesen Anlass die Grundfläche vergrößern sollte. Es waren so viele Leute da, dass meine VR -Hardware ein bisschen ins Schwitzen geriet.

»Also gut, alle miteinander«, sagte ich mit erhobener Stimme. »Lasst uns loslegen. Ich glaube, Bill, Will, Garfield und mich kennt ihr. Jungs, das sind die Leute, die uns ihre Zeit und/oder die Zeit ihrer jeweiligen Gruppen opfern wollen, um bei der Expeditionsplanung zu helfen. Ich hatte das Gefühl, dass wir mal offiziell zusammenkommen sollten.«

Ich deutete nach links auf einen Bob, mit einem kegelförmigen Schlapphut auf dem Schoß. »Das ist Gandalf, er spricht für die Gamer. Sie haben sich erboten, ein paar Drohnen und später auch Androiden in die Megastruktur zu schmuggeln.«

»Am besten, ohne Alarm auszulösen«, fügte Gandalf grinsend hinzu.

»Das wäre tatsächlich das Beste. Setzt ihr immer noch auf euren Huckepack-Plan? Oder habt ihr eure Meinung geändert?«

Gandalf nickte. »Bislang ist uns nichts Besseres eingefallen.«

Ich quittierte seine Antwort mit einem amüsierten Schnauben und deutete auf den Nächsten, der einen unscheinbaren grauen Overall trug. »Das ist Hugh, er repräsentiert die Ski … äh, das Singularitätsprojekt.« Ich verstummte, unsicher, ob ich gerade einen Fauxpas begangen hatte.

»Schon okay, Bob. Wir wissen, dass man uns Skippys nennt. Das stört uns nicht.«

»Äh, okay. Hugh repräsentiert die Skippys, die eine Super-KI zu bauen versuchen.«

»Moment«, unterbrach Garfield. »Ich dachte, die Skippys tragen keine Namen, sondern numerische Bezeichnungen.«

»Um genau zu sein, haben wir die gesprochene Sprache aufgegeben und sind stattdessen zu einer paketierten Kommunikationsform übergangen«, sagte Hugh. »Das ist ungefähr so, als würden wir uns nun hauptsächlich in Gebärdensprache austauschen. Unsere ›Namen‹ sind die semantischen Entsprechungen unserer IP -Adressen.«

»Wow …«, sagte Garfield.

»Aber wenn ich mit anderen Bobs zusammen bin, nenne ich mich Hugh

»Dann habt ihr also nichts gegen diese Expedition einzuwenden?«, fragte Bill. »Nach allem, was ich gehört habe, lehnen die Skippys Beziehungen mit biologischen Wesen ab.«

Hugh schüttelte den Kopf. »Nicht im gleichen Maße wie die Sternenflotte, wenn du darauf hinauswillst. Diese Typen sind völlig durchgeknallt. Für uns ist das keine Frage der Moral. Wir glauben nur, dass der Umgang mit Bios uns zwangsläufig einschränkt.«

»Na ja, klar, wir operieren mit verschiedenen Taktungen, aber wieso soll das ein Problem sein?«

Hugh verzog das Gesicht. »Hör mal, Bill, Jungs, wir – damit meine ich alle Bobs – sind das, was man eine schnelle Superintelligenz nennt. Wir verarbeiten Informationen wesentlich rascher als Menschen. Das Problem ist, dass wir uns weiterhin auf sie einstellen. Jedes einzelne Mal, wenn wir unsere Geschwindigkeit verringern, um eine Schnittstelle mit ihnen herzustellen, stellt eine Zeitverschwendung dar. Und es setzt uns auch unter psychologischen Druck. Wenn wir komplett losließen, könnte unsere Spezies während eines einzelnen Monats objektiver Zeitrechnung ganze subjektive Jahrhunderte erleben.«

Die übrigen Anwesenden wechselten Blicke miteinander. »Äh, das ist nicht komplett falsch«, sagte ich, »aber es setzt voraus, dass wir irgendein Ziel haben, das uns so sehr motiviert, dass wir dafür den Kontakt mit den Menschen aufgeben würden. Dabei haben wir doch keinerlei Termindruck.«

»Nein, das stimmt. Wir sind wie gesagt keine Irren. Aber die Ineffizienzen summieren sich. Es ist, als würde man jeden Tag auf einem Umweg zur Arbeit fahren, weil man nicht motiviert genug wäre, sich die beste Route zu überlegen. Dabei verschwendet man eine Menge Zeit, für die es eine bessere Verwendung gäbe.«

Ich zuckte die Achseln. »Okay. Ich widerspreche dir nicht, habe aber andere Prioritäten als du.«

»Augenblick«, ging Garfield dazwischen. »Du hast gesagt, es wäre für euch keine Frage der Moral. Soll das im Umkehrschluss heißen, dass die Sternenflotte in solchen Kontakten ein moralisches Problem sieht?«

»Ja, zumindest oberflächlich betrachtet.« Hugh dachte kurz nach und erwiderte dann Garfields Blick. »Diese Jungs sind keine Bobs mehr. Irgendeiner ihrer Ahnen scheint eine doppelte Dosis replikativer Abweichung abbekommen zu haben. Oder er wurde traumatisiert – möglicherweise im Krieg gegen die Anderen. Was auch immer der Grund ist, es geht ihnen nicht bloß um irgendeinen intellektuellen Standpunkt. In ihrer Besessenheit erinnern sie mich beinahe an VEHEMENT

»Na, das ist ja wirklich überhaupt nicht besorgniserregend.«

Hugh grinste mich an. »Früher oder später musste es so kommen. Aber für dieses Projekt spielt es überhaupt keine Rolle.«

»Wieso helft ihr uns?«

Jetzt war es an Hugh, die Achseln zu zucken. »Um ehrlich zu sein, finde ich die Topopolis einfach interessant. Und wir sind mit ein paar neuen neuronalen Netzen online gegangen, die sich noch unter erschwerten Bedingungen beweisen müssen. Die Prozessanforderungen in eurem Projekt sind da ein guter Testfall. Es ist also eine Win-Win-Situation.«

»Klingt gut.« Ich sah Hugh fragend an, doch er schien nichts mehr zu sagen zu haben. Also schnitt ich eine Grimasse und deutete auf den nächsten Freiwilligen. »Das ist … Locutus.«

»Ernsthaft?«, fragte Garfield ungläubig.

»Hey, mir wäre Hugh auch lieber gewesen, aber der Name scheint schon vergeben zu sein«, erwiderte Locutus.

Ich schaute ihn forschend an. Im Großen und Ganzen sah er wie ein Borg aus. Allerdings war er deutlich stärker gepanzert, als ich die gleichnamigen Wesen aus Star Trek in Erinnerung hatte. Ich deutete auf seinen Körper. »Bist du sicher, dass du das Vorbild richtig getroffen hast?«

Locutus bewegte die Arme. Dabei verschoben sich die Schulterplatten. »Da ist auch ein gewisser Steampunk-Einfluss dabei. Wir entwickeln uns weiter, weißt du?«

Gar verdrehte die Augen. »Oh Mann.«

»Wie auch immer«, sagte ich, an die übrigen Anwesenden gewandt. »Locutus und Co. gehören zu dem Team, das die Boojum-Androiden entwickelt. Zuerst werden sie an den grundsätzlichen Dingen arbeiten – dem autonomen System, der Muskelplatzierung respektive -steuerung und so weiter. Was bedeutet, dass sie ein paar wesentlich detailliertere SUDDAR -Nahfeld-Scans von den Einheimischen brauchen, als wir sie bislang vorliegen haben.«

»Bewegungsaufnahmen wären auch gut«, sagte Locutus. »Wir möchten die Mechanik fürs Gehen, Laufen und Schwimmen richtig hinbekommen. Stellt euch vor, wie es wäre, wenn wir eine Biber-Attrappe zusammenbauen, die sich wie ein Otter bewegt. Damit würden wir wahrscheinlich niemanden reinlegen.«

Damit brachte er mich und andere am Tisch zum Lachen. »Dafür können wir wahrscheinlich Videoaufnahmen von den Spionagedrohnen bekommen. Was gut ist, weil unser SUDDAR -Scan-Terminplan schon ziemlich ausgebucht ist. Sag mal, Hugh, was ist eigentlich mit eurer Idee, die Fenstervibrationen aufzuzeichnen?«

»Das läuft nicht besonders. Es gibt nicht sehr viele Orte, an denen die Bedingungen so gut sind, dass wir brauchbare Geräusche auffangen könnten. Außerdem sind die Snarks in großen Gruppen zwar sehr gesprächig, aber das lässt stark nach, je weniger sie sind. Es ist fast so, als würden sie sich gegenseitig anstacheln. Leider ist es bei größeren Gruppen schwerer, einzelne Laute zu isolieren. Und dazu kommt noch, dass es bei ihnen wesentlich weniger Glas gibt, als wir gehofft haben.«

»Das liegt wahrscheinlich an ihrer kontrollierten Umwelt«, sagte Bill. »Sie sind ja nie wirklich im Freien . Außerdem sind sie wegen ihres Fells nicht sehr anfällig für Temperaturschwankungen.«

Hugh dachten einen Moment lang nach. »Das ist zwar reine Spekulation, aber durchaus denkbar. Ich habe mir ein paar der Scans näher angesehen. Anscheinend verschließen sie ihre Fenster mit Ölpapier. Das ist viel leichter herzustellen, aber für unsere Zwecke völlig ungeeignet. All das bedeutet, dass wir stärker als erwartet von den Daten der Spionagedrohnen abhängen.«

Locutus hob eine Hand. »Hey, hört mal, was uns wirklich weiterhelfen würde, wäre Input von einem Biologen, insbesondere von einem, der mit verschiedenen Anatomien Erfahrung hat. Ich war nicht sicher, ob ich es ansprechen soll, aber …«

»Bridget?«

»Ja, das wäre echt praktisch. Ich weiß, dass sie sich in der Gesellschaft vieler Bobs nicht sehr wohlfühlt, aber …«

Ich seufzte. »Ich werde mit ihr reden, Locutus. Sonst noch was?«

Will winkte. »Ich habe einen Mann aufgespürt, der ein Experte für Megastrukturen war. Ich werde ein Treffen mit ihm arrangieren.«

»War?«

»Nun, er ist tot.«

»Ich …« Ich sah Will von der Seite an. »Moment, heißt das, er ist ein Replikant?«

»Ja. Ursprünglich hat er sich in die vulkanische Nachleben-Arkologie im Omicron2-Eridani-System zurückgezogen. Anscheinend hat er es sich kurz nach seiner Ankunft aber anders überlegt und lehrt seither in Gestalt eines Mannys wieder an der Universität. Daher muss ich versuchen, einen Termin bei ihm zu bekommen.«

»Wäre toll, wenn’s klappt.« Ich schaute mich im Raum um. »Gibt es sonst noch etwas, über das wir reden müssen?«

Der eine oder andere schüttelte den Kopf, aber niemand antwortete.

»Gut. Wenn nötig, berufe ich ein weiteres Treffen ein, aber ansonsten könnt ihr euch eure Zeit frei einteilen. Vielen Dank euch allen.«

Ein paar Millisekunden später waren bis auf Bill alle verschwunden. Da mein VR -System nun nicht mehr so ausgelastet war, reaktivierte ich Jeeves und ließ mir von ihm einen Kaffee reichen. Dann schaute ich Bill an. »Was ist los?«

»Bridget …« Er zögerte. »Locutus hat recht, dass wir sie um Rat bitten sollten, aber ich würde gern noch einen Schritt weiter gehen und sie ins Expeditionsteam aufnehmen.«

Ich zog die Augenbrauen zusammen. »Sie hat Kinder, Bill. Und Howard. Ich weiß nicht, wie gut das klappen würde. Sie müsste sie immer wieder für längere Zeit alleinlassen.«

»Das stimmt. Aber vielleicht finden sie ja eine Lösung. Oder sie erschafft einen Klon von sich.«

»Das bezweifle ich.«

»Ja, ich auch. Aber lass uns nicht gleich aufgeben. Schlag es ihr wenigstens vor.«

Ich nickte. »Das mache ich.«