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Nur für den Fall
Marcus – Juli 2334
Poseidon
Maleb stieß den Atem aus und legte das Tablet auf seinen ohnehin überfüllten Schreibtisch. »Wir leben wirklich in interessanten Zeiten, aber bist du sicher, dass du nicht ein bisschen paranoid bist?«
Maleb war der Sohn von Kal und Gina, zwei meiner engsten Freunde aus den Anfangstagen von Poseidon. Er hatte die Größe seines Vaters und die Gesichtszüge seiner Mutter geerbt. Mittlerweile kamen mir nicht mehr die Tränen, wenn ich ihn sah, doch eine Zeit lang hatte ich sie mir kaum verkneifen können. Seine Eltern waren schon lange tot, und auch Maleb kam in die Jahre, wie man an seinen ergrauten Haaren erkennen konnte. Kurzlebige . Es war das politisch unkorrekte Wort des Bobiversums, aber ich vermisste meine Freunde sehr und hatte seit ihrem Tod nur wenige neue gefunden.
»Wahrscheinlich«, erwiderte ich. »Ich weiß nur, was Howard mir erzählt hat, und der hat gar nicht selbst an der Versammlung teilgenommen, sondern alles von Will erfahren. Nachdem die Informationen um so viele Ecken herumgegangen sind, kann ich mich schon glücklich schätzen, wenn die Namen stimmen.«
Maleb nahm glucksend wieder das Tablet zur Hand. »Dann machen diese Möchtegern-Sternenflottenangehörigen also vielleicht ernst. Und wenn sie es tun, könnte es Auswirkungen auf uns haben. Was soll ich deiner Meinung nach deswegen unternehmen?«
»Das kann ich dir auch nicht genau sagen, Maleb. Aber wenn ich noch die Kontrolle über die Geräte hätte, würde ich die Software überprüfen, die Passwörter ändern und vielleicht sogar die Sicherheitsmaßnahmen in der echten Welt verstärken. Möglicherweise genügt es schon, ein paar Dinge heimlich woandershin zu schaffen. Unter den gegebenen Umständen, nun …« Ich deutete auf ihn.
»Ja, das ist mein Job. So viel ist mir klar. Hör mal, Marcus, ich bin kein Feudalherrscher. Ich kann nicht einfach nach Lust und Laune die Produktionspläne der autonomen Fabriken verändern lassen. Mittlerweile sind sie ein integraler Bestandteil unserer Wirtschaft und streng reg uliert.«
»Das ist wiederum mir klar. Aber du hast auf ein paar Gebieten einen gewissen Spielraum. Ich will dir nur einen Floh ins Ohr setzen. Denk darüber nach. Wenn du im Rahmen deiner alltäglichen Arbeit irgendwas tun könntest, das unter anderem auch unseren Zielen dient … Nun, dann wäre das vielleicht gut.«
Maleb sah mich von der Seite an. »Du redest ganz schön um den heißen Brei herum. Sind die Bürger von Poseidon etwa in Gefahr?«
Ich schüttelte den Kopf. »Körperlich nicht, glaube ich. Aber vielleicht wirtschaftlich. Schau, in Virt können sie uns nicht viel antun. Wenn irgendwas geschieht, dann in der realen Welt. Und das heißt, dass ihr die Folgen zumindest zum Teil spüren werdet.«
Er schaute ein paar Sekunden lang zur Decke hinauf, dann nickte er bedächtig. »Wenn es um Gefahrenabwendung geht, habe ich ein bisschen größere Entscheidungsspielräume. Ich muss zwar vorsichtig sein, aber ich kann dem einen oder anderen Projekt eine höhere Priorität einräumen.«
»Das ist alles, worum ich dich bitte.«
Damit hatte ich also schon mal einen auf meiner Liste überzeugt, aber ich musste noch viele weitere Gespräche führen. Ich fragte mich, wie die anderen Bobs mit ihren Kontakten vorankamen.
Der Empfangsbereich vor Malebs Büro wurde von bodentiefen Fenstern dominiert, durch die man auf New Tharks Fibrex-Kuppel blickte. Als ich kurz stehen blieb, um hinauszuschauen, sahen ein paar von Malebs Mitarbeitern zu mir auf. Es war interessant, wie sich die Gesellschaft ständig weiterentwickelte. Nach den Mattenkriegen hatten sich die meisten Leute auf Telearbeit verlegt, doch inzwischen zog es immer mehr in die Büros zurück. Anscheinend hatten sie sich einsam gefühlt und die körperliche Nähe zu ihren Kollegen vermisst. Dazu kam natürlich, dass es mittlerweile kaum noch Stoßverkehr gab und durch den Arbeitsweg keine nennenswerten wirtschaftlichen und sozialen Kosten mehr entstanden.
Ich riss mich mit einem Kopfschütteln aus meinen Grübeleien und konzentrierte mich wieder auf die Aussicht. In mittlerer Entfernung trieb eine Matte auf dem ruhigen, unfassbar blauen Ozean. Auf einer Seite ragte eine Stadt empor. Ich hätte ihren Namen nachschauen können, doch die Mühe lohnte sich nicht. Heutzutage wurden die Matten ausschließlich für industrielle oder landwirtschaftliche Zwecke genutzt und standen in der Regel unter der Verwaltung verschiedener Städte, die auch die Eigentumsrechte an ihnen hielten. Abgesehen von wenigen Eremiten im selbstgewählten Exil lebte niemand auf ihnen. Die technischen Verteidigungsanlagen hielten die Meeresraubtiere so gründlich fern, dass mangels Fressfeinden ein ganz neues Ökosystem auf den Matten heranreifte. Bridget, Howards Frau, hatte uns schon ein paarmal besucht, um es zu erforschen.
Ich drehte mich um und begab mich auf den Weg zur Transitstation. Die Bobs unterhielten im Poseidon-System immer noch einige Industrieunternehmen. Wir machten kein großes Getöse um sie, und sie tauchten auch nicht in den offiziellen volkswirtschaftlichen Berechnungen auf. Dennoch mussten sie ebenfalls auf Sicherheitslücken überprüft werden.
Ich schickte Guppy eine Nachricht, in der ich ihn darum bat, mir die Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse zu schicken. Ich würde mich schon bald selbst darum kümmern müssen, doch im Moment genoss ich die Sonne, und der ringförmige Grasstreifen am Rand von New Thark schrie geradezu danach, dass ich meinen Allerwertesten auf ihm niederließ.