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Zeit für Panik

Bob – Juli 2334

Drei Lagunen

Das war einfach nicht möglich. Selbst wenn es einem theoretischen Gegner gelungen wäre, auf einen Schlag jeden meiner drei Freunde zu erledigen, hätte er nur die Mannys, aber nicht die eigentlichen Personen erwischen können. Inzwischen hätten sich Bill, Garfield und Bridget längst bei mir melden und mich vor wem oder was auch immer warnen müssen.

Außer …

Außer er oder es hatte tatsächlich Bill, Garfield und Bridget beseitigt. Doch die waren nicht nur von mir, sondern auch voneinander durch mehrere Lichtjahre getrennt. Das alles ergab überhaupt keinen Sinn.

Ich schickte eine kurze Nachricht an Bill. Oder versuchte es wenigstens. Ich erhielt eine Mitteilung, dass einen Übertragungsfehler gegeben habe. Das bedeutete, dass die Kommunikation unterbrochen war.

Ich musste herausfinden, wie groß der Schaden war. »Guppy, überprüfe die Kommunikationsanbindung an das restliche BobNet.«

[Keine Verbindung.]

Oh, verdammt. Ohne eine funktionierende Kommunikation wurden die drei Mannys von ihren KMI s gesteuert und waren auf Stand-by geschaltet. Ich stützte mich auf die Ellbogen und barg den Kopf in den Händen. Dann erteilte ich meiner KMI ein paar einfache Anweisungen und kehrte in die VR zurück, wo Guppy wie immer in Rührt-euch-Stellung auf mich wartete.

»Kannst du herausfinden, wo die Kommunikation unterbrochen wurde?«

[Die Midway-Relaisstation reagiert zwar auf Pings, weigert sich aber, eine Verbindung aufzubauen.]

Ha. Das war nicht gut. Doch darüber konnte ich mir im Moment keine Gedanken machen. Ich wählte mich in die Adresse von Bridgets Manny ein und überprüfte seinen Status. Wie erwartet wurde er von der KMI gesteuert und befand sich im Stand-by-Modus.

Eins nach dem anderen. Als Erstes musste ich die Mannys aus der Stadt schaffen. Als ich mich in Bridgets Manny versetzte, fand ich mich in einer Bibliothek oder einem Bucharchiv wieder. Vielleicht war es auch ein Buchladen. Auf jeden Fall ein Ort, an dem es Bücher gab. Ich erteilte der KMI ein paar simple Befehle, wartete einen Moment, um sicherzugehen, dass sie darauf reagierte, und zog mich wieder zurück. Der Manny würde zum Hafen gehen, ins Wasser springen und tiefer hinabtauchen, als es einem Quinlaner möglich war. Wenn ihm unterwegs etwas widerfuhr, mit dem er nicht allein fertigwurde, würde er mich anpingen.

Ein paar Sekunden später hatte ich das Gleiche auch mit Garfields, Bills und meinem Manny getan. Im Moment war es das Wichtigste, die Androiden aus der Gefahrenzone zu schaffen. Wenn sie beschädigt oder gefangen wurden, war unsere Expedition vorbei, und wir würden Bender vielleicht nie wiederfinden.

Ich wartete ein paar Minuten lang, bis die Mannys den Fluss erreicht hatten und hineinsprangen. Erst als alle vier meldeten, dass sie ihre Parkpositionen eingenommen hatten, konnte ich mich wieder ein wenig entspannen. Ich versetzte sie erneut in den Stand-by-Modus und wandte mich zu Guppy um. »Okay, was hast du bis jetzt herausgefunden?«

[Die hiesige Station operiert innerhalb normaler Parameter. Die Midway-Station verweigert dagegen mit Ausnahme von einfachen diagnostischen Pings jegliche Kontaktaufnahme.]

Er meinte die Relaisstation, die ich auf halber Strecke zwischen Delta Eridani und Eta Leporis eingerichtet hatte. Immerhin war sie nicht zerstört. Hatte sie eine Fehlfunktion?

»Hast du irgendwelche Diagnosedaten?«

[Negativ. Die Station weigert sich kategorisch, eine Diagnose durchzuführen.]

Das war wirklich eigenartig. Die Pings wurden auf einer sehr niedrigen Ebene und ohne Beteiligung der KMI verarbeitet, ein expliziter Befehl hätte dagegen …

Allmählich bekam ich ein extrem schlechtes Gefühl bei der Sache. Bislang war es allerdings nur eine vorläufige Theorie.

»Kannst du ein Reset erzwingen, Guppy?«

[Negativ.]

»Funktioniert die Drohne noch, die ich als temporäre Station verwendet habe?«

[Bestätigt. Sie befindet sich im Stand-by, ist aber nach wie vor noch einsatzbereit.]

»Fahr sie bitte hoch.«

[Erledigt.]

Sobald das SCUT -Signal stand, pingte ich Bill an. Obwohl das Kommunikationsprotokoll eine sichere Verbindung anzeigte, erhielt ich ein paar Millisekunden lang keine Reaktion. Dann kam ein reines Audiosignal herein.

»Wir haben hier ein Problem, Bob. Wie geht es dir? Wo sind unsere Mannys?«

»Ich habe sie alle am Grund des Flusses geparkt. Sie sind in Sicherheit. Was ist denn los?«

»Mehr als die Hälfte unserer Raumstationen sind abgeschaltet und verweigern jede Kontaktaufnahme. BobNet versucht, die Signale umzuleiten, aber viele Standorte sind immer noch offline. Ich koordiniere hier alles. Im Moment versuchen wir noch, uns einen Gesamtüberblick zu verschaffen.«

»Verstanden. Hast du Bridget erreicht?«

»Nein. Quilt ist einer der Knotenpunkte, die wir nicht erreichen. Garfield ist gerade dabei, eine Karte des Netzwerks zu erstellen, damit wir wissen, auf welche Bereiche wir uns vor allem konzentrieren müssen.«

»Was ist mit den Skippys?«

»Hugh hat mich bereits kontaktiert«, erwiderte Bill. »Er hat die Expedition überwacht und ist auf einmal rausgeworfen worden. Ich habe versprochen, ihm Bescheid zu geben, sobald ich irgendetwas herausfinde.«

»Okay, Bill. Sag ihm, dass ich wieder da bin, und halt mich auf dem Laufenden.«

»Hey, sag mal, wie kannst du überhaupt kommunizieren?«

»Erinnerst du dich noch an die Drohne, die ich auf halber Wegstrecke ausgesetzt und als vorläufiges SCUT -Relais verwendet habe? Ich habe sie reaktiviert. Sie hat nicht genug Bandbreite für Manny- oder VR -Verbindungen. Deswegen seid ihr aus dem Rennen, solange wir die Hauptstation nicht zum Laufen bringen. Aber immerhin können wir miteinander sprechen.«

»Hmm. Praktisch. Befindet sie sich in der Nähe der Midway-Station?«

»Natürlich. Schließlich habe ich sie beide für denselben … Ach ja.« Mir wurde klar, worauf Bill mit seiner Frage abzielte. Die Drohne konnte zur Station hinüberfliegen, um sie zu inspizieren, und gegebenenfalls vielleicht sogar Schäden reparieren, da ich sie mit Roamern ausgestattet hatte.

Bill und ich machten zum Abschied noch aus, uns gegenseitig über Neuigkeiten zu informieren. Dann gab ich Guppy den Befehl, die Drohne loszuschicken.

[Die voraussichtliche Transitzeit beträgt sechs Wochen.]

Na ja, in Anbetracht der interstellaren Entfernungen war das nur ein Katzensprung. Ich hatte den beiden Geräten dieselben Zielkoordinaten mitten zwischen den beiden Systemen gegeben. Die relativ geringe Entfernung zwischen ihnen war eine Folge minimal unterschiedlicher Steuermanöver.

Was sollte ich in der Zwischenzeit tun? Da meine Relais-Drohne keine VR - oder Manny-Sitzung zuließ, konnte ich Bill und die anderen genauso wenig besuchen, wie sie mir mit den Mannys helfen konnten. Bis die Drohne die eigentliche Relais-Station erreichte, waren mir mehr oder weniger die Hände gebunden.

Also verband ich mich mit meinem Manny und schlug unter Wasser die Augen auf, die Hände fest um irgendwas Unidentifizierbares geklammert. Die anderen drei Mannys schwebten in ähnlichen Positionen neben mir. Also hatten die KMI s es tatsächlich geschafft. Hoffentlich würden sich die Bewohner von Drei Lagunen nach diesem Vorfall keine Legenden über durch die Stadt wankende Zombie-Quinlaner erzählen.

Es würde schwieriger sein, alles allein zu erledigen. Ohne die anderen würde ich viel mehr herumlaufen müssen. Vielleicht konnten mir die Roamer aushelfen …

Ich schickte einen Befehl an die anderen drei Mannys, ihre Münder zu öffnen. Jeder von ihnen spuckte vier Ein-Zoll-Roamer aus. Da ich in meinem Inneren für all die zusätzlichen mechanischen Diener nicht genug Platz hatte, wies ich sie an, sich in meinem Fell zu verkrallen.

Anschließend schwamm ich zum Steg und stellte mich in der Schlange der Quinlaner an, die die Rampe hinaufstiegen. Nachdem ich fünf Minuten lang jeden Passanten ausgefragt hatte, kannte ich die Namen und ungefähren Positionen sämtlicher Pubs in der Umgebung. Das war zwar noch kein ausgefeilter Plan, aber immerhin ein Anfang. Und Kneipengespräche waren nach wie vor die einzige nützliche Informationsquelle, die wir bislang aufgetan hatten.

Ich brauchte fast einen ganzen Tag, um alle Lokale zu besuchen, mich darin umzuschauen und in jedem diskret ein oder zwei Roamer zu platzieren. Dafür brauchte ich zwölf Stück. Zwei weitere versteckte ich in der örtlichen Stadthalle. Damit behielt ich noch zwei in Reserve.

Bill hätte einen Anfall bekommen, wenn er davon gewusst hätte. Die Roamer waren unersetzliche Hilfsmittel, deren Verlust auch die Mannys gefährden konnte. Doch es war an der Zeit, den Einsatz zu erhöhen.

Als ich alles erledigt hatte, zog ich mich in unser Hotelzimmer zurück. Es war wirklich deutlich besser als die Löcher, in denen wir bisher gehaust hatten. Ich suchte den Wirt auf und zahlte für eine Woche im Voraus, um sicherzustellen, dass er uns in der Zwischenzeit nicht belästigte.

Ich wartete bis zum Anbruch der Dunkelheit. Dann steuerte ich die Mannys einen nach dem anderen aus dem Fluss ins Hotelzimmer. Nun waren wir alle zusammen. Mehr oder weniger. Wenn der Kommunikationsausfall nicht von selbst endete, würde ich mir etwas einfallen lassen müssen. Ich konnte nicht vier Mannys wie Schafe von einer Stadt zur nächsten treiben. Also würde ich wohl oder übel hier in Stellung gehen müssen.

Drei Lagunen. Kein Witz. Da ich bereits ein paar hiesige Festivals besucht hatte, wusste ich, dass die Quinlaner ziemlich kreativ waren, doch das galt nicht für ihre St ädtenamen. Andererseits waren die Ortsnamen der Menschen auch nicht immer sehr einfallsreich gewesen. Ich erinnerte mich an einige Straßen aus dem zwanzigsten Jahrhundert, die Main, Broadway oder East First geheißen hatten. Andere wiederum waren einfach nach den Stadtvätern benannt worden.

Ich zog ein finsteres Gesicht. Offenkundig war ich in ziemlich mieser Stimmung, aber immerhin befand sich nun alles dort, wo es sein sollte. Die Roamer würden sämtliche Gespräche in ihrem Umfeld aufzeichnen, und Guppy würde sie zur Analyse an die Skippys weiterleiten. Die Übertragung würde fast die gesamte Bandbreite der Drohne beanspruchen, aber ich hatte das Gefühl, dass es sein musste. Hugh würde mir Bescheid geben, wenn sie auf irgendetwas Wichtiges stießen. Bis dahin blieb mir nichts anderes übrig, als zu versuchen, mich zu entspannen.

Ich legte meinen Manny ins Bett und kehrte in meine VR -Bibliothek zurück. Ein schneller und ziemlich unnötiger Statuscheck sämtlicher Roamer ergab nichts Ungewöhnliches. Also ließ ich einen Kaffee erscheinen und machte es mir auf meinem La-Z-Boy bequem.

Bridgets Stimme riss mich aus meiner Konzentration: »Hi, Bob.«

»Bridget! Bill hat gesagt, Quilt wäre offline. Wie bist du …?«

»Howard kann es dir genauer erklären, aber offenbar schickt er das Signal auf einem langen Umweg durch das ursprüngliche Heimatsystem der Paven.«

»Ernsthaft? Das ist wirklich ein langer Umweg.« Wie ein Flug von New York nach Miami via Hongkong. Aber so funktionierten Router nun mal. »Ich bin auf jeden Fall froh, von dir zu hören. Leider kannst du mit dieser Verbindung deinen Manny nicht steuern. Meine Relaisstation ist zu klein.«

»Das hat Bill mir schon erklärt. Aber ist sie gut genug, um ein Back-up zu übermitteln?«

»Ja, allerdings nicht in einem vernünftigen Zeitraum. Aber ich stelle im Moment ohnehin keine Matrizen her. Die stehen nicht hoch genug auf meiner To-do-Liste. Ich habe mich bis jetzt darauf konzentriert, unseren Vorrat an Spionagedrohnen zu erhöhen. Wieso? Denkst du übers Klonen nach?«

»Nein, so weit bin ich noch nicht. Ich gehe nur alle Optionen durch. Im Grunde hoffe ich vor allem, dass du bald eine Lösung für dieses Problem findest.«

»Wir sind dran, aber das wird noch eine Weile dauern. Ich werde so bald wie möglich ein paar Matrizen produzieren. Gleichzeitig bin ich damit beschäftigt, die Midway-Station wieder online zu bringen. Wir werden sehen, was als Erstes klappt.«

Ich erhielt einen Ping von Hugh und schickte ihm eine Bitte-warten- Antwort. »Ganz schön viel los heute. Hugh will mit mir reden. Hör mal, Bridget, selbst wenn wir die Station zurückbekommen, müssen wir darüber nachdenken, vor Ort Replikanten einzusetzen, damit wir nicht mehr so verwundbar sind. Denk bitte darüber nach, okay? Für alle Fälle.«

»Okay, Bob.« Bridget beendete die Verbindung.

Unmittelbar darauf erklang Hughs Stimme. »Hey.«

»Hallo, Hugh. Was gibt’s?«

»Ich habe mit Bill gesprochen. Die Kommunikationsausfälle sind offenbar weiter verbreitet als vermutet. Das Ganze scheint eine langwierige Angelegenheit zu werden. Bill und Gar werden wahrscheinlich nicht sofort zur Expedition zurückkehren können, selbst wenn wir deine Haupt-Relaisstation wieder online kriegen. Du musst darüber nachdenken, vor Ort Matrizen …«

»Bin bereits dabei, Hugh. Ich werde Guppy befehlen, drei neue zu produzieren. Aber ich glaube, dass sie selbst im günstigsten Fall fertig sein müssen, bevor ich mein Relais wiederhabe. Ich werde mich also wahrscheinlich selbst klonen müssen, so sehr mir diese Vorstellung auch missfällt.«

»Nun, ich könnte mich selbst rüberschicken und dir die Mühe ersparen.«

»Dafür ist verdammt viel Bandbreite nötig. Es könnte Tage dauern und währenddessen die ganze Zeit die Kommunikation stören. Das scheint mir nicht die beste Alternative zu sein. Und letzten Endes würdest du hier feststecken. Ich bin wenigstens schon hier, wenn du verstehst, was ich meine.«

»Bist du sicher? Es macht mir wirklich nichts aus.«

»Wenn alles klappen würde, wäre es großartig, aber es erscheint mir wie gesagt suboptimal.« Ich machte eine Pause. »Ich muss sagen, deine Einstellung zu diesem Projekt hat sich ganz schön verändert. Anfangs hast du es doch bloß für eine interessante Übung gehalten.«

»Ja, aber ich habe erkannt, dass es mehr als nur ein Spaziergang ist. Um ehrlich zu sein, bin ich ein bisschen eifersüchtig, wenn ich mir ansehe, was ihr alles erlebt. Ich weiß, dass es eine ernste Angelegenheit ist, aber …«

»Aber es macht auch viel Spaß«, beendete ich den Satz für ihn. »Ja, ich verstehe, was du meinst. Und ich bin dankbar für das Angebot, vor allem, wenn es mir eine neue Kohorte ersparen würde.«

Wow. Die Dinge änderten sich schnell. Sobald Hugh sich ausgeloggt hatte, wies ich Guppy an, die Herstellung dreier Matrizen ganz oben auf die Prioritätenliste zu setzen. Angesichts des Materialmangels im System würde es zwar eine Weile dauern, aber die drei Replikanten würden sich so oder so bezahlt machen.

Alles in allem war Drei Lagunen eine angenehme Stadt. Breite, saubere Straßen, ein gemächliches Tempo und keine übereifrigen Polizisten. Selbst das Essen schmeckte ein bisschen besser, als ich es bislang gewohnt war. Leider gab es zwar immer noch Fisch, doch die hiesigen Köche schienen ein paar innovative Gewürze entdeckt zu haben, wie zum Beispiel, äh, Salz.

Ich wanderte scheinbar ziellos durch die Stadt und sah mir die Sehenswürdigkeiten an. Tatsächlich kartierte ich jedoch alles und schritt sämtliche Straßen, Pfade und Gassen mindestens einmal ab. Für den Fall, dass ich in Schlägereien verwickelt oder angegriffen wurde, hatte ich eins der konfiszierten Messer in den Rucksack gepackt. Doch alles blieb ruhig.

Schließlich ging ich in die Bibliothek, die Bridget entdeckt hatte, und beschloss, den Nachmittag dort zu verbringen. Sie verwendeten zwar kein Dewey-Ordnungssystem, doch immerhin waren die Bücher grob nach Themengebieten sortiert. Ich entdeckte einen historischen Bereich, schnappte mir ein paar Bücher und ließ mich zum Lesen nieder.

[Bridget ersucht um ein Treffen.]

Ich zuckte zusammen, als die Ankündigung in meinem internen Audiosystem erklang. Ein paar der anderen Bibliotheksbesucher sahen mich fragend an. Ich erwiderte ihre Blicke mit einem Lächeln und sagte: »Flöhe.«

Sie zogen die Augenbrauen zusammen und versuchten, möglichst unauffällig von mir abzurücken. Tja. Offensichtlich war ich nicht sonderlich beliebt.

»Danke, Guppy. Gib ihr Bescheid, dass ich mich in ungefähr einer Stunde zurückmelde.«

[Bestätigt.]

Ich widmete mich wieder meiner Lektüre, wobei ich mir Mühe gab, nicht allzu schnell zu lesen. Trotzdem erweckte ich vermutlich den Eindruck, als würde ich nur die Bilder anschauen.

Als ich fertig war, gab ich die Bücher beim Bibliothekar ab und kehrte ins Hotel zurück. Dort angekommen überprüfte ich das Fenster und die Tür und stellte sicher, dass mein Roamer sich immer noch an Ort und Stelle befand. Dann legte ich mich hin und verließ den Manny.

Bridget wartete ungeduldig in einem Videofenster in meiner VR auf mich. Die kleine Station ermöglichte zwar audiovisuelle Kommunikation, aber keine komplette VR -Verbindung. Womit wir wieder zurück bei VR 1.0 waren.

Eine Spike-Version, wahrscheinlich Howards, hatte es sich auf ihrem Schoß gemütlich gemacht und schnurrte so laut, dass ich sie hören konnte. »Also, was haben wir?«, fragte Bridget, ohne sich lange mit Begrüßungsfloskeln aufzuhalten.

»Ziemlich viel. Während ich die Bücher las, habe ich sie auf Video aufgenommen, aber ich kann dir auch eine Kurzzusammenfassung geben.«

Bridget nickte und legte Spike auf den Ottomanen in ihrer VR . Die Katze sprang jedoch beleidigt von dem Sitzmöbel runter und verließ den Raum. Bridget öffnete derweil ein paar Fenster mit den Büchern, die ich aufgezeichnet hatte.

»Ich habe noch kein umfassendes Bild«, sagte ich, »aber die Kolonisierung von Himmelsfluss verlief nicht in geordneten Bahnen. Vermutlich geschah sie zeitgleich mit der Zerstörung des Planeten.«

»War Himmelsfluss da bereits fertiggestellt?«

»Ja. Es heißt, dieser ANEC , von dem du bereits gelesen hast, habe die Topopolis den Quinlanern geschenkt. Vielleicht hat er sie damit auch bestochen. Doch kaum befan den die Quinlaner sich in Himmelsfluss, haben sie ANEC entweder den Gehorsam verweigert oder ihn verraten. Zur Strafe hat ANEC ihnen den Wohlstand genommen und strenge Regeln erlassen. Jeder, der gegen sie verstößt, wird verstreut . Was übrigens genau das bedeutet, was wir gedacht haben: die Zwangsumsiedlung an irgendeinen anderen Ort. Es kann Einzelne, Familien und sogar ganze Städte treffen. Und alle werden voneinander getrennt.«

»Das ist eine besonders schlimme Form der Verbannung, da man nie zurückkehren kann und nicht einmal weiß, ob die anderen noch daheim sind.« Bridget dachte einen Moment lang schweigend darüber nach. »Faszinierend. Eine komplett gewaltfreie, aber hocheffektive Methode. Wirklich interessant.«

»Ja. Vom Bibliothekar habe ich erfahren, dass es früher Langstreckenkommunikation und Hochgeschwindigkeitsverbindungen zwischen den verschiedenen Teilen der Megastruktur gegeben habe, aber die seien als Teil der Bestrafung abgeschafft worden.«

»Weißt du irgendetwas über die Bevölkerung?«

»Nichts Genaues, aber der Bibliothekar – der übrigens einer Dynastie von Archivaren entstammt – sagte, dass Quin laut der mündlichen Überlieferung aus allen Nähten geplatzt sei. Lass uns davon ausgehen, dass es zehn Milliarden waren. In Himmelsfluss wären das zehn Personen pro Meile. Wenn eine Stadt einen fünfzig Meilen langen Flussabschnitt kotrolliert, hat sie demzufolge rund fünfhundert Einwohner. Das erscheint mir ein bisschen wenig, aber vielleicht ist die Bevölkerung während der letzten, äh, hundert bis fünfhundert Jahre gewachsen.«

»Das ist eine ziemlich große Spanne.«

»Stimmt, Bridget, aber ohne Sterne oder Jahreszeiten kann man die Zeit schnell aus den Augen verlieren.«

Bridget nickte und betrachtete ein paar Sekunden lang ein Buchfenster. »Die Sache ist die, Bob, wenn die Verwaltung sich berufen fühlt, die Quinlaner um jeden Preis am Leben zu erhalten – und genau danach sieht es aus –, dann werden sie fremde Spione vermutlich nicht mit offenen Armen willkommen heißen. Ich habe darüber nachgedacht, an die Öffentlichkeit zu gehen, aber jetzt halte ich das nicht mehr für eine gute Idee.«

»Ja, ich stimme dir zu. Sie scheinen die verstörende Neigung zu haben, erst alles in die Luft zu sprengen und anschließend die Fragen zu stellen. Für sie wäre es wohl das Sicherste, uns einfach zu erledigen.«

»Bis deine Klone fertig sind, bist du vorerst also auf dich allein gestellt.«

Ich seufzte. »Gerade als ich dachte, ich bin raus …«