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Strategien

Bob – Juli 2334

Am Rand von Eta Leporis

Wir saßen mit Getränken in der Hand in meiner VR -Bibliothek und dachten über die Zukunft nach. Garfield, Hugh, Bill und Bridget waren nicht wirklich da, sondern nur in Videofenstern zu sehen – noch dazu in ziemlich niedriger Auflösung, die zwar etwas besser als bei Minecraft war, aber auf keinen Fall Spielfilmqualität hatte. Meine provisorische Relaisstation war mit diesem Treffen maximal ausgelastet.

Bridget starrte ins Leere und drehte nachdenklich ihr Glas in den Händen. Keiner wollte sie in ihren Überlegungen stören. Mit einem Mal beugte sie sich vor. »Ich muss zugeben, dieser Gedankengang ist ziemlich metaphysisch und spekulativ, aber was ist, wenn es nur ein Ich gibt? Stellt euch vor, ich werde vom Netz genommen, und jemand macht ein Back-up von mir und speichert es offline ab. Und später wird der Prozess umgedreht, und das Back-up wird in meine ursprüngliche Matrix hochgeladen.«

Hugh schaute Bridget sichtlich überrascht an. »Der ähnlichste Fortsetzer. Die Idee, dass immer nur eine Bridget existieren wird. Dann liegt Kontinuität vor.«

»Wie bei den Star Trek- Protagonisten, wenn sie gebeamt werden«, warf Garfield ein.

»Ihr dürft euch wirklich nicht immer an Star Trek festklammern«, erwiderte Bridget. »Obwohl es in diesem Fall ein guter Vergleich ist. Sie wurden in ihre Einzelteile zerlegt, richtig?«

Ich machte eine vage Geste. »Die Macher der Serie haben hin und wieder versucht, diesen Eindruck abzuschwächen, wie in der Folge, in der Barclay festgestellt hat, dass die Crew im Materiestrom …«

»Aber in der Thomas-Riker-Episode wurde einfach ein neuer Riker geschaffen«, entgegnete Garfield. »Das widerspricht ganz offensichtlich der Vorstellung von einer einzigartigen Seele.«

Bridget verzog das Gesicht und ließ sich zurücksinken, während wir immer mehr in Fahrt gerieten.

»Außer bei dem Prozess wird auch die Seele dupliziert …«, sagte Hugh.

»Das sind nur Quantenzustände«, fiel Garfield ihm ins Wort.

»Aber woher kommt die Seele eines Neugeborenen?«, fragte ich. »Wenn es so etwas wie eine Seele gibt, kann sie erschaffen werden, also …«

»Meine Güte!«, rief Bridget aus. Unser Gespräch erstarb. »Es tut mir leid, dass ich es erwähnt habe.« Sie verschränkte die Arme und wandte den Blick ab. Sie war sichtlich wütend.

Ungefähr eine Millisekunde lang herrschte unbehagliches Schweigen, dann murmelte Garfield: »Das sind trotzdem bloß alles Quantenzustände.«

»Ja, aber man könnte auch …« Als ich Bridgets Blick bemerkte, mit dem sie in Real den Lack von meinem Schiffsrumpf hätte abbeizen können, unterbrach ich mich. »Okay, na schön. Können wir dann weitermachen?« Da niemand Einwände erhob, fuhr ich fort. »Wir sind wieder eine vierköpfige Gruppe. Zumindest prinzipiell. Bis die Kommunikation steht, könnt ihr nur zuschauen, aber das hilft auch ein bisschen. Ich observiere mehrere Orte mit Roamern und leite ihre Aufzeichnungen zur Analyse an Hugh weiter. Aber vielleicht bemerken wir schneller etwas, wenn wir sie in Echtzeit auswerten.«

»Ich werde mit dem Kommunikationsthema ziemlich ausgelastet sein«, sagte Bill. »Will wird für mich einspringen. Wenn ich eine Sitzung verpasse, bringt er mich anschließend auf den neuesten Stand.«

Hugh schnitt eine Grimasse. »Ich habe ja bereits erwähnt, dass ich das gern übernehme.«

»Schon gut, Hugh. Will ist der offizielle Back-up-Bob, und er hat Zeit. Aber du kannst natürlich auch gern an den Sitzungen teilnehmen. Schließlich gehörst du zum Team.« Mit diesen Worten nickte er Hugh zu und verschwand.

Als Bill weg war, beugte Hugh sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. Einen Moment lang wirkte er frustriert, doch dann glätteten sich seine Gesichtszüge. »Dann kommen wir mal zu unseren Überwachungsmaßnahmen: Wir haben Hinweise auf eine Organisation in Drei Lagunen entdeckt. Nichts Offensichtliches – niemand spricht davon, etwas in die Luft zu jagen oder so. Aber die wiederkehrenden Gespräche, bei denen immer wieder die gleichen Umschreibungen verwendet werden, zeigen, dass etwas im Busch ist. Ich habe die entsprechenden Personen markiert, und die Gesichtserkennung wird uns informieren, sobald einer von ihnen von einer Kamera erfasst wird.«

»Hat irgendwer eine Ahnung, wie viele verschiedenen Organisationen es gibt?«, fragte Bridget. Ihr unvermittelter Kommentar überraschte uns alle, da sie sich eigentlich aus dem Gespräch ausgeklinkt zu haben schien.

Sogar Hugh musste sich kurz fassen, ehe er antwortete: »Höchstwahrscheinlich mehr als eine. Es gibt zwei deutlich voneinander unterscheidbare Dialogmuster. Ich tippe auf zwei, aber es könnten auch drei oder sogar vier sein.«

»Gut«, erwiderte Bridget. »Wir verstehen zumindest die Motivation zweier verschiedener Organisationen – der Verwaltung und des Widerstands.«

Hugh nickte mit erhobenen Augenbrauen. »Gut analysiert. Ich sehe es genauso. Wollen wir sie weiter observieren oder lieber auf den Busch klopfen und sehen, was darunter hervorkommt?«

»Wir wissen immer noch nicht, wo Bender sich befindet«, erwiderte ich. »Wenn wir alles auf eine Karte setzen, riskieren wir vielleicht die Chance, ihn zu finden.«

»Oder verbessern sie erheblich«, sagte Bridget. »Wenn die Gruppe oder die Gruppen über ein globales Kommunikationsnetz verfügen, können wir möglicherweise herausfinden, ob Bender sich irgendwo in Himmelsfluss aufhält. Falls sie keines haben, bekommen wir wenigstens keine Schwierigkeiten in anderen Städten, wenn wir in Drei Lagunen auffliegen.«

»Und eine sequenzielle Suche auf einer Strecke von einer Milliarde Meilen steht immer noch völlig außer Frage«, fügte Garfield hinzu. »Vor allem jetzt, da du auf dich allein gestellt bist, Bob. Zumindest körperlich gesehen. Ich wüsste nicht, wie du die Expedition unter diesen Umständen in der bisherigen Weise fortsetzen könntest.«

»Wahrscheinlich muss ich mich klonen. Diese Entscheidung treffe ich, sobald die neuen Matrizen fertig sind.«

»In der Zwischenzeit bist du allein. « Garfield schüttelte den Kopf. »Während du auf die Matrizen wartest, wirst du nicht viel schaffen. Wenn du ein bisschen auf den Busch klopfst, bist du wenigstens beschäftigt.«

»Okay, du hast recht. Wollen wir darüber abstimmen?«

Offenbar waren alle dafür, dass ich mich am Busch zu schaffen machte.