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Absichtlich verlieren
Bob – Juli 2334
Drei Lagunen
Ich musste mir eingestehen, dass ich nicht sehr gut darin war, auf den Busch zu klopfen. Bislang waren wir prima damit gefahren, uns gemeinsam in der Öffentlichkeit zu zeigen. Doch ohne die Midway-Station war das nicht machbar. Oder etwa doch?
Wir mussten nur lange genug im Freien unterwegs sein, um erkannt zu werden. Die KMI s konnten eine Anweisung wie »Bob folgen« durchaus umsetzen. Falls es tatsächlich Fahndungsholzschnitte von uns gab, sollte das genügen.
Ich saß in unserem nach wie vor überraschend geräumigen Hotelzimmer und wechselte stumme Blicke mit den anderen drei Mannys. Die KMI s waren zwar keine Genies, aber sie waren in der Lage, einfache Befehle zu befolgen, solange sie dabei nicht sprechen mussten. Die anderen waren gut genug mit ihren Mannys verbunden, um ihnen Sprachkommandos zu erteilen und ihren audiovisuellen Input zu empfangen. Für die derzeitige Mission reichte das, doch auf lange Sicht würde es nicht funktionieren.
Ich glaubte zu spüren, wie mir die restliche Crew über die Schulter schaute. Das war natürlich Unsinn, aber es fühlte sich tatsächlich so an. Nach einer Weile stand ich auf. »Donnerwetter, ihr seid wirklich ein gesprächiger Haufen. Lasst uns loslegen, okay?«
»Geeeeeehirne …«, sagte Garfields Manny.
Die anderen Mannys erhoben sich ebenfalls. Ich öffnete die Tür, und wir traten mit hängenden Köpfen hinaus – wie eine Sträflingskolonne auf dem Weg zu einem harten Arbeitstag. Bridget hatte vorgeschlagen, zur hiesigen Bibliothek zu gehen, da unsere Beobachter sie aufgrund unseres bisherigen Verhaltens wahrscheinlich observierten. Das war ein guter Plan, änderte aber nichts an meinem Gefühl, dass wir uns wie Lämmer der Schlachtbank näherten.
Auf halbem Weg zur Bibliothek stellte sich heraus, dass Bridget die richtige Idee gehabt hatte. »Ihr werdet verfolgt«, meldete Will über das Interkom.
»Gut«, erwiderte Bridget. »Vielleicht ist dieses Chaos ja doch für irgendwas gut.« Sie verstummte kurz. »Ich sehe sie. Meinst du die beiden Männer ungefähr zwanzig Meter hinter uns?«
»Äh, nein«, sagte Garfield verwirrt. »Ein Mann und eine Frau, die neben uns hergehen.«
Es kostete mich einige Mühe, nicht die Augen zu verdrehen. »Hervorragender Plan, Bridget.«
Sie antwortete nicht, und ich merkte, wie sich mein Mund zu einem leisen Lächeln verzog.
»Sie gehören nicht zusammen«, sagte Will. »Ihre Bewegungen sind überhaupt nicht aufeinander abgestimmt. Weder nehmen sie euch in die Zange, noch halten sie einen gleichmäßigen Abstand. Wenn überhaupt, scheint die eine Gruppe die andere zu verfolgen.«
»Vielleicht können wir uns das später noch zunutze machen. Fürs Erste sollten wir uns weiterhin ahnungslos geben.« Ich demonstrierte, was ich meinte, indem ich langsamer wurde und die Auslagen in einem Schaufenster betrachtete. Wahrscheinlich verhielt ich mich ein bisschen zu unauffällig, andrerseits konnte ich das selbst schlecht beurteilen.
Die Stelle zwischen meinen Schulterblättern begann zu jucken. Ich sagte mir, dass sie nicht alle Pistolen haben konnten, schaffte es aber nicht, mich mit diesem Gedanken zu beruhigen. Auch ein Wurfmesser konnte uns Schaden zufügen. Unwillkürlich fing ich an, mich aus den Augenwinkeln nach meinen Verfolgern umzusehen und entdeckte beide Gruppen fast sofort.
Nun kam der riskante Teil. Ich selbst hatte zwar kein Problem damit, erwischt zu werden, doch das galt nicht für die anderen drei, weil unbemannte Mannys bei unseren Häschern einige Fragen aufwerfen würden. Zum Glück hatten wir für diese Situation vorgesorgt. Ich drehte mich um und steckte mit den anderen die Köpfe zusammen. Ein paar Sekunden später gingen sie in bewusst gemächlichem Tempo in die Richtung zurück, aus der wir gekommen waren. Ich selbst marschierte derweil weiter und versuchte, mit jeder Haarspitze große Entschlossenheit zu demonstrieren.
»Eine der beiden Gruppen schien kurz zu überlegen, den anderen Mannys zu folgen, doch dann haben sie wohl entschieden, dass du ein leichteres Opfer abgibst«, sagte Bridget. »Beide Gruppen haben sich an deine Fersen geheftet.«
Schon bald erreichte ich die Bibliothek. Der Platz vor dem Gebäude war fast vollkommen leer. Ich fragte mich, wie die Quinlaner derlei hinbekamen, ohne ein noch größeres Spektakel zu provozieren. Auf der Erde hatte sich jeder, der Menschen zum Weitergehen bewegen wollte, innerhalb weniger Augenblicke einem doppelt so großen Publikum gegenübergesehen. Die Quinlaner schienen dagegen zu verstehen, was die Worte Hier gibt es nichts zu sehen bedeuteten.
Allerdings war der Platz wie gesagt nur fast vollkommen leer. An seinen Rändern unternahmen zwei Gruppen den lächerlichen Versuch, völlig ungezwungen zu wirken. Sie standen schweigend herum und hatten die Hände in ihren Rucksäcken vergraben. In Gedanken hörte ich Gollum fragen, was sie wohl in ihren garstigen kleinen Beuteln versteckten.
Ich blieb stehen und bewegte nur noch meine äußerst mobilen quinlanischen Augäpfel. Damit war die Party eröffnet.
Die beiden Gruppen, die auf mich gewartet hatten, drehten sich um, zückten die üblichen Messer und kamen auf mich zu. Doch noch ehe sie zehn Fuß geschafft hatten, zogen zwei meiner Verfolger Betäubungspistolen und begannen zu schießen. So viel zu keine Feuerwaffen . Daraufhin ging die zweite Verfolgergruppe sofort mit Messern auf sie los. Erst schien es, als würden die Quinlaner mit den Pistolen die Oberhand gewinnen, aber dann tauchte eine weitere Gruppe auf und stürzte sich ebenfalls auf sie.
Auf mich schien in diesem Gedränge derweil niemand zu achten.
»Es ist schön, so beliebt zu sein, nicht wahr?« , fragte Garfield.
»Aber vielleicht nicht förderlich für ein langes Leben«, erwiderte ich. »Ich habe es mir anders überlegt und stimme dafür abzuhauen.«
»Ja.«
»Einverstanden.«
»Mach dich auf die Socken.«
Schön, dass wir uns einig waren, zumal ich meinen Hintern ohnehin bereits in Sicherheit brachte. Ich ließ mich auf alle viere fallen und machte mich bereit für eine schnelle Flucht. Als die beiden miteinander verfeindeten Gruppen das bemerkten, gelangten sie ebenfalls zu einer Einigung, die darin bestand, mich nicht davonkommen zu lassen. Alle, die immer noch standen, wandten sich gleichzeitig zu mir um und stürmten los.
»Sie haben Pistolen«, sagte ich.
»Ein paar von ihnen«, erwiderte Bridget.
»Hundertprozentig Betäubungspistolen«, sagte Hugh.
»Und da bist du dir sicher, weil …?«
»Die Opfer nicht schlagartig umgekippt sind. Die Reihenfolge war eher: Autsch, taumel, taumel, hinfallen.«
Bridget dachte kurz nach. »Okay, wenn du von einer dieser Kugeln getroffen wirst, solltest du dich entsprechend benehmen.«
»Was, willst du etwa immer noch, dass ich mich fangen lasse?« Ich versuchte gar nicht erst, meine Überraschung zu verbergen. Die anderen schwiegen einen Moment lang, während ich um einen Brunnen herumwetzte.
»Darüber müssen wir erstmal nachdenken«, sagte Bridget. »Aber vielleicht müssen wir …«
»Uff!« , stöhnte ich, als ich Opfer eines sehr professionell wirkenden Tacklings wurde. Mein Gegner war mir von der anderen Seite des Brunnens entgegengekommen und hatte mich überrascht.
Eine Zeit lang wälzten wir uns gemeinsam über den Boden. Als wir schließlich zum Liegen kamen, blickte ich zu einem Quinlaner auf, der genauso überrascht wirkte wie ich. Während wir uns anstarrten, überlegte ich, ob ich mich doch gefangen nehmen lassen sollte. Einen Moment später wurde mir diese Entscheidung jedoch von einem Haufen Quinlaner abgenommen, die sich allesamt auf mich stürzten. Ehrlich gesagt glaube ich, ich hätte sie nicht einmal mit voller Manny-Kraft abwerfen können.
Sie legten mir Fesseln an. Quinlanische Handschellen waren interessant: Sie wurden an allen vier Gliedmaßen befestigt und enthielten mittig ein Gerät, das sich wie ein Fallschirm entfalten würde, sollte ich ins Wasser springen und versuchen davonzuschwimmen. Ziemlich erfinderisch. Ich musterte sie mehrere Sekunden lang eingehend.
Wahrscheinlich etwas zu eingehend. Die Anführerin der Gruppe wedelte mit ihrem Messer vor meinem Gesicht herum und schnauzte mich an. Mir wurde klar, dass ich nicht aufgepasst hatte – vermutlich, weil ich mich nicht in echter körperlicher Gefahr befand. Dennoch würde ich besser achtgeben müssen. Da ich keinesfalls wollte, dass sie den Manny auseinandernahmen, durfte ich sie nicht auf die Idee bringen, ich könnte etwas anderes sein als ein echter Quinlaner aus Fleisch und Blut. Ich spulte die Aufzeichnung zurück und hörte mir ihre letzte Bemerkung noch einmal mit erhöhter Wahrnehmungsrate an.
»Ich sehe nichts von den überquinlanischen Fähigkeiten, von denen unsere Kontakte flussaufwärts berichtet haben. Wahrscheinlich sind sie bloß inkompetent.«
Ihre Mannschaft lachte über diese Bemerkung, verstummte jedoch gleich wieder, als sie eine Hand hob. Sie war knallhart, und sie wusste es. Also beschloss ich angemessen verängstigt zu reagieren, als sie sich zu mir vorbeugte.
»Wenn du uns Ärger machst, Mutschin , schneide ich dir die Hautlappen ab.«
Das war eine schwerwiegende Drohung. Ohne die Hautlappen an den Armen würde ein Quinlaner nie mehr richtig schwimmen können.
Ich wusste nicht, ob sie es ernst meinte oder bloß dick auftrug, hielt es aber für das Beste, sie nicht auf die Probe zu stellen. Schließlich war die Gefangennahme das, was ich gewollt hatte. Was wir gewollt hatten. Okay, was Bridget gewollt hatte.
Die anderen drei waren im Augenblick damit beschäftigt, ihre Mannys wieder ins Wasser zu verfrachten. Uns war von Anfang an klar gewesen, dass die unterlegene Quinlaner-Gruppe den Rest unseres Sabbats jagen würde, um nicht mit leeren Händen zu ihren Anführern zurückkehren zu müssen.
Meine Entführer packten mich unter den Armen und schleiften mich mit sich. Ich sah mich um, konnte aber nirgends eine Spur von den anderen Verfolgergruppen entdecken.
Einer der Quinlaner hinter mir schlug mir auf den Kopf, ein verhutzelter Typ, der mich aus irgendeinem Grund an Popeye erinnerte. »Schau nach unten«, knurrte er mich an.
Ich hätte ihm fast eine verpasst. Doch dann fiel mir wieder ein, dass alles nach Plan verlief.
»Kannst du erkennen, welche Gruppe dich gefangen hat?« Das war Garfield.
»Ja«, erwiderte ich, »die Messerschwinger.«
»Wir glauben, dass unsere Mannys gerade von den Pistoleros verfolgt werden«, berichtete Bridget.
»Ich habe einen der kleinen Roamer losgeschickt« , sagte Garfield. »Ich versuche, dich im Blick zu behalten, Bob. Es wäre schön gewesen, Drohnen an Bord zu haben.«
»Kein Platz«, entgegnete ich. »Glaub mir, ich habe darüber nachgedacht.«
Popeye schlug mich ohne ersichtlichen Grund ein weiteres Mal auf den Hinterkopf. Ich beschloss, ihm diese Aufmerksamkeit zu gegebener Zeit mit Zinseszins heimzuzahlen.
Kurz danach betraten wir ein unscheinbares Gebäude und zwei Stockwerke höher eine erstaunlich großzügig geschnittene Wohnung. »Das ist aber eine schöne …« Popeye rammte mir den Schwertknauf in den Unterleib, und ich torkelte einen Schritt nach hinten. In Anbetracht der quinlanischen Anatomie hätte dieser Hieb eigentlich denselben Effekt wie bei einem Menschen auf mich haben müssen. Oder einem Deltaner. Oder einem Paven. Interessant. Das war etwas, worüber ich irgendwann mal in Ruhe nachdenken musste.
Ich drehte mich zu Popeye um.
Dass ich nicht wie erwartet zusammengeklappt war und nicht einmal ein Uff von mir gegeben hatte, war ihm nicht entgangen. Er riss auf quinlanische Weise die Augen auf.
Ich schaute ihn durchdringend an. »Wenn du das noch einmal machst, wird dir aller Spinat der Welt nicht mehr helfen können.«
Seine Angst wich Verblüffung. Ich bezweifelte zwar, dass das Wort Spinat korrekt übersetzt worden war, doch er begriff durchaus, dass ich ihn bedrohte, und hob sein Messer, um mich erneut damit zu schlagen. Die Anführerin blaffte jedoch seinen Namen, den ich von meiner Übersetzungssoftware als Popeye wiedergeben ließ.
Popeye senkte das Schwert und grinste mich böse an. »Jederzeit, Mutschin .«
Die Anführerin deutete auf einen Stuhl. Als ich darauf Platz nahm, löste einer von ihnen die Schelle um mein rechtes Bein, führte sie durch einen Spalt in dem Sitzmöbel und machte sie dann wieder an mir fest. Es wirkte laienhaft. Selbst ein normaler Quinlaner hätte den Stuhl wahrscheinlich zerschmettern und sich befreien können. Aber wahrscheinlich ging es nur darum, mich ein wenig aufzuhalten.
Die Schellen selbst bestanden nicht aus Metall, das in Himmelsfluss ein sehr kostbares Gut war, sondern aus einer Art Hartholz, und sie waren mit straff geknüpften Seilen verbunden. Ich schätzte, dass ich es gerade so schaffen würde, sie zu zerreißen. Ich wandte mich von meinen Entführern ab und öffnete den Mund. Zwei flohgroße Roamer sprangen heraus und kletterten an meinem Fell hinunter. Sie hatten Anweisung, das Seilgewebe zu schwächen. Nur für alle Fälle.
Die Anführerin kam herüber, drehte einen Stuhl um und setzte sich vor mich hin. Ich befahl meinen Flöhen schnell, wieder in mein Fell zu krabbeln. Zwar hielt ich es für unwahrscheinlich, dass sie mich striegeln würde, aber ich konnte es nicht riskieren, dass sie meine Passagiere bemerkte.
»Wie darf ich dich nennen?«
Mit einer so freundlichen Frage hatte ich nicht gerechnet. »Bob. Und wie heißt du?«
»Frieda.« Die Übersetzungssoftware ordnete dem Namen, den sie genannt hatte, automatisch ein willkürlich gewähltes menschliches Äquivalent zu. »Also, erzähl mir was über deine Freunde.«
Ich glaubte zu wissen, wie die Sache laufen würde und beschloss, mich an das Drehbuch zu halten. »Meine Freunde und ich sind vor Kurzem erwachsen geworden und machen gerade ein Sabbatical, um den Fluss zu erkunden, bevor wir uns niederlassen. Das ist so üblich, zumindest da, wo ich herkomme.«
Frieda starrte mich einen Moment lang schweigend an, dann seufzte sie. »Okay, Bob, wir müssen also wohl erstmal die üblichen Lügen abarbeiten. Anfangs haben wir geglaubt, dass ihr für die Verwaltung spioniert, aber ihr scheint euch für die eigenartigsten Dinge zu interessieren. Und ihr seid Skeve gefolgt, wolltet ihm aber nichts antun. Ich gebe zu, dass ich verwirrt bin. Gehört ihr zu einer anderen Widerstandsgruppe?«
»Um das beantworten zu können müsste ich logischerweise zunächst wissen, zu welcher Gruppe ihr gehört. Aber um es kurz zu machen: Wir gehören zu keiner Widerstandsgruppe. Und auch nicht zur Verwaltung. Tatsächlich wissen wir nicht mehr über sie als die meisten anderen auch.«
»Was seid ihr dann?«
»Wie gesagt: Reisende.«
Frieda blickte über meinen Kopf hinweg und nickte. Sofort darauf durchzuckte mich ein greller Schmerz. Während ich noch reflexartig den Rücken durchdrückte, begannen meinen internen Systeme bereits mit der Schadenskontrolle. Ich drehte mich um und sah Popeye mit zwei Kabeln in den Händen hinter mir stehen. Die Enden waren abisoliert. Mit dem Blick folgte ich den Kabeln und erkannte, dass sie an mehreren miteinander verbundenen Geräten befestigt waren, bei denen es sich so gut wie sicher um Batterien handelte. Das war die Erklärung für den Schmerz. Ein Manny ist gegen Elektrizität genauso wenig geschützt wie ein Lebewesen. Das war ein ernstes Problem, und ich nahm mir vor, bei Gelegenheit über geeignete Sicherheitsvorkehrungen nachzudenken.
Popeye grinste mich an. »Tut weh, nicht wahr? Wieso bedrohst du mich nicht noch einmal, Mutschin ?«
»Gern. Wenn du das wieder bei mir einsetzt, werfe ich dich durch die Wand da drüben. Zufrieden?«
»Lass uns beim Thema bleiben, in Ordnung?«, unterbrach Frieda unser Blickduell. »Früher oder später wirst du uns sagen, was wir hören wollen, Bob. Wieso ersparst du dir nicht die Schmerzen? Wir sind nicht wirklich deine Feinde.«
Ich wandte mich wieder ihr zu. Vielleicht würde ich mit etwas Aufrichtigkeit weiterkommen. »Okay, Frieda, dann lege ich die Karten auf den Tisch: Wir suchen nach einem Freund und haben ganz ehrlich nichts mit der Verwaltung, irgendwelchen Underlords oder von mir aus auch den Lords aus Flatbush am Hut. Genauso wenig gehören wir zu irgendeinem Widerstand, der für oder gegen die oben Genannten arbeitet.«
»Papier auf den Tisch? Die Lords … aus was für einem Busch?« Frieda runzelte die Stirn, dann blickte sie mit einem resignierten Seufzer wieder über mich hinweg und nickte.
»Nein, lasst …« Erneut jagte ein sengender Schmerz durch meinen Körper, doch diesmal hatte ich starke Wahrnehmungsfilter dazwischengeschaltet, sodass er mir so gut wie ausschließlich in Datenform ins Bewusstsein drang.
Popeye kicherte. »Wo bleibt die Drohung?«
Jetzt reichte es mir. Während unseres bisherigen Gesprächs hatten die Flöhe sich an meinen Handschellen zu schaffen gemacht. Gespannt, was sie bewirkt hatten, stand ich auf und riss, ehe irgendwer reagieren konnte, ruckartig die Arme nach oben. Die Schellen zerbrachen genauso, wie ich es mir erhofft hatte. Allerdings meldeten meine inneren Sensoren Verletzungen an den Handgelenken durch stumpfe Gewalteinwirkung.
Ich streckte den Arm aus, verkrallte die Finger in Popeyes Fell und warf ihn gegen die Wand. Er brach zwar nicht wie angekündigt hindurch, beschädigte aber eindeutig das Mauerwerk. Seine bewusstlose Gestalt glitt langsam zu Boden und hinterließ eine mehr oder weniger Popeye-förmige Delle im Putz.
Als ich mich umdrehte, um Frieda meine Meinung zu sagen, waren mehrere Messer auf mich gerichtet. Die Quinlaner, die sie hielten, zeigten einen panischen Gesichtsausdruck, der mir verriet, dass sie sehr unbesonnen auf … nun, so gut wie alles reagieren würden.
Ich neigte den Kopf und sagte: »Tja, ich habe ihn gewarnt.«
Ich brauchte ein paar Minuten, um sie davon zu überzeugen, dass ich sie weder alle töten noch fliehen wollte. Schließlich setzten wir uns wieder hin, wobei Friedas Stuhl ein paar Fuß weiter weg stand als zuvor. Ich warf einen Blick auf die Kabel, die immer noch an der Stelle lagen, wo Popeye zu Boden gegangen war. Niemand hatte freiwillig seine Aufgabe übernommen. Popeye selbst war in einen anderen Raum gebracht worden, wo er vermutlich gerade ärztlich behandelt wurde.
»Ich bin ein wenig überrascht«, sagte ich und deutete auf die Kabel. »Ich dachte eigentlich, so etwas Fortschrittliches wäre hier verboten.«
Frieda versuchte zu lächeln und machte es gar nicht mal schlecht. »Wir sind generell nicht sehr gesetzestreu.«
»Mit wir meinst du den Widerstand?«
Sie schaute mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an. »Weißt du das wirklich nicht? Obwohl du die Batterien als verbotene Technologie erkennst?«
Ich runzelte ebenfalls die Stirn. »Hör mal, betrachte mich doch einfach als jemanden, der gerade erst von der Verwaltung und dem Widerstand erfahren hat und nach wie vor aus alldem schlau zu werden versucht. Das entspricht übrigens der Wahrheit.«
»Ich glaube, dass mehr an euch dran ist, als man auf den ersten Blick sieht. Zum Beispiel eure körperlichen Fähigkeiten. Es heißt, einer von euch wurde aus kürzester Entfernung von einem Betäubungspfeil getroffen und ist bloß wütend geworden.« Sie schaute mich einen Moment lang nachdenklich an. »Ihr seid eindeutig eigenartig. Etwas Neues. Ich glaube, wir müssen unsere Vorgesetzten über euch verständigen.«
Ich bedachte sie mit einem – wie ich hoffte – respektvollem Nicken. Innerlich führte ich einen Freudentanz auf. Möglicherweise war dies der langersehnte Durchbruch. Wenn sich ihre Vorgesetzten auf eine Runde Quid pro quo einließen, würde ich vielleicht endlich ein paar Informationen über Bender bekommen.
Sie verfrachteten mich in ein Hinterzimmer mit einem hoch angebrachten Fenster, das viel zu klein war, um sich hindurchzuzwängen. Auf der anderen Seite der Tür polterte und knallte es. Wahrscheinlich verrammelten sie sie mit Möbelstücken. Ich nahm an, dass sie diese Wohnung vor allem aus Sicherheitsgründen gewählt, vielleicht sogar selbst gebaut hatten. Womöglich war das ganze Gebäude eine Festung des Widerstands.
Am liebsten hätte ich es überprüft, doch leider versteckten sich die meisten meiner großen Roamer in diversen Pubs und lauschten auf Informationen über den Widerstand. Und die verbliebenen wollte ich nicht riskieren. Hmm. Mittlerweile erschien mir das Spionieren zwar überflüssig, aber ich wollte die Roamer nicht quer durch die Stadt zu mir zurückkehren lassen. Diesen Plan hob ich mir für den absoluten Notfall auf.
Stattdessen beschloss ich, mich bei meinen Freunden zu melden. Da ich sie bei nichts Wichtigem stören wollte, schickte ich ihnen nur einen Ping, um sie wissen zu lassen, dass ich ab jetzt erreichbar war.
»Hey, Bob« , erwiderte Garfield. »Was macht die Kunst?«
»Geht es dir gut?«, erkundigte sich Bridget.
»Hey«, meldete sich Will.
»Mir geht es gut«, erwiderte ich. »Ich bin vom Widerstand gefangen worden. Ihre Gruppierung scheint keinen speziellen Namen zu haben. Wahrscheinlich gibt es nur den Widerstand und die Verwaltung, gegen die sie sich zur Wehr setzen. Da sind nicht viele Labels nötig.«
»Wären sie Menschen, hätten sie sich schon längst ein Akronym verpasst«, sagte Garfield leise glucksend.
»Und es wäre schrecklich«, fügte Bridget hinzu.
»Ich fürchte, ich habe dich verloren, Bob«, sagte Garfield. »Ich musste ein paar Suchtrupps ausweichen. Ich bezweifle, dass sie über die Roamer Bescheid wissen. Und dabei würde ich es gern belassen.«
Mir kam ein Gedanke. »Hör mal, Gar, kannst du bitte alle Überwachungsroamer zurückbeordern? Ihre Aufgabe hat sich inzwischen erledigt, und ich würde gern unsere Einheiten zusammenziehen.«
»Kein Problem, Bob, aber wenn das erledigt ist, muss ich dich suchen.«
Ich nickte, obwohl es keiner der anderen sehen konnte. »Damit befassen wir uns, wenn es so weit ist. Jetzt ist erst einmal nur wichtig, dass wir uns gegenseitig auf dem Laufenden halten. Wenn wir etwas Nützliches erfahren, werden wir die Lage neu bewerten.«
Die Sonne ging unter, oder wie auch immer man in Himmelsfluss dazu sagte. Während sich die Einwohner von Drei Lagunen schlafen legten, senkte sich Stille über die Stadt. Ich drückte ein Ohr an die Tür, um herauszufinden, was meine Gastgeber vorhatten. Draußen führten ein paar Stimmen ein unzusammenhängendes Gespräch. Offenbar hatte jemand Neues die Nachtschicht übernommen. Aber eigentlich spielte es für mich keine Rolle. Solange meinem Manny keine ernste Gefahr drohte, würde ich auf keinen Fall einen Fluchtversuch unternehmen.
Mir war nur wichtig, dass ich eine Zeit lang ungestört blieb.
Ich legte mich auf das Bett und schaltete den Manny auf Stand-by. Dann versetzte ich mich in meine VR und machte es mir wohlig seufzend auf meinem La-Z-Boy bequem.
Die anderen hatten ihre Mannys erfolgreich ins Wasser zurückbefördert, wo sie nun erneut – tiefer als irgendein Quinlaner abtauchen konnte – am Grund verankert waren. Garfield steuerte die Roamer ins Hotelzimmer zurück, und Hugh versuchte, in meiner näheren Umgebung ein paar Überwachungsdrohnen zu platzieren. Da zu viele Aktivitäten ihre Kühlaggregate zerstörten, musste jeder Flug sorgfältig geplant werden.
Ich fand eine E-Mail von Bill, in der er mir über die Aktivitäten der Sternenflotte berichtete. Offenbar hatte sich die Lage weiter zugespitzt. Zunehmend alarmiert las ich, wie viele Bobs mittlerweile nicht mehr zu erreichen waren.
»Guppy!«
[Ja bitte?]
»Ändere die Zugangsschlüssel zu unseren autonomen Fabriken, und überprüfe die gesamte Software. Ich möchte absolut sicher sein, dass wir nicht kompromittiert sind.«
[Zu Befehl.]
Ich lächelte, als Guppy die Verbindung unterbrach. Seine Antworten wurden immer dreister. Mir war immer noch nicht klar, ob er ein echtes Ich-Bewusstsein entwickelte oder sich einfach nur meinem Befehlsstil anpasste. Eigentlich wollte ich es auch gar nicht wirklich wissen – aus Angst, die Antwort könnte mich enttäuschen.
Mein Vorteil war, dass meine Datenverbindung zum restlichen Bobiversum sehr schlecht gewesen war, während ich die autonomen Fabriken gebaut hatte. Die meisten anderen Bobs waren bestimmt weniger gut geschützt gewesen. Bill hatte nicht einzeln aufgelistet, wer von ihnen betroffen war.
Ich vertiefte mich wieder in Bills E-Mail und las, dass in den Kommunikationsstationen Sprengfallen installiert worden waren. Na toll. Ich beschloss, dennoch mein gesamtes Equipment zur großen Relaisstation zu schaffen und alles Weitere vor Ort zu überlegen. Vielleicht würden Bill und die anderen bis dahin eine Lösung für dieses Problem finden.