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Ultimaten

Bill – Juli 2334

Virt

Ich hielt mich schmollend in meiner VR auf, spazierte über Kieswege und setzte mich auf Parkbänke, wenn mir danach war. Dass ich von der Expedition ausgeschlossen war, belastete mich mehr, als ich erwartet hatte. Die Himmelsfluss-Mission war das Aufregendste, was ich seit langer Zeit erlebt hatte, und ich vermisste sie.

Garfield unterbrach meine Selbstmitleids-Party mit einem Ping. Kaum hatte ich den Erhalt bestätigt, tauchte er auch schon bei mir auf.

»Überall fallen die autonomen Fabriken aus«, platzte es aus ihm heraus.

»Was?«

»Anscheinend haben sie irgendwann auch die Hardware der meisten autonomen Fabriken gehackt. Sie haben eine Einladung zu einem Treffen geschickt.«

»An dich?«

»Klar, du hast sie schließlich in ein schwarzes Loch geworfen.«

»Okay, stimmt.« Ich warf einen Blick auf die Einladung, hob Lennys Blockierung auf und antwortete.

Diesmal hatte Lenny Verstärkung mitgebracht. Hinter ihm stand ein halbes Dutzend Sternenflottenmitglieder, die alle die gleichen nicht ganz authentischen roten Star-Trek- Uniformen trugen. Da die Versammlungs-VR keine körperliche Gewalt zuließ, konnten sie ihm bloß psychologische Rückendeckung geben, doch ihr selbstgefälliges Grinsen zerrte tatsächlich an meinen Nerven.

»Also gut, Lenny, komm zum Punkt«, sagte ich und funkelte ihn durchdringend an.

»Es steht dir nicht zu, irgendwem Befehle zu erteilen«, erwiderte er feixend.

»Und dir steht es nicht zu, mich noch mehr zu nerven, als ihr es eh schon getan habt«, erwiderte ich. »Alles, was ihr angerichtet habt, kann wieder in Ordnung gebracht werden. Nichts hält uns davon ab, weitere autonome Fabriken zu bauen. Und wenn wir die bisherigen Statione n nicht zurückbekommen, können wir sie mit Atomraketen zerstören und ebenfalls neue herstellen. Die Menschen werden das vielleicht ohnehin tun.«

»Aber nur, wenn wir es zulassen.«

»Was soll das heißen?«

»Die autonomen Fabriken, die wir kontrollieren, werden Brecher, Sonden und Matrizen produzieren. Wieso sollten wir sie euch überlassen?«

Ich starrte ihn ein paar Millisekunden lang scharf an.

»Ihr erklärt uns den Krieg.«

»Na, na, Bill, immer schön langsam. Wir etablieren uns als Machtfaktor, mit dem ihr rechnen müsst. Das Universum gehört euch nicht. Denk daran, was Bob gesagt hat: Es ist eine freie Galaxis.«

»Ihr bestehlt andere und stellt Ultimaten. Damit macht ihr euch von Anfang an moralisch unglaubwürdig.«

»So einfach ist das nicht …«

»Doch, Lenny, das ist es. Und offensichtlich habt ihr euch so weit von uns wegentwickelt, dass ihr das nicht mehr erkennen könnt. Du kannst es nennen, wie du willst, aber es ist und bleibt eine Kriegserklärung.«

Endlich verblasste Lennys Grinsen. Offensichtlich verlief das Gespräch nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte. »Wir werden keine Bobs abschießen, Bill. Wir wollen nur, dass das Bobiversum die Biologischen in Frieden lässt.«

Ich seufzte. »Und das wollt ihr mit Diebstahl und Drohungen durchsetzen. Tut mir leid, Lenny. Das ist ein Riesenfehler.«

»Das entscheidest nicht du, Bill. Die Bobs …«

»Moment, willst du damit etwa sagen, dass ihr das Recht habt, unilaterale Entscheidungen für alle zu treffen, ich aber nicht? Interessant. Kein Bob muss sich auf meine Seit e schlagen, Lenny, aber ich habe das komische Gefühl, dass mich viele unterstützen werden. Der Ursprüngliche Bob hätte bei dergleichen niemals tatenlos zugesehen, und die meisten von uns sind ihm immer noch ähnlich genug.«

Nun seufzte Lenny. »Dann wird es wohl darauf ankommen, wer sich schneller replizieren kann.«

»Sieht so aus«, erwiderte ich und unterbrach ihre Verbindungen. »Tschüss, Lenny.«

Der Versammlungssaal schien in letzter Zeit ständig gefüllt zu sein. Im Moment liefen verschiedene Bob-Gruppen darin herum und aktualisierten ihre Schreibtafeln oder Holotanks. Einige Teams katalogisierten die von der Sternenflotte kontrollierten Systeme, während andere überlegten, wie sie sie zurückerobern konnten. Es gab Arbeitsgruppen, die sich Verteidigungsstrategien ausdachten, und welche, die Angriffspläne entwickelten.

Letzteres erwies sich als besonders schwierig, da die Sternenflotte offenbar so viele öffentlich zugängliche Informationen über ihre Organisation wie möglich gelöscht hatte. In den Datenbanken fehlten große Teile ihres Stammbaumes und auch alle Hinweise auf ihre Positionen. Die hatten sie bestimmt nicht spontan verschwinden lassen. Allmählich fragte ich mich, ob es ihnen wirklich um die Oberste Direktive ging. Dieser Putsch – denn das war es, was sie versuchten – wirkte viel zu gut geplant.

Andererseits war auch schon der Ursprüngliche Bob, wenn ihm etwas wirklich am Herzen gelegen hatte, unglaublich obsessiv gewesen. Ich durfte nicht vergessen, dass trotz der replikativen Abweichung auch die Mitglieder der Sternenflotte letztlich auf ihm basierten.

Thor kam zu mir rüber. »Wir haben zwei Relaisstationen zurückgeholt.«

»Wie?«

»Wir haben sie vor Ort inspiziert und zurückgesetzt.«

»Ich dachte, die Sternenflotte hat sie vermint.«

»Das stimmt auch. Auf diese Weise haben wir sechs Stationen verloren. Aber Marcus oder einer seiner Ingenieursfreunde auf Poseidon hat herausgefunden, wie wir sie umgehen können. Wir glauben, dass wir die meisten zurückerobern können. Jetzt müssen wir uns nur noch überlegen, wie wir die anderen Bobs über diese Methode informieren, ohne dass die Sternenflotte die Nachricht abfängt und Gegenmaßnahmen einleitet.«

Ich schloss die Augen und ließ den Kopf hängen. Wir befanden uns wirklich im Krieg und betrieben sogar Spionage und Gegenspionage. »Okay, Thor, danke. Den Bobs, die unseres Wissens saubere Systeme haben, können wir sie direkt schicken. Die übrigen sollen die Skippys informieren. Deren Systeme kann die Sternenflotte nicht anzapfen.«

»Verstanden.« Thor nickte und ging davon.

Ich war ziemlich sicher, dass früher oder später jemand von einem Brecher zerstört werden würde. Und letzten Endes spielte es keine Rolle, auf welcher Seite derjenige stand.

Im Bobiversum herrschte Krieg.