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Flucht

Bob – Juli 2334

Drei Lagunen

Ich starrte immer noch völlig verdattert das Funkgerät an. »Was zum Teufel?«

»Ich bin genauso überrascht wie du, Bob. Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, trugst du kein Fell.«

»Beim letzten Mal hast du auch keine Widerstandsgruppe aus bewaffneten Ottern befehligt. Ich …«

»Was soll das?«, zischte Natascha. »Was für eine Sprache ist das? Sprecht Quinlanisch, oder dieses Treffen ist beendet.«

Ich bedeutete dem Funkgerät mit einer Geste, die Bender, aber kein Quinlaner verstehen würde, dass alles okay sei. Da erst fiel mir auf, dass ich gar nicht wusste, ob das Gerät über einen Videosensor verfügte. Vielleicht war Bender in Anbetracht der Umstände nur davon ausgegangen, dass ich wie ein Quinlaner aussah. »Entschuldige, Hoheit. Ich habe nur gerade festgestellt, dass dein Vertrauensmann hier meinen Heimatdialekt spricht.«

»Das klang nicht wie irgendein quinlanischer Dialekt, den ich kenne.«

»Salzmeere-Kreolisch«, warf Bender ein. »Klingt für die meisten, als würden sich zwei Hauns paaren.«

Darauf hatte Natascha keine Antwort, aber ich sah, dass sich ihr Gesicht zu einem überraschten Lächeln verzog. Ich hoffte, irgendwann mal jemanden echtes Salzmeere-Kreolisch sprechen zu hören.

»Bob stammt aus einem Salzmeereclan, der verstreut worden ist«, schob Bender schnell nach.

»Und wir versuchen, weitere Mitglieder unseres Clans zu finden«, fügte ich hinzu, in der Hoffnung, Bender mit dieser Bemerkung nicht in die Parade zu fahren.

»Und wieso sollte mich das interessieren?«

»Du kennst doch die Legenden über das Salzmeerevolk«, erwiderte Bender. »Die Geschichten mögen ein wenig dick aufgetragen sein, aber sie waren zweifellos grimmige Kämpfer und hervorragende Athleten. Und wenn du jetzt noch die Übertreibungen unserer Agenten hinzurechnest, mit denen sie ihr eigenes Versagen kaschieren wollen, hast du mit einem Mal Quinlaner, die fliegen können.«

»Wie hat er Popeye quer durch den Raum werfen können?«

»Wir beherrschen eine Kampfkunst, bei der wir das Gewicht und den Schwung unseres Gegners gegen ihn einsetzen«, warf ich ein. »Popeye hat mich angegriffen, ich habe ihn nur zur Wand umgelenkt.« Das war nicht vollkommen gelogen und außerdem eine ziemlich plausible Beschreibung von Jiu-Jitsu. Speziell für jemanden, der nicht dabei gewesen war.

»Dann weiß er also gar nichts? Und wir haben ihm uns zu erkennen gegeben?«

»Ihr habt nichts über euch preisgegeben, das nicht ohnehin in Form von Gerüchten und Legenden in der Bevölkerung kursiert«, sagte ich. »Ihr seid längst nicht so geheim, wie ihr glaubt. Genauso wenig wie die Verwaltung.« Meine Güte, das Lügengebäude, das ich errichtete, wurde immer gigantischer. Ich konnte nur hoffen, dass ich damit nicht total mein Karma zerstörte.

Natascha kam herüber, nahm einen Stuhl und setzte sich vor mich hin. Philip rutschte zur Seite, um ihr Platz zu schaffen. »Was sollen wir also mit dir machen, Bob?«, fragte sie. »Das Sicherste wäre es, dich einfach loszuwerden.«

Ich nickte. »Mmm, stimmt. Vorausgesetzt, ihr schafft das, ohne dass ich auf dem Weg nach draußen alles kurz und klein schlage. Außerdem dürften meine Freunde nichts davon mitbekommen, weil sie sonst Jagd auf euch machen. Und« – ich hob dramatisch den Zeigefinger – »ihr wäret dann nicht besser als die Verwaltung und ihre Spießgesellen. Wenn ihr das wirklich durchzieht, wäre eure Behauptung, dass ihr für das Volk kämpft, nur ein Riesenhaufen Naturdünger.«

Natascha schenkte mir ein schmallippiges Lächeln. »Ein ziemlich durchsichtiger Manipulationsversuch, Bob.« Sie drehte sich zum Funkgerät um. »Was meinst du, Motorola?«

»Er ist nicht euer Feind. Im schlimmsten Fall ist er neutral.«

»Er weiß aber, wer wir sind.«

»Ich weiß bloß, wer du bist«, warf ich ein. »Aber was soll ich mit dieser Information anfangen? Zur Verwaltung rennen? Dazu müsste ich sie erstmal finden.«

»Trotzdem …« Natascha dachte kurz nach, dann verzog sie angewidert das Gesicht und drehte sich zu Philip um. »Töte ihn. Aber mach kurzen Prozess.«

Das ließ Philip sich nicht zweimal sagen. Möglicherweise hatte ich seine Gefühle verletzt. Er schnappte sich eins seiner größeren Zerstörungswerkzeuge und stach damit auf die Stelle ein, wo eigentlich mein Herz hätte sein sollen.

Trotz meiner schnellen Computerreflexe gelang es mir nicht, rechtzeitig die Hand- und Fußschellen zu zerbrechen, weil ich nicht mit ganzer Kraft an den Ketten riss, um meinen Handgelenken nicht noch mehr Schaden zuzufügen. Deswegen schaffte ich es leider nicht ganz , dem Messer auszuweichen.

Ich wirbelte herum und beobachtete die Klinge, die mir wie in Zeitlupe einen langen flachen Schnitt an der Brust zufügte. Falsches Blut spritzte aus der Wunde und versiegte sofort wieder, als meine internen Systeme in Alarmmodus schalteten. Ich packte Philips Handgelenk und half ihm dabei, seinen Stoß weiter auszuführen, bis er geradewegs gegen die Wand krachte. Während er mit einem befriedigenden dumpfen Knall abprallte und zu Boden stürzte, trat ich mit einem Fuß nach hinten aus und befreite mich von der letzten verbliebenen Kette.

Natascha zog eine Betäubungspistole und zielte auf mich. Einen Moment lang fragte ich mich, ob sie vielleicht eine Doppelagentin war. Aber nein, wahrscheinlich hatte auch diese Waffe einst einem Helfer der Verwaltung gehört.

Das war zwar alles sehr interessant, aber im Moment zählte in der Hauptsache, dass sie auf mich schießen würde, was aus mehreren Gründen schlecht war. Entweder flog meine Tarnung auf, weil ich trotz eines Treffers nicht hinfiel und den Teppich vollsabberte, oder – schlimmer noch – der Pfeil beschädigte irgendein wichtiges Bauteil meines Mannys. Schließlich war ich keineswegs unverwundbar.

Alles um mich herum wurde langsamer, als ich meine Wahrnehmungsrate so weit wie möglich erhöhte, ohne die Verbindung mit meinem Manny zu unterbrechen. Ich beobachtete die Pistolenmündung und versuchte, die Flugbahn zu berechnen, während ich mich gleichzeitig blitzschnell zur Seite warf. Auf Nataschas Gesicht zeigte sich Panik. Sie betätigte den Abzug, und ich sah das Flechette links an mir vorbeisausen.

Sie versuchte, erneut auf mich zu zielen, doch ich warf mich bereits auf die andere Seite. Der zweite Schuss ging rechts an mir vorbei. Ich machte einen Hechtsprung und rutschte gegen ihre Beine, sodass sie mit dem Gesicht voran auf den Boden knallte.

Im nächsten Moment sprang ich auf, nahm die Pistole und den Rucksack an mich und blieb kurz unschlüssig stehen. Ich schaute das Motorola an. Bender.

Ach, zum Teufel.

Seufzend packte ich auch noch das Funkgerät, klemmte es mir mehr oder weniger unter den Arm und rannte zur Tür. Gerade als ich sie erreichte, ging sie auf und gab den Blick auf Jeeves frei, auf dessen Gesicht zur Abwechslung mal kein herablassender Ausdruck lag. Ich rammte ihn mit dem Rucksack um und rannte über ihn hinweg …

… in ein Zimmer voller Quinlaner.

Die Agenten, die mich gefangen hatten, blickten von ihrem Essen auf. Offenbar hatte Jeeves ihnen tatsächlich etwas zubereitet. Einen Augenblick lang starrten wir uns reglos an, dann sprangen sie alle gleichzeitig auf, wobei ihre Teller in sämtliche Richtungen davonflogen. Wer immer das Haus putzte, würde sich heute keinen schlanken Lenz machen können.

Da immer noch das Funkgerät unter meinem Arm klemmte und ich mit einer Hand den Rucksack und mit der anderen die Pistole festhielt, war ich nur sehr eingeschränkt kampfbereit.

Höchste Zeit, mich auf all die Jackie-Chan-Filme zu besinnen, die ich mir früher immer angeschaut hatte.

Ich hakte einen Fuß unter einen Hocker und schleuderte ihn gegen den ersten Gegner, dann warf ich Frieda das Funkgerät zu. Ehe der dritte Agent reagieren konnte, brachte ich ihn mit einem Bodycheck zu Fall. Dann nahm ich Frieda das Funkgerät wieder ab und schlug es dem Ersten ins Gesicht, worauf er rückwärts auf einen Beistelltisch stürzte und ihn zerschmetterte. Das würde Natascha gar nicht gefallen.

Frieda zog ein Kurzschwert und stach damit nach mir. Ich parierte den Angriff mit dem Funkgerät, wobei ich sorgfältig drauf achtete, dass die Klinge es nicht durchbohrte. Es musste unbedingt intakt bleiben.

Frieda wich zurück und machte ein paar Schritte auf die Tür zu. Ich war nicht sicher, ob sie fliehen und Alarm schlagen oder mich an der Flucht hindern wollte. Beides wäre schlecht gewesen.

Ich stellte das Funkgerät auf den Tisch, schnappte mir stattdessen zwei Teller und warf sie wie Frisbees auf Frieda. Der erste verfehlte sie, der zweite traf sie am Oberschenkel, und ich lernte mehrere neue quinlanische Flüche. Anscheinend hatte das ziemlich wehgetan.

Das war meine Chance. Ich nahm das Funkgerät, doch dann hielt ich inne … In den Trümmern des Beistelltisches lag etwas, das wie eine Sicherheitskarte aussah. Wozu brauchte eine Zivilisation, die noch nicht einmal Dampfmaschinen besaß …?

Ach, egal. Wenn ich in meinen unzähligen Adventure- und D&D-Games eines gelernt hatte, dann, dass alles nützlich war und mitgenommen werden musste.

Doch damit hatte ich endgültig nicht mehr genügend Hände für die Beute und all meine Gegner.

Der am Boden liegenden Quinlaner versuchte, sich aufzurappeln, doch ich schlug ihm auf den Kopf, und er legte sich wieder schlafen. Als Nächstes schnappte ich einen weiteren Teller und schleuderte ihn erneut im Frisbee-Stil Frieda an den Kopf. Sie quittierte den Treffer mit einem weiteren Kraftausdruck. Dann warf ich das Funkgerät in hohem Bogen Richtung Tür, klemmte mir die Sicherheitskarte zwischen die Zähne, griff nach der Betäubungspistole und rannte los. Unterwegs nahm ich mir noch einen Moment Zeit, um Frieda die Beine unter dem Körper wegzutreten, was mir ein paar Bonuspunkte und einen weiteren Fluch einbrachte. Als das Funkgerät das Ende seiner Flugbahn erreichte, war ich zur Stelle und fing es auf.

Ich rammte die Tür mit der Schulter aus den Angeln und rannte durch den Flur zum Vordereingang, in einer Hand die Pistole, unter dem Arm wie ein Footballspieler das Funkgerät, der Rucksack hüpfte wie verrückt auf meinem Rücken herum, und mit dem Mund hielt ich die Karte fest. Allmählich lernte ich all die kleinen Details zu schätzen, die in den Adventure-Games nie erwähnt wurden.

Im Freien merkte ich, dass ich keinen konkreten Plan hatte. Ich konnte weder ein Auto noch ein Fahrrad stehlen, und mit dem Funkgerät in der Hand durfte ich auch nicht ins Wasser. Damit blieb mir nur ein beherzter Spurt. Da der Manny bei dieser Belastung rasch heißlaufen würde, musste ich so weit wie möglich kommen, bevor die Überhitzung mich zum Stehenbleiben zwang.

Ich hastete bergauf, denn damit würden die Quinlaner, die mich im Wasser jagten, gegen den Strom schwimmen müssen, und die Verfolger an Land rasch ermüden. Außerdem waren sie wesentlich langsamer als ich.

Nachdem ich zehn Minuten lang, ohne die Karte durchzubeißen, gerannt, gesprungen und Hindernissen ausgewichen war, gelangte ich schließlich in ein kleines Wäldchen, das von Nataschas Anwesen aus nicht zu sehen war.

Dort legte ich die Sicherheitskarte auf den Boden, spuckte meine letzte verbliebene Spinne aus und ließ sie auf einen Baum klettern, wo sie nach Verfolgern Ausschau halten sollte. Dann setzte ich mich hin, um mich abzukühlen und zu sammeln.

Zuerst inspizierte ich ein paar Sekunden lang die Betäubungspistole. Sie sah genau wie die Waffe aus, die Garfield ergattert hatte. Wahrscheinlich gab es nur dieses eine Modell. Meine hatte, abgesehen von Nataschas zwei Schüssen, jedoch ein volles Magazin. Ich steckte sie in den Rucksack.

Dann nahm ich die mutmaßliche Sicherheitskarte. Ich musste mir eingestehen, dass sie wahrscheinlich etwas ganz anderes war. Doch das Ding sah tatsächlich wie eine Kredit- oder Sicherheitskarte aus, und sie baumelte an einem Umhängeband. Sogar die Größe und die Form … Moment mal …

Bisher war mir noch nie aufgefallen, dass das Seitenverhältnis solcher Karten auf der Erde in etwa dem Goldenen Schnitt entsprochen hatte, und anscheinend galt das auch für den Rest des Universums.

Auch das war sehr interessant, aber jetzt war wohl kaum die richtige Zeit für philosophische Selbstgespräche. Da ich nicht die geringste Ahnung hatte, wozu die Karte gut sein sollte, war sie im Moment wichtig. Und so wanderte auch sie in den Rucksack.

Als Nächstes kam das Funkgerät dran.

»Bender?«

Nichts. Ich merkte, dass die kleine Lampe nicht leuchtete. Das Gerät hatte also keinen Strom. Vermutlich hatten die kinetischen Kräfte, denen es während der letzten Minuten ausgesetzt gewesen war, einen ungünstigen Einfluss auf sein Innenleben ausgeübt.

Zwei Minuten später hatte ich die Rückseite geöffnet und sah mir alles an. Die Technologie erinnerte mich an irdische Elektronik aus der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Bauteile waren größtenteils deutlich voneinander getrennt, aber der Integrationsgrad auf den Leiterplatten war ziemlich hoch. Ah ja, und da waren zwei Batterien, die sich aus ihrer Halterung losgerüttelt hatten.

Ich befestigte sie wieder am vorgesehenen Platz und schaltete das Funkgerät an. »Bender.«

»Hey, Bob, lange nicht gesehen. Äh, gesprochen. Du lieber Gott, bin ich froh, deine Stimme zu hören.«

»Gibt es an dem Gerät keine Videokamera?«

»Leider nein, Boss. Der Widerstand schafft es kaum, die Teile für ein einfaches Audiogerät zusammenzuklauen. In dem Raum, in dem sie mich aufbewahren, habe ich allerdings Videoinput. Andernfalls wäre ich schon längst komplett verrückt geworden.«

»Dann bist du jetzt also ein Widerstandskämpfer?«

»Na ja, solange ich mir keine Beine wachsen lassen kann, bleibt mir keine andere Wahl. Apropos, wie kommt es, dass du als Quinlaner herumspazierst? Du bist doch ein Quinlaner, oder? Zumindest hat niemand erwähnt, dass du und deine Freunde kein Fell und keinen Schwanz haben.«

Ich erzählte Bender von den Androiden, die Bill seit hundert Jahren baute. Er war angemessen beeindruckt.

»Jetzt bist du dran. Wie bist du in diese Lage geraten?«

»Ach ja«, erwiderte Bender. »Ich war nach Gamma Leporis A unterwegs, als ich eine Anomalie …«

»Bis zu dem Zeitpunkt, an dem du abgeschossen wurdest, bin ich über alles im Bilde. Lass uns den Teil überspringen.«

»Okay, o Ungeduldiger. An den Abschuss selbst erinnere ich mich natürlich nicht, aber man hat mir erzählt, was passiert ist. Die Himmelsfluss-Patrouillen-Bots haben mich vom Himmel geholt – wahrscheinlich, weil ich den geheimen Handschlag nicht kannte. Die Verwaltung hat ihnen befohlen, meine Matrix aus dem Wrack zu schneiden und zur Topopolis zu bringen. Doch der Widerstand hat sie abgefangen und mich gestohlen. Offenbar sind viele Crewmitglieder Doppelagenten. Jedenfalls hat der Widerstand irgendwann eine Möglichkeit gefunden, mich mit Strom zu versorgen. Anschließend konnten wir miteinander kommunizieren, da die Verwaltungs-Bots meinen kompletten primären Interface-Schaltkreis intakt gelassen haben.«

»Krass, und du hast angeboten, ihnen im Kampf gegen die Verwaltung zu helfen?«

»Nun, angeboten ist vielleicht zu viel gesagt. Tatsächlich stellten sie mich vor die Wahl, ihnen entweder nützliche Informationen zu liefern oder zerlegt zu werden. Da habe ich mich für das Tor Nummer eins entschieden.«

»Eine vernünftige Entscheidung. Meinst du, sie hätten es geschafft?«

»Wahrscheinlich nicht. Die Verwaltung kontrolliert die gesamte Technik. Die Leute vom Widerstand haben es geschafft, nicht komplett den Anschluss zu verlieren, und sie haben einige Bücher, aber es ist schon mehrere Generationen her, seit sie Teil einer technologischen Zivilisation waren. Dabei haben sie natürlich einiges vergessen. Und ich bezweifle, dass sie überhaupt je gewusst haben, wie man sinnvoll einen optoelektronischen Würfel auseinandernimmt. Auch die Crewmitglieder kennen sich nicht sehr gut aus. Die Verwaltung bringt ihnen jeweils nur das bei, was sie für einen bestimmten Job wissen müssen.«

»Ja, gut. Darüber können wir uns später noch unterhalten. Jetzt sag erst einmal, wo du bist. Kann ich dich da irgendwie rausholen?«

»Hmm, ich kann dir nur sagen, dass ich mich nicht in einer Stadt befinde. Die Leute gehen immer ›in die Stadt‹ oder kommen ›aus der Stadt‹, ich bin also auf jeden Fall ein Stück von ihr entfernt.«

»Den Namen der Stadt kennst du nicht?«

»Haleps Ende wird häufiger erwähnt. Ich hoffe, dass es ein Ortsname und keine Beleidigung ist.«

»Ah, ich habe leider keine Ahnung, wo das ist. Was weißt du sonst noch?«

»Hmm, ich bin mir nicht sicher, ob es hilft, aber ich glaube, dass wir nicht sehr weit von dieser Stadt entfernt sind. Ein Quinlaner braucht bis dahin nur ein paar Stunden. Und der Raum, in dem ich mich aufhalte, ist sehr modern. Sieht mehr nach einundzwanzigstem als nach achtzehntem Jahrhundert aus, wenn du weißt, was ich meine. Vielleicht ist es so etwas wie ein Hightechunterschlupf. Hier gibt es keine Fenster. Es kommt mir wie eine unterirdische Militärbasis vor.«

»Verdammt.« Ich lehnte mich an eine baumartige Pflanze, die laut meinem Übersetzungsinterface Sesch hieß. Dann hatte ich eine Idee und beugte mich wieder vor. »Im Schienenterminal war eine Transitstation. Dort gibt es sicher eine Art Karte oder Liste der Transitverbindungen.«

»Die Megastruktur ist eine Milliarde Meilen lang. Das sind eine Menge Städte.«

»Mehr haben wir im Moment nicht. Aber uns ist immer wieder aufgefallen, wie sehr die Quinlaner den Menschen ähneln. Wenn sie etwas Haleps Ende nennen, meinen sie damit vielleicht nicht nur eine Stadt, sondern auch eine Haltestelle. Oder vielleicht sogar nur eine Haltestelle.« Dann fiel mir noch etwas ein. Die Topopolis war eine Milliarde Meilen lang. Da die Quinlaner kein SCUT besaßen, konnten sie nicht überlichtschnell miteinander kommunizieren. »Bender, ich muss die Übertragungslatenzzeit messen. Kannst du in deiner momentanen Situation deine Wahrnehmungsrate erhöhen?«

»Ja. Sie haben es sich einfach gemacht und all meine Systeme hochgefahren. Willst du, dass ich dir einen Ping zurückschicke?«

»Ja bitte.« Ich erhöhte meine Wahrnehmungsrate, soweit es ging. »Okay, eins, zwei, drei, ›ping‹.«

»›Ping‹. Da es hier keine Funkübertragung gibt, ist das Signal nicht mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs. Das System ist ein paketvermitteltes Netzwerk, das auf dem Backbone der Megastruktur mitläuft. Geh also ungefähr von halber Lichtgeschwindigkeit aus.«

In Anbetracht der Zeit, die Bender benötigte, um mein Ping zurückzuschicken, war er meiner Berechnung nach höchstens zehn Abschnitte von mir entfernt. Da die Ad-hoc-Ping-Methode keine genaueren Messergebnisse lieferte, konnte ich das Suchgebiet leider nicht weiter einschränken. Doch immerhin wusste ich jetzt, dass sich Bender in erreichbarer Nähe befand.

Zehn Abschnitte waren viel besser als 1,8 Millionen.

»Und wenn ich es nach Haleps Ende schaffe, wo finde ich dann dich?«

»Am besten hältst du einfach nach einem futuristischen, unterirdischen Bunker Ausschau.«

»Danke, das hilft mir sehr. Da fällt mir ein, dass sie direkt unter der Nase der Verwaltung zu agieren scheinen. Kann es sein, dass du dich auf einem Verwaltungsgebiet befindest?«

»Da bin ich mir sogar ziemlich sicher, Bob. Der Widerstand macht nicht viel mehr, als sich zu verstecken und Dinge zu stehlen. Sie haben kaum eigene Technologie.«

»Und wie schaffen sie das unter der Nase, äh, dem Schnabel der Verwaltung?«

»Oh, die Verwaltung weiß durchaus, dass sie hier sind. Theoretisch bräuchte sie höchstens ein oder zwei Tage, um den Widerstand zu zerschlagen. Im Großen und Ganzen lässt sie ihn aber einfach machen.«

»Und wie passt das mit dem Verstreuen zusammen?«

»Mit dem Verstreuen hält die Verwaltung die Bevölkerung im Zaum und sorgt dafür, dass die Technik auf ein vorindustrielles Niveau beschränkt bleibt. In dieser Hinsicht ist die Verwaltung sehr streng. Davon abgesehen mischt sie sich jedoch so wenig wie möglich ein. Jeder Versuch, den Widerstand komplett auszulöschen, wäre, als würde sie Jagd auf Maulwürfe machen. Dabei würde die Allgemeinheit nicht nur auf den Widerstand, sondern auch auf die Verwaltung selbst aufmerksam werden. Außerdem wäre es viel zu aufwendig, jedes einzelne Gerät in der Topopolis daraufhin zu überprüfen, ob es von der Crew oder den Widerstandskämpfern verwendet wird.«

»Die Verwaltung scheint ziemlich kulant zu sein.«

»Na ja, ihr bleibt gar keine andere Wahl. Sie …«

Benders Stimme brach jäh ab. Offenbar kam kein Signal mehr von ihm herein. Die Hintergrundgeräusche waren ebenfalls verklungen. Vermutlich hatte Natascha Benders Bewachern eine Nachricht geschickt, und sie hatten ihn vom Netz genommen. Zumindest hoffte ich, dass es nur das war und sie ihm nicht Schlimmeres angetan hatten.

Es war Zeit, die anderen wieder hinzuziehen.

Als Erstes musste ich einen sicheren Platz für den Manny finden. Da das Funkgerät nicht mehr funktionierte, ließ ich es einfach zurück. Vielleicht würde der Widerstand die Suche nach mir ja sogar abblasen, wenn sie es fanden.

Ich stellte das Gerät auf einen Felsen, wo es schon von Weitem zu sehen sein würde. Der Roamer hatte in der näheren Umgebung keine Bewegungen ausgemacht, im Osten gab es hingegen Hinweise auf Aktivitäten. In dieser Richtung hatte ich einen Bach bemerkt, den ich meiden würde.

Die Quinlaner würden sich nach Anbruch der Dunkelheit nicht in der Wildnis aufhalten. Die Topopolis ähnelte, wie Bridget immer wieder erklärt hatte, eher einem Naturreservat als einem Zoo, und die Quinlaner waren darin längst nicht die größten oder gefährlichsten Geschöpfe. Daher musste ich nichts anderes tun, als bis zum Sonnenuntergang außer Sicht zu bleiben und mir dann einen einigermaßen abgeschiedenen Ort zu suchen. Wenn ich meinen Geruch und alle internen Wärmequellen deaktivierte, würde sich kein Raubtier für mich interessieren.

Ich befahl dem Roamer, wieder an Bord zu kommen, und lief ungefähr zehn Minuten lang vom Funkgerät weg. Dann versteckte ich mich in einer Kuhle bei einem Felsvorsprung und deckte mich mit abgebrochenen Zweigen zu. Der Roamer, der erneut ein Stück von mir entfernt Wache hielt, bestätigte, dass ich mit bloßem Auge nicht zu erkennen war.

Ich legte mich hin, schloss die Augen und kehrte in meine VR -Bibliothek zurück.

Jeeves erschien mit einem Kaffee und einem kleinen Imbiss. Gleich danach tauchte Spike auf und machte sich über das Essen her. Ich tätschelte sie und scheuchte sie von den Sandwiches weg.

Mir fiel auf, dass ich Zeit schindete. Ich wusste aber nicht, wieso. Vielleicht scheute ich einfach die zusätzliche Komplikation.

Ich versuchte, Kontakt zu Bill, Garfield, Bridget, Will und Hugh aufzunehmen. Bill und Will ließen mich wissen, dass sie beschäftigt seien und sich alles, was wir besprachen, von Garfield erzählen lassen würden. Garfield und Bridget stellten die Verbindung sofort her. Bei Hugh meldete sich nur ein Anrufbeantworter. »Ich bin ungefähr eine Woche lang nicht zu erreichen. Hinterlasse bitte eine Nachricht. In dringenden Fällen wende dich an …«

Das war wirklich eigenartig. Doch damit würde ich mich später befassen. Jetzt wollte ich erstmal mit Garfield und Bridget sprechen.

»Ihr fragt euch bestimmt …«

»… wieso du uns herbestellt hast«, schnitt Garfield mir das Wort ab. »Komisch, irgendwann kann man es tatsächlich nicht mehr hören.«

Bridget lachte laut auf. »Endlich stimmt mir mal jemand zu.«

»Ich werde geschmäht«, sagte ich. »Eigentlich habe ich Neuigkeiten für euch, doch nun fühle ich mich gekränkt …«

»Ich lege jetzt auf …«

Nun musste ich lachen. »Also gut, Leute. Um es kurz zu machen: Ich habe Bender gefunden.«

Daraufhin bombardierten mich die beiden wie erwartet mit Fragen. Ich wartete ab, bis sie wieder verstummten. Dann sagte ich: »Ich schicke euch die Audioaufnahme. Ich werde sie auch bloggen, aber dafür muss ich meinen Blog auf eurer Seite des BobNets spiegeln. Wenn sich das halbe Bobiversum durch mein provisorisches Relais zwängt, habe ich überhaupt keine Bandbreite mehr.«

»Ich mach das für dich, Bob.«

»Danke, Gar. Eine Sache weniger, über die ich mir den Kopf zerbrechen muss. Es gibt übrigens auch schlechte Nachrichten.«

»Gibt es die nicht immer?«

»Jepp. Kurz nachdem ich Bender gefunden habe, ist der Kontakt zu ihm abgebrochen. Wahrscheinlich haben seine Entführer die Verbindung gekappt. Doch davor konnten wir noch herausfinden, dass er sich höchstens fünftausend Meilen von mir entfernt befindet. Wir könnten mehrere Drohnen mit SUDDAR -Scannern in diesen Bereich schicken, aber das würde wegen der Materialknappheit und der zur Tarnung nötigen Wärmeableitung buchstäblich Jahre dauern.«

»Und all das müsstest du tun, während du gleichzeitig nach Bender suchst«, sagte Bridget.

»Genau. Wir haben keine Ahnung, wann wir das BobNet wieder kontrollieren. Ich weiß nicht einmal, ob ich meine Relaisstation zurückbekomme. Wenn das nicht klappt, wird es ein paar Jahre dauern, bis ich einen Ersatz geschaffen habe. Ich brauche auf dieser Seite mindestens einen Helfer, und ich hoffe, dass sich einer von euch beiden oder Bill klonen lässt. Andernfalls werde ich es selbst tun, aber ich, äh …«

»Du klonst dich nicht gern«, sagte Garfield. »Ja, das weiß jeder. Aber es wäre das Effizienteste, Bob. Es würde Wochen dauern, ein Back-up durch dein provisorisches Relais zu schicken. Vor Ort könntest du es im Nullkommanichts erledigen.«

»Ja, das weiß ich, Gar. Aber wenn ich einen Klon von mir mache, wird er einen von euren Mannys benutzen müssen, und die will ich euch nicht streitig machen.«

»Ich habe bereits gesagt, was ich vom Klonen halte«, sagte Bridget. »Wenn dein Nachfahre einen weiblichen Quinlaner möchte, dann soll er sich ihn nehmen. Allerdings hoffe ich, dass er einen der anderen beiden wählt. Irgendwann steht die Kommunikation wieder, und dann würde ich gern weiterforschen.«

»Zum Thema Bandbreite habe ich auch noch was zu sagen«, warf Garfield ein. »Ich bereite gerade die Spiegelung vor, und deine Datenübertragungsrate ist echt übel. Ich meine, noch schlimmer, als man erwarten würde. Übermittelst du gerade ein Datenpaket?«

»Nicht, dass ich wüsste. Wenn wir hier fertig sind, schaue ich es mir gleich mal an. Gib mir Bescheid, wenn du mit der Spiegelung fertig bist und die Name Services umgeleitet hast. Ich werde einen Blogpost mit all meinen Audio- und Videodateien machen. Gut möglich, dass die Sternenflottenmitglieder dann allesamt einen Herzinfarkt erleiden.«

Garfield schnaubte. »Schön wär’s.«

Als wir alle die Verbindung gekappt hatten, rief ich Guppy. »Haben wir gerade irgendetwas Großes am Laufen, das die Bandbreite unserer Verbindung mit dem BobNet reduziert?«

[Ein Back-up wird übertragen.]

»Was? Wessen?« Einerseits hieß das vielleicht, dass ich mich nicht klonen musste. Andererseits konnte es auch bedeuten, dass irgendwer sich in mein System einschmuggeln wollte.

[Das Expeditionsmitglied, das sich Hugh nennt, hat um Aufnahme seines Back-ups ersucht. Er hat außerdem die Produktion einer einzelnen Matrix ganz nach vorn in die Druckerwarteschleife gestellt.]

Nun, das war ganz schön übergriffig von ihm. Andererseits hatte ich den Expeditionsmitgliedern bislang freie Hand gelassen. »Er hätte es mir sagen können.«

[Eine direkte Kommunikation war zu dem Zeitpunkt nicht möglich. Er hat eine E-Mail geschickt.]

Ich schlug mir an die Stirn. Bisher war ich noch gar nicht dazu gekommen, meine Inbox zu prüfen. Ja, sie enthielt tatsächlich eine Nachricht von Hugh. Seufzend öffnete ich sie.

Hallo Bob,

mir ist klargeworden, dass du Hilfe benötigst. Da allgemein bekannt ist, wie ungern du dich klonst, werde ich mich selbst nach Eta Leporis transportieren. Der Transfer wird je nach Datenverkehr bis zu einer Woche dauern, und ich habe Guppy angewiesen, in der Zwischenzeit eine Matrix herzustellen.

Bis du mich wieder hochfährst, werde ich offline sein. Für den Notfall habe ich die Kontakt-ID eins meiner Kollegen angehängt.

Hugh

Hmm. Eigenartige Wortwahl. Und wieso würde er offline sein?

Wie auch immer. Ich musste mich um andere Probleme kümmern. »Sag, Guppy, wie viel Scanner-Drohnen können wir nahe an diesen Abschnitt der Megastruktur heranbringen« – ich schickte ihm die entsprechenden Koordinaten – »ohne auf uns aufmerksam zu machen? Und wie schnell?«

Zu meiner Überraschung dauerte es ein paar Millisekunden, bis Guppy antwortete. Normalerweise bemerkte nicht einmal ich seine Verarbeitungszeit. Doch dies war eine komplexe logistische Herausforderung, in der nicht nur unterschiedliche Lieferzeiten beachtet werden mussten, sondern auch die Beschränkungen durch die Kühlaggregate, die verfügbaren Rohstoffe und die Prioritäten anderer Projekte.

[Sechs Monate, bis wir vier Einheiten in Position haben. Ein Jahr für zwölf Geräte.]

Wow, das war übel. Ich hatte das Gefühl, dass diese Verzögerung vor allem mit Hughs Matrix zu tun hatte. Trotzdem war ich froh, ihn demnächst hierzuhaben.

»Wie lange wird es dauern, eine einzige Drohne in Position zu bringen?«

[Drei Wochen.]

»Dann mach bitte das.«

[Bestätigt.]

Somit würde ich also drei Wochen lang im Trüben fischen. Anschließend würde meine einzelne Drohne bis zu zehntausend Meilen Topopolis scannen müssen, und zwar so detailliert, dass ich etwas damit anfangen konnte. Alles in allem machte ich mir keine allzu großen Hoffnungen.

Na gut, und wohin sollte ich mich nun zuerst wenden? Flussaufwärts oder flussabwärts? Ich würde eine Münze werfen und Hugh, sobald er aktiviert war, die andere Richtung absuchen lassen.

Vielleicht würde ich bereits mehr wissen, sobald Hugh aufwachte, und er musste gar nicht mehr in der anderen Richtung suchen.

Ja, das klang gut.

Aber wie sollte ich das anstellen?