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Die Schlacht von Newholme
Claude – Juli 2334
Newholme-Kolonie
Ich inspizierte die Gefechtsstatus-Grafiken und suchte nach Schwachstellen. Commander Hobart stand derweil reglos in Rührt-euch-Stellung. Er besaß das für Soldaten typische Talent, einen geistigen Winterschlaf halten zu können, während er wartete. Ich fand es durchaus bemerkenswert, dass er besser eine Maschine imitierte, als ich es je hinbekommen würde. Ich hätte meinen Manny natürlich auch einfach auf Stand-by schalten können, aber das wäre Betrug gewesen.
»Ich glaube, es ist alles in Ordnung, Commander.« Ich drehte mich um und sah, wie wieder Leben in ihn kam.
»Dann können wir jetzt loslegen.« Hobart berührte das Emblem an seiner Brust. »Miller, beginnen Sie mit der Mission.«
Ich verkniff mir ein Kichern. Das Militär von Newholme verwendete, offenbar ohne jede Ironie, ein Kommunikationssystem, wie man es von Star Trek kannte. Ich hatte Hobart – hoffentlich nicht allzu auffällig – danach gefragt, aber er hatte behauptet, nichts von irgendeinem Raumschiff Enterprise zu wissen. Immerhin piepte das Emblem nicht zweimal. Das wäre wirklich zu viel gewe sen.
Lieutenant Miller, der sich irgendwo in der riesigen Armee von Newholme auf seinem Posten befand, würde nun Befehle erteilen und diverse Schalter umlegen. Es überraschte mich immer wieder, wie viele Soldaten es im Gamma-Pavonis-System gab. Newholme war zu einem Zeitpunkt gegründet worden, als wir uns noch nicht sicher sein konnten, ob die Bedrohung durch die Anderen tatsächlich vorüber war, und die damalige Stimmung wirkte auch jetzt noch nach. Vielleicht würde sich die Gesellschaft von Newholme irgendwann entspannen, doch im Moment erinnerte sie mich an ein Stachelschwein im permanenten Alarmzustand.
Heute würden wir gegen die Sternenflotte vorgehen, die in das System eingefallen war. Sie hatte die hiesige Relaisstation sowie eine der beiden im Weltraum stationierten autonomen Fabriken eingenommen und dann die Regierung von Newholme kontaktiert, um mit ihr zu verhandeln. Von früheren Verhandlungen mit der Sternenflotte wussten wir ziemlich genau, was sie wollten: das Zugeständnis, dass die Menschen und Replikanten getrennte Wege gehen würden, die Menschen keinen Kontakt mit vorindustriellen Spezies aufnahmen und den Kontakt mit postindustriellen Spezies auf ein absolutes notwendiges Minimum beschränkten, um eine kulturelle Kontamination zu vermeiden.
Oberflächlich betrachtet schien es keine große Sache zu sein. Im Austausch gegen nichts weiter als ein paar Unterschriften würde die Sternenflotte Newholme die komplette Kontrolle über die Station und die Fabrik zurückgeben. Doch wie man es auch drehte und wendete, die ganze Sache war nichts anderes als Erpressung. Selbst die friedlichsten Menschen hätten solche Drohungen nicht gut aufgenommen, und die Bewohner von Newholme waren alles andere als friedlich. Sie hatten der Sternenflotte nicht einmal geantwortet.
»Drei Minuten«, erklang Millers Stimme, scheinbar aus dem Nichts.
Hobart nickte zufrieden. Ich sah zu, wie kleine Symbole über die Grafik krochen, während sich die Militäreinheiten ihren Zielen näherten.
»Sie haben eine Stunde, um die Station zurückzuholen, Claude«, sagte Hobart. Darüber hatten wir bereits gesprochen. Vermutlich wollte der Commander nur ein wenig Konversation treiben. »Der Atomsprengkopf wird sofort in Stellung gebracht und gegebenenfalls gezündet.«
»Verstanden, Commander. Ich bezweifle, dass Sie den Sprengkopf brauchen. Soweit ich weiß, zerstört sich die Station selbst, wenn wir keinen Erfolg haben.«
Hobart lächelte, sagte aber nichts.
Die Angriffe waren so aufeinander abgestimmt, dass sie zeitgleich an der Fabrik und der Station erfolgen würden. Wir wollten, dass die Sternenflotte ihre Aufmerksamkeit aufteilen musste. Wir erwarteten zwar nicht, dass es einen riesigen Unterschied machte, aber wir mussten jeden Vorteil nutzen.
»Noch ist keine Spur von Gegenwehr zu erkennen«, sagte Miller.
»Merkwürdig.« Hobart runzelte die Stirn. »Sie haben die Fabrik schon seit fast zwei Tagen unter Kontrolle. In der Zwischenzeit hätten sie doch ein paar Brecher herstellen können, oder nicht?«
»Ja, Commander. Und sie hätten …«
»Unidentifizierte Flugobjekte entdeckt«, unterbrach Miller.
»Na also.« Hobart tippte auf sein Emblem. »Mehr Einzelheiten bitte.«
»Sie sehen wie Brecher aus. Zwanzig Stück. In einem kerzengeraden Angriffsvektor. Nicht besonders originell.«
Hobart sah mich verdutzt an. »Sie und Ihresgleichen sind doch sonst immer so trickreich. Aber das klingt, als wäre das das Maximum, was sie in der gegebenen Zeit produzieren konnten. Könnte das ein Täuschungsmanöver sein?«
»Ich wüsste nicht, in welcher Hinsicht, Commander. Ihre Zahlen stimmen. Das wirkt wie ein letztes Aufgebot oder eine Trotzreaktion. Ich hätte an deren Stelle allerdings länger abgewartet, bis unsere Kräfte enger zusammengerückt sind.«
»Amateure«, murmelte Hobart.
Miller gab alle paar Sekunden mit tonloser Stimme die neuesten Updates durch:
»Die Einheiten erreichen die Gegner.«
»Die erste Welle ist durch. Fünfzig Prozent der gegnerischen Einheiten sind ausgeschaltet. Die zweite Welle trifft ein.«
»Die zweite Welle ist durch. Von den gegnerischen Einheiten sind nur noch zwei übrig. Wir setzten die Stacheln ein … Das Feld ist geräumt.«
Das war es dann also. Wenn die Sternenflotte nicht noch ein Kree-Schlachtschiff im Ärmel versteckt hatte, war damit der Weg zum Ziel für uns frei. »Letzte Chance, Commander. Wir können die autonome Fabrik noch immer retten.«
Er schüttelte den Kopf. »Das ist es nicht wert. Das Risiko, nicht sämtliche Malware aufzuspüren, ist einfach zu groß. Selbst Ihre ›Skippys‹ konnten uns keine komplette Säuberung garantieren. Wir werden die Station neu aufbauen.«
Dass die autonome Fabrik offiziell dem Bobiversum gehörte, spielte bei seiner Entscheidung bestimmt auch eine Rolle. Ich fragte mich, ob sie eine eigene ebenso schnell abgeschrieben hätten.
In diesem Moment zerriss ein schriller Summton die Stille. »Die Station ist detoniert«, verkündete Millers Stimme. »Wir hatten nichts damit zu tun. Anscheinend war es ein Selbstzerstörungsmechanismus.«
»Mist«, sagte ich und drehte mich zum Commander um. »Ich werde mir die Log-Dateien ansehen. Dann können wir derlei beim nächsten Mal vielleicht verhindern. Ist Ihr Back-up fertig?«
Er schüttelte den Kopf. »Das dauert noch vierundzwanzig Stunden. Wir hatten das Gefühl, nicht so lange warten zu können. Wir verfügen über mehrere kleine SCUT -Einheiten mit der notwendigen Reichweite, wie Sie sie bestimmt auch besitzen, aber nicht genug, um eine komplette Verbindung aufrechtzuerhalten. Damit sind wir einen Tag lang vom Rest der VFV getrennt.« Hobart bedachte mich mit einem humorlosen Lächeln. »Was nüchtern betrachtet nicht schlimm ist, aber die Großkopferten werden deshalb bestimmt einen Anfall bekommen. Von wegen auf keinen Fall den Handel blockieren und so weiter und sofort.«
»Ja.« Ich verdrehte die Augen. »Das ist schon okay, Commander. Ich bin mir sicher, dass wir ohnehin bereits komplett in Ungnade gefallen sind. Da macht das auch keinen großen Unterschied mehr.«
Commander Hobart nickte und wandte sich ab, um Miller Befehle zu erteilen. Ich fasste das als Zeichen auf, dass ich entlassen war, und ging zum Ausgang.
Normalerweise bewahrte ich diesen Manny im Capitol von Newholme auf und versetzte mich in ihn, wenn ich mit der Regierung Kontakt aufnehmen oder in der Stadt etwas erledigen musste. Da mir klar gewesen war, wie dieser Militäreinsatz enden würde, hatte ich diesmal jedoch geplant, ihn vom Planeten runterzuschaffen. Zudem hatte Howard mich gewarnt, dass die Bobs im Moment in sämtlichen von Menschen bewohnten Systemen als Sündenböcke herhalten mussten.
Den liquiden Teil meines Geldes hatte ich bereits auf Konten in anderen Systemen überwiesen. Diese Transaktionen konnten nicht mehr rückgängig gemacht werden. Gleichzeitig waren meine physischen Vermögenswerte auf verschiedenen Routen zur Oortschen Wolke unterwegs. Sobald ich meine dortige Basis erreicht hatte, würde ich mir die nächsten Schritte überlegen.
Als ich das Gebäude verließ, landete eine meiner Frachtdrohnen vor mir. Ohne langsamer zu werden, trat ich durch die Frachtluke und befahl ihr, sofort abzuheben. Ich vermutete, dass mir höchstens eine halbe Stunde blieb, ehe die Regierung – die »Großkopferten«, wie sie hier hießen – mein restliches Eigentum konfiszierten und vers taatlichten.
Es war eigenartig, aber seit dem Unabhängigkeitskrieg auf Poseidon galt im Bobiversum die unausgesprochene Abmachung, keinem Außenstehenden von unseren SUDDAR -Tarnvorrichtungen zu erzählen oder gar die entsprechenden Konstruktionspläne zu veröffentlichen. Ich nehme an, dieses wechselseitige Misstrauen hatte bereits vor dem Auftauchen der Sternenflotte existiert. Sie hatten es nur noch weiter verstärkt. Vielleicht war ihre Weltsicht aber auch eine Folge ebendieses Misstrauens.
So oder so würden die Großkopferten von Newholme meine Ausrüstung niemals finden, sobald ich sie vom Planeten geschafft hatte.
Wie sich herausstellte, war meine Prognose zu pessimistisch gewesen. Es dauerte fast drei Stunden, bevor die Regierung anordnete, bis zu einer eventuellen Abtretung der rechtlichen Verantwortung sämtliche Vermögenswerte des Bobiversums im ganzem System zu »sichern«. Die Armee und das Finanzwesen sollten umgehend in Aktion treten. Die Anzugträger würden fast den ganzen Tag brauchen, um all die falschen Fährten hinter sich zu lassen, die ich während der letzten Tage gelegt hatte. Und wenn sie damit fertig waren, würde längst alles verschwunden sein.
Die Militärs bereiteten mir größere Sorgen. Von den Lagrange-Flottenbasen flogen zwei Geschwader ab und beschleunigten mit mehreren G zu meiner letzten bekannten Position. Von dort folgten sie dem Vektor, auf dem ich mich entfernt hatte. Zu ihrem Pech hatte ich seither bereits mehrere Male die Richtung gewechselt, sodass ich mich weder an der vorausberechneten Stelle befand noch auf einem radial davon abgehenden Vektor. Der Weltraum war voll von SUDDAR -Pings, die allesamt geräuschlos von meiner Tarnung abglitten.
Nach einer Minute meldete sich Commander Hobart. »Claude Johansson, gemäß einer Anordnung der Groß … äh, des Konzils von Newholme stelle ich Sie hiermit unter Militärarrest. Beenden Sie Ihre Beschleunigung, und lassen Sie uns an Bord kommen.«
Ich lachte leise über Hobarts Beinahe-Fauxpas, aber natürlich antwortete ich nicht, um meine Position nicht zu verraten. Der Commander würde den Großkopferten wohl oder übel erklären müssen, weshalb er mit leeren Händen zurückgekehrt war.
Ich verfasste eine E-Mail und schickte sie durch mein eigenes SCUT -Relais an Bill. Ich wollte ihm zwar nicht noch mehr Kopfzerbrechen bereiten, aber was hier geschah, ging uns alle an und würde sich wahrscheinlich in anderen Systemen wiederholen.
Innerhalb weniger Sekunden erhielt ich eine Antwort. Ja, richtig gelesen. Nicht Millisekunden, sondern Sekunden. So beschäftigt war er.
Danke für die Info, Claude. Leider hast du mit deiner Vermutung, dass andere Systemregierungen etwas Vergleichbares versuchen könnten, wahrscheinlich recht. Aber ich werde alle möglicherweise davon betroffenen Bobs vorwarnen. Übrigens sehr cool, wie du deine Finanzen in Sicherheit gebracht hast.
Ich lächelte, dann ließ ich mich zurücksinken und schaute in den Weltraum hinaus. Meine Tage in diesem System waren höchstwahrscheinlich gezählt. Wenn sie mich verklagten, würde ich kaum erklären können, wieso ich den Befehl des Commanders missachtet hatte, oder mich damit hinausreden, dass meine ausgeklügelten Schachzüge ganz normales Geschäftsgebaren gewesen wären.
Aber das war mir egal. Ich hatte mich ohnehin schon viel zu lange hier aufgehalten. Mario und seine Crew entdeckten jenseits des Raumes, den die Anderen bewohnt hatten, interessante neue Dinge. Vielleicht würde ich mich ihnen anschließen und dabei helfen, die Grenzen des bekannten Universums weiter auszudehnen.