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Die Suche

Bob – Juli 2334

Zedernschnellen

Hugh hatte den Ersatz-Manny saubergemacht und war mittlerweile unterwegs. Ich war froh, dass er sich mir in Himmelsfluss angeschlossen hatte. Seine Weigerung, sich zu klonen und das ganze Gerede über Seelen waren allerdings ziemlich schräg. Ich fragte mich, ob er sich nur deswegen persönlich nach Eta Leporis transportiert hatte, um am eigenen Leib herauszufinden, was an ihren Theorien dran war.

Ich war inzwischen zu Fuß in der Stadt eingetroffen. Von ein paar Einheimischen erfuhr ich, dass ich mich an einem Ort befand, den die Übersetzungssoftware als Zedernschnellen wiedergab. Diesen Namen verdankte er natürlich einer hiesigen Baumart.

Es war eine wohlhabende Stadt mit relativ großer Schiffsflotte. Offenbar war es profitabel, der letzte Hafen vor den Bergen und damit das Nadelöhr für den gesamten Warenverkehr zwischen zwei Abschnitten zu sein.

Hier fand auch wieder ein Festival statt. Ich beschloss, ein bisschen herumzulaufen und ein Gefühl für den Ort zu entwickeln. Ohne meine Freunde würde ich hoffentlich nicht allzu sehr aus der Menge herausstechen.

Ich würde auf jeden Fall darauf achten, nicht in irgendwelche Wagen zu linsen.

In rascher Abfolge sah ich eine Square-Dance-Gruppe, ein hervorragendes Streichquartett und ein paar Sänger. Die Quinlaner hatten eindeutig ein gutes Gespür für Musik und Rhythmus. Doch gegen ihre kurzen Arme und Beine konnten sie nichts machen. Damit würden sie niemals überzeugend Ballett oder auch nur Hip-Hop tanzen.

Ich hielt es für klug, nach Widerstandskämpfern Ausschau zu halten. Da ich auf dem Landweg gekommen war und den Hafen gemieden hatte, war ich vermutlich allen Beobachtungsposten aus dem Weg gegangen. Unauffällig begab ich mich zur nächstbesten Taverne und setzte mich an einen Tisch. Es war ein gehobenes Lokal mit einer Terrasse, auf der man essen, trinken und das Treiben auf der Straße beobachten konnte. Nach ein paar Minuten erkannte ich jedoch, dass die Leute, die hier Platz nahmen, nicht an Gesprächen interessiert waren. Also zog ich nach innen um.

Drinnen ging ich zur Theke, wo ich ein Bier und das hiesige Äquivalent eines Sandwiches bestellte. Die äußere Hülle bestand zwar nicht aus Brot, sondern aus einer Art Pita, aber dafür gab es Varianten ohne Fisch, die sofort zu meiner neuen Leibspeise wurden.

Während ich mein Sandwich verspeiste, unterhielt ich mich mit der Barkeeperin. Da gerade nicht viel Betrieb herrschte, war sie gelangweilt genug, um sich mit mir abzugeben.

»Gute Frau, ich suche gerade nach einer neuen Bleibe. Könntest du mir ein Hotel oder ein Apartment mit Blick auf den Hafen empfehlen?«

»Weshalb in Mutters Namen sollte man am Hafen wohnen wollen?«

Ähm, denk schnell nach, Bob. »Ich bin ein Künstler. Momentan male ich Schiffe.«

Sie betrachtete mich einen Moment lang mit geneigtem Kopf. Dann nickte sie. Offenbar hielt sie mich nicht für gefährlich. Oder verdächtig. Oder sonst irgendetwas.

»Meinem Cousin Maurice gehören die Eichenbündel-Luxusapartments. Wenn du ihm sagst, dass du von Melanie kommst, gibt er dir bestimmt eine schöne Unterkunft.«

Und dir eine Provision. Es war erstaunlich, wie viele Geschäfte in Himmelsfluss auf persönliche Empfehlung getätigt wurden. Aber das war absolut in Ordnung. Es motivierte Melanie dazu, mir zu helfen und über etwaige Merkwürdigkeiten hinwegzusehen.

Sie beschrieb mir den Weg, und ich bedankte mich bei ihr. Um ein guter Nachbar zu sein, bestellte ich außerdem gleich noch ein zweites Bier.

Diesmal wollte ich es vorsichtig angehen und nicht einzelnen Leuten zu viele Fragen stellen. Von daher fand ich mich bald im nächsten Lokal wieder, wo ich den erstbesten Kneipenhocker in ein Gespräch verwickelte.

»Ein Cousin von mir wohnt in den Eichenbündel-Apartments. Bisher habe ich sie noch nicht gefunden. Kennst du vielleicht den Weg?«

Marty McBarfly gluckste. »Offensichtlich hast du nur Augen für die Damen gehabt. Auf dem Weg vom Hafen hierher bist du direkt daran vorbeigekommen.« Er musterte mich forschend von Kopf bis Fuß. »Dein Cousin stammt vermutlich aus dem wohlhabenderen Teil der Familie. Das Eichenbündel ist nicht billig.«

Ich lachte und versuchte, verlegen auszusehen. Ich hatte mir eine recht brauchbare Legende ausgedacht. »Opa hofft, dass Theodore mir eine Anstellung mit guten Zukunftsaussichten verschaffen kann. In Haleps Ende ist nicht viel los.« Ich beobachtete ihn genau, um zu sehen, ob er die Stadt kannte. Offenbar nicht. »Theodore arbeitet in der Bibliothek. Obwohl er eigentlich gar kein Geld braucht. Dort kann ich ihn wahrscheinlich finden.«

»In welcher? Ayelands oder Fleischhaken?«

Ups. »Äh, ehrlich gesagt weiß ich das gar nicht. Es ist aber bestimmt die, die näher an seiner Wohnung liegt. Er hasst es nämlich, zu Fuß zu gehen.«

»Dann ist es Ayelands.« Er beschrieb mir den Weg dorthin. »Ich hoffe, dass alles so klappt, wie du es dir vorstellst.« Marty blickte traurig auf seinen leeren Becher. Ich verstand den Hinweis und bestellte eine zweite Runde. Martys Gesicht erhellte sich wieder.

Ich hatte nicht vor, in die Bibliothek zu gehen. Genauso gut hätte ich fröhlich mit einem Monokel am Hafen spazieren, einen Gehstock durch die Luft wirbeln und dazu Dixieland pfeifen können. Ich musste herausfinden, ob der Widerstand noch hinter mir her war. Wenn sie diese Stadt ebenfalls überwachten, musste ich akzeptieren, dass sie mich auf dem Radar hatten.

Ich mietete mich im Eichenbündel ein. Es war tatsächlich teuer. Ich rechnete mir aus, dass mein Geld ungefähr noch drei Monate lang reichen würde. Eigentlich hatte ich gar nicht vor, so lange zu bleiben, aber ich machte mir dennoch Sorgen. Wenn nötig, konnte ich immer noch die Messer verkaufen. Allerdings bezweifelte ich, dass ich sie zum marktüblichen Preis loswerden würde.

Nach einem weiteren langen Arbeitstag als Spion kehrte ich in meine VR -Bibliothek zurück, wo Hugh es sich bereits mit einem Kaffee gemütlich gemacht hatte. Er prostete mir mit seiner Tasse zu, während ich mich auf meinen La-Z-Boy fallen ließ.

»Wie war die Schlacht, o ehrwürdiger Vorfahr?«

Ich kicherte, hörte jedoch meinen guten alten Spinnensinn klingeln. Hughs gelegentliche Versuche, sich jovial zu geben, wirkten nie ganz authentisch. Der Ursprüngliche Bob hatte sich nie so benommen, und die Skippys waren mir bislang auch nicht wie übertrieben freundliche Gebrauchtwagenhändler vorgekommen. In einem Film hätte er sich wahrscheinlich an das Mobiliar gelehnt und pfeifend zur Decke hinaufgeschaut. Die Frage war nur, warum er sich so gab.

»Ich habe ein paar Tage lang den Hafen beobachtet«, erwiderte ich. »Dort hängen ein paar Jungs rum, die sich gegenseitig abzulösen scheinen und offenbar nichts anderes tun, als die Wände zu stützen. Aber das bedeutet nicht, dass sie zum Widerstand gehören. Und wenn doch, stellen sie sich ziemlich dilettantisch an.«

»Wahrscheinlich gibt es nur die allgemeine Anweisung, im ganzen Segment nach uns Ausschau zu halten. Oder besser gesagt, nach dir.«

»Vielleicht. Und was treibst du so?«

Hugh deutete auf seine Brust. »Ich verdinge mich als Deckarbeiter auf einem Handelsschiff, dass auf allen vier Flusssystemen im Segment unterwegs ist. Im Moment schippern wir gerade auf dem Arkadien herum.«

»Hmm.« Das war gar keine schlechte Idee. Dabei konnte er den Gesprächen der Besatzung lauschen und gelangte fast jeden Tag in eine neue Stadt.

»Ach, und Bob …«

An seinem Unterton merkte ich, dass Ärger in der Luft lag, und versuchte, so unschuldig wie möglich auszusehen.

»Es gibt da eine Sache, die du mir vielleicht erklären kannst. Da meine Schiffskameraden jedes Mal kicherten, wenn sie mich ansprachen, habe ich irgendwann bewusst auf die quinlanische Übersetzung meines Namens geachtet.«

Immer schön unschuldig dreinschauen. Neutraler Gesichtsausdruck. Ich weiß von nichts. »Na ja, die Übersetzungssoftware weist nach dem Zufallsprinzip irdischen Namen quinlanische zu.«

»Nach dem Zufallsprinzip.«

»Ganz genau.«

Er schwieg einen Moment. »Dann hat der Übersetzer mir also rein zufällig den Namen Bierdose verpasst.«

»Äh, ja, kann man so sagen.«

Er starrte mich an, und ich versuchte, ein Pokerface zu wahren. Doch schließlich konnte ich nicht mehr und brach in Gelächter aus. »Also … Skippy … du«, presste ich mühsam hervor.

Einen Moment später begann Hugh zu grinsen und prustete schließlich selbst los. »Okay«, sagte er, »nicht schlecht. Das war wirklich lustig. Aber dir ist natürlich klar, dass das Krieg bedeutet.«

»Den Namen wirst du nicht mehr los«, sagte ich, immer noch grinsend.

»Ja. Ich habe meinen Kameraden erklärt, dass es ein Spitzname ist, der ursprünglich als Scherz gedacht war und irgendwann hängengeblieben ist.«

Ich nickte. Das war eine gute Erklärung. »Hast du auf deinen Reisen irgendetwas herausgefunden?«

»Nichts Weltbewegendes. Einem Großteil der Quinlaner ist zumindest grob bewusst, dass es so etwas wie eine Verwaltung und den Widerstand gibt. Viele wissen außerdem, dass sie in einer künstlich geschaffenen Megastruktur leben und auf einem bestimmen technologischen Level gehalten werden. Andere glauben an Mythen mit Gottheiten und Dämonen. Den meisten ist es aber so oder so egal.«

»Wirklich?«

»Ja, weil man hier ziemlich gut leben kann. Niemand hungert, und es gibt keine Kriege. Ab und zu geraten zwei Städte wegen geteilter Fischgründe aneinander, aber das ist auch schon alles. Die medizinische Versorgung ist gut, und es gibt ausreichend sanitäre Einrichtungen. Daher ist die Sterberate eher niedrig. Es existieren auch nur sehr wenige Raubtiere, die Quinlaner fressen. Die meisten sterben an unheilbaren Krankheiten, dem Alter, Kämpfen und anderen Missgeschicken. Unter diesen Umständen wäre es wirklich schwer, einen durchschnittlichen Quinlaner gegen die bestehenden Verhältnisse aufzuwiegeln.« Hugh sah aus, als wollte er noch etwas hinzufügen, doch es kam nichts mehr.

Das bestätigte erneut meinen Verdacht, dass Hugh irgendetwas zurückhielt. Aber ich wusste nicht, ob es etwas Wichtiges oder nur irgendeine durchgeknallte Theorie war, mit der er mich nicht behelligen wollte …

»Okay«, sagte ich, »ich glaube, in Zedernschnellen komme ich nicht mehr weiter. Hier kennt niemand Haleps Ende, und wenn ich nicht mit einem Schild um den Hals durch die Stadt marschiere, werde ich vermutlich weder den Widerstand noch die Verwaltung auf mich aufmerksam machen. Ein Stück flussabwärts gibt es eine Transitstation. Da gehe ich hin und versuche, einzubrechen.«

»Du entwickelst dich zu einem richtigen Tunichtgut«, erwiderte Hugh grinsend. »Na dann, viel Spaß.«