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Den Zug erwischen

Bob – Juli 2334

Transit

Ich betrachtete die Station mit meiner Teleskopsicht. Von außen sah sie genau wie die Station in Garacks Rücken aus. Wahrscheinlich war sie mit anderen Kunstwerken ausgestattet, aus dieser Entfernung konnte ich das Innere jedoch nicht erkennen.

Ich musste eine Entscheidung treffen. Wenn die Crew – und etwaige Doppelagenten des Widerstands – die Vakuum-Einschienenbahn benutzten, musste es ihnen im Unterschied zu allen anderen Quinlanern möglich sein, die Station zu betreten. Und dazu würden sie einen Berechtigungsnachweis brauchen. Ich strich mit den Fingern über den Sicherheitspass in meiner Hand. Das war alles sehr logisch, aber selbst in einer von Menschen geschaffenen Umgebung hätte es nicht zwangsläufig so sein müssen. Oder meine Überlegungen stimmten zwar, aber diese Karte war nicht für den Transit bestimmt. Mit einem Bibliotheksausweis würde ich sicher keinen Zugang zur Station erhalten. Und wenn ich es damit versuchte, würde ich auffallen.

Und was war mit Gesichtserkennung? Hatten sie ein entsprechendes System installiert? Würde es meine Visa ge mit einem Bild in der Datenbank vergleichen, das höchstwahrscheinlich Natascha zeigte? Und falls es so war – was würde passieren, wenn ich ihm nicht entsprach? Würden Heerscharen von krabbenartigen Drohnen über mich herfallen? Während Sirenen gellten?

Alternativ konnte ich mich in die Station durchgraben, wie Gandalf und die anderen es getan hatten. Was mit meinen Ein-Zoll-Roamern allerdings ganz schön lange dauern würde. Diese Option würde ich mir ganz bis zum Schluss aufheben.

Ich verglich mein Gesicht mit meiner Erinnerung an Nataschas und dann, der Vollständigkeit halber, noch mit mehreren willkürlich ausgewählten quinlanischen Ges ichtern. Eine Erkennungssoftware, zumindest die irdische Variante, nahm ein Gesicht nicht in seiner Gesamtheit wahr. Stattdessen verglich der Computer den räumlichen Abstand zwischen prominenten und leicht zu erkennenden Punkten im Gesicht, wie zum Beispiel Pupillen, Mundwinkel, Nasenlöchern, Kinnspitze und so weiter. Dieser vereinfachte Algorithmus sparte viel Prozessorzeit und reichte für die meisten Zwecke aus.

Ich verschaffte mir einen kurzen Überblick über die in meinem Gedächtnis abgespeicherten Quinlaner und identifizierte dabei die mutmaßlichen Eckpunkte in ihren Gesichtern. Wie flexibel war das Antlitz meines Mannys? Sein Skelett und die Muskulatur waren genauso konstruiert wie bei einem echten Quinlaner, doch die Mannys waren zusätzlich mit internen Reparatursystemen ausgestattet, die hin und her geschickt werden konnten. Außerdem ließen sich die Muskeln, wenn nötig, in unnatürlicher Weise beugen.

Ich dachte an Wills Kommentar, dass ich niemals vom Radar der Verwaltung verschwinden würde, sobald sie erst einmal ein Fahndungsbild von mir hatten. Vielleicht sollte ich dieser Sache sicherheitshalber auf den Grund gehen.

Ich schickte Bill eine kurze Nachricht und erhielt beinahe umgehend die folgende Antwort: »Ich bin sehr beschäftigt, Bob. Wende dich an den Borg, wenn du es schnell wissen musst.«

Hmm. Das war nicht die erhoffte Reaktion. Ich leitete meine ursprüngliche Anfrage an Locutus weiter und wurde nach nicht mal einer Minute mit einer Antwort be lohnt. »Die Konstruktion beinhaltet ein paar editierbare Parameter. Einige sind zwar nach dem Ausdrucken fixiert, doch andere lassen sich mechanisch verändern. Du solltest dein Äußeres also bis zu einem gewissen Grad anpassen können. Ich habe die diesbezüglichen technischen Daten und Instruktionen angehängt.«

Viel besser. Ich las die Anleitung durch, überlegte, was ich haben wollte, und erteilte meinem internen System die entsprechenden Befehle. Einen Moment später spürte ich, wie sich mein Gesicht verformte. Es war zwar nicht schmerzhaft, fühlte sich aber an, als würde etwas unter meiner Haut herumkriechen, was das dringende Bedürfnis in mir weckte, durch die Gegend zu hüpfen und laut zu schreien.

Nach wenigen Sekunden war es vorbei. Ich spuckte eine Spinne aus und machte mit ihr ein Selfie von mir.

Hmm. Nicht perfekt, aber wahrscheinlich noch innerhalb der Fehlertoleranz.

Ich holte unnötigerweise tief Luft, stand auf und ging so selbstverständlich wie möglich auf die Vorderfront der Transitstation zu.

Am Haupteingang, einem Rollladen so groß wie ein Scheunentor, gab es keinen sichtbaren Öffnungsmechanismus. Vermutlich war ich bereits von einer Kamera erfasst worden, doch ich bezweifelte, dass es ein Verbrechen war, stehen zu bleiben und sich umzuschauen.

Hinter der nächsten Ecke entdeckte ich eine normal dimensionierte Tür, bei der es sich wahrscheinlich um einen Wartungszugang handelte. Und daneben befand sich zu meiner großen Freude tatsächlich eine Platte, wie man sie zum Scannen von Sicherheitskarten verwendete. Ich staunte immer wieder, wie sehr sich die Technologien im ganzen Universum ähnelten.

Nun kam der Moment der Wahrheit. Ich legte die Karte auf die Platte und verkniff es mir ganz bewusst, mich umzuschauen. Ein Klicken ertönte, und ich zog die Tür auf. Heureka! Es kamen nicht einmal Krabbendrohnen auf mich zugestürmt.

Ich würde ein wenig improvisieren müssen, während ich in Bereiche vordrang, die nie ein Bob zuvor gesehen hatte. Immerhin war ich mir ziemlich sicher, dass mich niemand dabei beobachten würde. Ich ging zu den Fahrstühlen. Als ich auf den einzigen Knopf drückte, öffnete sich mit einem Pling eine der Türen. Ich stieg ein und drückte auf den Knopf, neben dem Transit stand.

Nach einer kurzen Fahrt ging die Tür wieder auf und gab den Blick auf einen langen Korridor frei. Er führte zu einer Art Vestibül oder Bahnsteig. In der gegenüberliegenden Wand befanden sich mehrere identisch aussehende Türen, die an Luftschleusen erinnerten, und dazwischen jeweils ein Sicherheitskarten-Scanner. Da ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, hielt ich Nataschas Karte an einen von ihnen. Eine Stimme sprach mir ins Ohr: »Wohin möchtest du?«

Okay, ein weiterer entscheidender Moment. »Haleps Ende?«

»Einen Moment.« Eine kurze Stille trat ein. »In hundertachtundsechzig Sekunden kommt ein Zug.«

Heiliger Strohsack, ich hatte den Jackpot geknackt! Hundertachtundsechzig Sekunden war die Übersetzung. Die eigentliche Zeitangabe lautete anderthalb Veks , das quinlanische Gegenstück zu Minuten.

Die wichtigste Erkenntnis war jedoch, dass Haleps Ende existierte. Die Stadt befand sich im Streckenverzeichnis, und ich war dorthin unterwegs. Zum ersten Mal, seit dieses Abenteuer begonnen hatte, schien Bender in greifbarer Nähe zu sein.