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Rausgehen

Bob – Juli 2334

Himmelsfluss

Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn ich einer Sicherheitspatrouille in die Arme gelaufen wäre. Ich hatte keine Flechette-Pistole mehr und konnte auch keine meiner üblichen Taktiken anwenden, weil ich auf Benders Matrix aufpassen musste. Zum Glück stellte sich die Frage gar nicht. Gut möglich, dass das gesamte Personal ausgeflogen war, um mich in der Umgebung der Transitstation zu suchen.

Ich starrte den Aufzug an. Er unterschied sich kaum von anderen Aufzügen, die ich kannte, abgesehen von der etwas größeren Tür. Das Problem war der Knopf oder, um genauer zu sein, das Schild darüber, auf dem Zutritt nur für Befugte stand. Neben dem Knopf war ein Kartenleser angebracht.

Ich holte unnötig tief Luft und zog Nataschas Karte heraus. Der Moment der Wahrheit war gekommen. Ich bezweifelte zwar, dass eine fehlerhafte Karte zu Sirenen und roten Blinklichtern führen würde, aber irgendwer würde sicher alarmiert werden. Und dann hätte ich bald jede Menge Besucher und keine Fluchtmöglichkeit.

Anstatt noch länger mit meinem Schicksal zu hadern, hielt ich die Karte an das Lesegerät und drückte den Knopf. Er leuchtete kurz auf, und die Tür öffnete sich. Halleluja! Ich war im Geschäft. Ich betrat den Aufzug und drückte den obersten Knopf, da er mich zu der Stelle bringen würde, wo ich zu einer anderen Strebe hinüberwechseln konnte.

Die Türen schlossen sich, und der Aufzug sauste los. Erst jetzt bemerkte ich, dass sich in den Kabinenwänden Fenster befanden.

Eigentlich war das keine Überraschung. Schließlich waren die Quinlaner sehr kunstsinnig und würden sich diesen Ausblick natürlich nicht entgehen lassen wollen. Ich hatte eine sechsundfünfzig Meilen lange Fahrt vor mir, bei der ich das Panorama genießen und … äh …

Ich konnte mich nicht daran erinnern, je unter Höhenangst gelitten zu haben. Allerdings war ich auch noch nie mit einem kompletten Rundumblick mehrere Meilen senkrecht in die Höhe gestiegen. Ich musste stark gegen das Bedürfnis ankämpfen, mich auf dem Boden zu einer Kugel zusammenzurollen. Falls dieses Gefühl noch schlimmer wurde, würde ich mein endokrines Kontrollsystem aktivieren müssen.

Ich stellte mich bewusst an eins der Fenster und versuchte, meine Atmung zu kontrollieren, während ich mir alles ansah. Die Krümmung von Himmelsfluss wurde sichtbar, und wir durchquerten mindestens eine Wolkenschicht. Das Flusssystem, Wälder, Städte und zahlreiche Tupfen auf dem Wasser, bei denen es sich wahrscheinlich um Boote handelte, breiteten sich unter mir zu einem Panorama aus, das alles übertraf, was ich je zuvor in meinen mehreren hundert subjektiven Lebensjahren erblickt hatte. Ich zeichnete so viel wie möglich davon auf und leitete es an meinen Blog weiter.

Die Fahrt dauerte insgesamt zwanzig Minuten, was ziemlich beeindruckend war. Vor Beginn des Bremsmanövers legte mir eine automatische Ansage nahe, die Füße an der Decke zu platzieren – was kein Problem war, da die zentrifugale Schwerkraft derart nahe am Zentralzylinder nicht mehr wirkte.

Als sich der Aufzug öffnete, schwebte ich in einen gebogenen Gang hinaus, von dem in regelmäßigen Abständen mehrere Türen und Seitenkorridore abgingen. Auf dem Schild neben dem Aufzug stand Utopia-Speiche. Praktisch. Von hier aus musste ich zum anderen ostwärts fließenden Fluss, dem Nirwana, hinüber.

Ich stieß mich von der Tür ab. Wie bei unserem Einbruch in die Topopolis hatte mein quinlanischer Körper auch diesmal keine Schwierigkeiten, sich in der Schwerelosigkeit zu bewegen. Natürlich halfen dabei die in die Wand eingelassenen Handgriffe.

Ein paar Minuten später hatte ich den Aufzug in der Nirwana-Speiche gefunden. Da sich die Kabine im Erdgeschoss befand, musste ich zwanzig Minuten auf sie warten.

Die Fahrt hinunter verlief fast genauso wie der Aufstieg, nur in umgekehrter Richtung. Allerdings fiel es mir diesmal eigenartigerweise leichter, mit der Höhe zurechtzukommen. Sobald ich die Landschaft unter mir in allen Einzelheiten erkannte, überkam mich fast so etwas wie Langeweile.

Diese Instandhaltungseinrichtung schien unbesetzt zu sein. Was mich zu der Vermutung veranlasste, dass die Berge größtenteils vom Widerstand bevölkert waren. Ich gelangte ohne Zwischenfälle zum Bahnhof und hielt meine Karte ans Lesegerät.

»Nicht autorisiert.«

Ich blickte ruckartig auf. »Was?«

»Dein Ausweis ist nicht autorisiert.«

Oh, toll. Sie hatten meine Karte gesperrt. Nun, eigentlich Nataschas Karte. Das war zwar unvermeidlich gewesen, aber hätten sie es nicht tun können, nachdem ich in den Zug gestiegen war? Ich fischte die zweite Karte heraus, die ich mir vom Wächter geschnappt hatte, und wiederholte den Versuch.

»Nicht autorisiert.«

Tja, das war es dann also. Ich schaute mich um und rechnete halb damit, dass sich sämtliche Dämonen der Hölle auf mich stürzten. Doch dieser Gebäudekomplex war tatsächlich unbesetzt. Ich hatte noch nie erlebt oder davon gehört, dass die Verwaltung etwas anderes als lebende Quinlaner in Himmelsfluss einsetzte. Vielleicht waren Roboterschläger ja verboten. Das hörte sich wie eine Beschränkung an, die man einer KI auferlegen würde, damit sie nicht die Macht an sich riss. Allerdings schien dieser Plan nicht aufgegangen zu sein.

Es konnte zwar sein, dass ich nicht in Ketten gelegt werden würde, aber genauso wenig würde ich einen Freifahrtschein nach Garacks Rücken erhalten. Außerdem befanden sich in diesem Moment vielleicht bereits ganze Heerscharen von Lakaien auf dem Weg zu mir. Und deren Karten würden ganz sicher funktionieren. Vor diesem Hintergrund hielt ich es für das Beste, rasch aufzubrechen.

Ich rannte durch den Gang zurück und die Treppe wieder hinauf in die Lobby, wo ich ohne Probleme die Wartungstür öffnete und ins Freie hinaustrat. In der Ferne sah ich eine Stadt. Ich hatte keine Ahnung, wie sie hieß und wusste nur, dass sie dreitausendachthundert Meilen von Garacks Rücken entfernt war – meinem einzigen Ausweg aus Himmelsfluss. Ich hatte einen weithin sichtbaren Würfel mit acht Zoll Kantenlänge in meinem Rucksack, der jedes Mitglied der Crew oder des Widerstands, das nach mir Ausschau hielt, auf mich aufmerksam machen würde. Genauso gut hätte ich einen Helm mit einem roten Blinklicht tragen können. Ach ja, und ich durfte natürlich immer noch nicht ins Wasser.

Das reinste Zuckerschlecken.

Ich brauchte dringend eine Tarngeschichte. Irgendeinen plausiblen Grund für den sperrigen Brocken in meinem Rucksack. Mit einem kurzen Blick hinauf zur Sonne vergewisserte ich mich, dass der Tag noch jung war. Also hatte ich noch viel Zeit, um vor Einbruch der Dunkelheit die Stadt zu erreichen. Aber vielleicht sollte ich gar nicht dorthin. Möglicherweise sollte ich mir die Münzen, die ich in meinem Bauch herumtrug, für etwas Wichtigeres als eine Unterkunft aufbewahren. In dieser Weise eierte ich noch einen Moment länger herum, bis ich schließlich beschloss, einfach Richtung Stadt zu gehen, während ich mir die nächsten Schritte überlegte.

Als Erstes musste ich Hugh über die jüngsten Entwicklungen informieren.

»Hi, Hugh.«

»Bob! Gibt’s was Neues?«

»Sozusagen. Ich habe Bender …«

»Das ist ja großartig! Dann treffe ich dich in Garacks Rücken, und wir verschwinden von hier …«

»Äh, das ist leichter gesagt als getan.« Ich erzählte Hugh, was geschehen war und wo ich mich in diesem Augenblick befand.

»Nun, das ist suboptimal«, erwiderte er. Hör mal, du kannst nicht der erste Quinlaner sein, der etwas Unhandliches tragen muss. Eine Begräbniskiste ist zum Beispiel ungefähr genauso groß …«

»Äh, was?«

»Bridget kann dir die anthropologischen Einzelheiten sicher genauer erläutern, aber die Quinlaner bewahren die Kno chen ihrer Verstorbenen auf. Wenn man sie zerreibt, pass en sie in eine Kiste, die in etwa so groß wie eine Matrix ist.«

»Da sammeln sich mit der Zeit sicher viele Kisten an«, bemerkte ich.

»Ja, kann sein, das musst du Bridget fragen. Aber hör dich doch einfach in der Stadt um. Möglicherweise hat irgendwer etwas, mit dem man eine solche Kiste trocken hält. Vielleicht findest du auch eine Begräbniskiste und kannst es gleich ausprobieren.«

»Das ist eine ganz hervorragende Idee, Hugh. Vielen Dank.«

»Danach musst du nur noch sieben Abschnitte in Richtung Garack durchqueren.«

»Noch mals vielen Dank, Hugh. Mit diesem erhebenden Gedanken unterbreche ich jetzt die Verbindung.«

Immer schön ein Problem nach dem anderen. Ich blieb stehen und richtete mich auf, um mir die Stadt genauer anzuschauen. Möglicherweise hatten sich meine Erfolgschancen soeben ein winziges bisschen verbessert.

Um keine Zeit mit einer weiteren Unterhaltung zu verschwenden, schrieb ich eine kurze E-Mail an Bridget. Was immer sie mir antwortete, würde ich zu einem späteren Zeitpunkt lesen. Jetzt musste ich erstmal darauf achten, dass ich mich der Stadt nicht über die Straße näherte, die von der Instandhaltungseinrichtung herführte. Wenn irgendwer nach einem Quinlaner mit Buckel Ausschau hielt, würde er vermutlich dort Stellung beziehen.

Es war schwieriger als erwartet, mir einen Weg durch die Büsche zu bahnen. Ich erinnerte mich daran, dass Bridget von klimatischen Unterschieden zwischen den einzelnen Segmenten gesprochen hatte, mit denen wahrscheinlich die Verhältnisse auf Quin nachgestellt werden sollten. Dieses Segment stand unter einem eher tropischen Motto, was zu vergleichsweise dichter und verschlungener Vegetation geführt hatte. Und wahrscheinlich auch zu wesentlich mehr Raubtieren. Und dabei hatte ich nicht einmal ein Messer dabei.

Nachdem ich mich eine Stunde lang heftig fluchend durchs Unterholz gekämpft hatte, fand ich, dass es nun reichte. Ich entdeckte vor mir einen Trampelpfad, der wahrscheinlich zu einer richtigen Straße führte, und hielt darauf zu. Von da an führte mich mein Weg durch ein paar ziemlich heruntergekommene Wohngegenden, und ich bekam allmählich Angst vor Raubüberfällen. Tatsächlich warfen mir ein paar gefährlich aussehende Gestalten finstere Blicke zu, aber niemand ging auf mich los.

Fünfzehn Minuten später erreichte ich die eigentliche Stadt, die Waldhügel hieß. Ich verwickelte ein paar Passanten in ein Gespräch und ließ mir von ihnen den Weg zu einem Bestattungsunternehmen weisen. Die quinlanische Bezeichnung für solch einen Ort lautete übrigens »Haus der sinkenden Sonne«, was für eine Kultur, die ihre Städte nach Körperteilen benannte, eine erstaunlich poetische Umschreibung war.

Ich betrat das Gebäude und schaute mich um. Ein älterer Quinlaner kam zu mir rüber. »Kann ich dir helfen?«

»Ich, äh, mache mir Sorgen, dass mein Großvater nass werden könnte. Ich bin mir nicht sicher, was man dagegen …«

»Musst du deinen Großvater weit transportieren?«

»Ja, nach Garacks Rücken.«

»Ich kenne diese Stadt zwar nicht, aber die meisten Leute verschicken ihre Vorfahren mit der Post. Ihn auf dem Rücken zu tragen …« Der Verkäufer neigte sich demonstrativ zur Seite, um einen missbilligenden Blick auf meinen Rucksack zu werfen.

Wahrscheinlich erwartete er, dass ich errötete. »Ich möchte ihn gern persönlich heimbringen und brauche irgendetwas, womit ich die Kiste umwickeln kann. Oder einen besseren Rucksack …« Ich ließ den Satz in der Luft hängen und hoffte auf irgendeinen sachdienlichen Vorschlag des Verkäufers.

Er warf erneut einen Blick auf meinen Rucksack und fragte: »Wie groß ist die Begräbniskiste?«

»Äh …« Benders Matrix hatte eine Kantenlänge von acht Zoll. »Die Innenkanten sind jeweils acht und drei Viertel Zoll lang«, sagte ich und hoffte, dass die Übersetzungssoftware diese Angabe in die hier übliche Maßeinheit umrechnete.

»Das ist eine eigenartige Größe, alles andere als ein Standardmaß. Hier …« Er schrieb etwas auf einen Zettel und reichte ihn mir. »Mein Cousin Vinny ist Schreiner. Er könnte dir vermutlich etwas nach deinen Vorgaben anfertigen. Sag ihm, dass du von Carmine kommst.«

Natürlich. Die Quinlaner waren keine Massenwaren-Gesellschaft. Es musste überall Handwerker geben. Ich unterdrückte den Drang, mir an die Stirn zu schlagen und dankte Carmine.

Als ich das Bestattungsunternehmen verließ, lachte ich leise über die von der Übersetzungssoftware ausgewählten Namen. Ich würde Hugh fragen müssen, ob er an den Algorithmen herumgespielt hatte.

Ich las noch einmal den Zettel, den Carmine mir gegeben hatte, und überlegte, ob ich den Rucksack und den Würfel ablegen sollte, während ich nach einer Lösung für das Transportproblem suchte. Ich konnte beides entweder im Wald verstecken oder ein Zimmer in einem Hotel anmieten. Was würde weniger riskant sein? Der Wald war auf jeden Fall billiger. Aber mir gefiel die Vorstellung nicht, Bender an einen Baum zu binden und ihn seinem Schicksal zu überlassen. Ich überschlug schnell meine Finanzen. Noch war ich nicht pleite, aber vielleicht würde ich auf dem Rückweg nach Garack für meine Passage arbeiten müssen. Bis dahin bestand meine wichtigste Aufgabe darin, für Benders Sicherheit zu sorgen.

Ich hielt an einem Gemischtwarenladen und kaufte für drei Kupferstücke ein paar kleine Gegenstände. Ich gab der Ladenbesitzerin eine Eisenmünze und nahm das Wechselgeld entgegen. Beinahe hätte ich die Münzen vor ihren Augen verschluckt, was keine gute Idee gewesen wäre.

Nach kurzer Suche fand ich eine Bleibe und zahlte für eine Nacht. Die freundlichste Beschreibung, die mir für mein Zimmer einfiel, war wenig beeindruckend . Doch es hatte eine solide Tür mit einem Schloss, und das Fenster war so klein, dass sich kein Quinlaner hätte hindurchzwingen können – nicht einmal, wenn es im Erdgeschoss gewesen wäre. Die Deckenbalken lagen wie in den meisten quinlanischen Bauten frei.

Ich nahm das Seil, das ich gerade erstanden hatte, und sprang wie ein Parkourläufer in das Gebälk hinauf. Theoretisch konnten das zwar auch echte Quinlaner schaffen, aber ich zählte darauf, dass sie sich eher auf die zeitraubende Suche nach einer Leiter machen würden. Ich band den Rucksack mit Bender darin an der höchsten Stelle fest und platzierte ihn so, dass er von unten möglichst schlecht zu sehen war.

Für den Fall der Fälle ließ ich zudem meine letzte verbliebene Spinne auf dem Sparren zurück.

Quinlanische Türschlösser waren im Vergleich zu irdischen groß und klobig, doch sie enthielten einen ziemlich ausgeklügelten Mechanismus. Was mich wieder einmal daran erinnerte, dass die Quinlaner nicht unwissend, sondern nur technologisch rückständig waren. Ich spuckte ein paar Münzen aus und nahm sie in die Hand. Dann schloss ich die Tür hinter mir ab und ließ zwei Flöhe den Riegel blockieren. Wahrscheinlich war ich paranoid, aber es erschien mir weitaus sinniger, zu viel als zu wenig vorzusorgen.

Als Erstes wollte ich mich nach einem neuen Rucksack umsehen. Auf der Erde wäre ich dazu in ein Sportgeschäft gegangen, doch für die Quinlaner waren Rucksäcke Kleidungsstücke. Ich fragte ein bisschen auf der Straße herum und hatte bald eine Adresse.

Der Laden war sehr gut sortiert. Neben Rucksäcken sah ich auch Schärpen, Fellschmuck und andere Dinge, ohne die kein Quinlaner, der etwas auf sich hielt, leben konnte. Ich hoffte nur, dass die angebotenen Rucksäcke mehr als reine Modeaccessoires waren.

Ich wandte mich an den einzigen Verkäufer. »Ich suche einen neuen Rucksack. Bei meinem alten ist eine Naht geplatzt, weil ich eine Begräbniskiste darin transportiere. Hast du etwas hinreichend Wasserdichtes mit großem Packvolumen?«

»Ja, so etwas führen wir. Du solltest damit natürlich nicht allzu lange im Wasser bleiben, aber einen gelegentlichen Fischzug hält er auf jeden Fall aus.« Er führte mich zu einer Auslage und deutete auf das entsprechende Modell. »Er kostet nur fünf Eisenstücke.«

Oh. Das war fast alles, was ich hatte. Ich öffnete die Hand und schaute so mitleiderregend wie möglich auf die vier Eisenstücke, die ich hochgewürgt hatte.

Er betrachtete das Geld und seufzte. »Für vier kann ich ihn dir nicht geben, mein Freund. Viereinhalb, und er gehört dir.«

K ein Problem, mein Herr, ich muss nur … würg … würg … würg …

Nein, das habe ich natürlich nicht getan. Nicht nur, weil ich keine Aufmerksamkeit erregen wollte, sondern auch deshalb, weil er mich danach ziemlich sicher rausgeworfen hätte. »Ich, äh … spreche mit meinen Freunden und schaue nachher noch einmal vorbei.«

Ich verließ das Geschäft und begab mich auf die Suche nach Vinnys Werkstatt. Unterwegs spuckte ich unauffällig ein paar weitere Münzen aus.

Über der Eingangstür von Vinnys Werkstatt hing ein Schild, auf dem Vinnys Werkstatt stand. Quinlaner und Namen … Im Fenster hatte er ein paar seiner Produkte ausgestellt, darunter Begräbniskisten, kleine Möbelstücke und ein paar Schnitzereien. Er verstand etwas von seinem Metier.

»Bist du Vinny?«, fragte ich beim Eintreten den einzigen Quinlaner in der Werkstatt.

»Ja, der bin ich. Wie kann ich dir helfen?«

»Carmine hat mich hergeschickt. Ich brauche eine maßgeschneiderte Begräbniskiste. Er meinte, du könntest mir vielleicht eine bauen.«

Vinnys Gesicht erhellte sich. Vermutlich war Carmine ein lieber Verwandter von ihm. Hoffentlich würde mir das zugutekommen. Wir sprachen ein paar Minuten lang darüber, was ich mir vorstellte.

»Das ist eine eigenartige Größe, und die Maßangaben sind seltsam präzise«, sagte er schließlich.

»Ich versuche, die eigentliche Begräbniskiste zu schützen«, erklärte ich. »Mein Großvater ist weit von zu Hause weg gestorben. Ich muss ihn dorthin bringen und kann mir die übliche Transportmethode nicht leisten.«

»Ich bewundere deine Hingabe, junger Herr. Ich kann so eine Kiste durchaus herstellen. Es wird ungefähr drei Tage dauern und sechs Eisenstücke kosten. Allerdings kann ich dir nicht garantieren, dass sie wasserdicht sein wird. Auf so etwas muss ich normalerweise nicht achten.«

Mist. Wenn ich den Rucksack und die Kiste kaufte, würde ich kein Geld mehr für eine Schiffspassage übrig hab en, und ich hatte gar keine andere Wahl, als auf einem Boot zu fahren. Der Manny würde nach sieben Segmenten im Wasser wahrscheinlich immer noch funktionieren, aber Bender wäre bei der Ankunft gewiss nicht mehr trocken. Ob es mir gefiel oder nicht, ich musste als Tourist oder Deckarbeiter weiterreisen.

Wir unterhielten uns noch ein bisschen länger, und ich erwog, ihn runterzuhandeln, doch es war sinnlos: Mit einer Kiste, die nicht wasserdicht war, konnte ich nichts anfangen. Ich dankte ihm, dass er sich Zeit für mich genommen hatte, und sagte, dass ich darüber nachdenken würde.

Auf dem Weg zurück zum Rucksackgeschäft empfing ich eine Warnmeldung von der Spinne in meinem Zimmer. Anscheinend versuchte jemand, auf ziemlich rüde Art das Schloss zu entriegeln. Die Flöhe hatten die Tür jedoch so gut gesichert, dass man sie einrennen musste, um hineinzugelangen. Würden sie das tun? Und wenn ja, würde irgendwer es bemerken und der Sache auf den Grund gehen? Das Hotel befand sich zwar nicht gerade in einem gutbürgerlichen Viertel, aber seinem Besitzer würde der kostspielige Schaden und die Tatsache, dass er das Zimmer eine ganze Weile nicht vermieten konnte, sicher nicht gefallen.

Das war den Möchtegerneinbrechern offenbar auch bewusst. Nachdem sie noch ein paarmal an der Tür gerüttelt hatten, wurde es plötzlich leise. Ich konnte mir allerdings kaum vorstellen, dass die Sache damit ausgestanden war. Wie es aussah, würde keiner meiner heutigen Pläne aufgehen.

Ich änderte die Richtung und beschleunigte meine Schritte, wobei ich darauf achtete, nicht zu rennen. Gleichzeitig veränderte ich meine Gesichtszüge und das Muster meines Fells, sodass ich wieder wie Natascha aussah. So würde ich vielleicht doch noch unbeobachtet in mein Zimmer gelangen.

Die Tür war zwar immer noch intakt, doch das Schloss und die Klinke waren verkratzter, als ich sie in Erinnerung hatte. Obwohl ich niemanden sah, gab ich mich keinen Illusionen hin: Irgendwer würde das Hotel überwachen. Ich wusste nicht, ob sie nach Bob, Natascha oder beiden Ausschau hielten. Ob sie zur Crew, zum Widerstand oder beiden Gruppen gehörten, war im Moment irrelevant. Da mein Schicksal und vor allem Benders so oder so feststand.

Während ich zu meinem Rucksack hinaufkletterte, blickte ich nachdenklich zum Fenster. Was ursprünglich ein Sicherheitsmerkmal gewesen zu sein schien, entpuppte sich nun als Falle. Aus diesem Zimmer gab es nur einen einzigen Ausweg.

Doch was war mit dem Gebäude? Sie beobachteten garantiert sowohl Vorder- als auch Hintereingang, aber vielleicht gab es noch eine Alternative.

Ich sammelte meine Spinne und die Flöhe ein, dann verschloss und blockierte ich wieder die Tür. Zwar glaubte ich nicht, dass dieses Ablenkungsmanöver meine Verfolger lange aufhalten würde, aber jede kleine Maßnahme half. Ich ging in eine der beiden Toiletten im ersten Stock, um ungestört darüber nachzudenken, wie ich unentdeckt das Hotel verlassen konnte.

Wenn ich einfach die Treppe hinunterstieg und durch die Vordertür hinauslinste, würden sie bestimmt auf mich aufmerksam werden. Das Gleiche galt für hinten. Weitere Türen gab es nicht. Das Toilettenfenster blickte auf die Gasse hinaus, wo gerade ein Hotelangestellter etwas in den Abfallcontainer warf. Ich schnaubte. Abfallcontainer. Noch so eine Parallele.

Moment mal … Welche Parallelen gab es sonst noch? Essenslieferungen, Müllabfuhr … Selbst eine Absteige wie diese war auf die Dienstleistungen anderer Firmen angewiesen.

Ich sah mich im Korridor um. Niemand da. Ich ging zum rückwärtigen Teil des Gebäudes, wo sich vermutlich die Küche und die Lagerräume befanden. Unterwegs kam ich an einer Reinigungskraft mit einem Wagen vorbei. Auf dem Wagen stand eine Art Mülleimer aus Holz. Als die Reinigungskraft zum Saubermachen in einem Zimmer verschwand, nahm ich den Eimer an mich. Während ich die Treppe hinunterstieg, steckte ich meinen Rucksack in ihn hinein und hob ihn in die Höhe, sodass niemand hineinschauen konnte.

Auf dem Weg durch den Dienstbodentrakt streiften mich zwar ein oder zwei Blicke, aber wer hielt schon jemanden auf, der offensichtlich arbeitete? Es war ohnehin gut möglich, dass hier nur Aushilfskräfte und Tagelöhner tätig waren. Als ich durch den Hintereingang trat, hielt ich mir den Eimer vors Gesicht und tat, als hätte ich schwer an ihm zu schleppen.

Aus dem Badezimmerfenster hatte ich gesehen, dass der Container an einem Zaun stand, allerdings nicht, ob dieser mein Gewicht aushalten würde. Doch jetzt gab es ohnehin kein Zurück mehr.

Ich wuchtete den Eimer auf die Kante des Containers, wobei ich immer noch mit jeder Faser meines Körpers auszudrücken versuchte, wie fürchterlich schwer das Ding war. Dann kippte ich ihn aus und schnappte mir schnell den hinausrutschenden Rucksack, bevor er in den Müll fallen konnte. Anschließend zog ich den Eimer mit einer Hand wieder zurück und stellte ihn so leise und schnell wie möglich verkehrtherum auf den Boden.

Als ich auf ihn stieg und über den Zaun sprang, hörte ich hinter mir rennende Schritte, doch ich war bereits auf der anderen Seite. Ich hatte schätzungsweise zwei Sekunden, um außer Sicht zu verschwinden, bevor mir jemand über den Zaun folgte. In westlicher Richtung war es weniger weit bis zur nächsten Deckung. Ich lief nach Osten.

Während ich in eine andere Gasse einbog, hörte ich einen dumpfen Aufprall, gefolgt von einem Fluch. Habe ich schon erwähnt, dass Quinlaner nicht sehr akrobatisch sind? Lächelnd stellte ich mir ein paar verstauchte Knöchel vor. Das würde sie aufhalten.

Ich lief geduckt durch Seitengassen und vermied Straßen mit zu vielen möglichen Zeugen. Nach ein paar Minuten erreichte ich die Stadtgrenze und rannte, ohne langsamer zu werden, in Richtung Wald.

Ich beschloss, in einem Wipfel zu schlafen, wo mich kein Quinlaner vermuten würde. Als ich einen besonders großen und dicht belaubten Baum entdeckte, erklomm ich ihn rasch. Oben angekommen spuckte ich meine Spinne aus und ließ sie Wache halten. Dann umklammerte ich den Stamm mit beiden Armen und befahl der KMI , den Manny zu übernehmen.

Da keine unmittelbare Gefahr zu bestehen schien, verließ ich den Manny und versetzte mich in meine VR .

»Hugh, ich bin in Virt. Wenn du Zeit und Lust hast, komm mich doch besuchen.«

»Tut mir leid, Bob, ich staple gerade Fracht. Ich versuche aber, später vorbeizuschauen.«

Hmm. Ehrlich gesagt wusste ich gar nicht, was ich ihm sagen wollte. Sollte ich ihn wirklich auf die Verwaltung ansprechen? Was genau würde ich ihm vorwerfen? Ich wusste nicht einmal mit Bestimmtheit, ob ihm klar war, dass es sich bei der Verwaltung um eine KI handelte. Und selbst wenn … Was, wenn er zugab, dass er es vermutete? Gegen welches Gesetz oder welche Regel hätte er damit verstoßen?

Mir fiel auf, dass ich ihn genau genommen nur verdächtigte, einen Verdacht zu haben. Solange ich nicht wusste, ob Hugh oder die Skippys als Gruppierung irgendetwas Übles vorhatten, würde ich dieses Fass nicht aufmachen.

Ich versuchte, Gandalf zu kontaktieren, bekam aber nur eine Abwesenheitsmeldung. Wahrscheinlich kämpfte er gerade gegen Orks oder irgendwas in der Art.

Anschließend versuchte ich es rasch hintereinander bei Bill, Will, Bridget und Howard, doch entweder war besetzt, oder es ging keiner ran. Anscheinend waren im Bobiversum alle gerade ein bisschen beschäftigt. Schlecht gelaunt bestellte ich einen Kaffee und aktivierte Spike.

Punkt eins: Ich musste sieben Segmente durchqueren, und zwar größtenteils auf einem Boot. Bei diesem Gedanken wurde mir bewusst, dass Bender als Paketlieferung auch nicht schneller unterwegs wäre, da die Post ebenfalls auf Booten transportiert wurde.

Punkt zwei: Wenn ich in Garacks Rücken war, würde ich immer noch aus Himmelsfluss hinauskommen müssen. Wegen der Luke, die Gandalf an der Station angebracht hatte, sollte das prinzipiell kein Problem darstellen. Andererseits wussten die Quinlaner inzwischen über uns Bescheid. Vor allem über mich. Wills Professor hatte recht: Wahrscheinlich würde ich von jetzt an von zahlreichen Überwachungssystemen erfasst werden. Mich selbst konnte ich zwar tarnen, aber nicht den Rucksack.

Oder etwa doch?

Ich musste mein Geld zusammenhalten, aber im Augenblick zählte nur, dass ich aus Waldhügel rauskam. Sobald ich mich in den Weiten von Himmelsfluss verdünnisierte, war ich möglicherweise in Sicherheit. Damit lautete die drängendste Frage also, wie ich aus der Stadt entkommen konnte, ohne dass jemand Benders Matrix bemerkte …