21

Die Erde ist immer noch da

Bill – September 2334

Virt, Erde

Ich pingte Charles an und erhielt eine Einladung, bei ihm vorbeizuschauen. Seine VR überraschte mich. Sie schien die Hotelsuite darzustellen, in welcher der Ursprüngliche Bob an seinem Todestag abgestiegen war. Ich konnte meine Verblüffung nicht verbergen.

Charles lachte. »Ich weiß, Bill. Alle Besucher finden sie morbid oder makaber. Aber irgendwie erdet sie mich. Dieser Ort erinnert mich daran, woher wir alle stammen, verstehst du?«

»Ja, okay. Wenigstens gibst du dir nach wie vor Mühe. Die meisten VR s, die ich in letzter Zeit besucht habe, waren die Standardbibliothek von Bob-1.« Ich manifestierte einen La-Z-Boy, setzte mich hin und ließ mir von Jeeves einen Kaffee geben.

»Also, was verschafft mir die Ehre?«, fragte Charles.

Ich zuckte hilflos die Achseln. »Ich habe alles abgeklappert und überprüft, welche Schäden der Angriff der Sternenflotte angerichtet hat. Ich glaube, ich wollte mich nur kurz an einem Ort ausruhen, von dem ich weiß, dass er nicht von der Attacke betroffen war.«

Charles nickte langsam. »Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob wir Glück hatten oder sie uns aus Respekt in Ruhe gelassen haben.« Er deutete auf sein Panoramafenster, in dem die Erde am Himmel hing. »Vielleicht waren wir ihnen aber auch einfach egal.«

Ich war mir sicher, dass Charles mich nur auf den Arm nahm. Kein Bob hätte so über das Erde-Wiederaufbau-Projekt gedacht. Andererseits war gar nicht klar, ob die Sternenflottenmitglieder überhaupt noch Bobs waren.

»Du bist von uns allen einer derjenigen, die sich am häufigsten geklont haben, Charles. Hast du eine Ahnung, ob der letzte gemeinsame Vorfahr der Sternenflotte aus deiner Linie stammt?«

Charles schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht zu all meinen Klonen halten, aber keiner, mit dem ich gesprochen habe, kann einen möglichen Kandidaten identifizieren. Mittlerweile sind es fünfzehn bis sechzehn Generationen.«

»Diejenigen, mit denen du keinen Kontakt hast …«

»… sind außer Reichweite. Entweder vorübergehend, weil sie gerade eine Station errichten, oder auf unbestimmte Zeit, weil ihnen nichts am Bobiversum liegt.«

Ich seufzte und kostete nachdenklich meinen Kaffee. »Die Angehörigen der ersten paar Generationen sagen alle ungefähr dasselbe. Jeder von uns hat Nachfahren, die von der Bildfläche verschwunden sind. Das hat also nicht unbedingt etwas mit einer Abweichung zu tun. Keine Ahnung, vielleicht neigte ja schon der Ursprüngliche Bob dazu davonzulaufen.«

»Ich glaube, du deutest zu viel hinein, Bill. Abweichung ist Abweichung. Es gibt sicher auch so etwas wie eine konvergente Evolution – gleiches Verhalten bei Abkömmlingen verschiedener Linien.«

»Wahrscheinlich.« Ich deutete auf das Bild der Erde und wechselte das Thema: »Wie geht es voran?«

»Ziemlich gut. Wir haben die Eiszeit aufgehalten, und die Gletscher befinden sich auf dem Rückzug. Wir gehen es natürlich ganz langsam an. Schließlich wollen wir es mit der Erwärmung nicht übertreiben. Wir haben bereits drei Spiegel abgeschaltet. Den aktuellen Schätzungen zufolge werden wir in rund hundert Jahren eine Warmzeit haben.«

»Aus geologischer Sicht ist das ganz schön schnell. Wie sieht es mit den DNS -Proben aus?«

»Ich unterhalte eine Drohnenflotte, die nichts anderes macht, als nach Kadavern Ausschau zu halten. Wenn man den Inhalt der Svalbard-Bibliothek und unsere Funde zusammenzählt, besitzen wir – die Insekten nicht mitgerechnet – die komplette DNS von ungefähr achtzig Prozent sämtlicher Spezies.«

»Mhm. Ich kann mir vorstellen, dass die schwerer zu finden sind. Aber was ist mit Museen und Universitäten? In solchen Einrichtungen gab es doch immer große Insektensammlungen.«

»Ja, dieser Spur gehen wir auch nach.« Charles schaute mich ein paar Millisekunden lang forschend an. »Um wieder auf das andere Thema zurückzukommen, Bill: Ich muss sagen, du wirkst in letzter Zeit ziemlich trübselig. Liegt das an der Sternenflotte oder an etwas anderem?«

»Die Sternenflotte ist auf jeden Fall ein Grund. Ich glaube, ich bin vor allem darüber enttäuscht, wie sich die Dinge entwickeln. Eine Zeit lang lief es ziemlich gut. Alle zogen am gleichen Strang. Die Menschheit hat sich endlich zusammengerissen, und es sah so aus, als wäre eine utopische Gesellschaft in greifbarer Nähe. Wir hatten sogar ein paar außerirdische Spezies mit an Bord, sodass sich die Bezeichnung VFV nicht länger ironisch anhörte. Und jetzt: pffft . Alles weg.«

Charles holte tief Luft und stieß sie langsam wieder aus. »Ich sehe das weniger pessimistisch als du, Bill. Entwicklungen verlaufen nun einmal in Zyklen. Während des Kriegs gegen die Anderen sind wir dicht zusammengerückt, und das hat sich gut angefühlt. Jetzt ziehen alle nur ihr eigenes Ding durch. Das Problem mit der Unsterblichkeit ist, dass man all dieses Zeug immer wieder kommen und gehen sieht. Ich wette, du musst nur ein paar hundert Jahre warten, und alles ist wieder beim Alten.«

Ich stand lachend auf und stellte meine Tasse auf einen Couchtisch. »Ja, du hast recht. So muss ich es wohl betrachten.« Ich nickte zum Bild der Erde hinüber. »Wenn du dazu bereit bist, den Planeten neu zu bevölkern, haben wir mit ein bisschen Glück die Tensorfeld-Drucker perfektioniert. Dann werden wir in der Lage sein, lebende Zellen zu drucken.«

»Gut. Ich würde sie gern wieder so sehen, wie sie früher einmal war.«

»Das würde uns allen gefallen, Charles. Mach’s gut.«