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Übergang

Bob – September 2334

Nirwana-Flusssystem

Sechs Tage später befanden wir uns im Garack-Segment. Ich hatte Hugh eingeholt, und nun war auch mein Manny unten am Rumpf eines der Crew-Boote festgeklemmt.

Ich saß auf meinem La-Z-Boy, während Hugh sich auf dem Sitzsack ausgestreckt hatte.

»In der letzten Woche hatten wir erstaunliches Glück«, sagte Hugh. »Aber jetzt müssen wir den Verbindungsfluss zum Arkadien nehmen. Sie wissen, dass wir auf dem Nirwana unterwegs sind oder es zumindest bis vor Kurzem waren. Und sie wissen oder ahnen, dass wir nach Garacks Rücken wollen …«

»Dank meines Etiketts an der Kiste. Das war wirklich ein brillanter Schachzug von mir.«

»Hätte, hätte – hinterher ist man immer schlauer«, erwiderte Hugh mit einem Achselzucken. »Und außerdem glaube ich zwar, dass diese Boote hergekommen sind, weil sie unser Ziel kennen und den Weg dorthin blockieren wollen, aber genau dieser Tatsache verdanken wir unsere kostenlose Mitfahrgelegenheit. Es ist also nicht alles schlecht.«

»Abgesehen davon, dass sie den Weg blockieren.«

»Hmm. Kein Plan ist perfekt.« Hugh dachte einen Augenblick nach. »Wollen wir den Landweg nehmen?«

»Eine Neunzig-Meilen-Wanderung starten? Ohne sicher zu wissen, dass sie diese Route nicht auch überwachen? Nein danke. Im Wasser stehen unsere Chancen besser.«

»Okay, wenn wir schwimmen wollen, sollten wir in der letzten Stadt vor dem Verbindungsfluss Halt machen und die Wasserdichtigkeit nachbessern. Ein paar Schichten Wachspapier hinzufügen, vielleicht deinen Rucksack mit einem neuen wasserfesten Innenfutter auskleiden, die Nähte prüfen und so weiter.«

Ich nickte. »Klingt gut. Und wenn einer von uns beiden mit der Matrix außerhalb der Stadt bleibt, ist es auch kein großes Risiko. Sie können nicht jeden einzelnen Kauf in der Stadt überwachen, selbst wenn sie Grund zu der Annahme hätten, dass wir diese Besorgungen machen wollen.«

Hugh zuckte zusammen, antwortete aber nicht. Mittlerweile waren wir beide sehr gut darin, das Thema, das nicht zur Sprache kommen durfte , zu vermeiden. Aber ich merkte, dass er nicht ganz meiner Meinung war.

In die letzte Stadt vor dem Verbindungsfluss zu gelangen war kein großes Problem, da die Boote der Crew direkt davor Anker warfen. Wir warteten, bis es dunkel wurde. Dann ließen wir uns vom Bootsrumpf gleiten und schwammen ein Stück stromaufwärts vom Anlegesteg leise ans Ufer. Ich wollte nicht, dass wir dabei gesehen wurden, wie wir die Stadt betraten, da sie ganz sicher überwacht wurde.

Wir fanden eine dichte Baumgruppe und kletterten in die Wipfel hinauf. Hugh inspizierte den Rucksack und die Matrix. »Alles gut, aber der Rucksack zeigt allmählich erste Verschleißerscheinungen. Ein bisschen Teer auf der Innenseite wird ihm auf jeden Fall guttun.«

Ich nickte und überflog die Liste, die Hugh mir gegeben hatte. Eigentlich wäre es sinnvoller gewesen, wenn er die Einkäufe getätigt hätte, aber ich hatte mehr Erfahrung mit den Taktiken der Crew und des Widerstands und würde sie daher eher bemerken als er.

Also ging ich in die Stadt und spazierte eine Stunde lang scheinbar ungezwungen und sorglos herum. Die Crewmitglieder trugen natürlich keine speziellen Uniformen, aber in den Straßen standen auffallend viele wachsam aussehende Quinlaner herum. Auch ich wurde mehrmals von Kopf bis Fuß gemustert. Da ich jedoch ein neues Gesicht, einen unauffälligen Rucksack und keine würfelförmige Fracht trug, verloren sie schnell das Interesse an mir.

Schließlich fand ich das Geschäft, zu dem Hugh mich geschickt hatte, doch ein Blick auf die beiden großen Quinlaner am Eingang überzeugte mich davon, dass es besser war, weiterzugehen. Dann ahnten sie also doch, was wir suchten.

»Der Laden wird überwacht«, berichtete ich über das Interkom.

»Das wundert mich nicht«, erwiderte Hugh. »Dann müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen.«

»Wie wäre es mit einem nächtlichen Einbruch?«

»Ich glaube, das würde sie nur unnötig alarmieren. Dichtmaterialien gehören bei Schaufenstereinbrüchen vermutlich nicht zu den beliebtesten Beutestücken.«

Ich runzelte nachdenklich die Stirn und beobachtete den Laden aus dem Augenwinkel. »Ich frage mich, wie gewissenhaft diese Typen sind. Tauchen sie morgens früh als Erste auf und bleiben bis zum Ladenschluss?«

»Gute Frage. Um das herauszubekommen, wirst du sie wohl observieren müssen.«

Da davon auszugehen war, dass alle Ladenbesitzer der Umgebung mehr oder weniger dem gleichen Zeitplan folgten, begab ich mich in ein nahe gelegenes Geschäft und erkundigte mich betont beiläufig, wann es normalerweise schloss. Anschließend musste ich ein paar Stunden lang die Zeit totschlagen und beschloss, weiter zu flanieren und mich mit der Stadt vertraut zu machen.

Kurz vor Ladenschluss kehrte ich zurück. Die letzten Kunden verließen das Geschäft, und ich beobachtete durch das Schaufenster, wie der Eigentümer seine Waren wegpackte. Die beiden hünenhaften Eckensteher schauten einander achselzuckend an und gingen davon.

Perfekt.

Sobald sie um die nächste Ecke gebogen waren, stürmte ich atemlos in den Laden. »Geschafft«, sagte ich. »Ich dachte schon, ich käme zu spät.«

Zum Glück wirkte der Inhaber über mein plötzliches Auftauchen eher amüsiert als verärgert. Ich hatte schon viel zu viele Verkäufer erlebt, die eine Sekunde nach Ladenschluss nicht mal mehr bereit waren, mit einem Kunden zu sprechen. Doch das waren Angestellte und nicht die Eigentümer des Geschäfts gewesen.

»Wie kann ich dir helfen?«, fragte er. Ich reichte ihm meinen Einkaufszettel und sah zu, wie er die darauf aufgelisteten Gegenstände zusammensuchte. Anschließend wechselten ein paar Münzen den Besitzer, und schon war ich wieder auf der Straße.

»Ich habe alles und mach mich jetzt auf den Rückweg.«

»Du bist ein echter Gangster«, erwiderte Hugh mit einem leisen Glucksen.

Während wir den Rucksack und die Matrix präparierten, sprachen wir über unsere Optionen.

»Sie können den Verbindungsfluss nicht blockieren«, sagte Hugh. »Zumindest nicht dort, wo die Strömung zu stark wird. Unter diesen Bedingungen kann man nicht die Position halten und schon gar nicht Boote anhalten und inspizieren.«

»Was folgerst du daraus?«

»Dass wir erst den Landweg nehmen und nach ihrem Checkpoint ins Wasser gehen.«

»Klingt nach einer tollen Idee.« Hugh strahlte. »Genau wie der Kauf der Dichtmaterialien.« Sein Grinsen verblasste. »Ich bin mir sicher, dass sie an diese Möglichkeit auch denken«, fuhr ich fort. »Was meinst du, was sie dagegen tun wollen?«

»Die Strecke aus der Luft überwachen«, erwiderte er. »Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen.«

»Da sie den neunzig Meilen langen Zubringerfluss nicht komplett im Auge behalten können, werden sie wahrscheinlich irgendwo im mittleren Drittel Stellung beziehen«, fügte ich hinzu. »In dem Abschnitt müssen wir uns also unter einem Boot befinden.«

»Auf einen Katamaran warten und uns dranhängen, nachdem er inspiziert wurde? Das klingt prinzipiell nach einer guten Idee …«

Ich hob eine Braue. »Aber …?«

»Der Fluss ist stellenweise ziemlich reißend. Ich bin mir nicht sicher, dass wir uns am Rumpf festhalten können, und es wäre echt schlecht, wenn wir den Halt verlieren.«

Er hatte recht. »Welche Alternative haben wir?«

Hugh zögerte. »Der Abschnitt mit der zu heftigen Strömung ist nur zehn Meilen lang und beginnt ungefähr nach zwei Dritteln der Strecke. Wieso lassen wir uns nicht so lange wie möglich treiben und gehen dieses Stück zu Fuß?«

»Eine Zehn-Meilen-Wanderung?« Ich dachte darüber nach. Da Bender im Rucksack steckte, würden wir die Frachtkiste nicht schleppen müssen. »Ich glaube, das könnte funktionieren. Zumindest, wenn wir nachts laufen.«

Wir testeten den Rucksack in einem örtlichen Rinnsal, mit mehreren Spinnen an Bord, die uns eventuelle Lecks melden sollten. Der Rucksack hielt, aber wir wollten unser Glück nicht überstrapazieren und ihn allzu tief untertauchen.

Sobald es dunkel war, gingen wir zum Fluss und stießen uns vom Ufer ab. Der Verbindungsfluss, den die Einheimischen Bürste nannten, zweigte weniger als eine Meile stromabwärts vom Nirwana ab. Wir hielten uns dicht am Ufer und hofften, dass die unübersichtliche Küstenlinie und die Vegetation im flachen Wasser potenziellen Beobachtern am Himmel den Blick verstellen würden. Oder dass sie, besser noch, weiter draußen positioniert waren.

Als wir uns der Bürste näherten, sahen wir, dass eine kleine Flotte den Eingang blockierte. Wir kehrten schnell an Land zurück und gingen geradewegs bergauf. Da sich die Blockade höchstwahrscheinlich auch auf die Ufer erstreckte, wollten wir nicht direkt am Fluss entlangstapfen. Andererseits wussten wir, wie sehr die Quinlaner längere Fußmärsche hassten und waren zuversichtlich, dass wir sie umgehen konnten.

Beinahe hätte ich mich jedoch verrechnet. Ich bog ein wenig zu früh nach Osten ab, wahrscheinlich deshalb, weil ich selbst nicht gerne laufe. Hätten wir keine laut streitenden Stimmen gehört, wären wir unbekümmert in einen Wachtrupp hineingelaufen.

Hugh grinste, sagte aber nichts, und wir kletterten weiter bergauf.

Am anderen Ende der Bürste hievten zwei tropfnasse und schlecht gelaunte Quinlaner ihre Hintern aus dem Wasser. »Ich werde zeit meines Lebens nie wieder ins Wasser gehen«, verkündete ich.

»Wasser ist wirklich eine stark überschätzte chemische Substanz«, pflichtete Hugh mir bei. »Lass uns einen Lagerplatz suchen und aus diesen nassen Mannys schlüpfen.«

Wir waren zwar nicht müde – das war einem Manny gar nicht möglich –, aber mental ausgelaugt vom vielen Laufen und der reißenden Strömung, die uns selbst in den ruhigeren Abschnitten des Flusses stark zugesetzt hatte. Von solchen Strapazen war selbst ein postmenschlicher Computer irgendwann überfordert.

Wir bauten uns ein Nest, vergewisserten uns, dass wir nicht zu sehen waren, und versetzten uns in die VR zurück.