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Wir sind angekommen
Bob – September 2334
Arkadien-Flusssystem
Die Rückkehr nach Garack auf dem Arkadien verlief relativ ereignislos. Was zum Teil an unserer großen Umsicht, aber auch an der Unfähigkeit der Verwaltung lag, absolut alles zu überwachen. In dieser Phase mussten wir vor allem aufpassen, dass wir nicht unvorsichtig wurden und kurz vor der Ziellinie lossprinteten.
Dementsprechend machten wir extra langsam, hielten uns dicht am Ufer und waren nur in absoluter Finsternis unterwegs.
Und schließlich erreichten wir einen vertrauten Flussabschnitt.
Wir begaben uns an Land und fassten einen Plan. Wir würden noch ein Stück dichter an Garacks Rücken rangehen und bis zum Einbruch der Dunkelheit warten, ehe wir uns zur Transitstation begaben.
»Und was machen wir hiermit?«, fragte Hugh und deutete auf den Rucksack.
»Vielleicht bringt es sie ja durcheinander, dass wir zu zweit sind«, erwiderte ich. »Außerdem habe ich abermals mein Aussehen verändert. Und dich hat wahrscheinlich nach wie vor niemand auf dem Schirm.«
Hugh beugte sich wortlos ein Stück zur Seite und beäugte demonstrativ meinen Rucksack.
»Ja, ich weiß. Er fällt auf wie ein bunter Hund. Oder eben wie ein Rucksack mit einem großen Würfel darin. Vielleicht können wir die Ecke auspolstern oder einen größeren Rucksack besorgen.«
»Meiner Meinung nach gibt es dafür keine Lösung«, entgegnete er. »Wir können Benders Matrix nicht verstecken. Wenn uns wer beobachtet, wie wir eine noch größere Kiste herumtragen, in der die hier versteckt ist, werden wir ein paar Fragen beantworten müssen. Mit dem Rucksack sind wir wenigstens ein bisschen beweglicher. Ich glaube nicht, dass uns irgendwelche raffinierten Ablenkungsmanöver jetzt noch was bringen.«
»Soll das heißen, wir können endlich losrennen?«, fragte ich mit einem leisen Lachen.
»Ja, und unser größter Vorteil ist, dass wir es nachts tun.«
»Das stimmt. Wir sehen in der Dunkelheit besser. Lass uns trotzdem hoffen, dass wir nicht Wachtmeister Freundlich in die Arme laufen.«
Mit einem kurzen Blick zur Sonne vergewisserten wir uns, dass wir gegen Abend in Garacks Rücken sein würden, wenn wir jetzt aufbrachen und es langsam angehen ließen.
Letztlich brauchten wir doch länger als erwartet bis zur Stadt, sodass es bereits dunkel war, als wir eintrafen. Ich nahm mir einen Moment Zeit, um das Firmament zu bewundern.
»Das ist wirklich atemberaubend«, sagte ich und deutete zum Himmel hinauf.
»Das kam man wohl sagen«, erwiderte Hugh. »Ich finde es bemerkenswert, dass die Konstellationen genauso sind, wie die Quinlaner sie von ihrem Planeten aus sehen würden. Diese Liebe zum Detail gefällt mir.«
Wir genossen den Ausblick noch eine Weile, dann betraten wir die Stadt. In Garack gab es nicht viele Straßenlaternen. Das Licht, das aus den Fenstern fiel, half zwar ein bisschen, doch wer nachts unterwegs war, musste seine eigene Beleuchtung mitnehmen. Und tatsächlich sahen wir ein paar Passanten, die Lampen über ihre Köpfe hielten. Da wir nicht bemerkt werden wollten, wichen wir ihnen großräumig aus.
In der Stadt war es ruhig, was zu ihrer Einwohnerschaft passte, die sich morgens mit der Sonne erhob und abends mit ihr schlafen legte. Die einzigen echten Geräusche stammten von blökenden Hauns , doch hin und wieder hörten wir auch verstohlene Schritte, die von keinem Laternenlicht begleitet wurden. Wir wollten keinesfalls herausfinden, von wem sie stammten, und gingen jedes Mal, wenn sich jemand näherte, in die entgegengesetzte Richtung davon.
Als wir Garack rund zur Hälfte durchquert hatten, knallte es mehrmals hintereinander laut. Hugh und ich richteten uns kerzengerade auf und schauten uns mit maximaler Restlichtverstärkung um. Wir nahmen keine Bewegung war, nur einen leichten Nebel, der durch die Straßen wehte.
»Ich habe ein ganz mieses Gefühl«, sagte Hugh, der offenbar zum gleichen Schluss gekommen war wie ich. Vorsichtig gingen wir auf eine Seitenstraße zu, wobei wir die Augen in sämtliche Richtungen verdrehten. Da ich die getrennten Perspektiven nach wie vor desorientierend fand, erhöhte ich meine Wahrnehmungsrate ein bisschen, um jedes Bild einzeln begutachten zu können.
Aus den angrenzenden Straßen drangen mehrere Quinlanergruppen, die Pistolen hielten und etwas vor dem Gesicht trugen, bei dem es sich um Gasmasken zu handeln schien.
»Ich glaube, wir sollten verschwinden.«
»Meinst du wirklich«, schnaubte ich. »Aber wohin? Siehst du irgendwo eine Lücke?«
»Nein, das wirkt alles sehr gut geplant. Vielleicht müssen wir nach oben.«
Ich folgte Hughs Blick. Mit einem beherzten Sprung und einer kleinen Kletterpartie würden wir auf das Dach des einstöckigen Gebäudes neben uns gelangen können. Selbst mit Nachtsicht konnte ich dort oben nichts ausmachen. Und es war auch zu dunkel, um zu erkennen, wie das Haus mit den Nachbargebäuden verbunden war.
Aber wir hatten keine andere Wahl. Ich sprang hoch, hielt mich an einem Mauervorsprung fest und begann, mich zum Dach hinaufzuhangeln. Ich konnte hören, dass Hugh mir folgte. Außerdem vernahm ich das klirrende Geräusch, mit dem Flechettes von der Fassade abprallten. Bislang hatte mich noch keins getroffen, aber ich wusste nicht, ob das auch für meinen Rucksack galt. Konnten die Flechettes das Gewebe durchschlagen? Würden sie die Matrix beschädigen? Knurrend verdoppelte ich meine Anstrengungen und schnellte über den Rand des Daches.
Oben angekommen hatte ich ein paar Sekunden lang Ruhe, während die Schützen ihr Feuer auf Hugh konzentrierten. Seinem unterdrückten Fluch entnahm ich, dass er getroffen worden war. Ich glaubte, in einem nahe gelegenen Gebäude ein Fenster zu erkennen, doch ob es wirklich eins war, ließ sich aus dieser Entfernung nicht genau sagen.
Unten auf der Straße ertönte lautes Klopfen. Unsere Verfolger versuchten offensichtlich, in das Gebäude einzudringen, auf dessen Dach wir uns gerade befanden. Wir mussten also dringend weiter und hatten nach wie vor keine Zeit für raffinierte Einfälle.
Ich sprang an die Wand des Nachbargebäudes, klammerte mich daran fest und zog mich hoch. Was ich gesehen hatte, war tatsächlich ein Fenster, und es war ein Stück weit geöffnet. Ich schob es mit dem Kopf auf und zog mich hinein. Ich musste die Athletik der Mannys wirklich bewundern. Kein Quinlaner – und auch kein Mensch – hätte dergleichen geschafft. Mit solchen akrobatischen Einlagen erregten wir zwar noch mehr Aufmerksamkeit, aber ich wusste nicht, was wir sonst hätten tun sollen.
Mit einem dumpfen Aufprall landete Hugh ebenfalls in dem Raum, bei dem es sich um ein leeres Schlafzimmer handelte. Wir traten durch die Tür hinaus und gingen den Korridor entlang, wobei wir uns bemühten, auf keine quietschenden Dielenbretter zu treten.
Das Gebäude schien ein Wohnheim zu sein. Im ersten Stock gab es ausschließlich Schlafräume sowie ein Badezimmer. Am Ende des Flurs schlichen wir auf Zehenspitzen die Treppe hinab und spähten unten um die Ecke.
Eine Art Gemeinschaftsraum nahm die gesamte hintere Hälfte des Erdgeschosses ein. Darin saßen vier Quinlaner in Sesseln. Auf den ersten Blick schienen sie friedlich zu schlafen. Doch dann sahen wir, dass einer von ihnen in einer äußerst unbequem wirkenden Position in sich zusammengesunken war.
»Ich glaube, dass sie betäubt worden sind«, sagte ich.
»Der Nebel?«
»Ja, wahrscheinlich sind wir in eine Verstreuung geraten.«
»Ich vermute zwar auch, dass die Verstreuungen so ablaufen, Bob, aber ich glaube, dass sie hinter uns her sind.«
»Wir müssen raus.«
In einem kleinen Vorraum gab es eine Hintertür. Ich öffnete sie und schaute in beide Richtungen. Nichts. Also traten wir hinaus und zogen die Tür vorsichtig hinter uns zu.
Wir rannten die Straße entlang und bogen um die nächste Ecke … hinter der wir in eine Gruppe Quinlaner hineinstolperten. Sie griffen sofort nach uns und hielten uns fest. Ich wurde in mehrere Richtungen gleichzeitig gezerrt und erkannte, dass mir nichts anderes übrig blieb, als diesen Leuten wirklich wehzutun.
Im nächsten Moment lösten sich, begleitet von wütendem Schreien, mehrere Hände von mir. »Lauf los, Bob, ich kümmere mich um sie«, rief Hugh, während er die Arme um zwei unserer Angreifer schlang. Ich merkte, dass er es absichtlich mit der ganzen Gruppe auf einmal aufnahm. Und es funktionierte. Nur noch zwei oder drei Hände umklammerten mich. Nach ein paar Drehungen und einem Magengruben-Schwinger war ich frei. Ich schnappte eine herumliegende Pistole und klemmte sie mir zwischen die Zähne. Einerseits kam es mir wie Zeitverschwendung vor, da ich die letzte Schusswaffe hatte loswerden müssen, aber vielleicht konnte ich diese zu etwas gebrauchen. Ich ließ mich auf alle viere fallen und rannte eine Gasse entlang, fest entschlossen, jeden umzurennen, der sich mir in den Weg stellte.
»Denk an das Sicherungssystem, Hugh«, sagte ich über das Interkom.
»Ich werde es nicht vergessen, Bob, aber vielleicht kann ich mich ja rausreden. In der Zwischenzeit schaffst du Bender von hier fort.«
Rausreden? Ich konnte mich noch gut an mein Intermezzo mit Natascha und Konsorten erinnern. Wahrscheinlich würde er eher mit einem scharfen Gegenstand Bekanntschaft machen.
Aber ich musste zur Station. Ich hatte den Verdacht, dass ich in westlicher Richtung weiteren Quinlanern mit Gasmasken auszuweichen hatte. Also hob ich den Blick, orientierte mich kurz und bog zu den Hügeln ab.