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Aufräumarbeiten

Bob – September 2334

Virt

Ich betrachtete ein Videofenster, in dem zu sehen war, wie Roamer Bender in eine Halterung legten, die ich für einen meiner potenziellen Klone gebaut hatte. Da ich nun keine Klone mehr brauchte, lagen drei Matrizen und die dazugehörigen Apparate ungenutzt herum. Vielleicht würde ich mich irgendwann doch noch klonen. Wenn nicht, würden diese Matrizen mit der Zeit verrotten.

Als einer der Roamer den Einschaltknopf drückte, erschien Bender mitten in meiner VR . Er wirbelte herum, hob die Arme über den Kopf und rief: »Gottverdammt , es tut gut, wieder einen Körper zu haben!« Dann schaute er mich flehentlich an. »Kaffee?«

»Kommt sofort. Jeeves, einen Kaffee bitte.«

Bender ließ sich rückwärts in einen La-Z-Boy fallen, der sich gerade noch rechtzeitig materialisierte, um ihn au fzufangen. Jeeves reichte ihm eine dampfende Tasse. Bender nahm sie und prostete mir zu. »Ich glaube, es wird noch eine ganze Weile dauern, bis ich das hier wieder für selbstverständlich halte. Mir ist, als hätte ich gerade eine OP unter Vollnarkose hinter mir. Mir ist zwar nicht schwindelig, fühle mich aber irgendwie wattig, verstehst du?«

Ich nickte mitfühlend. »Das kann ich mir gut vorstellen. Ich bin froh, dass du es unbeschadet überstanden hast.«

Bender nippte ein paar Millisekunden lang schweigend an seinem Kaffee, die Augen in offenkundiger Ekstase geschlossen. Dann stellte er die Tasse weg und sah mich ernst an. »Du hast es also rausgeschafft. War es dramatisch? Gab es eine Verfolgungsjagd?«

»Äh …« Ich starrte ihn an, unsicher, wo ich anfangen sollte. »Als dein Strom abgeschaltet war, geriet die Lage ziemlich außer Kontrolle, Bender. Mittlerweile unterhalten wir diplomatische Beziehungen zur Verwaltung, die sich übrigens ANEC beziehungsweise bei förmlichen Anlässen ANEC -23 nennt.«

»Oh. Okay. Warte mal. Im Ernst? Was ist mit dem Widerstand?«

»Aus dem ist inzwischen das offizielle Übergangskomitee geworden.«

Bender warf die Hände in die Luft. »Da werde ich einen Tag lang deaktiviert, und schon geht es drunter und drüber. Äh, wie lange war ich eigentlich weg?«

»Viel länger als einen Tag.«

Bender kicherte. »Hast du nicht ein paar mehr Einzelheiten für mich?«

»Eigentlich schon. Sobald Hugh meine Relaisstation wieder hochgefahren hat und alle an Bord können, wird er uns einen kompletten Speicherauszug zukommen lassen.«

»Hugh?«

»Er ist, äh … Wenn du wissen willst, was in der Zwischenzeit geschehen ist, solltest du den Blog lesen. Am besten trinkst du dazu Alkohol.«

»Wir haben inzwischen Alkohol?«

Ich verdrehte die Augen. »Wow, du hast wirklich einiges nachzuholen. Warte ab, bis du Howard und Bridget kennenlernst.«

»Bridget? Wir haben jetzt auch Frauen

[Die Relaisstation ist wieder am Netz.], meldete Guppy ohne jede Vorrede. Er hielt es nicht einmal für nötig, in Erscheinung zu treten.

»Okay, gut. Danke, Guppy. Ping bitte alle an.«

Ein paar Millisekunden später erschienen Bill, Garfield, Will, Bridget und ein Mann namens Steven Gilligan. Letzterer war vermutlich der Experte für Megastrukturen, dessen Ratschläge ich durch Will erhalten hatte. Während Steven sich mit einem breiten Grinsen langsam im Kreis drehte und alles in sich aufnahm, hießen die anderen Bobs Bender überschwänglich willkommen.

Als sie damit fertig waren, fiel mir auf, dass Bender Bridget anstarrte. Ihm traten fast die Augen aus dem Kopf. Ich hoffte nur, dass er es nicht so weit kommen ließ. Zum Glück fasste Bender sich nach einer Weile wieder und schaute die übrigen Anwesenden der Reihe nach an. »Wo sind …?«

»Wir konnten Marvin und Luke dazu überreden, sich einen Moment lang zurückzuhalten. Ihr trefft euch nachher im Pub und könnt dort dann johlend euer Wiedersehen feiern, ohne uns von der Arbeit abzuhalten. Es soll eine Überraschungsparty werden, also gib dich überrascht. Aber jetzt müssen wir etwas mit Hugh klären.«

»Verstehe.«

Ich sandte einen Ping an Hugh und erhielt eine Bestätigung. Einen Moment später tauchte er auf.

»Hallo, Leute.« Hugh nickte mir zu. »Ich weiß deine Gastfreundschaft zu schätzen, Bob. Nett, dass du mich in deiner Festung empfängst, aber es kann gut sein, dass ich schon bald nicht mehr willkommen sein werde. In dem Fall werden meine Freunde mich zurückholen. Da die Station wieder funktioniert, sollte es schnell gehen.«

Ich nickte. »Ich kenne zwar immer noch nicht die ganze Geschichte, Hugh, aber ich habe auch das Gefühl, dass du besser wieder zurück in Skippyland sein solltest, ehe sie auf allen Feeds verbreitet wird.«

Er nickte verlegen und ließ einen Stuhl für sich erscheinen. »Es gibt zahlreiche Details, auf die ich vorläufig nicht eingehen werde, aber um es kurz zu machen: Ich habe die Baupläne für SURGE , SUDDAR und SCUT gegen das Wissen eingetauscht, wie man eine echte KI erschafft. Ihr wisst, dass wir Skippys seit fast dreißig Jahren an diesem Thema arbeiten. Wir glauben, dass sich bestimmte Fragen über das Universum und die Existenz nur mit einer KI beantworten lassen.«

»Zweiundvierzig«, sagte Bender.

Hugh lächelte. »Dieser Witz wird niemals alt.« Dann wurde er wieder ernst. »Die KI , die ANEC heißt, folgt einer obersten Direktive: Sie muss für das Überleben der quinlanischen Art sorgen. Mit Hilfe des SURGE -Antriebs kann sie nun ihre Schützlinge großräumig verteilen und auf diese Weise das Risiko für sie minimieren …«

»Wie wir es mit der Menschheit gemacht haben«, sagte Will.

»Ja. Dass ANEC die Quinlaner zu einer Existenz auf vorindustriellem Niveau gezwungen hat, war ein unbeabsichtigter Nebeneffekt ihrer obersten Direktive. ANEC musste darauf reagieren, dass die Quinlaner einander bei jeder Gelegenheit an die Gurgel gehen. Es war, um es in KI -Sprache zu sagen, eine perverse Instanziierung. Sie glaubte, dass sie die Quinlaner nur auf diesem Weg davon abhalten konnte, ihre eigene Art auszulöschen. Und sie war auch dazu bereit, notfalls ihre Intelligenz wegzuzüchten. Tatsächlich hat ANEC bereits ein Zuchtprogramm aufgesetzt, um ihre angeborene Streitlust zu reduzieren.«

Garfield sah ihn mit großen Augen an. »Eugenik? Wow. Das sind tatsächlich perverse Instanziierungen. Lasst uns das besser nicht an die große Glocke hängen, okay?«

Hugh grinste und nickte zustimmend. »Jedenfalls kann ANEC die Quinlaner dank der SURGE -Technologie nun auf verschiedene Sternensysteme verteilen und muss nicht länger mit eisernem Griff ihr gesamtes Verhalten steuern.«

»Trotzdem hattest du kein Recht dazu, auf eigene Faust diese Vereinbarung mit ihr zu treffen«, sagte Bill.

»Warum nicht?«, erwiderte Hugh. »Wem gehören diese Technologien? Dir? Bob? Garfield? Wer entscheidet darüber? Wo sitzt die Regierung des Bobiversums, und wer leitet ihre Geschäfte?« Er schaute uns herausfordernd an. »Ob es euch gefällt oder nicht, das Bobiversum ist das libertärste System, dass die Menschheit je hervorgebracht hat. Und wir sind bislang nur deswegen nicht in Anarchie verfallen, weil wir dazu neigen, alle an einem Strang zu ziehen. Aber dieser Charakterzug nimmt wegen der replikativen Drift gerade stark ab, nicht wahr? Wie auch immer, es hat keinen Zweck, darüber zu diskutieren, ob irgendwer zu irgendetwas das ›Recht‹ hat. Denn dazu bedürfte es einer Körperschaft, die willens und imstande wäre, Rechte zu gewähren beziehungsweise zu verweigern und diese Entscheidungen auch durchzusetzen. Solch eine Institution existiert aber nicht. Wir sind wie eine Herde Katzen. Das waren wir schon immer.«

»Aber du hast die Quinlaner aufs Universum losgelassen«, sagte ich. »Das wird sicher Konsequenzen haben.«

Hugh zuckte die Achseln. »Wie die Rettung der Paven.«

»Das ist nicht das Gleiche«, fuhr Bill ihn an.

»Es ist sogar genau dasselbe«, gab Hugh zurück. »Die Paven standen vor der Ausrottung. Die Quinlaner ebenfalls, wenn auch nicht ganz so akut. Die Paven wurden von den Anderen bedroht, die Quinlaner wurden von ANEC unterdrückt. Die Paven vermehren sich wie die Karnickel. Die Quinlaner gehen beim geringsten Anlass sofort in die Luft. Wir haben uns in beiden Fällen eingemischt, um eine Spezies zu retten. Und die Paven sind im Weltraum oder stehen kurz davor, je nachdem, wie man es betrachtet. Und wenn irgendwer erklärt, dass sie keine Raumschiffe kaufen dürfen, bauen sie sich einfach selbst welche und werden noch wütender als ohnehin schon.«

Bill starrte Hugh an, widersprach ihm aber nicht.

»Alles hat Konsequenzen«, fuhr Hugh einen Moment später in vernünftigerem Tonfall fort. »Und alles hat seine Schattenseiten. Aber wir glauben, dass die Vorteile, die uns die KI -Technologie bringt, die Nachteile bei Weitem aufwiegen.«

»Nur ihr wolltet diese Technologie«, entgegnete Bill.

»Mm-hm, stimmt, aber ihr werdet ebenfalls Profit daraus schlagen. Wir werden die Resultate nicht wie irgendein Schurkenstaat für uns behalten. Das Schöne an Wissen ist, dass man es weitergeben und dennoch behalten kann. Dieser Deal hat den Rest des Bobiversums rein gar nichts gekostet. Und vielleicht wird er uns den Arsch retten. Ich weiß, dass wir uns alle gefragt haben, weshalb wir auf keine Zivilisationen stoßen, die der unseren überlegen sind, ganz gleich, ob sie aus Lebewesen bestehen oder nicht. Das ist eine der Fragen, mit denen wir uns befassen. Gut möglich, dass es dabei um Leben und Tod geht.« Hugh schwieg einen Moment und ließ den Blick durch den Raum schweifen. »Mir war bezüglich einiger Taktiken, die wir angewendet haben, selbst nicht ganz wohl, doch das Ergebnis bereue ich nicht im Geringsten. Ihr werdet sehen, dass es das wert war.« Mit diesen Worten nickte er und verschwand.

»Na, das war ein Spaß«, sagte Bridget. »Sag mal, Bob, funktionieren unsere Mannys noch?«

»Ja«, erwiderte ich. »Ich habe euch zwar ein paar Spinnen und Flöhe und auch was vom Geld weggenommen, aber das können wir dank der neu gewährten Reisefreiheit alles wieder auffüllen. Allerdings sehen die Mannys mittlerweile wahrscheinlich alle wie das Ding aus dem Sumpf aus. Also putzt sie bitte, bevor ihr damit unter Leute geht, okay? ANEC möchte, dass wir unsere Besuche anmelden, aber ansonsten können wir kommen und gehen, wie es uns gefällt.«

Bridget nickte und deutete mit dem Kopf auf Dr. Gilligan. »Dr. Gilligan würde die Topopolis gern von innen sehen. Ich habe geplant, ein paar Tage lang mit ihm darin herumzureisen.« Sie schaute zu Garfield hinüber. »Würdest du ihm deinen Manny leihen?«

Garfield nickte. »Nur zu. Nachdem wir Bender jetzt wiederhaben, brauche ich ihn nicht mehr so dringend.«

Bridget stand auf. »Also gut, Steven, dann beginnt jetzt Ihr Einführungskurs über alles Quinlanische. Wollen wir?«

Dr. Gilligan erhob sich ebenfalls, und die beiden verschwanden.

Als Nächster stand Bender auf. »Ich glaube, ich muss mich allmählich in diesem Pub blicken lassen. Ihr scheint eh noch einiges zu besprechen zu haben. Wir sehen uns dann später, Bob, okay?«

»Na klar, Bender, ich komme auch bald ins Pub nach. Und vergiss nicht, den Überraschten zu spielen.«

Bender nickte und war weg. Damit waren nur noch Bill, Will, Garfield und ich übrig. Wir sahen einander ein paar Millisekunden lang stumm an, unsicher, wer als Erster das Wort ergreifen sollte.

Schließlich beendete Bill das Schweigen. »ANEC wird an der heutigen Vollversammlung teilnehmen. Natürlich mit einem Gastzugang. Aber wir stellen eine VR -Schnittstelle bereit.«

»Die VFV hat eine Regierungserklärung abgegeben, w ie sie zukünftig die Beziehungen zwischen Menschen und Replikanten regeln will«, fügte Will hinzu. »Die werde ich präsentieren. Darin geht es auch um die Beziehungen zwischen der Menschheit und den Paven, aber das ist alles in allem vermutlich weniger interessant.«

»Es wird schlimm, stimmt’s?«

»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schlimm. Die Menschen sind furchtbar angepisst. Der Zusammenbruch der Kommunikationssysteme hat ihrer Wirtschaft schwer geschadet, und die Zerstörung der autonomen Fabriken hat die Währungshüter auf dem komplett falschen Fuß er wischt … Es droht eine Deflationsspirale, und die Regierungen tun alles, um sie abzuwenden. Dabei entstehen weitere Kosten und Probleme für die Ökonomie. Es ist die Rede davon, das Bobiversum zu verklagen. Wenn sie das wirklich tun, könnten sie uns vernichten, zumindest finanziell.«

»Na und?«, fragte ich. »Als postmenschliche Raumschiffe können wir uns doch von allem und jedem unabhängig machen. Vielleicht wäre das sogar besser für uns.«

Will lächelte. »Ja, du hast wahrscheinlich recht. Wir haben uns viel zu sehr vereinnahmen lassen. Wieder einmal.«

»Das klingt, als ob sich die Ausscheidungen langsam erwärmen«, murmelte Garfield. »Das wird bestimmt super