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Koda

Bob – Dezember 2334

Schleierfälle

Schleierfälle war nur vier oder fünf Meilen von einer Transitstation entfernt. Mit ANEC s Erlaubnis konnte ich erhobenen Hauptes durch den Vordereingang der Station hinausspazieren, Dixieland pfeifen und meinen Gehstock durch die Luft wirbeln. Aber natürlich hatte ich gar keinen Gehstock, und Quinlaner können auch nicht pfeifen.

Noch herrschte in den Transitstationen kein reger Verkehr. Nachdem die Bewohner von Himmelsfluss ihr Leben lang Angst davor gehabt hatten, verstreut zu werden, wagten sie vielleicht fürs Erste nicht, die Aufmerksamkeit der Verwaltung auf sich zu ziehen. Nichtsdestotrotz sah ich eine Handvoll Quinlaner, die durch den Vordereingang traten oder herumstanden und die Kunst bewunderten. Einer von ihnen drehte sich zu mir um, als ich an ihm vorüberging, und zuckte mit verlegenem Lächeln die Achseln.

Da ich nun genug Zeit hatte, mich nach dem Weg zu erkundigen, fand ich schon bald den Bach, in dem die Leute normalerweise von hier zum Fluss schwammen. Das war viel besser, als die Strecke zu Fuß zu gehen. Nicht ganz eine Stunde später lief ich den Landesteg in Schleierfälle entlang.

ANEC hatte mir die Adresse der Familie Sykorski gegeben. Die KI besaß eine umfangreiche Datenbank mit den Meldedaten sämtlicher Bewohner aus insgesamt fast hundert Millionen Dörfern und Städten.

Von der Straße aus betrachtet wirkte das Haus nicht sehr einnehmend. Das Anwesen, auf dem es stand, war allerdings ungefähr doppelt so groß wie die angrenzenden Grundstücke. Vielleicht war die Familie, die hier wohnte, sehr groß. Das Gebäude, das wie ein antikes römisches Hofhaus gestaltet war, umgab einen offenen Zentralbereich, bei dem es sich vielleicht um einen Garten handelte. Die Außenmauern waren kahl, und die Vordertür sah aus, als könnte sie einem Angriff standhalten. Ich zog an der Klingelschnur und wartete.

Belinda öffnete die Tür. Ein oder zwei Sekunden lang schaute sie mich verwirrt an, dann funkelten ihre Augen, und sie lächelte. »Enoki!«

»Ist Theresa zu Hause? Ich würde sie gern sprechen.«

Belinda winkte mich herein und bedeutete mir, in einem Wartezimmer Platz zu nehmen. Dann eilte sie davon. Da ich im Moment nichts anderes mit mir anzufangen wusste, schaute ich mich im Zimmer um. Ich hatte zwar keine Ahnung, was die Quinlaner unter guter Einrichtung verstanden, doch das Mobiliar hier drin schien mit großem handwerklichen Geschick …

Zwei Dachse stürmten herein. Sie stellten sich auf die Hinterbeine und sahen mich an. Einer der beiden hob eine Pfote und sagte schüchtern: »Hi.« Ich erwiderte den Gruß, unsicher, ob es für solche Situationen irgendwelche Anstandsregeln gab, die ich kennen sollte. Die beiden waren größer als Seine Dachsheit, und man sah, dass ihre Köpfe schneller wuchsen als ihre restlichen Körper – ein Zeichen, dass sie dabei waren, ihr volles Bewusstsein zu entwickeln. Obwohl sie ihre Wildheit noch nicht lange abgelegt hatten, benahmen sie sich bereits ziemlich gesittet und schienen die Welt mit großer Neugier zu erkunden. Als ich sie anlächelte, lächelten sie zurück und rannten davon.

»Enoki! Ich habe nicht damit gerechnet, dich je wiederzusehen.«

Ich hob den Kopf und schaute zu, wie Theresa, auf Belinda gestützt, den Raum betrat. In der kurzen Zeit, seit sich unsere Wege getrennt hatten, war sie merklich gealtert. Bei ihrem Anblick musste ich unwillkürlich an meine letzten Tage mit Archimedes denken und bekam einen Kloß im Hals. Diesmal würde es nicht so weit kommen. Nicht, wenn ich es verhindern konnte.

Als ich mich wieder gefasst hatte, eilte ich strahlend zu ihr hinüber und fasste sie am anderen Arm.

Belinda und ich führten Theresa zu einer Art Ohrensessel, auf dem sie sich vorsichtig niederließ. »Wir leben in interessanten Zeiten«, sagte Theresa mit funkelnden Augen. »Eine Gruppe namens Baabs hat ordentlich Leben in die Bude gebracht. Du hast nicht zufällig etwas damit zu tun, oder?«

Ich schaute eine meiner wenigen echten Freundinnen an und lächelte. »Ich bin gekommen, um dir deinen Wunsch zu erfüllen, Theresa.«

»Welchen meinst du?«

»Mehr über deine Welt zu erfahren. Und über meine.«