2. Kapitel

Eadyth wachte am nächsten Morgen schon kurz vor Morgengrauen auf. Oder nein – eigentlich war sie dank ihres von Flöhen besiedelten Bettzeugs eigentlich sogar schon lange vor dem ersten grauen Licht hellwach gewesen.

Ihre Leibmagd schlief auf einem Strohsack in der schmutzigen Binsenstreu neben der Tür. Die arme Girta! Ihr molliger Körper war für das Ungeziefer bestimmt ein Festessen gewesen. Bei näherem Hinsehen jedoch bemerkte Eadyth, dass ihre treue Magd leise schnarchend schlief und von den Plagegeistern verschont geblieben zu sein schien.

Vielleicht ist Girtas Haut nur dicker oder meine eigene ganz einfach süßer, dachte Eadyth leise lachend. Ha! Sie wäre jede Wette eingegangen, dass der unausstehliche Herr dieser zerfallenden Burgmauern diesbezüglich anderer Meinung sein würde.

Eadyth stieg vorsichtig über ihre schlafende Magd hinweg, aus deren Mund jetzt einer wahrer Chor von Lauten kam – als Hintergrundmusik ein leises Schnarchen, das hier und da von einem zufriedenen Grunzen oder Schnaufen unterbrochen wurde. Eadyth blickte liebevoll auf die stämmige Frau hinunter, die ihr während so vieler Jahren treu gedient hatte, zuerst als ihre Kinderfrau, nachdem ihre Mutter gestorben war, und nun als ihre Leibmagd und Begleiterin.

Da sie sich ein bisschen frisch machen wollte, bevor sie Eirik erneut gegenübertrat, sah Eadyth sich nach einer Schüssel Wasser um. Es war aber nirgendwo eine zu sehen. Missmutig stellte sie fest, dass nicht nur das Feuer im Kamin erloschen war, sondern darüber hinaus in der Burg auch noch vollkommene Stille herrschte. Von den Gängen draußen drang nicht ein einziges Geräusch in ihr Zimmer. Dabei müssten die Bediensteten von Ravenshire doch eigentlich schon auf den Beinen sein und sich für einen neuen Tag bereit machen.

Versonnen legte Eadyth ihre tristen Gewänder an und verbarg ihr Haar unter dem eng anliegenden Schleier. Sicherheitshalber nahm sie noch eine Hand voll Asche aus dem Kamin und verrieb sie vorsichtig auf ihrem Gesicht, um ihrer Haut einen Grauschimmer zu verleihen.

Sie lächelte bei der Erinnerung an Girtas Empörung am vergangenen Morgen, als sie ganz bewusst das langweiligste und weiteste Gewand herausgesucht hatte, das sie besaß.

»In dieser Aufmachung wirst du aber keine große Versuchung für einen Mann darstellen«, hatte Girta spitz bemerkt.

»So ist es, liebe Girta. Genau das beabsichtige ich auch damit zu verhindern. Ich will einen Ehemann allein mit meiner Mitgift und meinen Fähigkeiten, eine Burg zu führen, anlocken und nicht mit meinem Körper.« Bei den letzten Worten schauderte es sie vor Ekel, und sie fügte rasch hinzu: »Was das betrifft, habe ich meine Lektion gelernt.«

»Ach, Kind, das war nur eine schlechte Erfahrung. Nicht alle Männer sind aus dem gleichen Holz geschnitzt.«

Eadyth war auf diesen Einwand hin noch deutlicher geworden. »Du bist eine brave Frau, Girta, aber die harte Wirklichkeit hat mir bewiesen, dass die meisten Männer in Bezug auf Frauen die gleichen üblen Absichten haben wie Steven. Sie betrachten uns als bloßes Eigentum, das sie benutzen und wieder vergessen können, wenn sie ihr Vergnügen hatten. Ich will mehr als das, Girta.«

Die ältere Frau hatte besorgt den Kopf geschüttelt. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du dich je den Beschränkungen des Ehelebens fügen wirst.«

»Das werde ich auch nicht. Mein zukünftiger Ehemann wird vorher meinen Bedingungen zustimmen müssen«, hatte sie ihrer treuen Gefährtin daraufhin sehr viel zuversichtlicher erklärt, als sie sich fühlte.

»Ach, Eadyth, liebes Kind, ich fürchte, dass man dich verletzen wird«, hatte Girta darauf kummervoll erwidert.

Verletzen?, dachte Eadyth nun, als sie die Tür ihres Schlafzimmers öffnete, um auf den zugigen Gang hinauszutreten. Oh nein, ihr einstmals so verwundbares Herz war längst hart geworden. Nur John … bei ihm war es etwas völlig anderes. Sie würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihren Sohn vor jeglichem Kummer zu bewahren – selbst wenn das bedeutete, diesen abscheulichen Flegel von Ravenshire oder irgendeinen anderen, nicht minder verabscheuungswürdigen Mann zu heiraten.

Eadyth ging den Gang entlang und die Treppe der zweistöckigen, aus Stein und Holz erbauten Burg hinunter. Diese im Vergleich zu Hawk’s Lair riesige Burg war früher einmal sehr beeindruckend gewesen, oder zumindest hatte ihr Vater das immer gesagt, aber zerbröckelnde Mauern und verfaultes Holz zeugten von jahrelanger Vernachlässigung. Eadyth hasste es, etwas Schönes, ob Menschen oder Gebäude, dermaßen vernachlässigt zu sehen. Der Zustand der Burg sagte ihrer Meinung nach jedenfalls einiges über ihren derzeitigen Besitzer aus. Eirik wird mir vieles, was die Vernachlässigung seines Erbes angeht, zu erklären haben, dachte Eadyth kopfschüttelnd.

Sie hielt nach einem Bediensteten Ausschau, um sich den Weg zum Abtritt zeigen zu lassen und gesagt zu bekommen, wo sie frisches Wasser zum Trinken und zum Baden finden würde. Aber offensichtlich war tatsächlich noch niemand auf den Beinen. Einige betrunkene Ritter, die sie am vorangegangenen Abend schon gesehen hatte, schliefen auf breiten Bänken und in den Bettnischen, die die Wände der großen Halle säumten, und auch etliche Bedienstete hatten sich hier und dort zum Schlafen hingelegt.

Ein paar der Frauen lagen nackt mit den adeligen Herren unter Fellen, die ihnen als Decken dienten. Durch die halb offenstehende Tür eines Alkovens entdeckte sie ein rothaariges Mädchen neben Wilfrid, dem Seneschall, den sie am Abend zuvor kennengelernt hatte. Die junge Frau lag in Wilfrids Armen, ihre vollen Brüste herausfordernd an seine mit dunklem Haar bedeckte Brust gepresst, und eines ihrer langen Beine über seinen muskulösen Oberschenkeln ruhend. Aber noch unerhörter war, dass ihre von der Arbeit schwieligen Finger auf seinem schlaffen männlichen Geschlechtsteil lagen!

Eadyths Augen weiteten sich beim Anblick dieser erotischen Szene, aber dann schürzte sie angewidert ihre Oberlippe. So wie sie die männliche Natur kannte, war es durchaus möglich, dass Wilfrid verheiratet war und seine arme Frau irgendwo dort oben schlief, während er es hier unten wie ein Karnickel mit der Dienstmagd trieb.

Was Eadyth im Grunde aber gar nicht so sehr überraschte, da sie wusste, dass es in vielen großen Häusern üblich war, das Bett miteinander zu teilen, besonders in einer von Männern dominierten Burg wie Ravenshire. Sie selbst erlaubte ein so liederliches Verhalten auf Hawk’s Lair nicht. Vielmehr ermutigte sie ihr Gesinde zu heiraten und sorgte dafür, dass keine Magd gegen ihren Willen von Adligen, die zu Besuch auf der Burg weilten, belästigt wurde.

Sie überlegte, ob sie die beiden wachrütteln sollte, um ihrer Missbilligung Ausdruck zu verleihen. Doch dann rief sie sich schnell zur Vernunft, hatte sie sich doch vorgenommen, an diesem Tag etwas zurückhaltender aufzutreten. Schließlich war es nicht ihre Burg – und würde es auch wahrscheinlich niemals sein. Deshalb wandte sie den Blick von dem Liebespaar ab und ging entschlossen auf den etwas abgelegenen Küchentrakt zu, der durch einen geschlossenen Durchgang mit der Burg verbunden war. Auch wenn diese Burg keine Hausherrin besaß, müsste sich doch irgendjemand – die Köchin vielleicht? – um die Haushaltsführung kümmern …

Eadyth stieß die schwere Tür auf und schnappte entsetzt nach Luft, als sie den Albtraum aus fettigen Töpfen, herumhuschenden Mäusen, verdorbenem Essen, ungewaschenem Geschirr und Trinkgefäßen sah. Sogar zwei Hühner pickten zufrieden in den Essensresten auf dem schmutzverkrusteten Boden. Eadyth griff schnell nach einem neben der Tür stehenden Besen und verscheuchte eine fette Maus vom Tisch, die sich an einem Stück Lammfleisch gütlich tat, bevor sie zu einem Strohsack neben dem erloschenen Feuer ging, wo eine Magd, die Köchin höchstwahrscheinlich, laut schnaufend durch die verfaulten Zähne ihres offenen Mundes schnarchte. Grunzend drehte sie sich auf den Bauch und ließ lautstark einen Wind fahren. Eadyth versetzte ihr mit dem Besen einen Stoß gegen ihr breites Hinterteil, und die Frau fuhr auf und rieb sich ihren Po.

»Wa-as …?«, kreischte sie, bevor sie von ihrem Strohsack aufsprang. Obwohl sie Eadyth höchstens bis zur Schulter reichte, war sie dafür mindestens doppelt so breit wie sie. »Hast du den Verstand verloren, dass du eine brave Magd wie mich so piesackst?« Mit schmalen Augen, die wie kleine schwarze Punkte in ihrem aufgedunsenen Gesicht aussahen, fragte die Köchin scharf: »Was glaubst du, wer du bist – eine gottverdammte Königin?«

»Ich bin Lady Eadyth von Hawk’s Lair, du faules Luder. Bist du für den Dreck in dieser Küche verantwortlich?«

Offensichtlich sehr erschrocken darüber, dass sie eine Adelige beschimpft hatte, nickte die Köchin widerstrebend und rieb sich den Schlaf aus ihren kleinen Augen. Als sie dann ganz ungeniert gähnte, wurde Eadyth von dem schlechten Atem, der ihr entgegenschlug – einer Mischung aus faulen Zähnen und schalem Met – beinahe übel. Die Ausdünstungen ihres Körpers und ihrer Kleidungsstücke, die vermutlich schon seit Monaten nicht mehr gewaschen worden waren, taten ihr Übriges, um Eadyth einige Schritte zurückstolpern zu lassen. Nur gut, dass sie noch nichts gegessen hatte, was durch die schmierigen Hände dieses alten Weibs gegangen war.

»Wie heißt du?«, fragte Eadyth streng.

»Bertha.«

»Nun, Bertha, was sagst du zu diesem Schweinestall von einer Küche?«

»Hä?«

Eadyth schnaubte vor Empörung. »Wie viele Bedienstete gibt es hier auf dieser Burg?«

Bertha kratzte sich träge unter ihren Armen und begann dann an den Fingern abzuzählen. »Etwa zwölf hier drinnen, draußen vielleicht noch mal zwölf. Viele Knechte, Mägde und Häusler sind in den letzten beiden Jahren, als der Herr nicht da war, weggegangen.«

»Und wer hat sich in seiner Abwesenheit um die Burg gekümmert?«

Die Köchin zog ihre massigen Schultern hoch. »Herr Wilfrid, aber der war auch die meiste Zeit nicht hier, da seine Frau vergangenes Jahr gestorben ist. Gott segne ihre brave Seele!« Bertha gab sich Mühe, eine kummervolle Miene aufzusetzen. Ha! Wilfrid hat nicht unbedingt den Eindruck erweckt, besonders traurig zu sein, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, dachte Eadyth bissig und sah ihn in Gedanken mit der nackten Dienstmagd vor sich.

»Ich will, dass du sämtliche Bedienstete – ob Hörige oder Freie – auf der Stelle hier versammelst. Hast du mich verstanden?«

Die Köchin nickte zögernd.

Als kurze Zeit darauf eine liederliche Gruppe von Faulpelzen in die Küche schlurfte, hatte Eadyth bereits einen Kessel Wasser zum Erhitzen über die Feuerstelle gehängt und Töpfe, Geschirr und Trinkgefäße eingeweicht. Sie hielt den Dienstboten eine Standpredigt, die sie so schnell nicht vergessen würden, und wies dann allen Aufgaben zu, die sie binnen einer Stunde erledigt haben sollten.

»Bertha, ich will, dass hier in der Küche der Boden gefegt und so lange geschrubbt wird, bis er blitzeblank ist. Alle Schneidebretter müssen gründlich abgescheuert werden, und bringt auch frisches Mehl zum Backen her. Aus der Speisekammer muss alles Verdorbene aussortiert werden. Ich werde die Vorräte auch auf Würmer untersuchen, die sich dort bestimmt in rauen Mengen tummeln.

Lambert, hol dir noch einen Mann, der dir beim Hacken von Holz für die Küchenfeuer helfen kann. Stapelt so viel, dass der Vorrat für fünf Tage reicht. Agnes und Sybil werden die Eier einsammeln und die Kühe melken.« Sie zögerte und sah dann Bertha an. »Es gibt doch Kühe hier?«

Bertha nickte. »Es ist noch eine Kuh da und vielleicht zwei Dutzend Hennen.«

»Gut, dann werden wir Butter machen, sobald die Milch gebracht wird.«

Sie erteilte eine Anweisung nach der nächsten. Erst als einige der Dienstboten gar nicht mehr aufhörten, ihre verschlafenen Augen zu verdrehen, unterbrach sich Eadyth. Aber nur um in den großen Rittersaal zu gehen und dort einigen der Männer zu befehlen, die verschmutzte Binsenstreu hinauszufegen und sie mit frischer, nach wohlriechenden Kräutern duftender zu ersetzen. Andere beauftragte sie damit, die langen Tische abzuscheuern und die Spinnweben von den Wänden zu fegen. Wieder andere sollten die verstaubten Tapisserien von den Mauern nehmen und sie in den Burghof bringen, um sie kräftig auszuklopfen.

Am wichtigsten war Eadyths Meinung nach jedoch, vorübergehend alle Hunde aus dem Burgsaal zu verbannen. Obwohl sie das nicht nur laut verkündete, sondern selbst begann, die ersten Tiere hinauszujagen, ließ sich der dumme Hund aus der Nacht zuvor nicht daran hindern, ihr wie ein verliebter Freier nachzulaufen. Nachdem Eadyth sich rasch umgeblickt hatte, ob niemand zusah, kapitulierte sie kurzfristig, bückte sich und kraulte ihn hinter den Ohren. Als das Tier darüber derart in Verzückung geriet, dass es seine Zunge weit heraushängen ließ, schüttelte Eadyth in gespieltem Widerwillen den Kopf.

»Das war sehr dumm von dir, was du da gestern getan hast, Hund, und dazu auch noch vor einer Dame, aber ich wollte dir bestimmt nicht wehtun, auch wenn ich dir mit der Schuhspitze einen kleinen Schubs gegeben habe.« Sie hockte sich vor den Hund und betrachtete ihn prüfend. »Ah, du bist ja sogar ein reinrassiges Tier, wie ich jetzt sehe. Dann hast du gewiss auch einen tadellosen Stammbaum. Hast du einen Namen? Nein? Nun ja, dann nenne ich dich … was meinst du? Prinz?«

Der Hund wedelte eifrig mit dem Schwanz, und Eadyth lachte leise. »Der Name gefällt dir, was? Aber nun müssen wir uns über eine andere Sache einigen.« Und damit hob sie das übel riechende Tier hoch, ging mit ihm hinaus und setzte es im Burghof wieder ab. »Und du kommst nicht eher wieder, bis du gebadet hast, Prinz«, erklärte sie dem Hund, dessen Augen sie so seelenvoll betrachteten, als habe er sie ganz genau verstanden.

Als sie leise lachend in die Halle zurückging, sah sie, dass einige der hochwohlgeborenen Herren endlich benommen aus ihrem Rausch erwacht waren, und beauftragte sie sogleich damit, sich auf die Jagd nach Frischfleisch zu begeben. Selbst Wilfrid, der viel zu verblüfft über ihre autoritäre Art war, um Einspruch zu erheben, wurde nicht verschont. Aber er erlaubte sich doch immerhin mit einem rätselhaften Lächeln eine Frage: »Hat Lord Eirik Euch um Hilfe gebeten, Mylady?«

Eadyth errötete – das passierte ihr immer wieder, worüber sie sich sehr ärgerte, doch leider konnte sie nichts dagegen tun. »Nein, das hat er nicht getan. Wahrscheinlich liegt er noch im Bett, nachdem er die ganze Nacht lang Bier mit Euch getrunken hat«, gab sie in scharfem Ton zurück, um gleich darauf entschuldigend hinzuzufügen: »Ich erweise ihm nur einen Dienst, wenn ich seine nichtsnutzigen Dienstboten dazu bringe, ihre Arbeiten zu machen.« Sie warf einen raschen, vielsagenden Blick auf Wilfrids Bettgefährtin, um ihm zu verstehen zu geben, dass wahrscheinlich auch Eirik noch etwas anderes in seinem Zimmer tat, als nur zu schlafen.

Wilfrid lächelte sie daraufhin nur wissend an und gab dem jungen Mädchen, das neben ihm stand und seinen nackten Körper mit einem Schaffell zu bedecken versuchte, einen raschen Kuss. »Wir sehen uns später, Britta«, sagte er und kniff die Magd mit einem wollüstigen Augenzwinkern in den Po.

Britta errötete ein wenig und richtete ihren Blick, der nicht unschuldiger hätte sein können, dann auf Eadyth.

Eadyth versuchte, das törichte junge Ding verärgert anzufunkeln, aber Britta war beinahe noch ein Kind und höchstens fünfzehn Jahre alt. Sie wusste es einfach noch nicht besser. »Britta, such dir bitte etwas Passenderes zum Anziehen, und dann entfernst du das gesamte Bettzeug von den unbelegten Strohlagern und aus den Bettnischen. Bring es zum Waschen auf den Hof hinter der Küche.«

Britta nickte gehorsam. »Seid Ihr die neue Herrin?«, fragte sie schüchtern. »Werdet Ihr den gnädigen Herrn heiraten?«

Eadyth spürte, wie ihr schon wieder die Röte in die Wangen stieg. »Ich bezweifle, dass wir heiraten werden, und ich bin auch nicht deine Herrin. Ich handle nur als … Freundin von Lord Ravenshire, indem ich seine Burg in Ordnung bringe.«

Danach versuchte Eadyth, sich ruhig hinzusetzen und auf Lord Ravenshire zu warten, aber wie gewöhnlich brodelte sie innerlich mal wieder vor ruheloser Energie. Sie ertrug es einfach nicht, untätig herumzusitzen, bis der Hausherr sich bequemte aufzustehen, und schon gar nicht, wenn sie darauf brannte, die enorme Menge Arbeit, die sie überall sah, in Angriff zu nehmen. Und so gab sie ihren Impulsen auch bald wieder nach.

Gegen Mittag strahlte sie vor Zufriedenheit, als sie die bemerkenswerten Fortschritte sah, die bereits gemacht worden waren. Die Küche glänzte. Der große Saal roch angenehm nach neuer Binsenstreu und frisch zerstoßenen Kräutern. Ein Teil der Kleidung und Bettwäsche kochte in einem großen Kessel über dem offenen Feuern, ein anderer lag bereits zum Trocknen über Büschen im arg vernachlässigten Küchengarten.

Einige der Dienstboten waren bereits zum Baden in dem von einer Quelle gespeisten Teich hinter der Burg geschickt worden, und die anderen würden sehr bald folgen. Eadyth hatte allen verboten zu frühstücken, bis sie ihre Aufgaben erledigt und gebadet hatten. Sie wünschte nur, sie würden sich beeilen. Der verlockende Duft des frisch gebackenen Brots, das in den Steinöfen neben den Küchenfeuern backte, ließ ihren Magen laut knurren. Eine große Schüssel frischer gelber Butter stand auf dem langen, wuchtigen Eichenholztisch in der Küche. Trotz Berthas Jammern über ihre wunden Finger war seine Maserung nach gründlichem Scheuern mit Sand und starker Seife schließlich doch wieder ans Tageslicht getreten.

Während sie den bis zum Rand gefüllten Korb mit Hühner- und Gänseeiern bewunderte, fragte Eadyth sich, ob Bertha wohl einen anständigen Pudding zubereiten konnte. Wenn nicht, würde sie ihr eins ihrer eigenen Rezepte geben.

Eadyths Magen knurrte wieder, als sie das Zischen des Fetts hörte, das von einer gepökelten Schweinehälfte in das offene Feuer tropfte. Der kleine Godric, der Waise einer vor langer Zeit verstorbenen Burgleibeigenen, drehte langsam den Spieß, während er mit glänzenden Augen zu Eadyth aufschaute und froh zu sein schien, dass auch er mit einer eigenen kleinen Aufgabe betraut worden war. In einem Kessel auf der anderen Seite der Feuerstelle brodelte eine Brühe aus Hirschknochen und übrig gebliebenem, für den Winter eingelagertem Gemüse, über dem ein in ein Tuch gehüllter Erbsenpudding baumelte.

Es gab noch immer viel zu tun, aber zumindest war schon mal ein Anfang gemacht. Eadyth strahlte vor Zufriedenheit. Würde Eirik ihre Bemühungen zu schätzen wissen? Zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, ob sie mit ihren gut gemeinten Maßnahmen nicht doch vielleicht etwas zu übereilt gehandelt hatte.

Eirik erwachte von einem lauten Klopfen an seiner Schlafzimmertür. Oder war es nur das Pochen in seinem Kopf? Stöhnend setzte er sich auf, ließ sich dann aber sofort wieder auf das Bett zurückfallen, weil der scharfe Schmerz in seinen Schläfen fast nicht zu ertragen war.

Verflucht! Er musste verrückt gewesen sein, gestern Nacht so viel Bier mit seinem Freund und Seneschall zu trinken. Er hatte nicht mehr so tief ins Glas geschaut, seit er ein unerfahrener Junge gewesen war und noch mit all den verbotenen Früchten herumexperimentiert hatte. Er fuhr sich mit den Händen durch sein wirres Haar und richtete sich wieder auf, als er sich an den Grund für seine Zecherei erinnerte – an diese altjüngferliche Eadyth und das, was sie ihm von Steven von Gravely erzählt hatte. Herrgott noch mal! Würde er diesem Scheusal denn nie entkommen? Zwei volle Jahre war er nicht in England gewesen, und kaum war er wieder zu Hause, hatte Gravelys verhasstes Schreckgespenst ihm seine Heimat auch schon wieder verdorben!

Angeekelt verzog er das Gesicht und legte dieselbe Tunika und dieselben Beinlinge an, die er auch schon am Abend zuvor getragen hatte. Das Gesinde musste bald mal wieder Wäsche waschen, sonst würde er seinen eigenen Geruch nicht mehr ertragen können. Oder vielleicht wäre es sogar noch besser, das ganze Zeug gleich auf den Misthaufen zu werfen und sich ein paar neue Sachen anfertigen zu lassen, wenn er das nächste Mal nach Jorvik kam. Es war an der Zeit, seinen Reichtum zu nutzen, statt ihn in dem unterirdischen Versteck unter der Burg verschimmeln zu lassen. Den verarmten Herrn einer heruntergekommenen Burg zu spielen, wurde ihm neuerdings zu unbequem.

Vielleicht sollte er die frühere Pracht der Burg seines Großvaters wiederherstellen lassen und die Freisassen und Pächter wieder zur Arbeit auf die Felder schicken. Er schürzte nachdenklich die Lippen bei diesem Gedanken, der ihn schon seit seiner Rückkehr vor zwei Wochen beschäftigte.

Dann lächelte er, da er sich im nächsten Moment an Lady Eadyth und ihren unerhörten Heiratsantrag erinnerte. Es war keineswegs das erste Mal, dass er von einer Frau mit Heiratsabsichten bedrängt wurde. Und so manches hinterhältige Komplott war schon geschmiedet worden, um ihm eine Verlobungsvereinbarung abzunötigen – buchstäblich alles von Verführung bis Erpressung. Zum Glück war er ihnen allen durch das Netz geschlüpft. Eine schlechte Ehe war seiner Ansicht nach mehr als genug. Als Elizabeth vor zehn Jahren gestorben war, hatte er sich geschworen, nie wieder zu heiraten – und das aus gutem Grund.

Doch nun bot die Herrin von Hawk’s Lair ihm einen Anreiz, der möglicherweise zu verlockend war, um ihm zu widerstehen. Nachdenklich runzelte er die Stirn. Es war nicht ihre ansehnliche Mitgift, die ihn reizte, und auch ganz gewiss nicht ihr Aussehen, Gott bewahre!, sondern die Aussicht, sich an Steven von Gravely rächen zu können, was ihr Angebot für Eirik so verlockend machte. Die Möglichkeit, Steven endlich zu einem offenen Kampf um Leben oder Tod herausfordern zu können, war auf jeden Fall eine Überlegung wert.

Das Klopfen an seiner Tür setzte von neuem ein, und Eirik erkannte jetzt auch Berthas wehleidige Stimme. »Gnädiger Herr! Oh bitte, Herr, kommt schnell hinunter, bevor sie uns noch auf den Kopf stellt und uns die Läuse aus den Haaren schüttelt!«

Eirik ging zur Tür und öffnete sie der überraschten Köchin, die gerade wieder anklopfen wollte, stattdessen aber seine Brust erwischte. Ihm drehte sich der Magen um, und der ekelhafte Geschmack von schalem Met stieg in seiner Kehle auf. Herrgott noch mal! Das hatte ihm gerade noch gefehlt bei seinem dicken Kopf.

Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen.

»Bertha? Bist du es?«

In der makellos sauberen Tunika erkannte er seine alte Köchin fast nicht wieder. Ihre Haut war rotgeschrubbt, ihr sauberes Haar, das ihr in nassen Klumpen auf die Schultern fiel, umrahmte ein zutiefst entrüstetes Gesicht.

»Was ist denn, Bertha?«, fragte er und unterdrückte ein erstauntes Lachen.

»Es geht um die Frau, um diese Lady Eadyth. Diese verdammte Furie … Verzeihung, gnädiger Herr, ich wollte nicht respektlos sein – aber diese Frau hat uns mit ihrem Gezeter alle schon vor dem ersten Tageslicht geweckt und uns dann arbeiten geschickt!« Sie hielt ihre roten, wunden Handflächen hoch, um ihm zu zeigen, wie schwer sie gearbeitet hatte.

Eirik runzelte verwirrt die Stirn. »Steht ihr denn nicht jeden Morgen früh auf, um mit eurer Arbeit zu beginnen?«

Bertha wurde puterrot. »Na ja, manchmal schon, aber … aber … es steht ihr nicht zu, uns herumzukommandieren, außerdem hat sie uns Faulpelze und Schlimmeres genannt. Sie hat gesagt, wir wären so träge, dass wir uns wahrscheinlich sogar an die Wand lehnen müssten, um zu rülpsen. Und sie behauptet auch, wir hätten Läuse, und sagt, wir müssten sie bis heute Mittag loswerden, oder sie würde uns auf den Kopf stellen und sie uns aus den Haaren schütteln!«

Eirik konnte gar nicht anders, als zu lachen, worauf Bertha ihn mit einem empörten Blick bedachte. Bei Gott und allen Heiligen! Die schrille Stimme der Köchin könnte den Rost von einer Rüstung schälen, dachte Eirik, aber sie bemerkte nicht, wie er zusammenzuckte, als sie Atem holte und beleidigt ihre Schultern straffte, bevor sie weiterjammerte.

»Sie hat furchtbar schlechte Laune, kann ich Euch nur sagen. Ich möchte wetten, dass sie kurz vor ihrer Monatsblutung steht. Noch nie habe ich eine feine Dame solche Worte benutzen hören. Sie hat gesagt, dass wir wie Schweine röchen, uns alle zum Baden in den Teich geschickt und uns verboten, irgendwas zu essen, bis wir alle blitzblank sauber waren, und …«

»Das genügt!«, befahl Eirik, aber seine Mundwinkel zuckten vor Belustigung.

»Es ist nur so, dass wir … Eure treuen Bediensteten, meine ich … dachten, Ihr solltet wissen, was sie treibt«, fügte Bertha rasch hinzu, als ihr bewusst wurde, dass sie ihre Grenzen vielleicht überschritten hatte.

»Ich weiß deine Bemühungen zu schätzen, Bertha. Und nun geh wieder in die Küche. Ich komme gleich herunter.«

Eirik spritzte sich zuerst kaltes Wasser ins Gesicht, aber dann steckte er den ganzen Kopf in die tiefe Schüssel, in der Hoffnung, seine Benommenheit damit loszuwerden. Fröstelnd und über den kalten Guss fluchend, schüttelte er sich die Wassertropfen aus dem Haar. Als ihm einfiel, dass er sich vielleicht besser rasieren sollte, warf er einen Blick auf die polierte Metallplatte an der Wand und verzog angewidert das Gesicht. Er sah aus wie ein Barbar. Der Gedanke entlockte ihm ein Grinsen. Es wäre gar nicht schlecht, dieser impertinenten Person aus Hawk’s Lair einen kleinen Vorgeschmack darauf zu geben, was sie in ihrem Ehebett bekommen würde – falls er beschließen sollte, ihr die Ehre zu erweisen.

Er grinste innerlich, als er die Treppe zum großen Saal hinunterging und sich Lady Eadyths Worte vom Vorabend in Erinnerung rief. »Bienen!«, murmelte er. »Hat dieses Frauenzimmer allen Ernstes versucht, meine Gunst mit Bienen zu erkaufen?« Er schüttelte ungläubig den Kopf. Es war auf jeden Fall das erste Mal, dass jemand es auf diese Art versuchte.

Am Fuß der Treppe verhielt Eirik abrupt den Schritt und blinzelte ein paarmal, um besser sehen zu können. Wohin er auch blickte, überall waren Mägde und Knechte emsig bei der Arbeit, schrubbten Tischplatten und Bänke, fuchtelten mit langstieligen Besen in der Luft herum, um die Spinnweben von den hohen Deckenbalken zu entfernen, und trugen alte Asche aus der Feuerstelle weg.

Eirik trat ein paar Schritt in die Halle hinein und stutzte, wie angenehmen es hier auf einmal nach Kräutern duftete. Er atmete voller Genuss mehrmals tief ein. Dabei fiel sein Blick auf die saubere Binsenstreu, die unter seinen weichen Lederschuhen knirschte.

Verwundert fragte er sich, was in seine faulen Dienstboten gefahren sein mochte, dass sie plötzlich ganz offenkundig wussten, wie man richtig sauber machte

Als er einen kühlen Luftzug spürte, blickte er zur offen stehenden Tür des Saals hinüber, durch die man auf den Burghof und zu den Außengebäuden gelangte. Mit zwei toten Kaninchen über einer Schulter und einem breiten Grinsen im Gesicht lehnte Wilfrid dort am Türrahmen.

»Wo warst du?«, brummte Eirik, während er auf ihn zu ging.

»Auf der Jagd.«

Eirik runzelte die Stirn. »Warum hast du mich nicht geweckt? Ich wäre mitgekommen.«

»Ich hatte keine Zeit.«

»Wieso?« Wilfrids breites Grinsen verwirrte Eirik und weckte seine Neugier.

»Das gnädige Fräulein schmiss uns schon im Morgengrauen aus den Federn und sagte, wir bekämen heute nichts zu essen, wenn wir kein Frischfleisch auf den Tisch brächten.« Wilfrid legte eine Pause ein. Es machte ihm sichtlich ziemlich viel Spaß, seine Geschichte zu erzählen, denn nach einem nur mühsam unterdrückten Lachen fuhr er fort: »Ich glaube, sie sagte auch irgendwas in der Art, dass du ja schließlich den ganzen Abend Bier mit mir getrunken hättest und nun heute Morgen offenbar deinen Rausch ausschlafen müsstest.« Ein wenig übertrieben tippte er sich an die Stirn, als müsse er noch einmal gründlich nachdenken, dann verzogen sich seine Lippen wieder zu einem vergnügten Grinsen. »Oder deutete sie sogar an, du tätest etwas anderes in deinem Bett als schlafen? Ich erinnere mich nicht mehr so richtig.«

»Wo ist dieser Drache, der sich in alles einmischt?«, knurrte Eirik.

Wilfrid zuckte mit den Schultern. »Vielleicht ist sie draußen und repariert die Burgmauern.«

»Ich finde nichts Erheiterndes an deiner … Erheiterung«, fauchte Erik und legte eine Hand an seinen noch immer wild pochenden Kopf. Gott, er brauchte etwas zu trinken!

»Hast du Kopfweh, Mylord?«, fragte Wilfrid mit gespielter Sorge. »Vielleicht brauchst du eine Gemahlin, die es mit liebevollen Worten und sanften Händen lindert.«

Eirik erwiderte etwas äußerst Unanständiges und wandte sich in Richtung Küche. Wilfrid blieb ihm dicht auf den Fersen, da er sich die unvermeidlich folgende Szene vermutlich nicht entgehen lassen wollte.

Als Eirik schnellen Schrittes durch die Küche ging, registrierte er ihre makellose Sauberkeit und die appetitanregenden Gerüche, die von der Feuerstelle in jeden Winkel des Raums zogen. Der kleine Godric drehte gewissenhaft den Spieß, auf dem ein Fleischstück von der Größe eines halben Schweines steckte. Und wahrscheinlich war es das sogar.

»Die Herrin hat mir diese Aufgabe gegeben, Mylord. Wollt Ihr, dass ich gehe?«, piepste Godric ängstlich, als er Eiriks Stirnrunzeln bemerkte. Eirik sah die Tränen in den großen Augen des Kindes und wusste, dass der Junge Eiriks Ärger auf sich bezog.

»Aber nein, du leistest hier doch gute Arbeit, Godric. Mach nur weiter, wenn du willst. Wo ist Lady Eadyth?«

Godric deutete auf die offen stehende Küchentür, die zum Hof hinausführte.

Eirik war nicht mehr in diesem Teil der Burg gewesen, seit seine Großmutter Aud hier vor Jahren einen sehr gepflegten Kräuter- und Gemüsegarten unterhalten hatte. Wann immer sein Vater Thork oder Großvater Dar von einer Handelsreise zurückgekommen waren, hatten sie ihr zu ihrer großen Freude exotische Pflanzen aus weit entfernten Ländern mitgebracht. Die schmerzliche Erinnerung an seine vor langer Zeit verstorbene Großmutter und die wundervollen Stunden mit ihr, wenn sie zusammen die kostbaren Thymian-, Rosmarin- und Schnittlauchbeete gejätet hatten, ließ Eirik einen Moment lang regungslos verharren.

Dann zuckte er mit den Schultern und wappnete sich für den Zustand, in dem er den lange vernachlässigten Garten zu sehen erwartete. Sein Schuldbewusstsein quälte ihn wie ein fauler Zahn. Wie der Rest der Burg würde auch dieser Garten bestimmt vollkommen erneuert werden müssen.

Im ersten Moment machte das helle Sonnenlicht ihn blind für die emsige Geschäftigkeit um ihn herum und ließ ihn den Schmerz in seinem Kopf noch stärker spüren. Als der Lärm der plappernden Stimmen das Pochen in seinem Kopf schließlich durchdrang, blieb er wie angewurzelt stehen und sah sich sprachlos um.

Wohin er sich auch wandte, überall sah er, dass sich seine sonst so trägen Dienstboten in arbeitende, emsige Energiebündel verwandelt hatten. Und sie waren sauberer, als er sie seit seiner Rückkehr je gesehen hatte. Selbst ihre Tuniken und Kittel, so schäbig sie auch waren, sahen frisch gewaschen aus. Eirik strich sich nachdenklich über den Schnurrbart. Ihm war nicht einmal bewusst gewesen, dass es noch so viele Bedienstete auf Ravenshire gab.

Einige von ihnen rührten in großen Waschkesseln mit heißer Seifenlauge, andere nahmen Kleidungsstücke aus diesen Kesseln und warfen sie in sauberes Wasser. Wieder andere wrangen sie aus und hingen sie an Bäume oder Büsche, die so verkommen und verwildert waren, wie er schon erwartet hatte. Eirik fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er zu seiner Beschämung auch seine eigene Unterwäsche von einem Maulbeerbaum herunterbaumeln sah.

»Ha!«, stieß er erstickt hervor und entdeckte dann die Person, der er diese peinliche Situation zu verdanken hatte. Lady Eadyth las gerade einem jungen Hausknecht die Leviten, dessen nasses Haar darauf hinzudeuten schien, dass er gerade erst von seinem Bad im Teich zurückgekommen war. Schimpfend zog sie ihn am Ohr, um ihn in Richtung Teich zurückzustupsen, während sie sich über den noch immer zu sehenden Schmutz an seinem Hals und seinen Ohren mokierte.

»Glaubst du, sie wird auch unsere Ohren überprüfen?«, fragte Wilfrid trocken.

Eirik warf ihm gereizt einen bösen Blick zu, bevor er entschlossenen Schrittes zu der aufgebrachten Frau hinüberging. Um ihr nicht direkt vor den Augen seiner Dienstboten etwas anzutun, biss er die Zähne zusammen, um sich im Zaum zu halten, bevor er schließlich mit erzwungener Ruhe sagte: »Darf ich Euch kurz sprechen, Lady Eadyth?«

Die magere Person erschrak und fuhr zu ihm herum. Plötzlich wurde es mucksmäuschenstill im Hof. Als sich ihre Blicke begegneten und er die Unsicherheit und Verwundbarkeit in ihren Zügen sah, machte Eiriks Herz einen Satz. Im nächsten Moment aber schon sah er in ihren Zügen wieder nichts als die gewohnte Arroganz.

Die Bediensteten erstarrten in einer Mischung aus Furcht und Neugierde, aber diese dusselige Lady Eadyth war nicht einmal vernünftig genug, um ihn zu fürchten. Nein, sie starrte ihn nur kühn mit ihren glänzenden, veilchenblauen Augen an. Hexenaugen! Ihre eigenartige Farbe war ihm gestern Abend gar nicht aufgefallen. Vielleicht waren sie aber auch nur mit dem Alter wässrig geworden und verblasst, wie die seiner Großmutter kurz vor deren Tod. Natürlich, genau das musste es sein.

Ihre kühle, unerschrockene Haltung irritierte ihn mächtig. Genauso wie die ihm unerklärliche, aber auch unbestreitbare Tatsache, dass er sich zu dieser älteren Frau hingezogen fühlte. Während er sich innerlich verwünschte, packte er sie mit eisernem Griff am Arm und führte sie, ihre heftigen Proteste ignorierend, zur Burg zurück.

»Setzt Euch«, befahl Eirik, als sie sich in einem kleinen, unter der Treppe liegenden privaten Nebenraum des Saals befanden. Es war dunkel und muffig in dem fensterlosen Raum. Eirik zündete eine Kerze an, konnte aber kaum mehr sehen als die dicke Schicht Staub und Schmutz, die jeden Gegenstand im Raum bedeckte. Dieses Zimmer hatte sich Eadyth anscheinend noch nicht vorgenommen. Herrgott noch mal! Was hatten seine Bediensteten während seiner zweijährigen Abwesenheit überhaupt getan?

Eadyth murmelte etwas und rieb sich ihren Arm an der Stelle, an der er sie festgehalten hatte. Dann zog sie ein kleines Tuch aus ihrem Gewand, mit dem sie zunächst gründlich ihren Stuhl abwischte, bevor sie sich gehorsam setzte. Eirik bemerkte, dass sie es vermied, ihn anzusehen, und an ihrem Stirnband herumfummelte, als wolle sie ihn ihr Gesicht nicht zu genau sehen lassen. Wahrscheinlich wollte sie einfach verbergen, wie hässlich sie war. Sie senkte die Lider unter seinem festen Blick, aber nicht aus Demut, wie er genau wusste.

Der Staub, den Eadyth aufgewirbelt hatte, ließ Eirik ein paar Mal niesen. Wahrscheinlich hatte sie es ganz bewusst getan, um ihn zu ärgern. Er funkelte sie böse an und dachte, dass sich die Gründe, warum er sie nicht leiden konnte, langsam summierten.

Eadyth gab sich zunächst trotz Eiriks finsterem Blick ganz unbekümmert. Aber dann erinnerte sie sich daran, dass er sie für älter hielt, als sie war, und zog ihr Stirnband etwas tiefer in die Stirn, krümmte ihre Schultern und wandte ihr Gesicht ab. Schließlich zog sie auch noch ein dünnes Strähnchen fettiges Haar unter ihrem Schleier hervor. Als sie dann verstohlen zu Eirik aufschielte, konnte sie ihm ansehen, dass ihr Äußeres seinen Geschmack ganz offensichtlich nicht traf, und wusste, dass ihre Bemühungen im Moment zumindest noch erfolgreich waren.

»Was fällt Euch ein, meine Dienstboten so herumzukommandieren?«, fragte Eirik schließlich ärgerlich. »Ihr beleidigt mich und mein Zuhause mit Eurem Gebaren.«

»Ich wollte nicht respektlos sein, Mylord. Ganz bestimmt nicht. Es ist nur so, dass ich Müßiggang nur schwer ertrage. Als ich zu meinem Entsetzen feststellen musste, in welchem Maß Eure Bediensteten Euch ausnutzen, dachte ich … na ja, Frauen bemerken diese Dinge manchmal eher als Männer. Und Ihr wart lange fort …«

»Trotzdem stand es Euch nicht zu.«

Seine Worte machten Eadyth furchtbar verlegen, da ihr plötzlich bewusst geworden war, wie unpassend ihr Verhalten ihm erscheinen musste. Hatte sie in ihrem unaufhörlichen Kampf um Unabhängigkeit denn jegliches Gefühl für Schicklichkeit verloren?

Obwohl es ihr nicht leichtfiel, schluckte Eadyth ihren Stolz. »Ich sehe jetzt ein, dass ich mich falsch verhalten habe. Aber wie ertragt Ihr es, etwas zu essen, das aus dieser schmutzigen Küche kommt? Oder über Binsenstreu zu laufen, die voller Tierkot, Knochen und alter Essensreste ist? Oder …«, und hier legte sie einen herausfordernden Ton in ihre Stimme und sah ihm direkt in die Augen, »… in Betten zu schlafen, in denen so viel Ungeziefer steckt, dass jedes einzelne ein wahres Paradies für Raben abgeben würde.«

Eadyth triumphierte im Stillen, als sie Eirik während ihrer harten Kritik zusammenfahren sah. Er schien sogar eine scharfe Entgegnung hinunterzuschlucken. Mit trotzig vorgeschobenem Kinn lehnte er es schlichtweg ab, ihr diese Dinge zu erklären.

»Wie ich schlafe, ist nicht Eure Sache.«

Plötzlich wurde Eadyth sich der Aussichtslosigkeit ihrer Mission bewusst, auch wenn er sie selbst gebeten hatte, über Nacht zu bleiben. Und so stand sie auf und sagte knapp: »Ihr habt recht. Ich hätte mich nicht einmischen sollen. Ich kehre auf der Stelle nach Hawk’s Lair zurück. Ich bitte um Verzeihung, dass ich Euch belästigt habe.«

Eirik legte ihr eine Hand auf die Schulter und bedeutete ihr, sich wieder hinzusetzen. »Wartet. Lasst uns die Angelegenheit besprechen«, sagte er in beschwichtigendem Ton und bot ihr einen Becher Wein an.

»So früh am Tag? Oh nein. Ich habe noch nicht einmal gefrühstückt.«

»Und auch niemand anderer in dieser Burg, soviel ich hörte«, warf er trocken ein.

»Wäre es Euch lieber, Euer Essen aus einer schmutzigen Küche zu erhalten? Himmeldonnerwetter! Die Läuse haben in den Haaren Eurer Köchin förmlich getanzt.«

Eiriks blaue Augen funkelten amüsiert, aber sein Gesichtsausdruck blieb nach wie vor verärgert. »Hütet Eure Zunge, Lady Eadyth. Eine solche Ausdrucksweise ziemt sich für eine Dame Eures Standes nicht.«

Eadyth ärgerte sich über seine Kritik. Und obwohl sie im Grunde wusste, dass sie in der Tat schon viel zu lange mit Kaufleuten zu tun hatte und dementsprechend ungehobelte Gespräche führte, würde sie das vor diesem mittellosen Ritter natürlich niemals zugeben.

»Habt Ihr mich in diesen Raum geschleppt, um meine Ausdrucksweise zu erörtern? Wenn ja, würde ich Euch jetzt gern allein lassen, da ich mit meiner Zeit eindeutig Besseres zu tun habe.«

»Ihr seid schlagfertig, Mylady«, erwiderte er grinsend. »Die meisten Männer würden diesen Wesenszug bei einer Frau nicht schätzen. Ich möchte wetten, dass das der Grund ist, warum Ihr nicht schon früher geheiratet habt.«

Eadyth biss die Zähne zusammen und erwiderte seinen Blick mit vollkommener Gelassenheit. »Ich habe nicht geheiratet«, erwiderte sie mit schmalen Lippen, »weil ich es nicht wollte. Im Gegensatz zu der übertrieben hohen Selbsteinschätzung der meisten Männer sind viele Frauen durchaus damit zufrieden, allein zu leben.«

»Wolltet Ihr Steven heiraten?«

Eadyth versteifte sich in Anbetracht dieser unverblümten Frage. Eirik zwirbelte gedankenvoll das eine Ende seines Schnurrbarts, während er sie mit Argusaugen beobachtete. Sie konnte sehen, dass ihre Antwort wichtig für ihn war.

»Ich finde, das ist eine taktlose und viel zu persönliche Frage …«

Eirik hob die Hand, um sie zu unterbrechen. »Nein, die Frage ist für einen zukünftigen Bräutigam durchaus vernünftig.«

Eadyth zog verblüfft die Augenbrauen hoch. Sie hatte geglaubt, keine Chance mehr zu haben, diesen Mann zu einer Heirat zu bewegen. Sie errötete und zwang sich, ein intimes Detail eines vergangenen Lebens preiszugeben, das sie lieber vergessen hätte. »Ja, ich war damals dumm genug, Steven von Gravely heiraten zu wollen.«

»Hatte er Euch die Ehe versprochen?«

»Ja … bevor er bekommen hat, was er von mir wollte.«

»Und was war das?«

Eadyth warf ihm einen scharfen Blick zu, der besagte, dass nicht einmal er so einfältig sein konnte. Dann lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück, verschränkte ihre Arme vor der Brust und wünschte sogleich, es nicht getan zu haben, als sein Blick zu ihren scheinbar flachen Brüsten glitt. Mit einem angewiderten kleinen Laut ließ sie die Arme wieder sinken und sagte ganz offen, während sie ihm ruhig in die Augen sah: »Es hat ihn nach meinem Körper gelüstet.« Auf seinen zweifelnden Gesichtsausdruck hin setzte sie achselzuckend noch hinzu: »Ich hatte damals einen begehrenswerten Körper.«

Eirik grinste, worauf Eadyth ihn böse anfunkelte.

»Und habt Ihr ihn auch begehrt?«

Empört schnappte sie nach Luft. Diese Unterhaltung ging zu weit. Sie kniff die Lippen zusammen, um die derben Schmähworte zurückzuhalten, die sie ihm am liebsten ins Gesicht geschleudert hätte. Aber dann, von einem überwältigenden Gefühl der Scham ergriffen, bekannte sie mit leiser Stimme bitter: »Ich verwechselte Lust mit Liebe, und das auf beiden Seiten. Diese naive Vorstellung wurde mir jedoch sehr schnell ausgetrieben.«

»Und wie?«, beharrte Eirik mit ernster Miene.

»Als ich merkte, dass ich schwanger war und zu ihm ging, in der festen Überzeugung, dass er sich mit mir verloben und mich wie versprochen heiraten würde, lachte er mir ins Gesicht. Er behauptete sogar, nicht der Vater zu sein.« Eadyth starrte Eirik finster an, erbost darüber, dass er ihr dieses demütigende Eingeständnis abgerungen hatte. Es war ein Thema, über das sie normalerweise niemals sprach. »Ich weigere mich, noch länger mit Euch über diese Teufelsbrut zu sprechen.«

»Das ist zumindest etwas, worüber wir uns einig sind – über den schlechten Charakter von Steven von Gravely, meine ich.«

»Ja, das stimmt.«

»Als Ihr seinen Verrat entdeckt hattet, habt Ihr da nicht daran gedacht, eine Hebamme um Hilfe zu ersuchen …«

»Was?«, fragte sie, weil sie nicht richtig verstand, was er ihr sagen wollte.

Sie sah, dass seine Lippen vor Anspannung ganz blutleer waren, und merkte, dass er zögerte, bevor er in Worte fasste, was für ihn eine wichtige Frage zu sein schien. »Einige Frauen hätten Mittel und Wege gefunden, sich eines unerwünschten Kindes zu entledigen. Habt Ihr so einen Versuch gemacht und seid gescheitert?«

»Nein!«, rief sie empört. »Wie könnt Ihr so etwas auch nur fragen? John ist das einzig Gute, Reine, das aus dieser abscheulichen … Liaison hervorgegangen ist.« Als sie sich wieder etwas beruhigt hatte, fügte sie hinzu: »Ihr habt eine sehr schlechte Meinung von Frauen, Mylord. Ich frage mich, warum wohl.«

Eine ganze Weile starrte er sie nur versonnen an und rieb sich diesen unmöglichen Schnurrbart. Schließlich verschwand der verwirrte Ausdruck auf seinem Gesicht, er schien zu einem Entschluss gekommen zu sein. »Wartet hier«, befahl er ihr, während er aufstand und zur Tür ging. »Ich muss nur etwas holen.«

Als er kurz darauf zurückkam, hatte er ein kleines, in Stoff gewickeltes Bündel bei sich, das er auf den Tisch legte. Dann setzte er sich in den Sessel neben Eadyth und zog das Dokument mit der Auflistung ihrer Mitgift unter seiner Tunika hervor. Mit einer Handbewegung bedeutete er ihr, ihren Stuhl ein wenig näher an den Tisch heranzuziehen.

»Bevor ich Wilfrid rufe, um unsere Unterschriften zu bezeugen, möchte ich unserer Verlobungsvereinbarung noch meine eigenen Bedingungen hinzufügen, Mylady.«

Eadyth starrte ihn verwundert an. »Ihr wollt mich heiraten?«

Eiriks Lippen verzogen sich zu einem reuevollen Grinsen, als könne er selbst nicht glauben, dass er im Begriff war, etwas derart Törichtes zu tun.

»Ja, Gott stehe mir bei, aber das will ich.«

Zuerst war Eadyth gar nicht in der Lage, sich über die volle Bedeutung seiner Worte klar zu werden. Ein Chaos sehr gemischter Gefühle brach über sie herein – einerseits Erleichterung darüber, dass John durch den Bund der Ehe geschützt sein würde, und andererseits Verzweiflung über die ihr so verhassten Bande. Gegen Männer als solche hatte sie ja gar nichts, nur ihre wollüstige Art hasste sie, und dennoch fühlte sie sich von Eiriks maskuliner Schönheit angezogen.

»Warum?«

Eirik warf den Kopf zurück und lachte. »Das ist eine komische Frage für eine Braut.«

»Ich bin keine normale Braut, und das ist Euch nur zu gut bewusst. Für mich ist offensichtlich, dass Euch der Gedanke, mich zu heiraten, zuwider ist. Hat meine Mitgift Euch dazu verlockt? Habt Ihr beschlossen, dass Ihr sie brauchen könnt, um Ravenshire wieder auf Vordermann zu bringen?«

Eirik blinzelte vor Überraschung, und dann lachte er wieder. »Vielleicht bin ich mehr wie Steven. Vielleicht gelüstet es mich ja auch nach Eurem schönen Körper«, sagte er und klimperte anzüglich mit den Wimpern.

Eadyth spürte, wie ihr die verhasste Röte mal wieder in die Wangen stieg, und schnaubte ärgerlich, weil er sich offenbar auf ihre Kosten amüsierte. Er war bei weitem zu frivol.

»Mein Körper, ob schön oder nicht, wird kein Bestandteil unserer Verlobungsvereinbarung sein.«

Eirik zog spöttisch fragend eine Augenbraue hoch, und seine dichten schwarzen Wimpern warfen Schatten über seine seltsam hellen Augen.

»Oh, wird er das nicht? Na ja. Das wird sich zeigen.«

Erschrocken blickte Eadyth auf, um zu eruieren, was Eirik mit dieser hintergründigen Bemerkung meinte, aber er hielt seinen Kopf über das Dokument gebeugt, während er seine eigenen Bedingungen ihrem Schreiben hinzufügte.

Eadyth schloss die Augen.

Mache ich etwa erst jetzt den größten Fehler meines Lebens, wenn ich dem Herrn von Ravenshire mein Schicksal anvertraue?