Eirik beobachtete Tykir und seine Frau argwöhnisch. Sie wirkte in der Gegenwart seines Bruders so entspannt, wie sie es bei ihm noch nie gewesen war. Es war, als würden sie ein Geheimnis miteinander teilen.
Eirik machte sich ständig Sorgen um Tykir, seit dieser in der »Großen Schlacht« vor neun Jahren so schwer verletzt worden war, dass er beinahe sein Bein verloren hätte. Und dann hatte Eirik Anfang dieses Jahres in Frankreich erfahren, dass König Edmund das Keltische Königreich von Strathclyde erobert und ganz Cumberland besiegt hatte. Am Ende hatte Edmund Malcolm als neuen Herrscher von ganz Schottland eingesetzt, unter der Bedingung, dass Malcolm ihm beim Kampf gegen die wikingischen Invasoren auf See und zu Land zur Seite stand. Und wenn man irgendjemanden als wikingischen Eroberer bezeichnen konnte, dann seinen Bruder Tykir.
Glücklicherweise hatte Eirik sich auf der anderen Seite des Kanals befunden, sodass er nicht in der Lage gewesen war, in Brunanburh und später noch einmal in Strathclyde an der Seite seines angelsächsischen Königs zu kämpfen. Er hatte beiden Brüdern, Athelstan und Edmund, den Treueeid geleistet und sich auch schon in so mancher Schlacht bewährt, aber er lehnte es ab, gegen seine eigenen Verwandten anzutreten.
Inzwischen fiel Tykirs Humpeln kaum noch auf. Eirik freute sich sehr über das Wiedersehen mit seinem Bruder, obwohl er ebenso überrascht wie seine Ehefrau gewesen war, als Tykir die Trauzeremonie unterbrochen hatte.
Seine Ehefrau! Meine Güte! Er schien schon beinahe seine Totenglocken läuten zu hören. Mit grimmiger Miene wandte er sich ihr zu, weil er wusste, dass er diesen Augenblick schon viel zu lange hinausgezögert hatte.
»Es wird Zeit, Eadyth. Hol den Jungen und bring ihn her zu mir. Und Larise auch.«
Er sah den Ausdruck des Erschreckens in ihren Augen, aber sie verdrängte tapfer ihre Furcht und nickte zustimmend. Suchend blickte sie sich um und entdeckte ihren Sohn John, der schon ganz schläfrig wirkte, am ersten Tisch vor dem Podium. Eiriks achtjährige Tochter hingegen, die mit Graf Orm gekommen war, genoss jeden Augenblick ihres ersten abendlichen Festbanketts. Ihr Kopf auf ihrem vogelähnlich langen Hals fuhr in dem Versuch all die ungewohnten Eindrücke um sich herum in sich aufzunehmen hin und her, und sie schnatterte wie eine Ente auf den uninteressierten jungen Ritter an ihrer Seite ein.
Tykir setzte sich auf Eadyths Platz, als sie steifbeinig und deutlich brüskiert von den Edelleuten, an denen sie vorbeigehen musste, den Ehrentisch verließ, um die Kinder zu holen. Mit seinen Rittern und Vasallen hatte Eirik schon gesprochen und ihnen klargemacht, dass sie seine Frau zu respektieren hatten. Seinen Gästen aber hatte er nichts vorzuschreiben, und er konnte sehen, wie herablassend sie Eadyth musterten und dass sie keinen Hehl aus ihrem Missfallen machten. Die Frauen kicherten boshaft hinter vorgehaltener Hand, als sie vorbeiging; die Männer warfen ihr geringschätzige Blicke zu.
Eiriks Augen wurden schmal vor Zorn. Nach diesem Festbankett werden einige Zechen zu bezahlen sein, schwor er sich verärgert.
»So, Bruder«, sagte Tykir gedehnt, »jetzt, nachdem ich mit Eadyth gesprochen habe, verstehe ich deinen Sinneswandel hinsichtlich der Ehe. Bist du glücklich mit ihr?«
Erstaunt über Tykirs beifällige Worte zog Eirik skeptisch eine Braue hoch.
»Hast du bemerkt, wie sie sich in den Hüften wiegte, als sie heute Morgen vor uns durch die Kapelle ging?«
»In den Hüften wiegen! Du hast wohl zu viel Bier getrunken. Diese Frau hält sich so steif, als hätte sie ein Lineal verschluckt. Außerdem hat sie so gut wie gar keine Hüften.«
»Und ihre Lippen! Gott Allmächtiger! Die sehen mehr als küssenswert aus, Eirik.«
»Hat dein Vater dich als Säugling auf den Kopf fallen lassen?«
»Oh. Na ja, vielleicht habe ich mich ja geirrt.«
Eirik konnte das spitzbübische Funkeln in den Augen seines Bruders sehen. »Was führst du eigentlich im Schilde, Tykir?«
»Ich? Du verletzt mich mit deinem Misstrauen, Bruder.«
»Ha! Ich würde dir noch ganz andere Verletzungen zufügen, wenn ich glauben würde, dass es dich zur Besinnung bringen könnte. Wo zum Teufel warst du nur in all den Jahren?«
Tykir zuckte mit den Schultern. »Hier und dort.«
»Ich habe mir Sorgen gemacht, du Schwachkopf, besonders nachdem ich im vergangenen Monat Selik in Jorvik begegnete. Er und Rain erzählten mir, du wärst mit Anlaf in die Midlands eingefallen. Kannst du nicht zu Hause in Norwegen bleiben, wo du hingehörst?«
»Zu Hause? Ich habe kein Zuhause.« Tykirs Gesicht verdüsterte sich.
»Tykir, ich habe dir schon mehrmals gesagt, dass Ravenshire dein Zuhause ist, wenn du nicht in Norwegen leben willst, aber …«
Tykir unterbrach ihn mit erhobener Hand und zwang sich zu einem unbefangenen Ton, als er bemerkte: »Wusstest du, dass Raid schon wieder guter Hoffnung ist? Gott Allmächtiger! Selik läuft mit einem solch schwachsinnigen Grinsen im Gesicht herum, dass man beinahe glauben könnte, er hätte das Kindermachen selbst erfunden.«
Eirik nickte lächelnd. Selik, der Freund ihres Vaters, hatte sie, da sie nach dem Tod ihres Vaters noch kleine Jungen gewesen waren, unter seine Fittiche genommen. Später hatte er dann ihre Halbschwester geheiratet.
»Die beiden haben zu Hause geradezu einen Kaninchenstall«, fuhr Tykir grollend fort. »Fünf eigene Kinder, einschließlich des Babys, das noch unterwegs ist, und Dutzende von Waisen.«
»Ja, der Lärm in ihrem Waisenhaus ist fast nicht auszuhalten, aber eins muss man ihnen lassen – Selik und Rain scheinen sich noch genauso sehr zu lieben wie am Tag ihrer Hochzeit vor zehn Jahren.«
»Wenn sie sich ein bisschen weniger lieben würden, wäre Jorvik vielleicht nicht so dicht bevölkert.« Tyrik wechselte das Thema und fragte seinen Bruder, ob er schon bemerkt habe, wie gut sein Bein seit Brunanburh verheilt war. »Ich hinke nur noch leicht«, schloss er. »Und den jungen Damen scheint es sogar zu gefallen.«
Eirik schüttelte in gespielter Verzweiflung den Kopf und versetzte seinem Bruder einen freundschaftlichen Hieb gegen den Arm. Bei Gott und allen Heiligen! Er wünschte, Tykir wäre vorsichtiger. Schließlich war Tykir neben seinen Töchtern der einzige direkte Verwandte, der ihm noch geblieben war. Aber nein, berichtigte sich Eirik schnell. Er hatte jetzt noch eine andere Familie. Er hatte eine Ehefrau und einen Sohn.
Werden sie ein Segen oder eine Plage sein, fragte Eirik sich.
»Du hast gefragt, ob ich mit Eadyth glücklich bin. Die Antwort ist Nein, aber während ihrer dreiwöchiger Abwesenheit habe ich mich mit der Verbindung abgefunden«, sagte er vorsichtig. »Du kennst die wahren Gründe für meinen Entschluss zu heiraten.«
Tykir nickte. »Glaubst du, dass du je imstande sein wirst, Steven und seine üblen Taten zu vergessen, Bruder?«
»Nicht, bevor die Würmer sein verdorbenes Fleisch auffressen und seine Seele in der Hölle schmort.«
»Selik hat seine Rachsucht aufgegeben. Warum kannst du das nicht auch, Eirik?«
»Könntest du es?«
»Nein, aber ich bin ja auch der blutrünstige Bruder, schon vergessen?« Tykir grinste flüchtig, zeigte dann aber gleich wieder eine ernste Miene. »Wirst du den Jungen als Köder benutzen, um Steven aus seinem Versteck zu locken?«
»Ja. Steven braucht anscheinend einen Sohn, um seinen Anspruch auf die Ländereien seines Großvaters in Frankreich durchzusetzen. Ich glaube in der Tat, dass John das richtige Werkzeug sein wird, um Stevens Untergang herbeizuführen. Aber glaub ja nicht, Tykir, dass ich den Jungen dafür opfern würde. John trägt keine Schuld an den üblen Taten seines Vaters. Ich werde ihn gut behüten.«
»Und was ist mit deiner frischgebackenen neuen Ehefrau?«, wechselte Tykir in scheinbar beiläufigem Ton und mit einem seltsamen kleinen Lächeln um die Mundwinkel das Thema. »Macht ihr Alter dir nichts aus? Oder ihr … na ja, nicht gerade auffallend gutes Aussehen?«
Eirik blieb vorsichtig. Er kannte seinen Bruder zu gut, und der rätselhafte Glanz in seinen Augen verriet ihm, dass er etwas im Schilde führte.
»Ihr Alter und Aussehen stören mich nicht allzu sehr. Du weißt, dass ich einmal eine schöne junge Dame von bestem Ruf heiratete, die mir schon bald darauf das Leben zur Hölle machte. Dieses Mal habe ich eine auf vernünftigen Überlegungen beruhende Wahl getroffen.« Er zuckte mit den Schultern. »Trotzdem fällt es mir schwer, mich an Eadyths unerquickliches Wesen zu gewöhnen. Muss sie immerfort die Stirn runzeln? Und ihre Stimme! Allein dieser schrille Tonfall lässt mir schon die Haare zu Berge stehen.«
Tykir verschluckte sich an dem Met, den er gerade trank, und wieder legte Eirik misstrauisch den Kopf zur Seite. Tykir verbarg doch etwas. Was konnte das sein? Hatte es vielleicht etwas mit den Lachanfällen der beiden von vorhin zu tun?
Zögernd fuhr er fort: »Ich finde es rührend, dass sie sich zumindest heute ein bisschen Mühe mit ihrem Aussehen gegeben hat. Grundgütiger! Du hättest sie mal vor drei Wochen sehen sollen. Da war sie hässlich wie eine Moorhenne und doppelt so gemein.«
»Und jetzt?« Tykir zog in übertriebenem Interesse eine Braue hoch.
»Jetzt ist ihr seidenes Kleid zumindest neu, und dieser merkwürdige Kopfputz verleiht ihr beinahe etwas Mädchenhaftes, vor allem, wenn sie den Schleier über Mund und Nase zieht. Hältst du es für möglich, dass sie unter ihrem arroganten Äußeren womöglich ein bisschen schüchtern ist?«
Tykir starrte ihn entgeistert an. »Ha! Mehr wie eine Huri in einem Harem, den ich einst besuchte.«
Eirik lächelte über den unpassenden Vergleich und schüttelte betrübt den Kopf. »Eadyth eine Haremssklavin? Wohl kaum. Sie würde binnen einer Woche eine Meuterei anzetteln.«
»Du solltest deine neue Gattin nicht zu hart beurteilen, Eirik«, riet Tykir ihm in plötzlich ernstem Ton. »Denn trotz ihres starken, unabhängigen Gehabes spüre ich einen tief sitzenden Schmerz in ihr.«
»Du unterschätzt meine Menschenkenntnis, Bruder. Die Verwundbarkeit, die Eadyth hin und wieder nicht verbergen kann, berührt mich auch. Hast du ihr Gesicht gesehen, als ich sie vorhin Graf Orm und seiner Tochter Aldgyth vorstellte? Sie haben sie mit dem Mindestmaß an Höflichkeit behandelt.«
»Ja, wenn du nicht an Eadyths Seite gewesen wärst, hätten Orm und seine verdammte Tochter sie zweifellos brüskiert, aber scheinheilig, wie sie sind, haben sie doch immerhin ein falsches Lächeln aufgesetzt.«
Eirik zuckte mit den Schultern. »Sie brauchen meine Unterstützung bei ihren politischen Intrigen. Das ist mir nur allzu bewusst. Sie werden sie nicht geradeheraus beleidigen. Und sieh nur, wie Erzbischof Wulfstan, dieser durchtriebene Kleriker, sich in seinem Bestreben, die angelsächsische Herrschaft in Northumbria zu stürzen, da unten durch die Menge arbeitet!«
»Ja, er hat zwar selbst die Trauung vorgenommen, doch nicht einmal er hatte so viel Anstand, seine Missbilligung über die Verbindung und Eadyths skandalöse Vergangenheit zu verbergen. Soll ich ihm für dich den Kopf abschlagen?«
Eirik grinste seinen Bruder an. »Nein, du blutrünstiger Narr, obwohl ich natürlich auch das Bedürfnis verspüre, Eadyth zu beschützen. Diese Hochzeitsfeier hat mir einen kleinen Einblick gegeben, wie Eadyths Leben in den vergangenen acht Jahren gewesen sein muss – boshaftes Gekicher, verurteilende Blicke und Menschen, die nicht mit einem verkehren wollen.«
»Und du, Bruder, weißt nur zu gut, wie grausam die aufgeblasene angelsächsische Aristokratie sein kann. Wie du das so lange ausgehalten hast, ist mir ein Rätsel.«
Eirik nickte angesichts der unwillkommenen Erinnerungen, die Tykirs Worte in ihm heraufbeschworen. »Ich wäre ein Narr, wenn ich mich von Eadyths Charakterstärke, die ihr half, ihre schlechte Behandlung zu ertragen, nicht angezogen fühlen würde. Da kann ich mich nur fragen, welche Leiden meine Frau erlitten hat, die sie immer noch für sich behält.«
»Vielleicht ist ihr einziger Schutz diese harte Schale, unter der sie ihr weiches Inneres verbirgt?«
Daran hatte Eirik noch nicht gedacht, aber wahrscheinlich hatte Tyrik recht.
»Und du möchtest dieses weiche Innere entdecken?«, fragte Tykir und wackelte mit seinen Augenbrauen.
Eirik lachte. »Oh, ich werde Eadyths ›innere‹ Geheimnisse schon heute Nacht lüften. Dessen kannst du sicher sein. Aber falls du von jenem Teil ihres Inneren sprichst, den sie zu verbergen sucht, so kann ich dir nur eins sagen: Ein Mann beschützt die Seinen, und ich mag zwar nicht in der Lage sein, vergangene Geschehnisse rückgängig zu machen, aber ich werde ganz sicher dafür sorgen, dass niemand ihr je wieder wehtut. Einschließlich Steven von Gravely.«
»Und wie willst du ihr sprödes Wesen zarter machen?«
Eirik schüttelte angesichts dieser wirklich herausfordernden Aufgabe den Kopf. »Das weiß ich auch noch nicht, allzumal ich sehr viel unterwegs sein werde. Eigentlich erwarte ich jeden Augenblick Nachrichten von Edmund. Er bewegt seine Truppen nach …« Eirik unterbrach sich, als ihm zu Bewusstsein kam, dass er solche Informationen nicht an seinen Bruder weitergeben durfte, dessen Loyalitäten oft ganz anders lagen als seine eigenen. »Tykir, versprich mir, dass du Britannien verlässt und dich aus dem bevorstehenden Kampf heraushältst.«
Da Tykir sich jedoch zu nichts verpflichten wollte, fragte er stattdessen nur: »Wirst du dieser Doppelrolle, die du spielst, eigentlich niemals müde, Bruder? Du kannst nicht immer den Mittelweg zwischen angelsächsischen und wikingischen Angelegenheiten gehen. Eines Tages wirst du wählen müssen, und wenn diese hochwohlgeborenen Gäste hier ihren Willen bekommen, wird das schon sehr bald sein. Uns steht ein Kampf um die Herrschaft in Northumbria bevor. Auf welcher Seite wirst du reiten?«
»Ich weiß es wirklich nicht. Aber ich habe König Athelstan viel zu verdanken und ihm an seinem Totenbett versprochen, auch seinen Bruder Edmund zu unterstützen. Ich werde diesen Treueeid nicht brechen, aber genauso wenig werde ich gegen dich im Kampf antreten, Bruder.«
»Ach, Eirik, warum machst du dir das Leben immer so schwer? Es ist im Grunde doch eine ganze einfache Entscheidung. Bist du Wikinger oder Angelsachse?«
»Das ist genau der Punkt. Ich bin beides. Und du weißt, dass die Menschen unserer Zeit den Herrschern und nicht den Ländern Treue schwören.« Eirik stand auf und drückte seinem Bruder liebevoll die Hand. »Aber lass uns jetzt nicht mehr darüber reden. Heute ist meine Hochzeit, eine Nacht zum Feiern«, sagte er trocken. »Komm, steh mit mir auf, wenn ich einen Toast ausbringe.«
»Ja, aber lass uns vorher noch einmal allein auf deine Vermählung anstoßen«, sagte Tyrik feierlich und berührte Eiriks Kelch mit seinem. »Vergiss nie, dass diese Frau, für die du dich entschieden hast, unter all ihren Makeln wirklich und wahrhaftig das silberne Kleinod von Northumbria ist. Und mögest du immer der wahre Wikinger sein, der du, wie ich sehr wohl weiß, in deinem tiefsten Inneren noch immer bist und der die wahren Werte einer Frau und nicht nur ihren äußerlichen Glanz zu schätzen weiß.«
Eirik zog ungläubig die Brauen hoch. »Das sind Worte, die eines Dichters würdig wären, Bruder. Warst du mal wieder mit diesem kriegerischen Barden Egil Skallagrimmson auf Reisen?«
Tykir schüttelte den Kopf und lachte.
»Tja, wieso fällt es mir dann schwer zu glauben, dass der Mann, der dafür bekannt ist, die schönsten Frauen aller Länder zu beglücken, mit einem Mal ein Kenner innerer Werte sein soll?«
»Nein«, sagte Tykir lachend, »du hast mich falsch verstanden. Ich habe nicht gesagt, dass Schönheit nebensächlich ist, sondern nur, dass ein Mann bisweilen – wie soll ich sagen? – blind für die Schönheit ist, die er vor der Nase hat.«
»Du sprichst in Rätseln, Tykir. Vielleicht hast du zu viel Met getrunken. Ich bin nicht blind.«
Tykir verschluckte sich und musste so heftig husten, dass er den Honigwein in alle Richtungen prustete.
Eirik wischte sich mit gespielt angewiderter Miene übers Gesicht, bevor er sagte: »Und da wir gerade von schönen Frauen sprechen – halte dich von Britta fern, Tykir. Sie ist Wilfrids Liebchen.«
Sie lachten kameradschaftlich und erhoben sich, als Eadyth, an der einen Hand ihren Sohn John und an der anderen Eiriks Tochter Larise, auf den Ehrentisch zukam.
Larises blaue Augen blickten in kindlicher Verehrung anbetend zu ihrem Vater auf. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er sein ältestes Kind so lange vernachlässigt hatte, und war froh, dass Graf Orm sie heute Morgen heimgebracht hatte – für immer. Und auch wenn er verärgert auf den Grafen war, so schuldete er Orm doch Dankbarkeit dafür, dass er sich in all diesen Jahren so liebevoll um seine Tochter gekümmert hatte.
Eirik richtete den Blick auf John. Der Siebenjährige war so dünn wie seine Mutter und würde wahrscheinlich irgendwann einmal so groß sein wie er selbst. Eadyth hatte wirklich recht gehabt. Mit seinem schwarzen Haar und den hellen blauen Augen sah der Junge ihm tatsächlich ziemlich ähnlich.
Er hätte diesen Sprössling seines schlimmsten Feindes hassen müssen, aber er konnte dem Jungen schließlich nicht die Sünden seines Vaters anlasten. Er streckte eine Hand nach John aus, und der Junge drückte sich noch fester an die Knie seiner Mutter und schaute aus ängstlichen Augen fragend zu ihr auf. Sie nickte ernst und ermutigte ihn, vorzutreten.
Eirik legte beruhigend einen Arm um Johns Schulter, dann zog er Eadyth an seine andere Seite und nahm auch sie in den Arm.
Mit einer Handbewegung bedeutete er Tykir und Larise, sich neben John und Eadyth zu stellen. Dann drehten sie sich alle zum großen Burgsaal um und warteten darauf, dass seine Gefolgsleute und Gäste schwiegen.
Als endlich absolute Stille herrschte, sagte Eirik mit klarer, Respekt einflößender Stimme, die durch die ganze Halle schallte: »Meine Freunde und treuen Anhänger, ich möchte euch nun in aller Form Lady Eadyth von Ravenshire, meine Gemahlin, vorstellen.« Und dann beugte er sich vor und drückte ihr einen Kuss auf die kühlen Lippen, noch bevor sie erschrocken zurückfahren konnte. Die Gäste und Gefolgsleute im Saal schienen ihre instinktive Reaktion jedoch nicht zu bemerken. Sie jubelten ihnen zu und erhoben ihre Kelche zu einem Toast auf das frisch verheiratete Ehepaar.
Dann hob Eirik eine Hand, um Schweigen zu gebieten, und stellte seinen Bruder Tykir vor, der eher widerwillig empfangen wurde. Immerhin hatte Tykir in den letzten Jahren erbittert gegen einige der anwesenden Männer gekämpft.
Seine Tochter Larise war als Nächste an der Reihe. Eirik lächelte, als sie stolz wie ein Pfau den begeisterten Applaus entgegennahm.
Als wieder Stille eingekehrt war, wartete Eirik einen Moment, bevor er John hochhob, um ihn vor sich auf den Tisch zu stellen. Mit einer Hand auf dem Kopf des Jungen, den anderen Arm noch immer um die Schultern seiner frischgebackenen Ehefrau, verkündete Eirik: »Und nun, meine Freunde, möchte ich euch auch meinen Sohn vorstellen, John von Hawk’s Lair und von Ravenshire. Ich freue mich, euch allen mitteilen zu können, dass ich nun endlich Anspruch auf die Vaterschaft erheben kann, die ich in all diesen vielen Jahren nicht anerkennen konnte.«
Ein bestürztes Schweigen folgte seinen Worte, dann ging ein überraschtes Murmeln durch die Gäste, als ihre vom Alkohol benebelten Köpfe zu verstehen begannen. Als Tykir schließlich sein Erstaunen überwand, erhob er seinen Kelch und schrie: »Auf meinen Neffen John und meinen Bruder Eirik! Möge er gesegnet sein mit der Familie, die er bereits hat, und mit der Saat, die er in den fruchtbaren Furchen dieser neuen Ehe aussäen wird.« Bei diesen letzten Worten zwinkerte er der stocksteif dastehenden Eadyth zu.
Und da reagierte die Versammlung endlich und schloss sich jubelnd und mit lauten Beifallsrufen seinen guten Wünschen an.
Eirik lachte, als Eadyth sich in seinem Arm versteifte, weil er wusste, wie sehr ihr die Worte seines Bruders über die fruchtbaren Furchen ihrer Ehe missfielen.
Nur um zu testen, wie sie reagierte, drückte er ihre Schulter. Er war nicht überrascht, als sie ihm ihren Ellbogen in die Rippen stieß und zischte: »Vielleicht sollte ich deinem Bruder ein paar Bienen in die Unterhose stecken. Dann hat er fruchtbare Furchen!«
Eirik grinste.
»Ich hatte einmal eine sanfte Gattin, Eadyth. Das war keine erfreuliche Erfahrung«, gestand er ihr mit leiser Stimme und so dicht an ihrem Ohr, dass er das hauchdünne Material ihres Schleiers an seinen Lippen spürte und ihn ein unerwartetes Bedürfnis überkam, sie wieder zu küssen. »Ich bin schon ganz gespannt darauf, dein leicht erregbares Wesen zwischen den Laken unseres Ehebettes zu erleben.«
Da er gerade erst entdeckte, welch großen Spaß es ihm machte, seine neue Ehefrau zu necken, war er überaus zufrieden, als er sie scharf den Atem einziehen hörte. Sie ist viel zu scheinheilig, sagte er sich im Stillen.
Vielleicht wird es gar nicht mal so schlecht sein, mit ihr zu schlafen, überlegte er, zumal er weder Eadyths mürrisches Gesicht noch ihren knochigen Körper im Dunkeln ihres Schlafgemachs sehen musste. Wenn er ihr doch nur einen Knebel in den Mund stecken könnte, um auch ihre schnarrende Stimme nicht hören zu müssen.
Sie schob ärgerlich das Kinn vor, und ihre veilchenblauen Augen sprühten Funken, als habe sie seine Gedanken erraten.
Eirik lachte leise vor sich hin. Er liebte einen guten Kampf.
Im Grunde war Eadyth gar nicht verärgert über Tykirs anzüglichen Toast und Eiriks Neckereien.
Als ihr frischgebackener Ehemann ihren Sohn vor all den ehrwürdigen Gästen als den seinen anerkannt hatte, hatte er etwas in ihren seit langem unterdrückten Gefühlen angerührt. Dafür würde sie ihm ewig dankbar sein, und in ihrer derzeitigen Stimmung war sie auch bereit, ihm einiges zu verzeihen – sogar ein bisschen Erheiterung auf ihre Kosten.
Sie zwang sich, eine Hand auf Eiriks Arm zu legen, als sie wieder am Tisch Platz nahmen, und sagte mit bewegter Stimme: »Ich bin dir sehr dankbar für deine Worte über John, Eirik. Sie waren mehr, als ich erwartet hatte.«
Eirik blickte vielsagend auf ihre Hand und zog dann fragend eine Braue hoch. »Du bist mir dankbar? Wie dankbar, Eadyth?«
»Nicht so dankbar, du wollüstiger Flegel.« Obwohl sie sich die größte Mühe gab, die Stirn zu runzeln, konnte sie ein kleines Lachen über seine hartnäckigen Neckereien nicht zurückhalten.
»Ach? Und wieso glaubst du, du wüsstest, was ich gemeint habe? Vielleicht habe ich mich ja auf eine Erhöhung deiner Mitgift bezogen – ein paar Goldstücke mehr oder eine zusätzliche Elle Seide?« Er lachte laut und fügte dann vergnügt hinzu: »Oder noch mehr Bienen.«
Eadyth schüttelte missbilligend den Kopf. »Ich habe das Gefühl, dass dein Bruder dich anscheinend doch nicht so gut kennt, wie er vielleicht glaubt.«
»Und wieso denkst du das?«, erkundigte sich Eirik lächelnd.
Eadyth erschrak über die starke Anziehungskraft, die Eirik auf sie ausübte. Nach ihrer Erfahrung mit Steven hatte sie gedacht, sie wäre gegen die Reize eines Mannes immun. Jedenfalls hätte sie ganz gewiss nicht damit gerechnet, dass sie sich zu einem Mann hingezogen fühlen würde, der so derb war wie der, den sie von nun an ihren Ehemann nennen musste.
Ehemann, stöhnte sie im Stillen. Oh Gott, oh Gott.
Es fiel ihr sogar schon schwer, sich auch nur an den Verlauf ihrer Unterhaltung zu erinnern. Ach ja, jetzt erinnerte sie sich wieder. »Als ich deinem Bruder sagte, er sei genauso frivol wie du, meinte er, ich würde mich täuschen, da du schon immer der Ernstere von euch beiden gewesen seist. Wenn man ihn reden hört, hast du überhaupt nichts Unbekümmertes an dir. Aber ich weiß es besser. Vom ersten Moment unserer Begegnung an hast du mich aufgezogen und deine Späße mit mir getrieben.«
Eirik grinste. »Was Tykir sagt, ist wahr. Mir wurde schon oft gesagt, dass ich zu ernst bin. Vielleicht bringst du ja die leichtfertigere Seite in mir zum Klingen«, erklärte er.
»Und vielleicht spielst du ja ein aussichtsloses Spiel, wenn du hoffst, mir mit schönen Worten schmeicheln zu können. Heb sie dir lieber für irgendeine schwachköpfige Dienstmagd auf.«
Eirik lächelte herablassend, als würde er sich nur zu gut mit Frauen auskennen und als wäre sie genau wie alle anderen.
»Und womit würde ich deine harte Schale erweichen können, Frau Gemahlin?«, fragte er mit tiefer, verführerischer Stimme und beugte sich scheinbar fasziniert von ihrem Kopfputz vor, um die feinen Säume ihres Schleiers wegzupusten.
Eadyth wappnete sich innerlich, um nicht vor seinem angenehm duftenden warmen Atem zurückzuschrecken, eine Mischung aus dem Honigwein, den sie aus Hawk’s Lair mitgebracht hatte, und seinem eigenen unverwechselbaren Duft.
»Ein kostbares Juwel? Würde dich das vielleicht verlocken?«, fuhr Eirik, der sich seiner Wirkung auf sie scheinbar nur allzu bewusst war, fort. »Oder feine seidene Gewänder? Neue Tapisserien für die Wände?« Als sie auf keinen seiner Vorschläge einging, dachte er einen Moment nach, und dann hellte sich seine Miene auf. »Wie wäre es mit einem Buch über Bienenzucht von einem französischen Mönch? Ich glaube mich zu erinnern, dass es so ein Buch in Athelstans Sammlung gab, die er dann König Edmund hinterlassen hat.«
Angesichts des freudigen Erstaunens, das auf ihrem Gesicht erschien, warf Eirik den Kopf zurück und lachte. »Ach, Frau, wirst du wirklich so leicht zu erfreuen sein?«
»Ich bin sogar noch leichter zu erfreuen. Du konntest mir kein größeres Geschenk machen als eben, als du John vor aller Augen als deinen Sohn anerkannt hast. Und ich bin dir wirklich dankbar.«
Sie sah, dass Eirik sie forschend musterte und dabei die Augen ein wenig zusammenkniff, aber diesmal zog sie den Schleier nicht über ihr Gesicht, als sie fortfuhr: »Ich verspreche dir, dass ich mir zum Dank für diesen Gefallen alle Mühe geben werde, die beste aller Ehefrauen zu sein. Ich werde aus dieser Burg wieder ein Zuhause machen. Ich werde deine Dienerschaft ans Arbeiten bringen. Ich werde dir mit meiner Bienenzucht helfen, zu Wohlstand zu kommen. Ich werde für deine Kinder sorgen, als wären sie meine eigenen. Ich werde …«
Eirik bedeckte ihre Hand mit seiner weitaus größeren, und Eadyths Augen weiteten sich vor Erschrecken. Sie warf einen raschen Blick durch den Saal, aber niemand schien seine intime Geste zu bemerken.
Wahrscheinlich war es ohnehin die Art von Berührung, die von einem Ehemann bei seinem Hochzeitsfest erwartet wurde. Und zu Eadyths Erstaunen empfand sie es auch gar nicht mal als unangenehm, seine vom Kampf gestählte Hand zu spüren. Ganz und gar nicht. Sie empfand nicht ein bisschen Widerwillen, vielmehr brachte die Wärme seiner Haut ihr Blut in Wallung und ihr Herz zum Flattern.
War es das, was sie anfangs auch bei Steven empfunden hatte? Sie versuchte sich zu erinnern. Nein, diese Gefühle waren zu stark, zu ursprünglich. Sie waren ganz anders als die zarten Sehnsüchte, die die Gegenwart des Herrn von Gravely in ihr geweckt hatte, bevor sie seine wahre Natur erkannte.
Sie wollte Eirik ihre Hand entziehen, aber er lachte nur leise und hielt sie fest, drehte sie so, dass ihre Handfläche an seiner lag, und verschränkte seine Finger mit den ihren. Nur seinen Daumen zog er sanft zurück und begann ganz sachte, federleichte Kreise um die feine Narbe an ihrem Handgelenk zu beschreiben.
Ein kleines Lächeln umspielte Eiriks Lippen, als er Eadyth ansah, und das Flattern in ihrer Brust verstärkte sich und griff auf die zarten Spitzen ihrer Brüste über. Unwillkürlich blickte sie an sich herab, aber nur ganz kurz, bevor sie wieder wegsah. Sie wusste, dass Eirik die harten Knospen durch den dicken Stoff ihres Gewands nicht sehen konnte, errötete aber trotzdem vor Verlegenheit.
Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu, woraufhin ihre Wangen noch heftiger zu glühen begannen. Eirik grinste wie eine Katze vor einem vollen Schälchen Sahne. Er war sich seiner Wirkung auf sie voll bewusst, wohl aus langjähriger Erfahrung mit einfältigen Frauen. Wie sie selbst eine war.
»Ach!«, zischte Eadyth ärgerlich und verstärkte ihre Bemühungen, ihm ihre Hand zu entziehen, aber Eirik lachte nur, zog sie noch näher und klemmte dann ihren Arm unter den seinen.
»Warum versuchst du, deine leidenschaftliche Natur zu verbergen, Eadyth?«, flüsterte er ihr mit rauer Stimme zu. »Und fang jetzt bloß nicht wieder mit deinem Alter an, als hätte das im Bett eine Bedeutung. Für mich ist nur zu offensichtlich, dass unter deiner kühlen Haut eine Glut schwelt, die nur noch auf den richtigen Zunder wartet.«
»Zunder? Zunder? Behalte deinen Zunder lieber in deiner Hose, du wollüstiger Flegel. Und hör mit dem Geflüster auf. Ich habe dir vorhin schon gesagt, dass du dir deine charmanten Worte sparen kannst.«
»Warum? Weil du Angst vor dem hast, was du dann vielleicht empfindest?«
»Nein! Ich empfinde gar nichts, und du bist auf dem Holzweg, falls du etwas anderes von mir erwartest. Ach, Eirik, versuch doch bitte nicht, diese Ehe zu mehr zu machen, als sie ist – ein Vertrag.«
»Und du bist nicht der Meinung, dass es vernünftiger wäre, das Beste aus unserem … Vertrag zu machen? Vor ein paar Minuten hast du mir noch versprochen, die beste aller Ehefrauen zu sein. Hast du das in jeder Beziehung außer im wahrsten Sinne dieses Wortes gemeint?«
Eadyth reagierte ungehalten. Er hatte recht. Sie hatte ihm eben erst versprochen, die beste aller Ehefrauen zu sein, und jetzt stritt sie sich schon wieder mit ihm. Sie zwang sich zur Ruhe und erklärte ihm geduldig: »Ich liebe dich nicht, Eirik. Und du liebst mich auch nicht. Wir werden einander niemals lieben.«
»Wer spricht von Liebe? Mit diesem Gefühl, das nur den Verstand benebelt, will ich nichts zu tun haben. Aber nachts kann es in dieser Gegend ganz schön kalt werden, und …«
»Oh, du bist ein Schuft, mich so zu necken. Bring deine Buhle hierher, wenn es nicht anders geht, aber lass mich bitte in Frieden.«
Eirik schien nicht erfreut darüber, dass sie widerspruchslos eine Konkubine akzeptieren wollte. Wieder versuchte Eadyth, ihm ihre Hand zu entziehen, aber auch diesmal gab er sie nicht frei. Stattdessen hob er seine linke Hand und berührte mit der Spitze seines Zeigefingers das Muttermal über ihrer Oberlippe. Er lächelte, als fände er es höchst erfreulich, dass der kleine Fleck noch da war. Dann strich er ihre Lippen nach, von ihrem Mundwinkel zu der kleinen Einkerbung in ihrer Oberlippe, wo er einen Moment lang innehielt und zufrieden seufzte, bevor er seinen Finger zu ihrem anderen Mundwinkel gleiten ließ.
»Ich würde gern das Gleiche auch mit meiner Zungenspitze tun«, flüsterte er.
Eine süße Schwere erfasste ihre Glieder, und eine ganz eigenartige Hitze begann sich von der empfindsamen Stelle zwischen ihren Schenkeln auszubreiten, sodass Eadyth unwillkürlich ihre Lippen öffnete.
Noch nie hatte jemand so etwas zu ihr gesagt.
»Ich bin alt und hässlich«, protestierte sie lahm.
Eirik zuckte mit den Schultern. »In Frankreich hatte ich einmal eine Frau, die doppelt so alt war wie ich.« Er lächelte vergnügt bei der Erinnerung daran. »Oder genauer gesagt, sie hatte mich – eine volle Woche lang. Ich kann mich nicht entsinnen, damals gedacht zu haben, ihr Alter würde all den wunderbaren Dingen, die sie im Bett anstellte, irgendwie einen Abbruch tun. Oder auf dem Boden. Und auf einem Pferd.«
Eiriks Mundwinkel zuckten vor Belustigung, als er sie ansah. »Mach den Mund zu, Eadyth.«
Sie schloss schnell die Lippen. »Auf einem Pferd?«, fragte sie etwas später mit erstickter Stimme. »Du scherzt.«
Eirik lächelte sie entwaffnend an.
Oh, was für ein nettes Lächeln!, dachte Eadyth. Ein gefährlich nettes Lächeln.
»Möchtest du es irgendwann einmal versuchen?«, raunte er ihr zu.
»Nein! Es ist abscheulich von dir, einer Dame von solchen … Perversionen zu erzählen.«
»Meiner Frau«, berichtigte er sie grinsend und alles andere als entschuldigend.
»Habe ich da gerade richtig gehört? Will da etwa jemand Liebe auf einem Pferd machen?«, warf Tykir hinter ihnen mit einem schadenfrohen Lächeln ein.
Eadyth erschauderte vor Schmach und entzog Eirik nun endlich doch die Hand.
Eirik hingegen grinste weiter.
»Ha! Wenn ihr mich fragt, ist das viel zu ungemütlich, man wird so furchtbar durchgerüttelt«, fuhr Tyrik fort, obwohl er ganz genau sah, wie beschämt Eadyth war. »Ich hatte einmal eine Frau auf dem Bug meines Schiffes, mitten in einem Sturm, und das Auf und Ab der Wellen – na ja ich kann nur sagen, es war höchst bemerkenswert, wie …«
Das war genug! Eadyth erhob sich brüsk und funkelte die beiden Männer an, bevor sie wütend vor sich hinmurmelnd vom Podium hinunterstieg. »Männer! Nichts als lüsterne Tölpel, die ihren Verstand zwischen den Beinen haben.«
Eiriks und Tykirs Lachen folgte ihr, und sie glaubte zu hören, wie Eirik dann zu Tykir sagte: »Vielleicht stimmt es ja doch, was du über ihren Hüftschwung gesagt hast.« Eadyth warf einen Blick zurück und war entsetzt, als sie die beiden Brüder auf ihre Hüften starren sah.
Später, als Eadyth mit Girta in der Küche war und die Dienerschaft anwies, die Tische abzuräumen und den Gästen nachzuschenken, erhob sich mit einem Mal ein lautstarker Tumult im großen Saal.
Du liebe Güte, nicht noch mehr Gäste!, dachte Eadyth, als sie auf den Saaleingang zuging, wo die Neuankömmlinge mit ernsten Mienen und sichtlich aufgeregt mit Eirik sprachen. Graf Orm, Erzbischof Wulfstan und Anlag, ja, sogar Tykir beobachteten sie gespannt von der erhöhten Tafel.
»Mylord?«, fragte Eadyth unsicher, während sie auf Eirik zuging. »Soll ich Gedecke für die Herrschaften auflegen lassen?«
Er winkte sie mit einer Handbewegung näher. »Meine frischgebackene Frau Gemahlin, Lady Eadyth von Hawk’s Lair und Ravenshire«, stellte er sie den drei gut gekleideten Herren vor, die bei ihm standen. »Eadyth, ich möchte dir Graf Robert von Leicester, Graf Oswald von Hereford und Pater Aelfhead, einen der Kapläne unseres Königs, vorstellen.«
»Grüß Gott, die Herren«, murmelte Eadyth und verneigte sich vor ihnen. Dann wandte sie sich ab und befahl Girta und Britta, Essen und Getränke für das Dutzend schwer bewaffneter Gefolgsleute aufzutischen, die sich im Hintergrund hielten. Ihre müden Gesichter und staubigen Rüstungen zeugten von einem langen, überstürzten Ritt nach Ravenshire. Wozu?, fragte Eadyth sich mit einem unguten Gefühl.
Die wissenden Blicke, die Eirik und die Abgesandten des Königs wechselten, verrieten ihr, dass sie in ihrer Gegenwart nicht sprechen wollten. Aus diesem Grund bezwang sie ihre Neugierde und fragte Eirik, ob sie Schlafkammern für die neuen Gäste vorbereiten lassen solle.
»Nein«, warf Pater Aelfhead rasch ein, »wir müssen so schnell wie möglich nach Gloucester zurückkehren.« Er warf einen fragenden Blick auf Eirik, und sein kahler Kopf bewegte sich nervös von einer Seite zu der anderen, als sein Blick über die Versammlung in der Halle glitt. Dann grunzte er verärgert, als er sah, dass Erzbischof Wulfstan sich von der Festtafel erhoben hatte und jetzt in ihre Richtung steuerte.
Eirik, der dies ebenfalls bemerkt hatte, sagte schnell zu Eadyth: »Wir werden in dem Kabinett neben der Halle sein. Sag Wilfrid, er solle dafür sorgen, dass wir nicht gestört werden.« Als Eadyth nickte, ohne seine Anweisung zu hinterfragen, huschte ein Ausdruck widerwilliger Anerkennung über das Gesicht ihres Mannes, bevor er noch hinzusetzte: »Glaubst du, du könntest uns etwas zu essen und zu trinken bringen lassen? Vor allem etwas zu trinken.« Er wandte sich den drei Gästen zu und sagte stolz: »Meine Frau Gemahlin braut nämlich den besten Met in ganz Northumbria.«
Eadyth war so verblüfft über sein Lob, dass es ihr die Sprache verschlug. Bevor sie Gelegenheit bekam, zurückzutreten, beugte er sich zu ihr vor, streifte ihre Lippen mit den seinen und flüsterte ihr zu: »Tut mir leid, dass ich dich auf unserem Hochzeitsfest allein lassen muss. Ich weiß, dass du heute Abend mehr Aufmerksamkeit von deinem Mann verdient hättest.«
Mehr als verwundert sah Eadyth ihm nach, als er seine Gäste in das Kabinett führte. Sie wusste natürlich, dass der Kuss nur eine Geste war, um den Eindruck des verliebten Bräutigams vor ihren neugierigen Gästen aufrechtzuerhalten – und trotzdem berührte sie unwillkürlich und fast ehrfürchtig mit den Fingerspitzen ihre Lippen und stellte sich vor, Eiriks Kuss noch immer spüren zu können.
Vor allem jedoch konnte sie nicht aufhören, sich zu fragen, ob die gefürchtete Hochzeitsnacht vielleicht doch gar nicht so unangenehm werden würde, wie sie es sich vorgestellt hatte. Ein eigenartiges Prickeln durchlief sie, das ihre Wangen zum Glühen und ihren Puls zum Rasen brachte, als sie an Eiriks Schlafgemach und die bevorstehende Nacht mit ihm dort dachte.