Wir müssen miteinander reden, Eadyth.« Eirik hatte sich einen Stuhl ans Bett gezogen, nachdem er über eine Stunde im Schlafzimmer auf und ab gegangen war und darauf gewartet hatte, dass seine Frau aus ihrem unruhigen Schlaf erwachte.
Nach seinem abscheulichen Angriff auf sie hatte Eadyth sich geweigert, ihn anzusehen oder sich auch nur seine Entschuldigung anzuhören. Stattdessen hatte sie ihn mit einigen erstaunlich derben Flüchen bedacht, die selbst einen wikingischen Seemann hätten erröten lassen, und sich dann unter der Bettdecke verkrochen. Sie hatte schrecklich lange leise vor sich hingeweint, bevor sie schließlich in einen unruhigen Schlaf gefallen war.
Eirik betrachtete die arg zerknitterten Kleidungsstücke, die Eadyths schlanken Körper noch verbargen, als sie langsam erwachte und sich ein wenig unbeholfen in dem großen Bett aufsetzte. Er wusste nicht, welche Eadyth ihm mehr missfiel – die zänkische, arrogante alte Frau, die ihn mit ihren Kriteleien plagte, seit sie sich begegnet waren, oder die stille, gedemütigte, wegen der er jetzt ein so schlechtes Gewissen hatte.
Himmelherrgottsakra! Er war erschöpft, ihm fehlte Schlaf, und seine Haut juckte wie verrückt von den verdammten Bienenstichen. Er musste diese Angelegenheit ganz schnell in Ordnung bringen. Und danach würde er am liebsten gleich nach Jorvik reiten, wo Asa sich um seine Bedürfnisse kümmern könnte – nicht nur um die Bienenstiche, sondern auch um seine anderen, so lange vernachlässigten Wünsche.
»Hast du gehört, Eadyth? Wir müssen miteinander reden«, sagte er barsch.
»Wir haben nichts mehr miteinander zu bereden«, gab sie kühl zurück, während sie sich vom Bett erhob und zur anderen Seite des Raums hinüberging. Dann richtete sie ihren merkwürdigen Kopfputz, sodass der Schleier nun wieder zur Hälfte ihr Gesicht verdeckte, aber Eirik hatte ihre rote Nase, ihre geschwollenen Augenlider und ihre mit roten Flecken übersäte Haut ja längst gesehen.
Er hätte es nicht für möglich gehalten, dass sie noch schlimmer aussehen könnte als vorher. Aber so war es.
Fahrig rupfte er an seinem Schnurrbart herum und fragte sich, wie er sich nur in eine derart katastrophale Situation hatte bringen können. Aber dann hielt er plötzlich mitten in der Bewegung inne, als er etwas sehr Beunruhigendes bemerkte. Argwöhnisch legte er die Fingerspitzen beider Hände an sein Kinn, bewegte sie langsam hinauf zu seinen Augen und betastete dann prüfend seine Stirn.
Und dann stöhnte er laut auf über das, was er entdeckte.
Sein Gesicht war angeschwollen, und eins seiner Augenlider war fast ganz geschlossen. Einen derben Fluch ausstoßend stand er auf und ging zu dem gerahmten Stück Metall an der Wand.
Er musste sich beherrschen, um nicht vor Entsetzen über seinen eigenen Anblick zurückzuspringen.
»Verdammt!«, explodierte er. »Ich habe einmal einen Leprakranken gesehen, der besser aussah als ich jetzt.«
Eadyth lachte gackernd hinter ihm. »Dann gibt es ja wohl doch noch Gerechtigkeit auf dieser Welt.«
Eirik warf ihr einen warnenden Blick zu. »Sei nicht so überheblich. Ich habe schon Leichen gesehen, die lebendiger aussahen als du.«
Sie funkelte ihn frostig aus ihren veilchenblauen Augen an – deren Schönheit zweifellos an sie verschwendet war, wie Eirik nicht zum ersten Mal dachte. Dann griff sie nach dem Weinkelch neben dem Bett, wog ihn in ihrer Hand und sah sich wieder nach Eirik um, als spielte sie mit dem Gedanken, den Kelch nach ihm zu werfen.
Na ja, zumindest war die alte Eadyth wieder da.
»Denk nicht mal da …«
Ein lautes Pochen an der Tür unterbrach Eirik, und Eadyth stellte den Kelch wieder auf den Tisch zurück.
»Mylord? Ich bin’s, Bertha.« Das Pochen hörte nicht auf.
Eirik warf Eadyth einen vielsagenden Blick zu, der ihr ohne Worte deutlich machte, dass ihr Gespräch nur aufgeschoben war.
»Was ist denn jetzt schon wieder?«, brummte er und riss die Tür so plötzlich auf, dass Bertha über die Schwelle fiel. Er fing ihren stämmigen Körper jedoch auf und hielt die Frau an ihren Oberarmen fest, um sie zu stützen.
»Jesus, Maria, Josef!«, rief Bertha aus und verrenkte sich den Hals, um zu ihm aufzuschauen. »Ihr seht aus, als hättet Ihr Euch einen Kampf mit dem Teufel geliefert!«
»Nein, nur mit meiner Frau.«
Eadyth schnappte hinter ihm nach Luft.
Bertha versuchte vergeblich, an ihm vorbei einen Blick ins Schlafzimmer zu werfen.
»Was willst du?«
»Die Herrin hat mir nicht gesagt, was ich heute Abend auf den Tisch bringen soll, und es ist schon weit nach Mittag.«
Eirik ließ sich von Berthas Jammerei nicht täuschen. Immerhin hatte sie die Küche auch während Eadyths Abwesenheit sehr anständig geführt. Es war schlicht und einfach Neugier, was die alte Köchin umtrieb – das und ihre wohlbekannte Neigung zur Geschwätzigkeit.
»Mach verdammt noch mal, was du für richtig hältst.«
»Also wirklich, Herr, Ihr müsst Eure schlechte Laune wirklich nicht an mir auslassen. Ich kann schließlich nichts dafür, dass Ihr dumm genug wart, Euren Kopf in einen Bienenkorb zu stecken.«
»Ich habe nicht …«
»Ihr seht mich ja auch nicht lachen, oder? Oh nein, Mylord. Seht Ihr mich etwa unten bei den Küchenmägden sitzen und mit ihnen darüber tratschen, ob Euer Schaft wohl auch von den Bienen gestochen wurde und deshalb jetzt doppelt so groß wie normalerweise ist und ob Ihr hier oben damit Eurer frischgebackenen Ehefrau das doppelte Vergnügen schenkt?«
Eirik unterdrückte ein Lachen.
»Nein, ich bin hier oben und versuche nur, meine Pflicht zu tun«, fuhr sie fort. »Auch wenn ich jetzt im großen Saal sein könnte, um mir anzusehen, wie Eure Männer Wetten darüber abschließen, wie viele Bienenstiche Ihr wohl an Eurem Körper habt. Ich hab mit meiner Zeit wahrlich was Besseres zu tun. Oh ja, das hab ich.«
Eirik schnaubte ärgerlich. Himmeldonnerwetter noch einmal! Jetzt hatte seine Frau ihn auch noch zum Gespött der ganzen Burg gemacht!
»… weil ich weiß, dass Ihr unmöglich zweihundert Bienenstiche auf Eurem Körper haben könnt«, schwatzte Bertha hemmungslos weiter, ohne zu bemerken, wie er sich versteifte und die Brauen zusammenzog. »Auch wenn Herr Wilfrid sagt, er habe zweihundert tote Bienen auf dem Burghof aufgesammelt.«
»Oh nein, sag, dass das nicht wahr ist, Bertha!«, rief Eadyth bestürzt. »So viele meiner kostbaren Bienen sind tot? Ich muss sofort hinausgehen, um mir den Schaden anzusehen und dafür zu sorgen, dass die restlichen Bienen gut in ihren neuen Körben untergebracht werden. Wie konnte ich hier nur so selbstmitleidig herumliegen, obwohl ich so viel Arbeit zu erledigen habe!«
Eirik drehte sich bei Eadyths Worten verwundert herum, was Bertha Gelegenheit gab, an ihm vorbei ins Schlafzimmer zu schlüpfen. Dort vergaß sie vor Erstaunen, ihren Mund zu schließen, in dem mindestens ein halbes Dutzend Zähne fehlten.
Bertha betrachtete Eadyths nasse Kleider und ihr vom Weinen angeschwollenes Gesicht, dann glitt ihr scharfer Blick zu Eirik und gleich darauf wieder zurück zu Eadyth. Schließlich konnte sie ihre Belustigung nicht länger bezähmen und prustete los, bis ihr vor Lachen Ströme von Tränen über die aufgedunsenen Wangen rannen.
»Oh, oh, ich kann fast nicht glauben, was ich sehe! Was für ein Paar Ihr abgebt! Eure Gesichter sehen aus wie zwei Schüsseln mit klumpigem alten Haferbrei.«
»Leck mich«, sagte eine gedämpfte Stimme.
Das ließ Berthas Lachen abrupt verstummen. »Wa … was habt Ihr gesagt, Mylord?«
»Zeig mir deine Beine.«
Dieser verdammte Vogel hat eine echte Begabung, mit seiner Stimmenimitatiom just im falschen Augenblick loszulegen, dachte Eirik.
»Also, ich hätte nie gedacht, dass ich das mal erleben würde, Mylord. Eure liebe Großmutter würde sich im Grab umdrehen, wenn sie sehen könnte, dass Ihr mit einer alten Frau wie mir anbändelt. Nicht, dass es mir etwa schwerfiele, einen Mann im Bett unterzukriegen.« Bertha zog ihren ausladenden Bauch ein und schob dafür ihren umfangreichen Busen nach vorne.
Eirik riss vor Verblüffung die Augen auf. Die alte Hexe glaubte doch tatsächlich, er fühlte sich von ihren mehr als fragwürdigen Reizen angezogen!
»Na ja, wenn ich genauer darüber nachdenke, habt Ihr ja vielleicht tatsächlich eine Vorliebe für älteres Fleisch entwickelt«, fügte Bertha mit einem vielsagenden Blick auf Eadyth hinzu.
»Das reicht jetzt«, sagte Eadyth in ihrem strengsten Burgherrinnenton. »Geh mir aus den Augen, wenn dir deine schmuddelige Haut etwas wert ist! Ich komme in die Küche, sobald ich nach meinen Bienen gesehen habe.«
Etwas weniger forsch, aber noch immer leise vor sich hin lachend, wandte Bertha sich zur Tür.
»Und sorg dafür, dass keine Würmer im Brot sind, so wie vor meiner Abreise nach Hawk’s Lair. Nein, du brauchst gar nicht so aufsässig das Kinn zu heben, du faules Frauenzimmer. Ich werde mir das Mehl genauestens ansehen und dir jeden Wurm, den ich darin finde, höchstpersönlich in dein loses Mundwerk stopfen!«
Bertha watschelte davon und murmelte etwas über undankbare Herrinnen.
»Und wehe, du tratschst da unten über das, was du hier oben gesehen hast«, fügte Eadyth noch hinzu.
Bertha schnalzte ärgerlich mit der Zunge. »Als ob nicht jeder, der Augen im Kopf hat, noch tagelang selbst sehen könnte, was Ihr und unser Herr getrieben habt!«
Eadyth machte Anstalten, Bertha durch die Tür hinauszufolgen, aber Eirik bedeute ihr mit einer Geste, zu bleiben, und schloss die Tür.
»Wir werden jetzt miteinander reden.«
Eadyth rümpfte hochmütig die Nase. »Ich will nicht mit dir reden – weder jetzt noch überhaupt.«
»Das verspricht ja eine ganz wunderbare Ehe zu werden.«
»Niemand hat dir eine wunderbare Ehe versprochen.«
»Du hast mir Ehrlichkeit versprochen.«
»Und die hast du auch bekommen.«
»Ich hatte dich gefragt, bevor ich … na ja, tat, was ich tat«, sagte Eirik, der vergeblich nach einem höflichen Wort für seine vulgäre Handlungsweise suchte. »Ich habe dich klipp und klar gefragt, ob du mich je betrogen hast, und du hast gezögert …«
»Und du denkst, mein bloßes Zögern rechtfertigte eine solch verabscheuungswürdige Reaktion?«
»Nein, das denke ich nicht. Ich versuche nur, dir etwas zu erklären.«
Eadyths Augen blitzten zornig, als sie sich, die Hände in die Hüften gestemmt, das Kinn stolz vorgeschoben, herausfordernd vor ihm aufbaute. Und mit einem Mal erkannte Eirik, warum sie in ihrer Jugend als Schönheit bezeichnet worden war. Mit diesem Temperament und nur einem Quäntchen natürlicher Schönheit musste sie eine Frau gewesen sein, die ihr Gewicht in Gold wert war. Nein, nicht in Gold, sondern in Silber, berichtigte er sich, da ihm Wilfrids Bemerkung über ›das silberne Kleinod von Northumbria‹ wieder einfiel.
»Lass das«, verlangte Eadyth und stieß ärgerlich die Spitze ihres kleinen Lederschuhs in die Binsenstreu am Boden.
»Was?«
»Mich so … anzusehen.«
»Wie?«
»Als wäre ich eins deiner Flittchen.«
»Wohl kaum.«
Seine spöttische Erwiderung schien ihr nicht zu passen. »Du bringst mich so verdammt in Rage, dass ich schreien könnte!«
»Ach ja? Dann leg doch einfach ein bisschen von deiner eitlen Selbstbeherrschung ab und tu es.«
»Was?«
»Schreien.«
»Ach! Es ist sinnlos, mit dir zu reden. Warum reitest du nicht nach Jorvik und gehst einer deiner Mätressen auf die Nerven?«
Eirik spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. Es schien fast so, als könnte sie Gedanken lesen. Außerdem fand er es überhaupt nicht gut, dass sie so widerspruchslos andere Frauen in seinem Leben akzeptierte. Nicht, dass es nicht die Aufgabe einer Frau gewesen wäre, ihrem Ehemann zu dienen und die Augen vor seinen sexuellen Abenteuern zu verschließen. Es lag in der Natur des Mannes, sich nicht auf eine Bettgefährtin zu beschränken; so war es schließlich immer schon gewesen. Es ärgerte Eirik nur, dass Eadyth ihn buchstäblich in die Arme anderer Frauen trieb.
Sie funkelte ihn böse an und wartete auf seine Antwort. Und wartet nur darauf, die nächste bissige Bemerkung vom Stapel zu lassen, dachte er. Aber dann geschah etwas sehr Eigenartiges. Ihre Lippen begannen zu zucken, und sie bedeckte sie rasch mit beiden Händen, als wolle sie etwas vor ihm verbergen. Misstrauisch beugte er sich vor und glaubte, ein kleines, glucksendes Geräusch zu hören.
Und da wusste er, was es war.
Sie lachte ihn aus! Sie wagte es, ihren Ehemann auszulachen. Sie musste das Gehirn eines Flohs besitzen, wenn sie ihn, so überreizt wie er war, auch noch provozierte.
»Oh, ich kann mir nicht helfen«, gab sie zu. »Du siehst aber auch zu komisch aus, wenn du dastehst wie ein wütender Stier, aber aussiehst wie ein aufgegangener Hefeteig mit roten Tupfen drauf.«
»Du findest mich also komisch, was?«, sagte Eirik, während er langsam nähertrat. »Hast du auch nur eine Ahnung, was dein unerwünschtes Bad und dein Geflenne mit deinem Aussehen angerichtet haben?«
Bevor sie Widerspruch erheben konnte, zog Eirik sie zu dem polierten Metall und zwang sie, einen Blick darauf zu werfen.
»Ach, du meine Güte.«
»Ach, du meine Güte, allerdings.«
»Bertha hatte absolut recht. Wir geben wirklich ein schönes Paar ab.«
Eadyth wurde plötzlich bewusst, dass sie gerade dabei war, kameradschaftlich mit Eirik zu lachen. Das ging nicht an, so schnell durfte ihre Wut auf ihn nicht verfliegen. Und so zwang sie sich, wieder eine grimmige Miene aufzusetzen, und wandte sich zum Gehen. Eirik hielt es für das Beste, sich rasch noch einmal zu entschuldigen, bevor sie wieder zänkisch wurde.
»Komm«, sagte er, führte sie zurück ins Zimmer und drückte sie mit sanftem Nachdruck wieder auf den Stuhl. Dann zog er einen zweiten zu ihr heran, sodass sie einander gegenübersaßen und ihre Knie sich fast berührten. »Ich möchte dir jetzt etwas sagen.«
Eadyth machte Anstalten, sich zu erheben, aber er schüttelte den Kopf, um sie daran zu hindern. »Nein, du wirst jetzt sitzen bleiben und mir zuhören. Es ist nicht leicht für mich, dir die Gründe für mein unmögliches Verhalten zu erklären, aber du verdienst eine Erklärung. Es hat alles nur mit diesem gottverfluchten Teufel Steven von Gravely zu tun.«
Eadyths Kopf fuhr in die Höhe, und sie lehnte sich zurück und legte vor ihren fest zusammengepressten Lippen ihre Fingerspitzen aneinander. Nach einem misstrauischen Blick auf Eirik sagte sie: »Na schön. Ich höre.«
Eadyth sah, wie ihr Mann nervös auf seinem Stuhl herumrutschte. Ein langärmeliges Hemd aus weicher weißer Wolle bedeckte seinen Oberkörper, seine kräftigen Schenkel und Waden steckten bis zu den Knöcheln in einer schon etwas abgetragenen braunen Strumpfhose. Sein geschwollenes Gesicht aber und die geröteten Stichwunden an seinem Hals erinnerten Eadyth daran, dass der Drang, sich zu kratzen, ihn schier verrückt machen musste.
Gut so, dachte sie, an seinen vulgären Übergriff auf sie denkend.
Bis sie Steven begegnet war, war sie sehr zurückhaltend gewesen, hatte keinem Mann erlaubt, sie zu berühren, geschweige denn sie zu küssen. Steven hatte sie monatelang umwerben müssen, um sie von seiner Liebe zu überzeugen, und erst dann hatte sie ihm erlaubt, intim zu werden.
Aus Stevens Verrat hatte sie ihre Lehre gezogen und hielt seitdem alle Männer auf Distanz. Das war nicht leicht gewesen, als sich die Sache mit ihrem Kind herumgesprochen hatte, denn danach war sie gewissermaßen als ›beschmutzte Ware‹ beurteilt worden. Zu ihrem eigenen Schutz hatte sie den königlichen Hof und alle öffentlichen Orte gemieden, an denen sie womöglich den Zudringlichkeiten von Männern ausgesetzt gewesen wäre, und hatte alles in ihrer Macht Stehende getan, um ihre Attraktivität zu verbergen.
Vielleicht war das der Grund, warum Eiriks vulgärer Auftritt sie derartig niedergeschmettert hatte. Wie all die anderen Männer missachtete er ihre Würde. Darüber hinaus war sie zutiefst gekränkt, dass er sie des Ehebruchs bezichtigte. Herrschaftszeiten, sie konnte sich nicht einmal erinnern, wann sie sich das letzte Mal erlaubt hatte zu weinen! Wahrscheinlich nicht mehr seit Stevens Verrat.
Eirik räusperte sich vernehmlich und riss Eadyth aus ihren trübsinnigen Überlegungen. »Ich begegnete Steven zum ersten Mal, als ich als Ziehkind an König Athelstans Hof kam.«
Obgleich sie noch ganz aufgewühlt war, konnte Eadyth ihre Neugierde nicht unterdrücken. »War es nicht ein bisschen ungewöhnlich, dass ein wikingisches Kind an einem angelsächsischen Hof erzogen wurde?«
»Nein, keineswegs. Mein Cousin Haakon, ein so reinrassiger Wikinger, wie man es nur sein kann, bevor er Herrscher über ganz Norwegen wurde, wuchs auch als Ziehkind mit mir an diesem Hof auf. Ganz zu schweigen von den vielen Gelehrten und Flüchtlingen anderer Königshöfe aus der ganzen Welt.
Außerdem hatte ich dir ja schon gesagt, dass ich nur zur Hälfte Wikinger bin.« Eirik grinste, aber da sein Gesicht so verschwollen war, wurde es ein grotesker Abklatsch seines Lächelns, da er nur einen Mundwinkel verziehen konnte. Und Eadyth erinnerte sich nur allzu gut an jene Unterhaltung, als Eirik sie geneckt und sie gefragt hatte, ob sie seine wikingische Hälfte sehen wolle. Sie schürzte angewidert ihre Lippen und schnalzte missbilligend mit der Zunge.
»Hat dein Vater dich gezwungen, als Ziehkind an diesen Hof zu gehen?«, fragte sie, ohne auf seine Anspielung einzugehen.
»Ganz im Gegenteil. Ich musste meinen Vater erst dazu überreden, mich als angelsächsisches Ziehkind an König Athelstans Hof gehen zu lassen.«
»Aber warum?«
Er zuckte mit den Schultern und kratzte sich zerstreut an seinen Armen und am Nacken. Eadyth hätte ihn gerne daran erinnert, dass der Juckreiz mit Hilfe des Zwiebelsafts etwas gelindert werden könnte, dachte aber, dass er jetzt sowieso keine Hilfe von ihr annehmen würde.
»Es ist schwer zu erklären, aber für die Wikinger änderten sich schon damals die Zeiten. Man stößt in ganz Britannien auf die Beweise, dass wir Wikinger uns angeglichen, die Gebräuche der Angelsachsen übernommen und ihre Frauen geheiratet haben. Allerdings ist diese Verschmelzung nicht nur einseitig. Die Angelsachsen haben auch viele wikingische Gewohnheiten angenommen.«
»Wie Graf Orm?«
»Ja, und viele andere. Bereits als Kind hatte ich das Gefühl, dass es meiner Zukunft und der meiner wikingischen Brüder dienlicher sein würde, mir die angelsächsischen Gebräuche anzueignen. Nur mit der Bereitschaft, offen gegenüber Unbekanntem zu sein, können Völker in Frieden miteinander leben.«
Eadyth biss sich nachdenklich auf die Unterlippe und sah ihren Ehemann – der im Grunde noch ein Fremder für sie war –, in einem neuen Licht. Obwohl sie von seinen verschiedenen Heldentaten gehört hatte, war ihr nicht bewusst gewesen, wie idealistisch er war. Diese Seite an ihm faszinierte sie.
Vielleicht waren seine hehren Worte aber auch nur ein raffinierter Trick, um ihren Ärger zu besänftigen. Sie würde auf der Hut sein müssen.
»Und Tykir? War er auch mit dir an diesem Hof?«
»Wohl kaum«, erwiderte Eirik spöttisch. »Ihm war mehr daran gelegen, die Besiedelung Britanniens auf direkterem Wege anzugehen und jeden Angelsachsen in Sichtweite zu töten.«
»Aber was hat das alles mit Steven und deinem abscheulichen Benehmen zu tun?«
Eirik strich sich geistesabwesend über den Schnurrbart. Dann spreizte er nervös die Finger und fuhr sich mit ihnen durch das Haar. Man konnte ihm ansehen, wie er nach den richtigen Worten suchte.
Eaydth beobachtete ihn aufmerksam. Was konnte Eirik so bedrücken, dass es ihm derart schwerfiel, sich dazu zu äußern?
Schließlich räusperte er sich und begann: »Steven wurde auch an König Athelstans Hof aufgezogen. Tatsächlich waren sie sogar Vettern zweiten Grades«, sagte er. »Als ich an den Hof kam, war ich erst gerade zehn Jahre alt. Steven war nur fünf Jahre älter. Wir hätten Freunde werden können.«
Eirik schien in Gedanken zu jener lang zurückliegenden Zeit zurückzukehren, und die Erinnerung daran bereitete ihm ganz offensichtlich große Qual. Ein tiefer Schmerz verschleierte seine blauen Augen.
»Und?«, ermutigte ihn Eadyth, als sein Schweigen sich schier endlos hinzog.
Er schien sie aber nicht einmal zu hören, da er sich ganz und gar in seinen Gedanken verloren hatte.
»Und?«, wiederholte sie.
»Und wir wurden keine Freunde.« Eirik seufzte und zwang sich, in die Gegenwart zurückzukehren. Er suchte Eadyths Blick, und ein Ausdruck der Entschlossenheit erschien in seinen blauen Augen. »Steven war damals schon ein schlechter Mensch. Es bereitete ihm Vergnügen, nicht nur Tiere, sondern auch Menschen zu quälen, die leichtsinnig genug waren, ihm in die Quere zu kommen – vor allem die, die jünger oder schwächer waren als er.«
Eadyth wartete geduldig, dass Eirik fortfuhr.
»Ich war erst ein paar Wochen am Hof, als Steven mit einem berüchtigten wikingischen Geächteten, Ivar dem Erbarmungslosen, meine Entführung plante. Sie war eigentlich als Falle für Sigtrygg gedacht, der zu jener Zeit der wikingische König von Northumbria war, aber stattdessen führte sie zum Tode meines Vaters.«
Eirik hob seine linke Hand, an der der kleine Finger fehlte. »Es war Ivar, der meinem Vater mit einer Lösegeldforderung den Finger schickte, aber die Schuld daran gebe ich Steven. Es war die erste und sicherlich auch die geringfügigste der Verwundungen, die mir vom Grafen von Gravely zugefügt wurden.«
Eadyth war entsetzt.
»Als ich danach wieder an König Athelstans Hof kam, war ich vernünftig genug, mich von dieser Bestie fernzuhalten. Eines Abends jedoch war ich unvorsichtig. Er und zwei seiner Freunde erwischten mich in einem abgelegenen Winkel der Burg und … und … verprügelten mich erbarmungslos.«
Eadyths Herz verkrampfte sich vor Mitgefühl mit Eirik und all dem, was er als kleiner Junge schon erlitten haben musste. Sie wünschte, sie könnte etwas tun, um seinen Schmerz zu lindern und all diese bösen Erinnerungen auszulöschen. Für einen Moment vergaß sie ihren Abscheu, einen Mann zu berühren, legte anteilnehmend eine Hand auf Eiriks Arm und wünschte mit aller Macht, er möge seinen gesenkten Kopf heben.
»Oh, wie traurig für dich, Eirik«, sagte sie und legte ihre Hand auf seine.
Eirik schüttelte sie ab. »Dein Mitleid schwächt mich.«
»Mitleid! Du warst erst zehn Jahre alt, Eirik. Ließ König Athelstan Steven bestrafen?«
»Nein, dafür sorgte ich einige Jahre später selbst, als ich Steven von der Körpergröße her gewachsen war. Ich schlug ihn beinahe tot und hätte auch keine Hemmungen gehabt, ihm das Lebenslicht ganz auszublasen, wenn mich die Gefolgsleute des Königs nicht vorher von ihm weggezogen hätten. Am Ende war ich es, der bestraft wurde und ein deftiges Bußgeld zahlen musste – von meiner einjährigen Verbannung vom Hof erst ganz zu schweigen. Aber es war die Genugtuung wert, die es mir verschafft hat.«
»Ich glaube, ich hätte das Gleiche getan.«
Eirik zog fragend eine Augenbraue hoch. »Was für ein blutrünstiges Ding du doch bist. Aber lass mich dir noch etwas anderes über Steven sagen. Er und einige seiner Männer überfielen ein paar Jahre später ein wikingisches Gehöft und schändeten und töteten nicht nur die erste Frau von Selik, des besten Freundes meines Vaters, sondern trugen auch noch wochenlang den Schädel seines kleinen Sohns auf einem Spieß herum, um Selik aus seinem Versteck zu locken.«
»Oh, Eirik! Deshalb hasst du Steven so?«
»Aus diesen und noch vielen anderen Gründen.«
»Mir war klar, dass Steven kein Fünkchen Anstand im Leib hat, nachdem er mich so gefühllos behandelt hatte, aber das ganze Ausmaß seiner Niederträchtigkeit war mir bisher wirklich nicht bewusst. Wie könnte es da noch schlimmer kommen?«
»Da ich mich seinem Willen nicht gebeugt und es endlich gewagt hatte, mich gegen ihn zur Wehr zu setzen, machte Steven sich einen Spaß daraus, mich jahrelang zu peinigen. Oh, natürlich nie in aller Offenheit. Er ist ein Meister darin, seine schmutzigen Tricks geheim zu halten. Mein liebstes Schlachtross fand man tot in seinem Stall. Meine Geliebte wurde von maskierten Angreifern geschändet. Es wurden Gerüchte über meine angebliche Feigheit und verräterischen Aktivitäten in die Welt gesetzt.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber ich war nicht das einzige Opfer. Viele Männer und Knaben hatten in all diesen Jahren unter Stevens unersättlichem Appetit auf anderer Menschen Schmerz zu leiden, und Frauen natürlich auch. Wie meine eigene Gemahlin.«
»Deine Gemahlin?«, entgegnete Eadyth mit einer Stimme, die kaum mehr als ein Quieken war. »Elizabeth?«
»Ja.« Eirik warf Eadyth einen anklagenden Blick zu. »Genau wie du wurde sie von Stevens Reizen betört.«
Eiriks Erinnerung an ihre Indiskretion ließ Eadyth heiß erröten. »War sie damals schon mit dir verheiratet?«
»Ja, aber das störte sie nicht allzu sehr. Das ist länger als zehn Jahre her. Wir waren erst seit einem Jahr verheiratet und beide noch sehr jung.« Er zuckte mit den Schultern. »Anscheinend erfüllte ich nicht ihre … Bedürfnisse.«
Eadyth starrte Eirik sprachlos an. Selbst mit seinem verquollenen Gesicht fand sie ihn außerordentlich attraktiv. Andererseits war aber auch Steven ein geradezu göttlich gut aussehender Mann. Nein, berichtigte sie sich schnell, wohl eher ein teuflisch gut aussehender Mann.
»Untersteh dich, mich mit deiner Frau zu vergleichen! Unsere Weiblichkeit ist das Einzige, was uns verbindet. Oh, ich mag zwar genauso blind gewesen sein wie sie, als ich Stevens Verdorbenheit nicht durchschaute, aber ich habe dich nie betrogen, Eirik. Und außerdem würde ich dich auch nie als weniger gut aussehend als Steven beschreiben. Diesen Wettbewerb gewinnst du ohne Frage.«
»Du findest mich attraktiv?«
Eirik zog interessiert die Augenbrauen hoch, und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. Er sah in Eadyths Augen schrecklich albern … und auch einfach wunderbar aus. Sie spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte, wie das Blut durch ihre Adern rauschte und eine wundervolle, träge Wärme sie durchflutete. »Bei Gott und allen Heiligen! Du raubst einer Frau den Atem, und das weißt du nur zu gut, du raffinierter Flegel. Aber bei mir erreichst du damit nichts, du Narr. Ich bin immun gegen deine offenbaren Reize.«
Sein Gesicht verzerrte sich daraufhin sogar noch mehr, als er den verhängnisvollen Fehler beging, ein noch breiteres Lächeln aufzusetzen. Aus irgendeinem Grund stand Eadyth aber nicht der Sinn danach, zu lachen – tatsächlich konnte sie sogar schon spüren, wie ihr die Tränen kamen.
»Weine nicht um dich, du Dummchen«, sagte Eirik sanft. »Weine lieber um Elizabeth. Steven hatte auch sie geschwängert, aber sie entschloss sich dazu, das Kind nicht auszutragen. Leider wartete sie zu lange, die Hilfe einer Hebamme zu suchen, und starb zusammen mit Stevens ungeborenem Sohn.«
Eadyth starrte Eirik wie vom Donner gerührt an. Kein Wunder, dass er Steven so hasste! Und dass er allen Frauen misstraute. Unwillkürlich murmelte sie: »Du liebe Güte, der Mann muss ja Bastarde von einem Ende des Landes bis zum anderen haben! Wieso ist er dann ausgerechnet so versessen auf meinen Sohn?«
»Ich glaube, das kann ich dir beantworten. Es heißt, er sei vor sieben Jahren an einem heftigen Anfall von Wundrose erkrankt, der ihn der Fähigkeit beraubte, noch mehr Kinder in die Welt zu setzen.«
»Das geschieht ihm recht. Es ist nur schade, dass diese teuflische Krankheit nicht auch seine Männlichkeit hat verfaulen lassen.«
»Genau das dachte ich auch.«
Jeder in seine eigenen Gedanken versunken schwiegen sie für eine Weile.
»Das war gemein, was du mir angetan hast, Eirik«, sagte Eadyth schließlich.
»Ja, das war es. Ich habe dir das alles auch gerade nicht erklärt, um mein Verhalten zu rechtfertigen. Ich wollte nur, dass du verstehst, warum ich so wütend geworden bin, als ich diesen Brief von Steven sah. Ich dachte … na ja, ich dachte eben, es geschähe schon wieder. So wie damals mit Elizabeth.«
Eadyth wusste, dass dies genau der richtige Moment war, ihm ihre Maskerade zu gestehen und ihm ihre Gründe dafür darzulegen. »Ich habe viele Fehler, Eirik, aber Unaufrichtigkeit gehört nicht dazu. Als ich zögerte, deine Frage zu beantworten, ob ich dich hintergangen hätte, ging es für mich nicht um Ehebruch. Im Grunde ist es nur ein winzig kleines, gar nicht wirklich wichtiges Geheimnis, das ich vor dir habe.«
Eirik lachte. »Wenn es nichts mit Ehebruch oder Steven zu tun hat, will ich es gar nicht wissen. Oder zumindest jetzt noch nicht. Heben wir uns diese Beichte doch für später auf, meine Teuerste, vor allem, da du es ja nicht einmal für wirklich wichtig hältst. Wusstest du denn nicht, dass Männer es lieben, wenn eine Frau ein Geheimnis umgibt?«
»Aber …«
»Außerdem packt mich gerade das dringende Bedürfnis nach einem ordentlichen Schluck von deinem guten Met – dem besten in ganz Northumbria, wie du mich ja schon bei unserer ersten Begegnung hast wissen lassen«, neckte Eirik sie. »Also geh nun ruhig und spiel mit deinen verdammten Bienen.«
Eadyth setzte an, Protest einzulegen.
»Nur eins noch, Eadyth. Nimmst du meine Entschuldigung an? Können wir diesen … Zwischenfall … vergessen?«
Eadyth nickte, während sie sich beide gleichzeitig erhoben. »Aber wir müssen uns etwas einfallen lassen, um Ravenshire besser zu schützen, Eirik. Findest du es nicht beunruhigend, dass Steven – oder einer seiner teuflischen Gefolgsleute – so problemlos in die Burg spazieren und diesen verlogenen Brief unter meine Matratze legen konnte? Ist es möglich, dass einer deiner eigenen Leute gegen dich arbeitet?«
Eirik nickte ernst. »Ich werde jetzt gleich mit Wilfrid reden. Wir werden Ravenshire vor Steven schützen, das versichere ich dir.«
»Was kann ich tun, um mitzuhelfen …«
»Da hälst du dich mal schön raus, Eadyth. Ein Mann behütet die, die unter seinem Schutz stehen.«
Eadyth missfiel der herablassende Tonfall seiner Worte; sie klangen schon wieder viel zu sehr nach einem Befehl, fand sie. »Als ich dir die Ehe anbot, war ich nicht auf einen Ritter ohne Furcht und Tadel aus. Das Einzige, was ich wollte, war, deinen Schild mit dir zu teilen.«
Eirik tätschelte ihr die Hand, als wäre sie ein Kind. »Du brauchst dich um nichts zu sorgen, Frau. Ich werde mich um alles kümmern.«
Eadyth knirschte mit den Zähnen. Später würde sie ihrem Mann erklären müssen, dass sie nicht die Absicht hatte, die unterwürfige Ehefrau zu mimen. Im Moment jedoch war es wohl besser, ihn in dem Glauben zu lassen, sie würde sich seiner Überlegenheit fügen.
Am nächsten Tag entdeckte Eirik, dass er leider nicht nach Jorvik und zu Asa reiten konnte, wie er es eigentlich vorgehabt hatte. Er musste Sicherheitsmaßnahmen gegen Steven treffen, wie Eadyth ihm empfohlen hatte. Die Wiederherstellung der Burgmauern musste abgeschlossen werden. Es mussten Briefe an rangniedrigere Ritter in anderen Burgen geschickt werden, um sie zu fragen, ob sie dem Herrn von Ravenshire gerne dienen würden. Außerdem musste er sich um die vielen Leute kümmern, die unter seinem Großvater als Pächter, Handwerker oder Bedienstete auf Ravenshire gelebt hatten und jetzt, da die Burg zu neuem Leben erwacht war, bereitwillig zurückkehrten.
Bestürzt erkannte Eirik, dass er sich, ohne je wirklich den Entschluss gefasst zu haben, auf Ravenshire zu bleiben, seinem Land und seinen Leuten gegenüber immer stärker verpflichtete.
Und er war nicht sicher, ob es das war, was er wollte.
Neben den zusätzlichen Maßnahmen, die Eirik traf, um die Burg zu schützen, gab er sich auch noch die größte Mühe, sein abscheuliches Verhalten Eadyth gegenüber wiedergutzumachen. Während der nächsten drei Tagen schlief er nicht nur mit Rücksicht auf Eadyths monatliche Blutung in der Halle, sondern erlaubte ihr auch, ihre lächerlichen kleinen Regeln einzuführen: die Dienstboten zu zwingen, einmal in der Woche ein Bad zu nehmen, sämtliche Matratzen, Strohsäcke und Bettwäsche zu entlausen oder zu verfügen, dass seine Männer nach dem Essen keine Knochen oder anderen Abfälle mehr in der Binsenstreu im großen Saal verschwinden lassen durften.
Gott im Himmel! Sie wollte sogar verbieten lassen, in der Öffentlichkeit zu rülpsen oder einen Wind fahren zu lassen, da sie der Meinung war, dass seine Männer sich wie Schweine aufführten. »Du bist am Hof des Königs aufgewachsen. Du hast die Verpflichtung, jenen, die unter dir stehen, gesellschaftsfähige Manieren beizubringen«, hatte sie ihn streng getadelt.
Das war der Punkt gewesen, an dem er ihrer Herrschsucht einen Riegel vorgeschoben hatte. »Hast du den Verstand verloren? Es gibt Dinge, die sich selbst meiner Kontrolle entziehen«, protestierte er. »Meine Männer würden mich auslachen. Ich denke gar nicht daran, solch lächerliche Themen mit ihnen zu erörtern. Nein, du brauchst erst gar nicht so die Nase über mich zu rümpfen. Das ist mein letztes Wort dazu.«
In diesem Punkt hatte Eadyth nachgegeben, aber dann gleich noch viele andere Dinge von ihm verlangt: Lass neue Felder pflügen. Kauf Schafe. Lass die Klosette reinigen und neue Brunnen bohren. Stell die Spinnereien wieder her. Bau neue Bauernkaten. Immer weiter redete sie mit ihrer kratzbürstigen Stimme auf ihn ein, bis sie dann schließlich mit einem ganz und gar aberwitzigen Ansinnen aufwartete.
»Würdest du mir einen winzigen Gefallen tun?«
»Verdammt noch mal! Ich glaube, ich höre diese Worte schon im Schlaf!«
»Könntest du bitte auf eine Leiter steigen und die Spinnweben von den Dachbalken im großen Saal entfernen?«
»Das können die Knechte tun. Ruf Lambert.«
»Er weigert sich. Alle haben sich geweigert, das zu tun. Ich habe das Gefühl, dass sie sich vor der Höhe fürchten.«
Eirik verengte misstrauisch die Augen. »Und wo ist diese Leiter?«
Eadyth zuckte die Schultern und wedelte scheinbar gleichgültig mit der Hand. »Da drüben.«
Eirik blickte zum Ende des Saals hinüber, wo sie eine speziell angefertigte Leiter aufgestellt hatte, die zwei Stockwerke höher und bis zu den höchsten Balken an der Decke reichte. Kein Wunder, dass keiner seiner Bediensteten auf dieses wackelige Ding steigen wollte.
»Zum Teufel noch mal, Eadyth!«, rief er aus, als er mit zusammengekniffenen Augen zur Decke hinaufschielte. »Wie kannst du aus dieser Entfernung auch nur feststellen, ob das da oben Spinnweben sind?«
Sie rümpfte geringschätzig die Nase. »Heißt das, dass du mir den Gefallen nicht tun wirst?«
»Es heißt, dass du nicht recht bei Trost bist. Herrgott noch mal, diese Burg ist so sauber, dass sie mittlerweile vor Reinlichkeit schon förmlich strahlt. Außerdem hast du mein schlechtes Gewissen in den vergangenen drei Tagen reichlich ausgenutzt. Ich finde, dass du mich nun genug hast büßen lassen. Wenn du einen Gefallen von mir willst, solltest du besser damit beginnen, mir selbst den einen oder anderen zu tun. Zunächst einmal solltest du dir jedoch einen anderen Dummen suchen, der sich den Hals für dich bricht, weil ich es nämlich nicht tun werde.«
Und damit stürmte er in Richtung Übungsplatz davon, um seine Frustration beim Training mit seinen Männern loszuwerden, und dachte wieder einmal, dass es Zeit war, nach Jorvik zu reiten und ein bisschen Zeit mit seiner Geliebten zu verbringen. Er brauchte den Trost von Asas Körper und den Frieden ihres anspruchslosen Schweigens.
Doch bedauerlicherweise mischte Eadyth sich nur allzu bald sogar in diese ganz und gar männliche Domäne ein.
»Mylord, kommt schnell!«, rief Bertha ihm vom Rand des Übungsplatzes zu.
»Was ist? Werden wir angegriffen?«, schrie Eirik, während er zu ihr hinüberlief. »Warum haben die Wachen nicht Alarm geschlagen?«
»Nein, ich komme wegen Lady Eadyth, Eurer Frau.«
Eirik stöhnte.
»Sie hängt auf einem Baum, um Bienen einzufangen, und Godric sagt, sie säße fest.«
»Auf einem Baum?«
Girta drängte sich durch die Menge, die sich um sie scharte. »Ich habe Bertha gesagt, sie solle Euch nicht damit belästigen, Mylord. Ihr braucht Euch nicht darum zu kümmern. Meine Herrin hat das früher schon sehr oft getan. Sie weiß, was sie tut, das kann ich Euch versichern.«
»Sitzt sie fest oder nicht?«
»Ja«, bestätigte Bertha.
»Nein«, widersprach Girta.
Mit übertriebener Geduld versuchte Girta, es Eirik zu erklären: »Einige Bienen haben ihre Körbe verlassen und einen neuen Schwarm in einem nahe gelegenen Baum geformt. Meine Herrin ist nur auf den Baum über dem Schwarm geklettert. Sie schüttelt die Äste, damit ihr Assistent den Schwarm in einem Kasten auf dem Boden wieder einfangen kann.« Girta verschränkte die Arme vor ihrer Brust und warf Bertha einen Blick zu, der zu besagen schien: ›Das hab ich dir doch gleich gesagt, du dumme Kuh.‹
Eirik hörte das Gekicher der Leute um sich herum. Schon in den letzten Tagen war ihm aufgefallen, dass seine Männer miteinander tuschelten, dass sie sich gegenseitig anstießen und die Augen verdrehten, vor allem dann, wenn er in Eadyths Begleitung war. Sie hielten ihn sicherlich für einen Schwächling, weil er sich von seiner Frau herumkommandieren ließ. Aber er hatte langsam genug von ihrem männlichen Gehabe. Wenigstens diesmal würde er sie in ihre Schranken weisen.
Verärgert drängte Eirik sich durch die Menge, stapfte auf den Obstgarten außerhalb des Burghofs zu und drehte sich dann noch einmal abrupt zu der wispernden Meute um, die ihm auf den Fersen folgte. »Himmelherrgottsakra! Habt ihr nichts anderes zu tun, als euch um meine Angelegenheiten zu kümmern? Geht wieder an eure Arbeit. Aber alle, verstanden!«
Als er den Obstgarten erreichte, blieb er in ungläubigem Erstaunen stehen.
Eadyth, die wieder ihren Bienenschutzschleier trug, saß rittlings auf einem schwindelerregend hohen Ast und schüttelte ihn heftig. Eine Traube Bienen klebte hartnäckig an einem Ende dieses Astes, während zwei von Eadyths Assistenten, die mit den gleichen Schleiern bekleidet waren wie sie, am Boden standen und einen großen, mit Fliegendraht versehenem Kasten darunter hielten.
»Eadyth, komm sofort von diesem verdammten Baum runter!«
Sie warf einen Blick hinunter, als sie Eirik bemerkte. »Oh, ich hab dich gar nicht kommen sehen. Aber sei so gut und tritt zurück. Du hast dich gerade erst von deiner letzten Begegnung mit den Bienen erholt. Wir wollen das Ganze doch nicht noch mal wiederholen.«
»Wie nett von dir, dass du dir Sorgen machst«, murmelte er, trat aber doch ein paar Schritte zurück, bevor er sagte: »Eadyth, dein Benehmen ist geradezu unglaublich ungehörig! Ich bestehe darauf, dass du sofort von diesem Baum herunterkommst.«
»Sei nicht albern, Eirik. Ich muss nur schnell die Bienen losschütteln.«
Ihr Widerstand empörte Eirik. »Dann hole ich dich selbst runter«, erklärte er, auf den Stamm des Baums zutretend, um hinaufzuklettern und seine Frau zu retten und ihr dann eine Strafpredigt zu halten, die sie so schnell nicht vergessen würde.
Doch als Eadyth gleichzeitig den Ast schüttelte, Eirik antwortete und sich etwas weiter nach vorne bewegte, verlor sie das Gleichgewicht und kam ins Trudeln. Aus purem Reflex heraus zog sich Eirik an dem in der Mitte zweigeteilten Baumstamm hoch und kletterte hinauf, um seine unbedachte Frau zu retten. Eadyth gelang es im letzten Moment, sich wieder festzuhalten, aber der Saum ihres Gewands und ihr knöchellanger Schleier verfingen sich an dem Ast und gaben den Blick auf eins ihrer Beine frei. Buchstäblich im selben Augenblick verlor sie auch ihr Stirnband, und eine dichte Mähne lockigen blonden Haars kam unter ihrem Kopfschleier zum Vorschein.
Lockig?
Blond?
Eirik starrte zuerst das nackte Bein seiner Frau nur sprachlos vor Verblüffung an und ließ dann seinen Blick von ihrem schlanken Knöchel zu ihrem hübschen Knie und ihrem wohlgeformten Oberschenkel wandern. Und eins wurde ihm klar in diesem kurzen Augenblick, bevor Eadyth den Saum ihres Gewands wieder herunterziehen konnte: Seine Frau war weder alt noch hässlich.
Bei Gott und allen Heiligen! Im Bruchteil von Sekunden setzten sich alle Teile des Rätsels in seinem Kopf zusammen.
Er sah, wie glatt und geschmeidig die Haut am Bein seiner Frau war. Sanfte Kurven und trainierte Muskeln formten Eadyths Waden und Schenkel zu einer Skulptur gesunder, jugendlicher Schönheit. Nicht ein einziger Besenreißer war zu sehen, wie man es bei einer alternden Frau erwartet hätte. Alternde Frau? Ha! Dieses hinterhältige kleine Biest war jünger als er selbst, oder zumindest doch auf keinen Fall älter als fünfundzwanzig.
Hastig kletterte Eirik vom Baum herunter und entfernte sich ein Stückchen, weil er Eadyth noch nicht merken lassen wollte, dass er ihre Maskerade durchschaut hatte. Versonnen strich er sich über die Oberlippe, vergessend, dass er sich am Tag zuvor den Schnurrbart abrasiert hatte, um das Jucken der Bienenstiche etwas abzumildern. Ziemlich durcheinander versuchte er, die Bedeutung seiner Entdeckung zu erfassen.
»Bist du noch da, Eirik?«, rief Eadyth nervös.
»Ja, aber ich bin ein paar Schritte zurückgetreten, um deinen verdammten Bienen aus dem Weg zu gehen«, log er.
Er hörte ein raschelndes Geräusch und wusste, dass sie ihre Kleider glatt strich. Um ihre Maskerade fortzusetzen, Himmelherrgottsakra!
Eirik schlug sich an den Kopf, weil er plötzlich einiges verstand: Wieso sie ein noch so junges Kind haben konnte oder warum jemand wie Steven sich überhaupt erst zu ihr hingezogen hatte fühlen können. Mit schmalen Augen blickte er zu Eadyth auf, der es nun endlich doch gelungen war, die Bienentraube loszuschütteln, und ihren unter ihr stehenden Assistenten Anweisungen zurief. Das silberne Kleinod von Northumbria! Diese schmeichelhaften Worte bezogen sich zweifelsfrei auf ihr Haar – das unter all dem Fett nicht, wie er vermutet hatte, grau, sondern auf äußerst außergewöhnliche Weise silberblond war!
Eirik fand das Ganze überhaupt nicht lustig.
Und als er sich die Worte seines Bruders Tykir ins Gedächtnis rief, der irgendwann während der Hochzeitsfeier über ein Geheimnis zwischen ihm und Eadyth gesprochen hatte, begriff Eirik, dass Tykir schon zu diesem Zeitpunkt von Eadyths Betrug gewusst hatte. Ja, Betrug. Und Tykir hatte lachend gesagt, er werde dieses Geheimnis womöglich gar von einem Dichter in eine Familiensaga verwandeln lassen. Dieser Gedanke machte Eiriks Wut nur noch größer. Sollte sein Bruder sich wirklich so etwas erlauben, würde er ihm höchstpersönlich seinen Hals umdrehen und König Edmund damit die Arbeit ersparen.
Genauso schlimm war, dass das ständige Getuschel und Gekicher, das Eirik in den letzten Tagen von seinen Männern hörte, eigentlich nur bedeuten konnte, dass auch sie über Eadyths Spielchen im Bilde waren. Wahrscheinlich lachten sie sich hinter seinem Rücken halb tot über ihren gelungenen Streich und seine schlechten Augen. Er knirschte vor lauter Zorn mit den Zähnen.
Eadyth kam federnd auf dem Boden auf, als sie sich von ihrem Ast herunterließ, und schloss den Deckel der verdammten Bienenkiste. Eirik ging auf sie zu, verhielt dann aber abrupt seinen Schritt. Nein, er brauchte mehr Zeit, um Eadyths Motive zu ergründen … und um sich die bestmögliche Bestrafung für diese hinterhältige Xanthippe einer Ehegattin auszudenken.
Eins war sicher. Sie würde es noch bereuen, Ravenshire überhaupt je betreten zu haben. Aber nicht, bevor er sie Schicht um Schicht aus ihrer Verkleidung geschält und sich genauestens angesehen hatte, was sich unter diesem Mummenschanz verbarg.
Eirik lächelte in grimmiger Erwartung dieses Augenblicks.