Ein lautes Klopfen an der Tür weckte sie auf. »Ruhe«, brummte Eirik und zog Eadyth noch fester in seine Arme. Ihr Kopf lag an seiner Brust, und sie hatte schamlos eins ihrer Beine um seine Hüften geschlungen. Eirik schüttelte den Kopf über diese unglaubwürdige Tatsache … und sein unglaubliches Glück.
»Nicht schon wieder, Eirik, ich bin zu müde«, murmelte Eadyth verschlafen.
Eirik lächelte, da er nun wusste, dass es ihm gelungen war, sie völlig zu erschöpfen.
»Ei-rik!«, rief Tykir und klopfte wieder an die Tür. »Mach auf! Die Nacht ist längst vorbei, und ich habe vier lästige Kinder in meinem Bett, die so viel Krach machen, dass mir der Kopf zerspringt. Es wird höchste Zeit, dass ihr sie übernehmt.«
»Verschwinde, Tykir. Und komm nicht wieder her, solange es keinen Angriff auf diese Burg gibt.«
Tykir fluchte ärgerlich, stapfte dann aber wieder davon. Eirik legte eine Hand auf Eadyths wohlgeformtes Hinterteil und freute sich über die Tatsache, dass er als Ehemann sogar das gute Recht dazu besaß. Als er seine Frau ansah, durchströmten ihn ganz wundervolle neue Empfindungen, die er jedoch aus Furcht, sie könnten schwächer werden und sich wie Träume auflösen, nicht genauer zu untersuchen wagte. Und so schloss er die Augen und versuchte, wieder einzuschlafen.
Doch, wie sich schon bald herausstellte, hatte Eadyth andere Pläne. Wenig später rieb sie ihre Brüste an seinem behaarten Oberkörper, legte dann besitzergreifend eine Hand auf seine erschöpften männlichen Attribute und flüsterte mit verführerischer Stimme: »Du scheinst ein bisschen Ermunterung zu brauchen, Liebster.«
Und diesmal war es Eirik, der stöhnend protestierte. »Nicht jetzt, Eadyth, ich bin zu müde.«
Doch das überlegte er sich sehr schnell anders, als sie ihn spitzbübisch fragte: »Nicht einmal, wenn ich einen Kopfstand mache, splitter …«
»Das würdest du nicht tun!«, sagte er und riss schockiert die Augen auf. »Oder?« Das interessierte Aufblitzen in seinen Augen war unübersehbar.
»Nein, du Flegel, das würde ich nicht.« Aber dann rollte sie sich auf ihn und fragte in herausforderndem Ton: »Hast du etwa schon aufgegeben, uns einen Höhepunkt nach dem anderen bescheren zu wollen? Du hast mir zwölf versprochen und bisher nur sechs geschafft.«
Und da stellte Eirik fest, dass er doch gar nicht so müde war.
Eine Stunde später stand Tykir erneut vor ihrer Tür und klopfte nachdrücklich. »Du überstrapazierst meine brüderliche Zuneigung, Eirik! Komm sofort da raus und nimm mir diese Kinder ab! John hat mich zu einem Pinkelwettbewerb herausgefordert. Und mir tun die Füße vom Tanzen mit Larise weh. Tanzen! Bei Odins Sohn, wer hat schon einmal einen wikingischen Krieger tanzen sehen? Emma hat Honig in ihrem Haar, Godric schießt mit Pfeilen auf Berthas Butterfass, Abdul hat angefangen, sich die Federn auszureißen. Und dein verdammter Hund macht auf mein Bett!«
Eirik und Eadyth wechselten amüsierte Blicke, bevor beide im selben Moment »Geh weg!« riefen und dann in schallendes Gelächter ausbrachen.
»Lacht ihr etwa über mich?«, fragte Tykir eingeschnappt.
»Warum bringst du den Kindern nicht ein paar von deinen Zaubertricks bei?«, meinte Eirik schließlich, als sein Bruder nicht aufhörte, draußen wütend vor sich hinzulamentieren. Aber Tykir gab erst auf und ging, nachdem er Eirik in aller Deutlichkeit erklärt hatte, was er mit seinen ›Zaubertricks‹ alles tun konnte.
Da sie aber nun schon einmal wach waren, beschloss Eirik, Eadyth einige ›Zaubertricks‹ zu zeigen.
»Hast du schon einmal von dem berühmten wikingischen S-Punkt gehört?«, fragte er seine Frau und grinste im Stillen, als er sanfte Küsse in die Mulde zwischen ihren Brüsten hauchte und dann langsam tiefer glitt.
»Nein. Ist das wieder so eine Kalifengeschichte?«
»Natürlich nicht«, sagte er beleidigt. »Mein Onkel Selik hat mir die Sache mit dem S-Punkt erklärt. Das Schwierige daran ist, dass man ihn nur …«
»Was?«, fragte Eadyth erschrocken, als Eirik sich zwischen ihre Beine kniete und ihre Schenkel über seine Schultern legte.
»… mit der Zunge finden kann«, erwiderte er augenzwinkernd.
Und später, sehr viel später sagte Eadyth ihm, dass er seine Zaubertricks jederzeit bei ihr ausprobieren dürfe.
Gegen Mittag, als Tykir zum dritten Mal an ihre Tür klopfte, verlangte er: »Komm herunter, Eirik, schnell! Britta wird vermisst, und wir befürchten, dass sie Steven in die Hände gefallen ist.«
Die verängstigten Kinder scharten sich um Eadyth, während sie gemeinsam Eirik und seinen Männern nachsahen, die in voller Kriegsrüstung davonritten, um die vermisste Magd zu suchen. Eadyth gab sich alle Mühe, ihre Angst um Eirik und Tykir und vor allem auch um die arme Britta, die nun auch noch in ihren Krieg mit Steven hineingezogen worden war, vor den Kindern zu verbergen.
Bevor er sein Pferd bestieg, hatte Eirik Eadyth in die Arme genommen und ihr zugeflüstert: »Ich bin sehr zufrieden mit dir, meine Schöne. Ich hatte nur gehofft, ein bisschen mehr Zeit zu haben, um dir meine Freude zu zeigen.«
»Ich bin auch sehr glücklich mit dir«, hatte sie leise zugegeben und ihm zärtlich mit den Fingerspitzen über die Wange gestrichen. »Sei vorsichtig, mein Liebster. Pass gut auf dich auf.«
Nun nahmen sie und Bertha die Kinder an die Hand, zwangen sie, sich den Schmutz von ihren Händen und Gesichtern abzuwaschen, und setzten sie dann an den Küchentisch, wo Eadyth ihnen ihren täglichen Unterricht erteilte. Obwohl sie hin und wieder unruhig wurden, waren sie alle eifrige Schüler, selbst Godric, und kamen in den folgenden drei Stunden einen guten Schritt voran. Dann wurde ihre Aufmerksamkeit jedoch vom Hufgetrappel der zurückkehrenden Pferde abgelenkt. Eadyth befahl den Kindern, bei Bertha zu bleiben, bevor sie mit einem unguten Gefühl durch den großen Burgsaal zur Eingangstür hinübereilte.
Wilfrid trug die reglose und offenbar übel zugerichtete Britta gerade die Stufen hinauf, als Eadyth die Tür öffnete. Eirik und seine Männer ritten schon wieder los, um sich auf die Suche nach dem niederträchtigen Gravely und seinen Mittätern zu machen.
»Lebt sie?«, wollte Eadyth von Wilfrid wissen.
»So gerade noch«, antwortete er mit zusammengebissenen Zähnen.
»Bring sie ins Gästezimmer«, wies Eadyth ihn an. Sie ging voran und rief Girta zu: »Sag Bertha, dass sie heißes Wasser und saubere Tücher hinaufbringen lassen soll.«
Als Britta auf dem Bett lag und sie ihr die zerfetzten Kleider ausgezogen hatten, schrien Eadyth und Wilfrid erschrocken auf, als sie die Schnittwunden und Prellungen sahen, die fast die gesamte Haut der jungen Frau bedeckten. Ihre Schenkel waren voller Blut und den Spuren, die ein Mann hinterließ, der seinen Sextrieb befriedigt hatte. Eins ihrer Augen war bereits zugeschwollen und ihre Unterlippe aufgesprungen. Ihr linker Arm schien am Handgelenk gebrochen zu sein.
»Dieser verdammte Schuft!«, rief Wilfrid aus. »Dafür bringe ich ihn um, das schwöre ich.«
»Geh, Wilfrid«, bat Eadyth ihn schließlich und legte behutsam eine Hand auf seinen Arm. »Es ist besser, wenn ich mich alleine um sie kümmere. Such die Kräuterfrau im Dorf, wenn du willst, und schick sie mit ihren Heilmitteln zu mir.«
»Wird sie es überleben?«, fragte er mit gebrochener Stimme.
Eadyth zuckte mit den Schultern. »Ich hoffe es. Ich werde mein Bestes tun. Mehr kann ich nicht versprechen.«
Bis Eadyth damit fertig war, Britta zu waschen, hatte das Mädchen das Bewusstsein zurückerlangt und stöhnte: »Oh, Herrin, diese Scheusale … was sie mir alles angetan haben … es tut so schrecklich weh …«
»Beruhige dich, Britta, du bist in Sicherheit.« Aber sie musste es einfach wissen: »War es Steven von Gravely?«
Britta sah mit weit aufgerissenen Augen zu ihr auf. »Ja. Er und fünf seiner Männer haben mich missbraucht … oh, zu was für grauenhaften, abartigen Dinge sie mich gezwungen haben … das werde ich nie vergessen können … und er hat mir eine Botschaft für Euch mitgegeben.«
Ein Frösteln lief über Eadyths Rücken.
»Er … er hat gesagt, Ihr wärt die Nächste. Und dann hat er hinzugefügt, dass er Euch nicht so sanft behandeln werden würde.«
Eadyth strich Britta das strähnige rote Haar, das vor kurzem noch wie gesponnenes Gold geschimmert hatte, aus ihrem übel zugerichteten Gesicht zurück. Dann nahm sie die junge Magd in ihre Arme und wiegte sie wie ein Kind. Ihr war nur zu gut bewusst, dass Britta an diesem auch die letzten Reste ihrer Unschuld, die sie sich vielleicht bis dahin noch hatte bewahren können, verloren hatte. Und ihre Tränen vermischten sich mit denen des jungen Mädchens.
Als Eirik und sein Gefolge abends zurückkamen, war Britta dank der Kräuter, die eine Dorfbewohnerin gebracht hatte, schon in einen unruhigen Schlaf gefallen. Eadyth war zuversichtlich, dass das Mädchen mit der Zeit genesen würde – zumindest körperlich, wenn auch vielleicht nicht seelisch.
Ein einziger Blick in Eiriks grimmiges Gesicht verriet ihr, dass er Steven nicht gefunden hatte. Der teuflische Graf war wieder einmal davongekommen.
Rasch wies Eadyth das Gesinde an, für Tykir und ihren Ehemann Bäder vorzubereiten, und ließ auch schon die Tische für das Abendessen decken. »Und hol noch ein paar Fässchen Met«, befahl sie Lambert. »Ich könnte mir vorstellen, dass die Männer heute großen Durst haben werden.«
Bis Eadyth endlich nach oben kam, hatten Eirik und Tykir beide schon ihr Bad genommen und sich in Eiriks Schlafzimmer zurückgezogen, um die Ereignisse des Tages zu besprechen. Eadyth berichtete ihnen von Brittas Verletzungen und gab ihrer Hoffnung Ausdruck, dass das Mädchen wieder gesund werden würde.
Der Anblick ihres Mannes, der müde, enttäuscht, desillusioniert und mit hängenden Schultern dasaß, rührte Eadyth. Eiriks gut aussehendes Gesicht war starr vor Anspannung. Da er sich morgens nicht rasiert hatte, beschatteten dunkle Bartstoppeln die untere Hälfte seines Gesichts. Er ist ein starker Mann … das ist er in der Tat … aber heute hat er sich total verausgabt, dachte Eadyth.
Sie zögerte, bevor sie behutsam ihre Hand auf seine Schulter legte. Eirik blickte zu ihr auf, erstaunt zunächst, aber dann legte auch er seine Hand auf ihre. Zum ersten Mal zeigte er ihr damit seine Zuneigung auch außerhalb des Bettes ganz demonstrativ, was Eadyth unglaublich glücklich machte.
»Wir können nicht länger darauf warten, dass der Königliche Rat über den Vormundschaftsantrag entscheidet«, sagte Eirik.
Eadyth nickte. Auch sie wusste, dass sich die Gefahr von Tag zu Tag vergrößerte, da Stevens Vergehen immer kühner wurden.
»Ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir den Mistkerl mit Hilfe von Eadyth oder John aus seinem Versteck herauslocken können«, brummte Tykir.
»Tykir, ich habe dich ausdrücklich gebeten, dieses Thema nicht vor Eadyth anzuschneiden.« Eirik erhob sich und baute sich drohend vor seinem Bruder auf.
Eadyth drückte Eirik sanft auf seinen Stuhl zurück. »Lass Tykir ausreden, Eirik. Behandle mich doch bitte ausnahmsweise mal wie eine Frau und nicht wie ein Kind.«
»Wie ein Kind!« Trotz der ernsten Lage grinste Eirik. Eadyth errötete, weil sie wusste, dass er an die vergangene Nacht zurückdachte, in der er sie ganz und gar nicht wie ein Kind behandelt hatte.
»Die Antwort ist Nein, und ich will kein Wort mehr davon hören, Tykir«, stellte Eirik ruhig fest. »Wir werden einen anderen Weg finden. Morgen früh werde ich zu Gravelys Besitzungen in Essex reiten. Da werde ich mich verstecken und warten, bis er wiederkehrt, egal, wie lange das auch dauern mag.«
Doch die Lösung des Problems wurde ihnen am nächsten Morgen aus den Händen genommen, als Graf Orm auftauchte, um ihnen die letzten Neuigkeiten mitzuteilen. »König Edmund ist in Gloucestershire ermordet worden. Es ist während des Fests des Heiligen Augustinus passiert. Er und sein Hof nahmen am Gottesdienst in Pucklechurch teil, als der hinterhältige Leofa dem König einen Dolch ins Herz stieß.«
Eadyth und Eirik wechselten einen ratlosen Blick. Was konnte das bedeuten?
»Die Männer des Königs haben Leofa nach dem Attentat alle Glieder einzeln ausgerissen, aber es war bereits zu spät. Edmund war nicht mehr zu helfen«, sagte Orm und leerte seinen Becher Met auf einen Zug.
»Er war noch so jung«, murmelte Eadyth bekümmert. »Er kann nicht mehr als vierundzwanzig Winter gesehen haben.«
»Ja«, stimmte Eirik ihr zu, »und seine Söhne Edwy und Edgar sind kaum aus den Windeln heraus, sie sind erst zwei und vier Jahre alt. Wahrscheinlich wird sein Bruder Edred jetzt die Thronfolge antreten, und er ist nicht viel jünger als Edmund … zweiundzwanzig, glaube ich.«
Tykir stand auf und begann unruhig auf und ab zu gehen. »Aber im Gegensatz zu Edmund, der seine Jugend damit ausgeglichen hat, dass er früh kluge Ratgeber um sich scharte, hält Edred sich lieber in Gesellschaft von solch schändlichen Trabanten wie Gravely und seinesgleichen auf. Es weht ein übler Wind über Britannien, sage ich euch.«
»War Edred für den Tod seines Bruders verantwortlich?«, fragte Eadyth den Graf.
Orm zuckte mit den Schultern. »Er steht unter Verdacht, aber es gibt bisher noch keine Beweise gegen ihn. Seine Anhänger strömen schon nach Wessex, zur Beisetzung angeblich, aber wahrscheinlich doch wohl eher, weil sie Beute machen wollen.«
»Und der Witan?«, fragte Eirik voller Unbehagen und sprach damit auch Eadyths Sorgen aus, die sie sich nun, da der König tot war, wegen Stevens Vormundschaftsantrag machte.
»Innerhalb des Königlichen Rats darf sich bis nach der Beerdigung und einer Trauerzeit von mindestens einem Monat nichts ändern«, erklärte Orm. »Aber es geht das Gerücht, dass die derzeitigen Mitglieder sich in drei Tagen in Gloucestershire treffen werden, um ihre Strategie zu planen. Aber Edred verlangt bereits die Anerkennung durch die fünf Städte von Mercia und die Dänen von Danelag. Die Nächsten werden die Northumbrier sein, und es ist keine Frage, Eirik, dass du und ich gezwungen sein werden, ihm den Treueeid zu leisten. Von dort wird er nach Tadden’s Cliff ziehen, wo er das Treuegelöbnis all der nördlichen Könige erwartet.«
»Er verschwendet keine Zeit«, stellte Eirik verächtlich fest. »Aber das hatten wir ja alle schon erwartet. Ja, wir werden ihm die Treue schwören, Orm. Was bleibt uns anderes übrig? Aber vielleicht können wir ja mit dem Witan zusammenarbeiten, um grundlegende Veränderungen in seinem leitenden Gremium zu verhindern.«
»Genau das denke ich auch. Können wir uns in zwei Tagen treffen, um zusammen nach Gloucestershire zu reisen?«
Eirik nickte.
Später, als Orm gegangen war, saßen Eirik und Tykir noch lange mit Eadyth zusammen, um diese neueste Entwicklung zu besprechen.
Um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen, legte Eadyth eine Hand auf Eiriks Arm. »Ich werde nicht zulassen, dass John in irgendeiner Form benutzt wird, aber mir scheint, dir bleibt gar keine andere Wahl, als mich als Köder einzusetzen«, sagte sie zu ihrem Mann. »Es ist jetzt noch gefährlicher, die Angelegenheit länger hinauszuzögern. Wenn Edred erst einmal seine eigenen Männer in den Witan eingeschleust hat, wird Stevens Vormundschaftsantrag bewilligt werden, fürchte ich.«
Eirik starrte sie zunächst verärgert an, aber schließlich nickte er widerwillig. »Wir werden es jedoch auf meine Art versuchen, Eadyth, und du wirst nichts tun, was dich in Gefahr bringen könnte. Hast du das verstanden?«
»Ich verspreche es. Aber eins sage ich dir, Eirik: Ich würde mich und John eher umbringen, bevor ich zuließe, dass diese Brut des Teufels meinen Sohn bekommt. Ein Kind in seine Obhut zu geben wäre beinahe so, als würde man es geradewegs in die Hölle schicken!«
Eirik legte seinen Arm um ihre Schulter und zog sie beschützend an sich. Im Moment fühlte sie sich auch noch in Sicherheit. Aber wer wusste, was der Morgen bringen würde.
Später an jenem Tag nahm Eirik sie in die unterirdischen Gewölbe mit, um ihr einen geheimen Burgausgang zu zeigen, den sie vielleicht benutzen könnten, wenn sie ihre Pläne, Steven von Gravely endlich das Handwerk zu legen, in die Tat umsetzen würden. Eadyth hatte gar nicht gewusst, dass sich hinter einer Wandvertäfelung im großen Saal ein geheimer Zugang zu den Kellergewölben befand.
Die Räume dort enthielten größtenteils nur alte Waffen und nicht mehr zu gebrauchende Möbelstücke. Eadyth sah sich die zerbrochenen Stühle, Tische und Bettgestelle jedoch genauer an, weil sie dachte, dass sich einige vielleicht noch für die Häusler reparieren ließen.
»Was befindet sich in dem verschlossenen Raum dort?«, fragte sie.
»Schätze«, erwiderte Eirik gleichmütig. Er kniff aufgrund des schwachen Lichts die Augen zusammen, als er vorsichtig ein rostiges Schwert aufhob und es zur Seite legte, damit niemand sich daran verletzen konnte.
»Schätze? Was für Schätze?«
Eirik sah sie an und zuckte mit den Schultern. »Geld. Juwelen. Stoffe.«
Ärger stieg in Eadyth auf. »Darf ich sie mal sehen?«, erkundigte sie sich übertrieben freundlich.
Eiriks Kopf fuhr angesichts ihres Tonfalls hoch, aber er nahm einen großen Schlüssel vom Bund an seinem Gürtel und öffnete die quietschende Tür. Dann nahm er die Fackel aus der Wandhalterung und ging voran.
Eadyth schnappte verblüfft nach Luft. Sie traute ihren Augen nicht. Wohin sie auch blickte, überall sah sie schier unglaubliche Reichtümer – Truhen voller Juwelen und Goldstücke, feine Seide und kostspielige Wolle, elfenbeinerne Stoßzähne, Fässer mit Wein und parfümierten Ölen, Wandbehänge, Platten und Besteck aus reinem Silber.
Sie fuhr zu ihrem Mann herum und stieß ihn grob mit beiden Händen gegen die Brust. »Du Geizkragen! Wie konntest du?«
»Was?«, fragte er verblüfft und trat zurück.
»Du musst dich über meine armselige Mitgift ja totgelacht haben! Du hast mich glauben lassen, du wärst verarmt, du Flegel!«
»Na ja, gelacht habe ich schon. Aber nur ein bisschen.«
Sie fand das alles überhaupt nicht komisch und funkelte ihn verärgert an. Er lehnte an der Mauer und grinste sie ohne jede Reue an, der Rüpel.
»Nun reg dich doch nicht gleich schon wieder so auf, Eadyth. Du hast mir gesagt, dir würde nichts an Reichtümern und dergleichen liegen.«
»Stell mich nicht als Einfaltspinsel hin. Du weißt sehr wohl, dass es etwas völlig anderes ist, keine Reichtümer anhäufen zu wollen, als sich abplagen zu müssen, um zurechtzukommen.«
»Abplagen? Du übertreibst, Eadyth.«
»Was weißt denn du? Oh, wenn ich daran denke, was für Gewissensbisse ich hatte, nur weil ich ein paar lächerliche Schafe bestellt hatte, und …«
»Zwanzig.«
»Was?«
»Du hast zwanzig Schafe bestellt, Eadyth, nicht nur ein paar.«
»Oh.« Ihr war gar nicht bewusst gewesen, dass Eirik so genau darauf achtete, wie sie die Burg verwaltete.
»Und die Kuh! Es gab nur noch eine Kuh für diese ganze Burg, als ich hierhergekommen bin.«
»Jetzt sind es acht. Wie die wohl hierhergekommen sind?«, entgegnete er mit spöttisch hochgezogener Augenbraue. Und wieder war Eadyth erstaunt darüber, dass Eirik aufmerksamer war, als sie gedacht hatte.
Dann senkte er zerknirscht den Kopf. »Ich wollte selbst mehr Kühe anschaffen, bin nur leider nie dazu gekommen.«
Eadyth schürzte verächtlich ihre Lippen. »Dann erklär mir doch bitte einmal, warum du in solch armseligen Verhältnissen lebst?«
»Weil es für einen Wikinger – selbst für einen Halbwikinger wie mich – sehr unklug wäre, die Missgunst seiner angelsächsischen Nachbarn zu erregen.«
Das verstand Eadyth. Aber es erklärte noch lange nicht, warum Eirik nicht einmal ihr, seiner eigenen Frau, etwas von seinen geheimen Reichtümern erzählt hatte.
»Was dachtest du, womit ich all die neuen Soldaten bezahlt habe, die ich nach Ravenshire habe kommen lassen?« Eirik zupfte verspielt an einer ihrer Locken und wickelte sie um seinen Finger.
Eadyth spürte, wie sie errötete. »Daran hatte ich nicht gedacht. Wahrscheinlich hattest du mich da gerade mal wieder ganz konfus gemacht.«
»Ja, dich … konfus machen kann ich wirklich gut, nicht wahr?« Er grinste sie an und zog sie an der um seinen Finger gewickelten Haarsträhne zu sich heran. Eadyth versuchte die wohlige Hitze zu ignorieren, die allein seine Nähe schon in ihr entfachte.
»Oh, du bist unmöglich, Eirik! Und Asa, deine Mätresse – auch sie hast du hiervon bezahlt, nicht wahr?« Eadyth deutete auf das bis unters Dach mit Kostbarkeiten angefüllte unterirdische Gewölbe, und ihre Kehle wurde schrecklich eng bei dem Gedanken. Dumm, wie sie war, hatte sie nämlich sogar damit gerechnet, dass Eirik einen Teil ihrer Einkünfte dazu benutzen würde, seiner Geliebten eine Abfindung zu zahlen. Stattdessen aber hatte er ihr wahrscheinlich sogar enorme Reichtümer zu Füßen gelegt. Vielleicht hatte er ja seine Beziehung zu Asa nicht einmal beendet …
»Schlag dir diesen hässlichen Gedanken aus dem Kopf!«, brummte Eirik. »Solltest du es nämlich wagen, mich der Untreue zu beschuldigen, nachdem ich mich in deinen Armen dermaßen verausgabt habe, reiße ich dir die Zunge aus dem Mund und nagle sie dir an deine Stirn!«
Eadyth sog scharf den Atem ein. »Du bist ja so vulgär.«
»Ja, das bin ich«, erwiderte er mit einem mutwilligen Grinsen. »Möchtest du dich auf einen dieser Seidenballen legen und ein paar vulgäre Spielchen mit mir treiben?«
Sie warf ihm einen strafenden Blick zu, konnte aber trotzdem nicht umhin zu lächeln. Er sah so liebenswert aus, wie er da wie ein großes Kind dastand und von einem Ohr zum anderen grinste. »Nein, ich möchte keine gute Seide verderben, indem ich mich mit dir auf dem Boden herumwälze.«
»Ah, immerzu die vernünftige Ehefrau!« Er sah sie zärtlich an, bevor er augenzwinkernd hinzufügte: »Würdest du es dir bei einem Ballen feiner Wolle vielleicht noch anders überlegen?«
Sie konnte gar nicht anders, als zu lachen.
Eirik breitete seine Arme aus, und Eadyth warf sich geradezu hinein. Aber sie kniff ihn dabei in den Bauch, um ihm zu zeigen, dass ihr Ärger auf ihn noch nicht ganz verflogen war.
Später, als sie Arm in Arm aus dem Geheimgang traten, der zu einer Kate direkt vor der Burgmauer führte, sagte Eadyth: »Eirik, ich habe Angst um John, da Edred nun König ist, aber ich möchte, dass du weißt …« Sie war so bewegt, dass ihre Stimme brach.
»Was, mein Liebes?« Eirik legte einen Zeigefinger unter ihr Kinn, um ihren Kopf zu sich emporzuheben.
»Ich wollte dir nur sagen, dass ich glücklicher bin, als ich es je zuvor in meinem Leben war.«
Er versuchte, ihren ernsten Ton mit einem Scherz zu überspielen. »Ja, das kann ich wirklich gut, dich glücklich machen, nicht?«
Aber sie ließ nicht zu, dass er ihre Gefühle trivialisierte. »Ich liebe dich, Eirik. Nein, senk nicht den Blick und sieh mich an. Ich verlange nicht von dir, dass du meine Gefühle erwiderst.« Oder zumindest jetzt noch nicht. »Vielleicht sind Frauen einfach anders. Ich weiß nur, dass ich mich dir niemals so hätte hingeben können, wie ich es getan habe, ohne dir nicht auch mein Herz zu schenken.«
»Es fällt mir schwer, über diese Dinge zu sprechen, Eadyth. Es ist nicht leicht für mich, jemandem zu vertrauen, und ich glaube nicht, dass ich ohne Vertrauen jemanden lieben könnte. Also lass mir bitte Zeit.«
»Das werde ich«, versprach sie lächelnd. »Es ist nur so, dass ich fürchte, es kommen schwere Zeiten auf uns zu, und deshalb möchte ich, dass du weißt, was ich für dich empfinde.« Danach blickte sie sich um, weil sie das Thema wechseln wollte, und sagte: »Siehst du diese grüne Wiese dort drüben? Ich habe sie noch nie zuvor gesehen. Glaubst du … na ja, ich meine … ich dachte nur gerade, ob es dir etwas ausmachen würde, wenn wir ein paar Ziegen kaufen?«
»Ziegen?«, fragte er verblüfft.
Dann lachte er, als er ihr spitzbübisches Lächeln sah. »Du bist bezaubernd, wenn du lächelst, Eadyth. Wenn du hin und hin wieder mal gelächelt hättest, als du mir vorgegaukelt hast, alt und abstoßend zu sein, wäre deine Maskerade im Nu aufgeflogen.«
»Glaubst du?«
»Ich weiß es, Liebes. Selbst mit meinen gottverfluchten Augen hätte ich den Liebreiz deines Lächelns nicht übersehen können.«
»Oh, Eirik, sprich nicht so von deinen Augen. Ich liebe deine Augen.« Immerhin waren es diese hellen blauen Augen, die sie ursprünglich auf Ravenshire hatten bleiben lassen.
»Wirklich? Na ja, sie sind meine Schwäche, aber …«
Sie legte ihre Fingerspitzen an seine Lippen. »An dir ist überhaupt nichts Schwaches, Liebster. Ich habe deine Sehschwierigkeiten schon von Anfang an bemerkt, weil mein Vater die gleichen hatte, und sie haben ihn nie zu einem weniger tollen Mann gemacht.«
»Na ja …«, sagte er, tat ihre zuversichtlichen Worte mit einem Achselzucken ab, aber Eadyth konnte dennoch sehen, wie erfreut er war. Seine Schwachsichtigkeit – seine einzige Schwäche, oder so empfand er sie zumindest –, war ein wunder Punkt ihres Ehemanns. Und sie hatte seinen Stolz verletzt, als sie sich diese Eigenheit für ihre lächerliche Maskerade zunutze gemacht hatte.
Sie betrachtete ihn mit einem liebevollen Blick und sagte sich, wie glücklich sie sich schätzen konnte, einen solchen Mann für sich gewonnen zu haben.
»Was ist? Warum siehst du mich so an?«
»Wie sehe ich dich denn an?«
»Wie Prinz, dein Hund.«
Eadyth lachte leise. Was für ein passender Vergleich!
»Obwohl ich allerdings nicht glaube, dass du …« Eirik beendete den Satz absichtlich nicht, um Eadyths Neugier zu wecken. Seine Augen funkelten mutwillig, als er sich versonnen über die Oberlippe strich und Eadyth prüfend musterte.
Sie stützte die Hände in die Hüften und legte fragend ihren Kopf zur Seite.
»Na ja, dass du mit dem Schwanz wedeln würdest, meinte ich«, schloss er lachend.
»Das könntest ja wohl eher du als ich«, gab sie zurück und stieß ihm lachend gegen die Brust – woraufhin er stolperte, hinfiel und sie mit sich zu Boden zog.
Und dann nahm er ihr Gesicht zwischen seine Hände und küsste sie tief und leidenschaftlich. Eadyth konnte von seinen Lippen und seiner Zunge nie genug bekommen. Warum hatte sie nicht gewusst, dass Küssen etwas so Wunderbares sein konnte?
»Du hast schon wieder einen ganz verträumten Blick, Eadyth«, konstatierte Eirik und blies seinen warmen Atem auf ihre feuchten Lippen.
»Kein Wunder! Mit deinen Küssen bringst du eine Frau ganz durcheinander, und das weißt du nur zu gut.«
»Nur dich, Eadyth, nur dich. Und wirst du mir jetzt sagen, warum du mich gerade angeschaut hast, wie dein Prinz immer einen saftigen Knochen anstarrt?«
»Ich habe mich nur gefragt, wieso ich mich so schnell in dich verlieben konnte.«
»Wegen meiner männlichen Fähigkeiten, könnte ich mir vorstellen«, entgegnete er schmunzelnd.
»Ich glaube, ich habe dich schon geliebt, bevor du mich auch nur berührt hast.«
»Wirklich?« Seine Augen leuchteten interessiert auf.
Eadyth nickte. »Ja, ich glaube, es hat damit angefangen, dass du John auf unserem Hochzeitsfest als deinen Sohn anerkannt hast. Und als du mir in derselben Nacht in deinem Zimmer diesen … diesen Zungenkuss gegeben hast, vermutete ich schon, dass ich deinem Charme bestimmt nicht lange widerstehen könnte.«
»Ja, mein Charme ist legendär.«
Sie biss ihn spielerisch in die Schulter. »Und dann war da dieser Moment, als du von meinen Bienen gestochen worden bist und mich nicht geschlagen hast.«
»Ich war stark versucht, es zu tun.«
»Du hast es aber nicht getan.«
Ein langes Schweigen entstand, während sie sich in die Augen schauten, und Eadyth hätten weinen können, weil Eirik ihr nicht sagte, dass er ihre Zuneigung erwiderte. Sie versuchte, sich einzureden, es sei nicht wichtig, aber das war es natürlich schon.
»Ich bemühe mich, Eadyth«, sagte er leise.
»Ich weiß«, flüsterte sie und versuchte ihren Schmerz zu verbergen, als er sie sehr zärtlich küsste.
»Seid ihr zwei schon wieder zugange?« Sie blickten auf und sahen Tykir aus dem Tunneleingang kommen. »Mann, Eirik, wann immer ich mich umdrehe, zählst du Eadyths Zähne mit deiner Zunge!«
»Zweiunddreißig«, sagte Eirik, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Was?«, fragte Tykir.
»Eadyth hat zweiunddreißig Zähne.«
Und da begannen alle laut zu lachen.
Tykir ließ sich neben ihnen auf den Boden fallen und ihre Heiterkeit verebbte.
»Wo sind die Kinder?«, fragte Eadyth.
»Ich habe sie an die Säulen im großen Saal gebunden.«
»Wie konntest du!«, rief Eadyth, entsetzt über Tykirs Grausamkeit, und stand prompt auf.
»Nun reg dich mal nicht auf, Schwägerin. Setz dich wieder hin. Sie halten es für ein Spiel. Ich bin der mächtige wikingische Krieger, und sie sind meine Gefangenen. Ich wollte mir damit nur eine kurze Atempause verschaffen.« Er grinste drollig. »Ich habe ihnen versprochen, nach meiner Rückkehr ihr Gefangener zu sein. Teufel aber auch, ich glaube, wenn ich Ravenshire verlasse, brauche ich erst mal einen guten Kampf, um mich ein bisschen zu entspannen.«
Alle wurden wieder ernster, als sie dann ihr Vorhaben besprachen, Steven in einen Hinterhalt zu locken.
»Ich breche morgen früh mit einem großen Trupp von Männern auf«, sagte Eirik. »Falls Graf Orm es nicht bereits getan hat, werde ich dann das Gerücht verbreiten, ich würde mich nach Gloucestershire begeben, um mit dem Königlichen Rat zu sprechen.«
»Steven wird dich bestimmt sehr aufmerksam beobachten«, sagte Eadyth besorgt.
»Ja, aber ich werde in voller Rüstung aufbrechen und einen Helm tragen, der mein Haar bedeckt. In einiger Entfernung von Ravenshire liegt ein dicht bewaldetes Gebiet, wo Sigurd mich erwarten wird. Sigurd ist ungefähr genauso groß wie ich. Er und ich werden die Kleider tauschen. Wenn die Truppen weiterziehen, werde ich nach Ravenshire zurückkehren und durch den Geheimgang wieder in die Burg kommen.«
Eadyth biss sich beunruhigt auf die Lippen.
»Ich weiß, dass du dir Sorgen um John machst. Ich werde ihn, Larise und Emma unter schwerer Bewachung nach Hawk’s Lair bringen lassen. Sie werden die Burg noch heute Nacht durch den geheimen Gang verlassen. Ich will sie nicht in der Burg haben, falls mit unserem Vorhaben etwas schiefgehen sollte.«
Eadyth schlug erschrocken eine Hand vor ihren Mund. »Und Tykir?«
»Der wird heute Nacht von Jorvik aus über den Humber zur Nordsee segeln. Dann kehrt er auf dem Landweg hierher zurück und wird auf Hawk’s Lair bei den Kindern bleiben. Ich glaube nicht, dass Emma sich ohne einen von uns sehr lange fügen würde.«
»Das klingt alles sehr … vernünftig, aber du weißt, dass Steven nicht wie ein normaler Mensch denkt. Seine Niederträchtigkeit macht mir große Angst.«
»Wir werden vorsichtig sein, Eadyth. Ich beschütze, was mir gehört.« Eirik legte einen Arm um ihre Schulter, um seinen Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen.
Seine Geste tröstete Eadyth, mehr sogar als seine Worte. Er liebte sie nicht … das noch nicht, wie sie wusste. Aber nichtsdesotrotz hatte sie auf jeden Fall das Gefühl, dass Eirik etwas an ihr lag. Und das war doch immerhin ein Anfang.
»Noch etwas, Eadyth. Es könnte sein, dass wir einen Spion hier auf der Burg haben. Deshalb dürfen wir mit keinem der Bediensteten über unsere Pläne sprechen, und ich kann auch nicht zu dir nach oben kommen, nachdem ich Ravenshire ganz offiziell verlassen haben werde. Wir werden die Kellergewölbe mit Bettzeug und Proviant für mich und einige meiner Männer ausstatten. Selbst die Pferde werden wir bei uns behalten müssen.«
Als er ihr enttäuschtes Gesicht sah, fügte er rasch hinzu: »Es wird wahrscheinlich nur für ein, zwei Nächte sein. Ich bin mir sicher, dass die Aussicht, dich und John in einer scheinbar schlecht bewachten Burg zu finden, Steven herlockt.«
Zwei Tage vergingen, und Steven war noch immer nicht aufgetaucht. Eadyth lief unruhig zwischen ihrem Schlafzimmer und der Küche hin und her, wo Bertha sich beschwerte: »Herrgott noch mal! Ihr lauft noch Rillen in den Boden. Mit Eurem ständigen Gejammer macht Ihr mir außerdem langsam aber sicher die Milch in meinem Pudding sauer!«
Eirik hatte Eadyth ermahnt, die Burg unter gar keinen Umständen zu verlassen, und nur Wilfrid und Jeremy, ihr vertrauenswürdiger Steinmetz aus Hawk’s Lair, waren in ihre Pläne eingeweiht. Beim ersten Anzeichen, dass Steven oder irgendein anderer Fremder sich möglicherweise innerhalb der Burg aufhielt, musste Eirik unverzüglich benachrichtigt werden. Nach außen hin musste die Burg unterbesetzt und schlecht bewacht erscheinen.
»Wenn Steven sich mit dir in Verbindung setzt, musst du in Reichweite von Wilfrid oder Jeremy sein, damit sie mir und meinen Männern ein Zeichen geben können. Du musst meine Anweisungen voll und ganz befolgen, hörst du, Eadyth?«, hatte Eirik ihr immer wieder eingebläut, bevor er gegangen war.
Am dritten Tag war Eadyth so unruhig und frustriert, dass sie beschloss, sich eine Beschäftigung zu suchen, um sich abzulenken. »Wir werden heute meinen Honig verarbeiten«, teilte sie Bertha und Girta deshalb mit.
Die Köchin murmelte etwas über die Unordnung, die sie in ihrer Küche veranstalten würde, aber ein kurzer, böser Blick von Eadyth brachte sie zum Schweigen. Britta würde ihnen nicht helfen können, da sie noch immer das Bett hüten musste, obwohl sie sich nach und nach von ihren Verletzungen erholte. Eadyth befahl Oslac, einem ihrer Assistenten aus Hawk’s Lair, so viele volle Hönigwaben wie nur möglich aus den Stöcken einzusammeln. Eirik hatte ihr verboten, auch nur in den Obstgarten hinauszugehen, falls Steven schon irgendwo da draußen lauern sollte.
Als Oslac kurze Zeit darauf zurückkam und den Bienenschutzschleier von seinem Gesicht nahm, brachte er drei Dutzend Honigwaben mit und sagte, es wären mindestens noch genauso viele da, die er hereinholen könnte. »Es ist zu lange her, Herrin, seit wir den letzten Honig geerntet haben, obwohl den Bienen das Festessen natürlich sehr gefallen hat.«
Eadyth nickte und dachte, dass sie in den letzten Tagen mit zu vielen anderen Dingen beschäftigt gewesen war. Sie schickte Oslac wieder los, um noch mehr Honigwaben zu holen, und sorgte dafür, dass das Feuer heiß genug war und all ihre Utensilien ordentlich auf dem Tisch bereitlagen.
Girta ging, um noch mehr Tongefäße aus der Spülküche zu holen, und Bertha wischte sich den Schweiß von der Stirn und brummte: »Na schön, dann wollen wir zusehen, dass wir es hinter uns bringen.«
Nachdem Eadyth die drei Dutzend Honigwaben schon geöffnet hatte und der Honig durch die Mulltücher in die Tonne neben dem Feuer tropfte, war Oslac noch immer nicht zurückgekehrt. Das Warten machte Eadyth nervös, und sie blickte sich ungeduldig in der Küche um, weil sie ihre Arbeit so schnell wie möglich zu Ende bringen wollte.
»Spül schon mal die leeren Waben, Bertha«, sagte sie und trat auf den Gang hinaus, der auf den hinter der Küche liegenden Hof führte.
Oslac näherte sich mit einem großen Armvoll Honigwaben in einer ihrer Bienenkisten – es waren mindestens sechs Dutzend. Es mussten noch weitaus mehr gewesen sein, als er gedacht hatte. Er blieb neben dem Brunnen stehen und stellte die Kiste auf den Boden. Zuerst war Eadyth etwas erstaunt über sein Verhalten, aber dann sah sie, wie er sich auf einen Stein setzte, seinen Schuh auszog und ein paar Steinchen herausschüttete.
Lächelnd trat sie auf den Hof hinaus und hob ihr Gesicht der warmen Mittagssonne entgegen. Sie vermisste es, im Freien zu sein, mit ihren Bienen zu arbeiten, über die Felder zu reiten oder zu den Märkten nach Jorvik zu fahren. Und so schlenderte sie zu Oslac hinüber und bemerkte: »Wie es scheint, waren unsere Bienen ja sehr fleißig. Wir werden dieses Jahr einen ordentlichen Vorrat Wachs für meine Kerzen haben, meinst du nicht?«
Oslac nickte und rieb sich seine Fußsohle, bevor er den Schuh wieder überstreifte und aufstand.
Eadyths Kopfhaut begann ganz merkwürdig zu prickeln, und die feinen Härchen in ihrem Nacken richteten sich auf. Es war Oslacs Größe … Ihr war gar nicht bewusst gewesen, dass er so groß war oder dass …
Bevor sie die Warnzeichen richtig deuten konnte, schlug Oslac seinen Bienenschutzschleier zurück und packte sie brutal am Arm. Sie begann zu schreien, aber er zog sie mit dem Rücken an sich, schlang unnachgiebig einen Arm um ihren Oberkörper und hielt ihr mit der anderen Hand den Mund zu.
Es war Steven von Gravely!
»Du verdammtes Biest! Wo hast du John versteckt? Oslac sagt, er hätte ihn schon seit Tagen nicht mehr in der Burg gesehen.«
Sie verrenkte sich den Hals, um über die Schulter zu blicken und Stevens Gesicht zu sehen. Aber er zerrte sie unbarmherzig auf ein Gebüsch zu, wo sie außer Sicht sein würden.
Eadyth packte das kalte Grausen, als sie sah, wie stark er sich seit ihrer letzten Begegnung verändert hatte. Obwohl er immer noch ein gut aussehender Mann war, hatte er viel Gewicht verloren, und seine Wangen waren bleich und eingefallen. Seine Krankheit hatte seine einst gesunde, rosige Haut ganz fahl und blass gemacht. Seine blutunterlaufenen Augen musterten sie mit fieberhafter Ungeduld, bevor er seinen Blick suchend über den Küchengarten gleiten ließ. In seinem wilden Blick lag Wahnsinn, und Eadyth vermutete, dass die Erkrankung, die zuerst nur seine männlichen Geschlechtsteile befallen hatte, inzwischen wahrscheinlich auch schon sein Gehirn angegriffen hatte.
»Ich habe dir eine Frage gestellt, du Miststück«, fauchte er und riss einen Streifen Stoff von ihrem Ärmel, mit dem er sie dann knebelte. Das Gleiche tat er auch mit ihrem anderen Ärmel und band ihr mit dem Stoff die Hände auf den Rücken und fesselte ihre Knöchel aneinander. Dann stieß er sie auf die Knie und schlug ihr ins Gesicht. »Ich werde dir für einen Moment den Knebel abnehmen, aber solltest du es wagen zu schreien, werde ich dir deinen verdammten Hals aufschlitzen!« Und damit zog er einen Dolch aus seinem Gürtel und hielt ihn Eadyth an die Kehle, während er ihr mit der anderen Hand den Knebel abnahm.
»Wo ist John?«, fragte er wieder.
Dank Oslacs Verrat wusste er anscheinend schon, dass John sich nicht mehr in der Burg aufhielt. Osclac musste der Spion in ihrer Mitte sein.
»In Jorvik«, log sie.
»Du kannst meinen Sohn nicht vor mir verstecken. Edred hat ihn mir im Ausgleich für meine Loyalität bereits versprochen. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit.«
»Wieso bist du dann hier?«
Sie bemerkte ihren Fehler, als Stevens Augen wütend aufblitzten und er sie mit dem Handrücken auf die andere Wange schlug. Sie taumelte unter der Wucht des Schlags und fiel auf den Boden, aber Steven packte sie grob am Nacken und zog sie wieder hoch.
»Mein Großvater stirbt in Frankreich an der Schwindsucht, während wir hier plaudern, Eadyth. Aus irgendeinem mir völlig rätselhaften Grund hat er eine Abneigung gegen mich, aber er hat sich wenigstens bereit erklärt, seine Besitzungen meinem Erben zu vermachen. Wenn ich nicht vor seinem Tod meinen Sohn zu ihm bringe, gehen alle seine Ländereien an die Kirche. Das kann ich nicht zulassen.«
»Geh zu deiner eigenen Frau, Steven. Zeug mit ihr Söhne«, sagte Eadyth, nicht sicher, ob Eiriks Geschichte über Stevens Zeugungsunfähigkeit auch wirklich stimmte.
Zuerst schien er sie wieder schlagen zu wollen, aber dann ließ er die Hand doch wieder sinken. »Wusstest du nicht, dass meine Frau vor zwei Wochen gestorben ist?«, fragte er und kniff seine rotgeränderten Augen vielsagend zusammen. »Ein … grauenvolles Magenleiden hatte Eneda, die arme Seele, ganz plötzlich befallen.« Er lachte dreckig, als er ein kleines Fläschchen aus der Tasche zog und es Eadyths vors Gesicht hielt. »Sie hat aber am Ende nicht leiden müssen, dank des Schlafmittels, das ich ihr gegeben habe.«
Eadyths Brust wurde so eng, dass sie kaum noch atmen konnte, und sie erschauderte vor Furcht. Steven brauchte ihr gar nicht erst zu sagen, dass das Fläschchen das Gift enthielt, das er seiner Frau verabreicht hatte. Aber warum?
Als hätte sie diese Überlegung laut ausgesprochen, erhielt sie im nächsten Augenblick Antwort auf ihre Frage.
»Das ist genau dasselbe Mittel, das du deinem Ehemann geben wirst.«
Eadyth schnappte entsetzt nach Luft. Der Mann hatte wirklich und wahrhaftig den Verstand verloren! »Warum sollte ich das tun?«
»Da ich jetzt wieder frei bin, um zu heiraten, musst du es auch sein, Eadyth.«
Nackte Furcht, so schwarz und todbringend wie eine Flutwelle, erfasste sie, und Eadyth vermochte ihr Zittern kaum noch zu beherrschen. »Aber du hast doch gesagt, der Witan würde dir die Vormundschaft zusprechen. Wozu brauchst du mich dann noch als Ehefrau?«
Steven lachte höhnisch, antwortete ihr aber trotzdem. »Es gibt einige Männer im Witan, die den Befehlen des neuen Königs keine Folge leisten werden. Sie schenken den Behauptungen deines Mannes, er sei Johns Erzeuger, Glauben … oder wollen seine Gunst gewinnen. Am Ende wird der Witan aber mir die Vormundschaft zusprechen, dessen kannst du sicher sein, aber Zeit ist für mich jetzt von entscheidender Bedeutung. Ich kann nicht warten. Es ist ganz einfach so, dass Eirik sterben muss, und das wirst du für mich erledigen.«
Und damit riss er sie grob auf die Beine. »Doch vorher reiten wir nach Jorvik und holen meinen Sohn.«
»Das glaube ich nicht«, sagte eine entschieden klingende Stimme hinter ihnen.
Als Eadyth herumfuhr, sah sie Eirik, der mit erhobenem Schwert und gefolgt von einem Dutzend Männern aus der Küche stürmte. Andere strömten aus dem Burghof oder aus dem Obstgarten zu ihnen hinüber.
Steven verstärkte seinen Griff um Eadyth und drückte ihr die Klinge seines Dolchs noch fester an den Hals. Als Eadyth spürte, dass sie blutete, und Eiriks Blick sich wutentbrannt auf ihren Nacken richtete, befürchtete sie, dass er etwas Unüberlegtes tun könnte.
»John ist weder hier noch in Jorvik. Ihr werdet ihn nie wiedersehen, Gravely. Ihr werdet nicht einmal lange genug leben, um ein weiteres Morgengrauen zu sehen«, sagte Eirik in hartem, erbarmungslosem Ton, als er langsam auf sie zukam.
Steven lachte schroff. »Das glaube ich nicht, du Bastard, es sei denn, du willst, dass deine süße kleine Frau mit mir zur Hölle fährt.« Er drückte das Messer jetzt so fest an Eadyths Hals, dass sie das feuchte, warme Blut über ihren Nacken rinnen spürte.
Eiriks zusammengepresste Lippen zuckten vor Anspannung, und sein gerade noch energischer Schritt wurde langsamer.
»Dann machen wir ein Tauschgeschäft«, schlug er sichtlich widerwillig vor. »Ich lasse Euch entkommen, und Ihr lasst Eadyth frei.«
»Ihr könnt über gar nichts verhandeln. Die kleine Hexe kommt mit mir. Ich glaube nicht, dass Ihr Eadyths Leben riskieren würdet, auch wenn ich dessen Wert nicht sehe.«
»Mir ist ihr Leben sehr viel wert«, sagte Eirik mit heiserer Stimme und blickte Eadyth einen Moment beschwörend in die Augen, bevor er seinen Blick wieder auf Steven richtete. »Aber ich würde Euch eher töten und auch Eadyths Leben gefährden, bevor ich zuließe, dass Ihr sie von hier fortbringt. Nehmt Eure schmutzigen Hände von meiner Frau!«
Ungeachtet der Gefahr, in der er sich befand, lachte Steven teuflisch auf und presste das Messer noch fester an Eadyths Hals, während er seine andere Hand um ihre Brust legte und zudrückte. Eadyth stöhnte vor Schmerz auf und sah, wie Eiriks Hände sich verkrampften und wie verzweifelt er versuchte, die Beherrschung zu bewahren.
Steven begann langsam zurückzugehen und zog Eadyth mit sich. Mit jedem Schritt, den er tat, bewegten sich auch Eirik und seine Männer vorsichtig voran.
»Ich gebe Euch meinen heiligen Eid«, sagte Eirik schließlich, als sie schon fast den Baum erreicht hatten, an dem Stevens Pferd festgebunden war. »Wenn Ihr Eadyth jetzt gehen lasst, gebe ich Euch mindestens eine Stunde Vorsprung. Und auch keiner meiner Männer wird Euch folgen.«
Steven zögerte und schien über Eiriks Vorschlag nachzudenken.
»Ihr wisst, dass ich meine Zusagen nicht breche, Steven. Gebt jetzt also lieber auf.«
Nach kurzer Überlegung nickte Steven und schwang sich in seinen Sattel, wobei er Eadyth brutal zu Boden stieß. Sie konnte leider nicht verhindern, seine Drohung zu hören, die er ausstieß, als er losritt:
»Ich komme wieder, Eadyth.«