Eirik bestand darauf, Eadyth zur Burg und ihrem Schlafzimmer zurückzutragen, wo er vorsichtig das Blut von ihrem Hals abtupfte und die Wunde mit einem Streifen Leinentuch zu verbinden versuchte. Er scheuchte die missbilligend dreinschauende Girta fort und lehnte ihre Hilfe ab. »Ich bin durchaus in der Lage, mich selbst um meine Frau zu kümmern«, sagte er mit heiserer Stimme. »Geh lieber und sieh nach Britta. Sie ist in Tränen aufgelöst.«
Eadyth sagte Eirik immer wieder, es sei nur ein tiefer Kratzer, und wollte sich nicht verbinden lassen. »Herrgott noch mal!«, fauchte sie schließlich und stieß seine Hände weg. »Du willst wohl, dass ich wie Bertha mit ihrem gigantischen Verband aussehe. Außerdem heilt der Kratzer an der Luft am besten.«
»Bleib eine Weile ruhig liegen, Eadyth, und hör auf, alles dirigieren zu wollen. Du hast heute einen großen Schock erlitten«, ermahnte Eirik sie mit einem liebevollen Lächeln. Er saß auf der Bettkante neben ihr und strich ihr, während er sprach, das lockige Haar aus dem Gesicht und küsste ihre Fingerspitzen. An seinen zusammengekniffenen Lippen und seinem aufgewühltem Blick war deutlich zu erkennen, wie besorgt er um sie war. Seine liebevollen Zuwendungen zeugten von mehr als ehegattlicher Verbindlichkeit und erfüllten Eadyth mit der Hoffnung, dass er zunehmend tiefere Gefühle für sie entwickelte.
»Tykir und Sigurd bereiten meine Truppen schon auf den Abmarsch vor«, fuhr er fort, »aber bei meiner Rückkehr müssen wir miteinander reden, Eadyth … über andere Dinge. Als ich heute sehen musste, wie Steven dieses Messer an deine Kehle hielt, da …« Er unterbrach sich, und sie sah, wie er um Fassung rang.
Ihm liegt etwas an mir, dachte Eadyth froh.
»Dann wirst du also Stevens Verfolgung aufnehmen?«
Er nickte. »Ich werde ihm die versprochene Stunde Vorsprung geben, aber nicht eine Minute mehr.«
Eadyth war stolz auf die Charakterstärke ihres Mannes und hob die Hand, um mit den Fingerknöcheln über sein mit Bartstoppeln bedecktes Kinn zu streichen. Er hatte nun schon drei Tage in diesem düsteren unterirdischen Gewölbe gelebt und könnte ein Bad, ein warmes Essen und ein weiches Bett gebrauchen. Aber dazu war jetzt keine Zeit. Noch nicht.
»Dieser verdammte Schuft ist uns inzwischen sicher schon entkommen«, knurrte er, als er sich brüsk erhob.
»Dann findest du ihn ein andermal.«
»Auf jeden Fall«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, und seine hellen Augen glitzerten wie blaues Eis.
Für eine Weile legte er sich neben Eadyth auf das Bett und hielt sie einfach nur in seinen Armen, als wäre sie zerbrechlich wie das feinste Glas und nicht so zäh und hart, wie sie in diesen letzten Jahren hatte sein müssen. Ihr wurde ganz warm ums Herz vor Liebe, und Hoffnung auf ein besseres Leben, das sie vielleicht zusammen haben konnten, keimte in ihr auf.
Er küsste sie zärtlich, als er sich schließlich widerstrebend erhob, und legte seine Fingerspitzen an ihre Lippen, als sie etwas sagen wollte. Ein schmerzliches Bedauern erfasste Eadyth, das ihr die Tränen in die Augen trieb.
Als Eirik gegangen war, nickte sie zu ihrer eigenen Überraschung ein. Sie erwachte erst Stunden später vom Läuten der Turmglocke, die Besucher auf der Burg ankündigte.
Rasch strich sie ihr zerdrücktes Kleid ein bisschen glatt und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser. Girtas Ermahnungen, im Bett zu bleiben und sich auszuruhen, ignorierte Eadyth. Stattdessen bedeckte sie ihren Kopf mit einem weißen Schleier und legte sich ein Tuch um, das die schmale, blutverkrustete Schnittwunde an ihrem Hals verbarg.
Als sie aus dem großen Burgsaal auf die steile Steintreppe zum Burghof hinaustrat, sah sie Graf Orm und Eirik mit ihren Männern durch das Tor hereinreiten.
»Wir sind uns auf der Straße begegnet«, sagte Eirik, während er absaß, und warf einen verdrießlichen Blick auf ihren Schleier. Er hatte ihr bei mehr als einer Gelegenheit gesagt, dass er es hasste, wenn sie ihr schönes Haar verbarg. »Bin ich jetzt mit einer Nonne verheiratet?«, flüsterte er ihr zu.
»Waren meine Beine um deine Taille gestern Nacht die einer Nonne?«, entgegnete sie kühn.
Eirik lachte schallend. Dann legte er mit einer Vertrautheit, die Eadyth vor ein paar Wochen noch als unerhört empfunden hätte, einen Arm um ihre Schultern und führte sie und seine Begleiter in die große Halle.
Als Eadyth sich plötzlich seiner besorgten Miene bewusst wurde und die ungewöhnlich starre Haltung seines Körpers registrierte, blieb sie stehen und legte beunruhigt eine Hand an seine Brust. »Was? Was ist, Eirik? Hat Steven noch etwas anderes getan? Kennt seine Schlechtigkeit denn keine Grenzen?«
Eirik schüttelte den Kopf. »Es ist nicht wegen Steven. Graf Orm ist soeben aus Gloucestershire zurückgekehrt, und er bringt uns … Neuigkeiten«, erwiderte er grimmig. »Aber lass uns diese neue Angelegenheit an einem Ort besprechen, an dem wir ungestört sind.«
Furcht erfasste Eadyth, die ihr einen kalten Schauder über den Rücken jagte, und ihr Herz begann zu rasen. Gloucestershire? Dort trat der Witan zusammen. Hatte er eine Entscheidung wegen ihres Sohns getroffen? O Heilige Mutter Gottes, bitte … bitte hilf uns!
Girta brachte ihnen Platten mit Brot, aufgeschnittenem kalten Fleisch und Käse in das private Kabinett neben dem großen Saal. Ein Diener folgte ihr mit Bier und Honigwein.
Eadyth ließ sich beklommen neben Eirik am Tisch nieder und rang nervös die Hände auf ihrem Schoß, als Orm, Tykir und Wilfrid sich ihnen gegenübersetzten. Selbst Tykir, der immer ein heiteres, vergnügtes Wort für sie hatte, war beunruhigend still.
Sie lehnte das Getränk, das Eirik vor sie hinstellte, dankend ab, und er beharrte nicht darauf, dass sie etwas davon trank. Ein weiteres ominöses Zeichen.
Eirik bemühte sich sofort, sie zu beruhigen. »Hab keine Angst, Eadyth. Es ist nicht so schlimm, wie es sich vielleicht anhören wird.«
Außerstande etwas zu sagen, sah sie ihn nur fragend an.
»Der Witan verlangt, dass John mit mir an Edmunds Trauerfeier in Glastonbury Abbey teilnimmt. Dann soll John nach Winchester weiterreisen, wo der König einen vorübergehenden Vormund für ihn ernennen wird.«
»Einen Vormund! Heilige Maria Mutter Gottes!« Dann fragte sie mit erstickter Stimme: »Vorübergehend, hast du gesagt?«
»Bis der neue Witan nächsten Monat offiziell zusammentritt.«
»Oh, Eirik, wie kannst du sagen, diese Nachricht wäre nicht so schlimm, wie sie sich anhört? Das ist die allerschlimmste Nachricht, die ich mir vorstellen kann!«
Er nahm ihre zitternden Hände in die seinen. »Vertrau mir, Eadyth. Ich werde zu verhindern wissen, dass John etwas geschieht.«
»Wie?«
Graf Orm trank einen großen Schluck Met und wischte sich mit dem Unterarm über den Mund. »Ich habe bereits mit mehreren Mitgliedern des Witans gesprochen – mit den Herren Byrthtnoth von Essex und Elfhere von Mercia. Selbst mit Edred als König werden sie auf jeden Fall im Witan bleiben, genau wie die Herren Elfheah von Hampshire und Ethelwood von East Anglia. Alle sind mächtige Edelleute, die sich der Gefahr eines Bündnisses zwischen dem neuen König und Steven von Gravely nur allzu gut bewusst sind. Sie haben ihre Unterstützung zugesagt.«
Eadyth hielt das, was er sagte, für vernünftig, und sie kannte auch einige dieser Herren selbst und wusste, dass sie gute, ehrenhafte Männer waren. Vielleicht würden sie sie und Eirik im Vormundschaftskampf unterstützen.
»Trotz seiner Jugend müsste Edred eigentlich wissen, welchen politischen Balanceakt er vollführt«, bemerkte Wilfrid. »Seinem Bruder Edmund ist es gelungen, ganz Britannien unter seine Vorherrschaft zu bringen. Ein falscher Schritt, und Edred könnte sein Ansehen bei den nicht mit ihm übereinstimmenden Königen und damit eine Menge Macht verlieren.«
»Und Edred muss sich auch in seinem eigenen Territorium vorsehen«, stellte Tykir fest. »Seine Edelleute haben in diesen Zeiten des Wohlstands an Reichtum und Einfluss gewonnen. Ihre eigenen Interessen wiegen schwerer als ihre Treue ihrem Lehnsherrn gegenüber. Und Edred ist nicht so beliebt, wie es sein Bruder Edmund war. Er wird sich mehr anstrengen müssen, um ihre Gunst zu gewinnen.«
»Ja, es ist alles richtig, was ihr sagt«, erklärte Eirik und sah die Männer einen nach dem anderen an. Dann wandte er seine volle Aufmerksamkeit Eadyth zu. »Aber kommen wir zurück zu unseren Problemen. Ich werde mich mit John nach Glastonbury Abbey und anschließend nach Winchester begeben und Edred bitten, mich als vorübergehenden Vormund für den Jungen einzusetzen«, versprach Eirik. »Erzbischof Dunstan, Edreds Cousin, wird auch dort sein, und er kann, mehr als jeder andere, Einfluss auf den König nehmen. Dunstan ist seit langem ein bevorzugter Berater der Herrscher des Hauses Wessex. Außerdem ist Duncan mir noch einen Gefallen schuldig, den ich ihm in Frankreich einst erwiesen habe. Einen großen Gefallen. Ich werde ihn jetzt einfordern.«
»Werden wir auch Larise und Emma mitnehmen?«
»Nein, Eadyth, du musst mit ihnen auf Ravenshire bleiben. Ich habe Sigurd bereits losgeschickt, um sie zu holen.«
Sie wollte schon empört aufspringen, aber Eirik drückte sie sanft auf ihren Stuhl zurück. »Es ist besser, wenn du dich nicht bei Hofe sehen lässt. So verhasst dir diese Einstellung auch ist, der Witan würde die Einmischung einer Frau sehr übel nehmen. Und du neigst ja wirklich auch dazu, die Beherrschung zu verlieren und dich hin und wieder mal sehr kratzbürstig zu zeigen.« Das Letzte sagte er mit einem leichten Lächeln. »Du wirst es mir überlassen müssen, die Angelegenheit zu regeln.«
Eadyth wusste, dass sie dem Urteilsvermögen ihres Mannes und seiner Fähigkeit, ihr Problem zu lösen, vertrauen musste. Und dennoch fiel es ihr nicht leicht, jemand anderen mit ihren Sorgen zu betrauen.
Aber sie nickte in stillschweigender Zustimmung.
Eine Woche später war Eirik noch immer nicht zurückgekehrt, und Eadyth vermisste ihn und ihren Sohn ganz schrecklich. Eirik schickte ihr jedoch täglich kleine Botschaften, in denen er ihr von seinen Erfolgen oder Misserfolgen berichtete. Die Edelleute, die Graf Orm erwähnt hatte, schienen ihre Sache zu unterstützen, aber sie machten nur eine kleine Truppe des Königlichen Rats aus.
Eirik setzte seine Hoffnungen mehr auf Erzbischof Dunstan, aber der raffinierte Kleriker forderte im Gegenzug für den Gefallen harte Zugeständnisse von Eirik. Unter anderem verlangte Dunstan, dass Eirik selbst Mitglied des Königlichen Rates wurde und damit eine politische Position einnahm, die Eirik lange abgelehnt hatte. Dunstan hoffte auch auf die Berufung von weiteren Bischöfen – Männern, die tun würden, was ihnen von ihm befohlen wurde.
Bedauerlicherweise hatte Eirik noch nicht direkt mit König Edred sprechen können, da dieser unter einem heftigen Anfall einer in seiner Familie liegenden Krankheit litt – einer schwächenden und äußerst schmerzhaften Entzündung der Gelenke. Wegen des feuchten Wetters der letzten Zeit war er tagelang nach dem pompösen Begräbnis seiner Bruders in Glastonbury bettlägerig gewesen.
Und Steven von Gravely war nicht da.
Eine weitere Woche verstrich, und Eadyths Nerven waren so angespannt, dass sie schier zu explodieren glaubte. In der Hoffnung, sich mit harter körperlicher Betätigung ablenken zu können, arbeitete sie jeden Tag von früh bis spät und zwang ihre verstimmte Dienerschaft, ihrem Beispiel zu folgen.
Wandbehänge aus Eiriks Schatzkammer bedeckten nun die Wände des großen Saals und der Privatgemächer. Sie ließ sämtliche Stoffe aus dem feuchten unterirdischen Gewölbe zu einem Vorratsraum im ersten Stock hinaufbringen. Dann beaufsichtigte sie das Zuschneiden und Verarbeiten der feinen Wollstoffe zu Kleidern für Eirik, Tykir und Wilfrid, und natürlich auch für die vier Kinder.
Obwohl sie gewöhnlich erst im Herbst mit ihrer Kerzenproduktion begann, hatten sie, Bertha, Girta und die schon fast völlig wiederhergestellte Britta am Vortag sechs Dutzend normale Kerzen und zehn Zeitmesskerzen hergestellt. Heute wollte sie Gilbert mit dem Bau einer Destillerie für ihren Met beauftragen. Da sie Eirik versprochen hatte, sich nicht über den Küchengarten und den vorderen Burghof hinauszuwagen, blieb ihr gar nichts anderes übrig, als eine vorübergehende Einrichtung in unmittelbarer Nähe der Burg errichten zu lassen.
Sie sah gerade zu, wie Gilbert die Grundsteine für das Fundament des Anbaus legte, als Emma sie am Rock zupfte. »Godric«, sagte die Kleine mit großen, angsterfüllten Augen. »Hilf Godric.«
Eadyth hockte sich neben das Kind. »Was ist denn, Liebes? Möchtest du, dass ich dir helfe, Godric zu suchen? Versteckt er sich wieder vor dir?«
Emma schüttelte den Kopf. »Nein. Godric ist weg.«
Eadyth erschrak, als ihr plötzlich Übles schwante. »Komm«, sagte sie und nahm Emma an der Hand, um Larise zu suchen, die mit Britta in der Küche Erbsen palte. »Wo ist Godric?«
Larise und Britta blickten erstaunt zu ihr auf.
»Ich habe den Jungen seit gestern nicht gesehen«, sagte Britta, und ihre Augen, die nicht mehr zugeschwollen waren wie nach dem auf sie verübten Überfall, weiteten sich vor Besorgnis. »Jetzt, wo Ihr es erwähnt, fällt mir ein, dass er auch heute Morgen nicht in der Küche war, um die Feuer anzuzünden.«
»Er ist nur noch herumgeschlichen, seit John weg ist«, fügte Larise unbesorgt hinzu. »Wahrscheinlich spielt er in einem der leeren Schlafzimmer mit Prinz.«
»Bleib hier, Emma«, befahl Eadyth. Dann suchte sie die ganze Burg ab, von der Spülküche bis zu den Schlafzimmern im ersten Stock und vom Burghof bis zum Küchengarten. Aber Godric war nirgendwo zu finden.
Im Burghof traf sie Wilfrid, der ein Päckchen von einem gerade eingetroffenen Boten entgegennahm. Er reichte Eadyth ein versiegeltes Schriftstück, das sie augenblicklich öffnete. Rasch überflog sie Eiriks Worte.
Eadyth,
ich habe frohe Nachrichten. John und ich machen uns morgen auf den Weg nach Ravenshire. Ich hatte endlich eine Audienz bei Edred. Dunstans Macht ist beeindruckend.
Edred erklärte sich mit meiner vorübergehenden Vormundschaft für John einverstanden. Er erwartet viel dafür im Gegenzug, aber das erzähle ich dir alles später. Habe Steven nicht gesehen, aber er soll noch leben, heißt es. Sei vorsichtig, mein Herz.
Dein Ehemann Eirik
Mein Herz! Eadyth lächelte froh und teilte Wilfrid die guten Neuigkeiten mit. Dann lenkte sie das Gespräch wieder auf den kleinen Godric.
»Er könnte ins Dorf gegangen sein«, meinte Wilfrid und machte sich sogleich mit einigen Männern auf die Suche nach dem vermissten Jungen. Als sie losgeritten waren, ging Eadyth wieder in die Küche. Auf dem Gang dorthin begegnete sie Emma.
»Äpfel«, bemerkte die Kleine scheinbar wie am Rande.
»Was? Du willst einen Apfel? Jetzt?«
»Nein. Godric mag Äpfel«, sagte Emma zögernd und strahlte Eadyth an, stolz, dass es ihr gelungen war, sich klar auszudrücken.
Eadyth erinnerte sich plötzlich an Godrics Vorliebe für Äpfel, besonders für die frühe, etwas herbe Sorte. Eadyth beugte sich zu dem kleinen Mädchen vor, legte beide Hände auf ihre Schultern und fragte ernst: »Emma, Liebes, willst du mir damit vielleicht sagen, dass Godric aus der Burg hinausgegangen ist, um Äpfel zu pflücken?«
Emma nickte heftig.
Nachdem sie die Kleine in die Küche zurückgeschickt hatte, damit sie Larise mit den Erbsen half, stand Eadyth da, starrte nachdenklich ins Leere und klopfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. Godric wäre doch bestimmt gesehen worden, wenn er die Burg verlassen hätte. Wachposten standen an allen Toren und in bestimmten Abständen auch an den Burgmauern.
Sie dachte angestrengt nach und versuchte sich jeden Apfelbaum in Erinnerung zu rufen, den sie in der Nähe von Ravenshire gesehen hatte, aber dann schüttelte sie den Kopf und verwarf sie einen nach dem anderen. Es standen überall Wachen auf dem Weg zu ihnen.
Außer …
Eadyth lächelte, als ihr plötzlich eine Erleuchtung kam. Alle bis auf den Baum unmittelbar neben dem Ausgang des unterirdischen Tunnels, in der Nähe der verlassenen Kätnerhütten. Und jetzt, wo sie darüber nachdachte, fiel ihr auch wieder ein, dass diese Äpfel besonders sauer waren, so wie Godric sie am liebsten aß.
Sie blickte sich in der leeren Halle nach jemandem um, den sie Godric nachschicken konnte. Sie könnte natürlich auch Wilfrids Rückkehr abwarten, aber … hmm. Während sie langsam auf die Tür zum Keller zuging, dachte sie, es könnte nicht schaden, dort unten nachzusehen, ob es irgendwelche Anzeichen dafür gab, dass Godric dort gewesen war.
Mit einer brennenden Fackel in der Hand ging sie den feuchten Gang entlang und grinste zufrieden, als sie in der Nähe des Ausgangs das Kerngehäuse eines Apfels liegen sah. Sie lächelte sogar noch breiter, als sie sah, dass die Tür geschlossen war. Der kleine Schlingel musste hinausgegangen sein, und als die Tür hinter ihm zugefallen war, hatte er keinen anderen Rückweg mehr gesehen als um die Burg herum und durch den Haupteingang zu gehen. Wahrscheinlich hatte er Angst gehabt, von Wilfrid Prügel für seinen Ungehorsam zu erhalten.
Nun, eine solch harte Bestrafung des kleinen Jungen konnte sie mühelos verhindern. Nachdem sie vorsichtig die Tür geöffnet hatte, spähte sie hinaus – und erkannte augenblicklich ihren Fehler.
Draußen stand Steven von Gravely, in voller Rüstung und begleitet von sechs finster dreinblickenden Männern. Er lehnte lässig an einem Baum und kaute an einem Apfel. Der kleine Godric war nirgendwo zu sehen.
»Na, welch unerwartetes Vergnügen, der Silbernen Hure von Northumbria zu begegnen!« Er packte Eadyth, bevor sie schreien konnte, und verband ihr die Augen und legte ihr einen Knebel an, bevor er sie an Händen und Füßen fesselte. Dann warf er sie auf ein Pferd, schwang sich hinter ihr in den Sattel und galoppierte mit ihr davon.
Das Erste, woran Eadyth dachte, war Eirik und wie erbost er sein würde, dass sie seine Anweisungen wieder einmal missachtet hatte. Aber dann wurde ihr fast augenblicklich klar, dass sie sehr viel dringendere Sorgen hatte – um ihre eigene Sicherheit und die von Godric.
Als sie nach einem etwa einstündigen Ritt endlich anhielten, zerrte Steven sie grob vom Pferd und nahm ihr die Fesseln an den Füßen ab. Sie fiel auf die Knie. Seine Finger bohrten sich in ihren Oberarm, und er stieß sie vor sich her eine steinerne Treppe hinauf und dann einen langen Korridor entlang. Erst als sie sich ein gutes Stück im Inneren befanden, nahm er ihr die Augenbinde ab. Dann sah Eadyth, dass sie sich in einem kleineren Herrenhaus befanden, das sie nicht erkannte.
Sie noch immer grob vor sich her stoßend, brachte Steven sie in eine über einem kleinen, von Fackeln gut erhellten Raum liegende Galerie. Eadyth fuhr entsetzt zurück bei dem Anblick, der sich ihr dort bot, und versuchte vergeblich, sich aus Stevens eisernem Griff um ihre Oberarme zu winden. Hinter ihrem Knebel stieß sie einen erstickten Schrei aus und heiße Tränen schossen ihr in die Augen, die ihr im nächsten Moment in wahren Sturzbächen über die Wangen rannen.
Leise vor sich hinweinend stand Godric in dem Raum unter der Galerie, die Arme hoch über den Kopf erhoben und an ein Seil gebunden, das um einen der Deckenbalken geschlungen worden war. Sein schmächtiger kleiner Körper war der Kälte des Raums schutzlos ausgesetzt. Ein Wachposten saß auf einem Stuhl in Godrics Nähe, sein Schwert lag griffbereit auf seinen Knien. Eadyth sah außer ein paar Prellungen keine Verletzungen an dem ihr so lieb gewordenen Kind, aber Godrics Augen waren groß vor Angst, und er zitterte am ganzen Körper.
Als Steven glaubte, sie habe genug gesehen, stieß er sie herum und auf einen weiteren Gang zu, über den er sie zu einem kleinen Zimmer führte. Eadyth sah keine Dienstboten. Das Haus schien unbewohnt zu sein. Als sie in dem Zimmer waren, hielt Steven eine Fackel an mehrere hängende Specksteinkerzenhalter. Dann bedeutete er ihr, sich hinzusetzen, und nahm ihr den Knebel ab, aber nicht die Fesseln, die ihre Handgelenke noch immer auf ihrem Rücken zusammenhielten. Schließlich ließ er sich auf einen Stuhl ihr gegenüber fallen und starrte sie böse an.
Sein Aussehen hatte sich während der letzten Wochen, seit er von Ravenshire entkommen war, verschlechtert. Sein einst so unerhört gut aussehender, schlanker, aber muskulöser Körper war geradezu erschreckend mager. Eine krankhaft graue Blässe hatte den sonst immer so warmen Braunton seiner gesunden Haut ruiniert. Selbst sein Haar, das früher dicht und glänzend wie schwarze Seide gewesen war, hing ihm glatt und strähnig ins Gesicht.
»Es geht dir nicht gut«, bemerkte sie spontan.
»Nein, aber glaub nicht, dass ich dieses Leben in naher Zukunft schon verlassen werde. Ich habe noch viele Jahre vor mir, du kleines Miststück, und wenn ich mir erst einmal mein Erbe gesichert habe, durch unseren Sohn, werde ich mich zum Heiligen Land aufmachen. Dort gibt es einen sarazenischen Arzt, der mein … Gebrechen heilen kann.«
Eadyth zuckte mit den Schultern. »Lass Godric frei, Steven. Der Junge hat dir nichts getan.«
»Nein, ich habe andere Pläne für das Kind.« Er kicherte boshaft, aber dann wurde er von einem Hustenanfall übermannt und spuckte schließlich blutigen Schleim in ein weißes Taschentuch.
»Was für Pläne?«, fragte Eadyth und gab sich die größte Mühe, Steven ihre Furcht nicht sehen zu lassen, weil sie wusste, dass er ihrer Qual Vergnügen abgewinnen würde.
Er beugte sich vor, und Eadyth fuhr angewidert vor dem fauligen Atem zurück, der ihr entgegenwehte.
»Ich hatte dir befohlen, Eadyth, deinen Ehemann umzubringen und den Weg für unsere Heirat freizumachen. Aber statt dem Folge zu leisten, hast du mir diesen verdammten Bastard auch noch auf den Hals gehetzt.« Er schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Eine solche Missachtung meiner Befehle kann ich nicht dulden. Also wirklich, Eadyth, was soll ich nur tun, um dich für deine Verfehlungen zu bestrafen?« Er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn, als wäre ihm plötzlich eine Eingebung gekommen. »Ah, der Junge!«
»Nein, du darfst Godric nicht umbringen, um es mir heimzuzahlen!«, rief sie und sprang auf.
Steven beugte sich vor und stieß sie wieder auf den Stuhl zurück. »Ich habe nichts von Umbringen gesagt«, erklärte er ruhig, während seine kalten blauen Augen sie verächtlich musterten. »Oder zumindest vorläufig noch nicht.«
Bei Stevens freudlosem Lächeln lief Eadyth ein kalter Schauer über den Rücken. Schließlich sagte er mit eisiger Stimme: »Ich werde dir sagen, wie es läuft, meine zukünftige Frau Gemahlin. Ich gebe dir noch ein Fläschchen von dem Gift mit, das du beim letzten Mal dummerweise nicht benutzt hast, und diesmal wirst du es deinem Mann verabreichen. Dieses spezielle Gift hinterlässt keine Spuren, und es wird dich freuen zu hören, dass der Tod ganz schmerzlos ist, fast wie ein tiefer, tiefer Schlaf. Und dann, wenn eine angemessene Zeit verstrichen ist … sagen wir, vier Wochen, werden wir heiraten. Und bis ans Ende unserer Tage glücklich und zufrieden sein.« Er grinste mit boshafter Befriedigung.
»Warum sollte ich das tun?«
»Weil dir gar keine andere Wahl bleibt, du lästiges kleines Miststück. Solltest du es wagen, irgendjemandem von unseren Plänen zu erzählen, vor allem deinem Ehemann, dann wird der Junge unaussprechliche Qualen leiden, Foltern, wie du dir sie nicht einmal in deinen schlimmsten Träumen vorstellen kannst.«
Eadyth sog scharf den Atem ein und schüttelte den Kopf.
»Sollte Eirik nicht innerhalb von drei Tagen tot sein, werde ich euch ein ganz besonderes Paket nach Ravenshire schicken. Du liebst doch sicher Überraschungen, wie die meisten Frauen, oder?«, fragte er und wartete einen langen Augenblick, bevor er triumphierend schloss: »Es wird der Kopf des Jungen sein, den ich euch überbringen lasse.«
Tränen strömten über Eadyths Wangen, als sie Steven in sprachlosem Entsetzen anstarrte. Sie hatte nie wirklich geglaubt, dass ein Mensch vom Teufel besessen sein könnte; aber jetzt, bei Steven, war sie sich auf einmal völlig sicher, dass es doch möglich war.
Er stand auf und zeigte auf einen kleinen Strohsack in der Ecke. »Dort kannst du heute schlafen – oder so viele Nächte, wie du brauchst, um einen Entschluss zu fassen. Ich bin mir sicher, letztendlich wirst du mir zustimmen, dass es keine andere Möglichkeit gibt.«
Er schloss die Tür hinter sich ab, aber sie konnte sein böses Lachen hören, als er sich entfernte.
Für den Rest des Tages und im Laufe der Nacht, in der sie kein Auge zutat, dachte Eadyth über mögliche Alternativen nach und verwarf die meisten als undurchführbar.
Und obwohl sie es Eirik unbedingt erzählen wollte, beschloss sie, dass sie das auf keinen Fall riskieren konnte. Wie konnte sie Godrics Leben aufs Spiel setzen, wenn sie nicht wusste, ob Steven möglicherweise noch einen Spion auf Ravenshire hatte? Eiriks Zorn würde für jedermann auf der Burg nur zu offensichtlich sein.
Aber natürlich würde sie Eirik nicht töten. Sie würde überhaupt niemanden töten, aber schon gar nicht den Ehemann, den sie zu lieben begonnen hatte. Das wusste Steven aber nicht. Er musste ihre Ehe für eine Vernunftehe halten, die sie nur deshalb eingegangen waren, weil Eadyth den Schutz eines Ehemanns brauchte und Eirik Ländereien und Geld benötigte.
Eadyth dachte auch darüber nach, selbst wegzugehen, vielleicht sogar die Kirche um Asyl zu bitten. Aber das würde bedeuten, John bei Eirik zu lassen. Selbst diese schmerzliche Trennung könnte sie ertragen, wenn Johns Sicherheit dadurch gewährleistet wäre. Aber das wäre sie nicht. Steven würde nur noch größere Anstrengungen unternehmen, Eirik zu töten, um an seinen Sohn heranzukommen.
Wenn sie Steven selbst umbringen könnte, würde sie es tun. Aber sie konnte sich nicht erinnern, dass er ihr bisher auch nur ein einziges Mal eine Angriffsfläche geboten hatte. Wenn es Eirik bisher nicht gelungen war, diesen Teufel umzubringen, wie konnte sie dann hoffen, es zu schaffen?
Eadyth überlegte hin und her, wie sie dieses Dilemma lösen könnte. Und immer wieder rief sie sich auch ihre eigenen Worte in Erinnerung, dass sie eher sterben würde, als sich mit ihren Sohn in Stevens schmutzige Hände zu begeben.
Und genau das war es auch, was Eadyth letztendlich zu tun beschloss – mit ihrem Sohn zu sterben.
Am nächsten Morgen, als Steven zurückkam, um ihr Zimmer aufzuschließen, hatte Eadyth ihre Gefühle unter Kontrolle. Sie war eine gute Schauspielerin geworden, während sie Eirik mit ihrer Maskerade genarrt hatte. Und auf dieses Können griff sie jetzt zurück.
»Ich bin einverstanden«, sagte sie mit ausdrucksloser Stimme.
»Ich wusste es ja«, erwiderte Steven mit einem selbstzufriedenen Grinsen. Er zog das Fläschchen Gift aus den Falten seiner Tunika und gab es ihr. Eadyth bemerkte, dass er ein Bad genommen und sich rasiert hatte. Er sah fast wieder wie der alte Steven aus. Und Eadyth wusste, dass er, wenn er seinen früheren Charme spielen ließ, noch immer die eine oder andere leichtgläubige Frau verführen konnte. Oder die Edelleute aus Edreds Witan für sich einnehmen konnte.
»Das Beste ist, wenn ich dich so schnell wie möglich nach Ravenshire zurückbringen lasse«, meinte er. »Eirik ist noch nicht mit John zurückgekehrt, wie meine Informanten mir berichtet haben. Ich schlage vor, dass du ihm nichts davon erzählst, dass du bei mir gewesen bist. Sag, du hättest dich im Wald verirrt oder so etwas in der Art. Dir wird schon etwas einfallen. Frauen sind ja gute Lügner.«
Und Männer auch, du heimtückischer Schuft. »Du musst Godric freilassen, damit ich ihn mit zurücknehmen kann.«
Das lehnte er entschieden ab. »Er bleibt hier, bis ich den Beweis für Eiriks Tod habe.«
Eadyth konnte spüren, wie ihr Mut sie verließ. »Aber ich kann das arme Kind doch nicht hier lassen, damit es gefoltert wird.«
»Er wurde bisher nicht gefoltert, und er wird auch nicht gefoltert werden, es sei denn, du scheiterst mit deiner Mission.«
»Warum sollte ich dir glauben?«, rief sie impulsiv. Eadyth wusste sofort, wie unbedacht das gewesen war.
Ein Muskel zuckte an Stevens schmalen Lippen, aber er schlug sie nicht, wie Eadyth eigentlich erwartet hatte. »Ich wurde gefol … schlimm misshandelt, als ich im selben Alter war«, offenbarte Steven ihr zu ihrer Überraschung. »Es fällt dir vielleicht schwer zu glauben, aber ich finde keinen Geschmack daran, die gleichen … Qualen einem anderen Kind zuzufügen. Ja, ich weiß, dass Eirik dir erzählt hat, wie ich ihn als Kind verprügelt habe, aber selbst damals war mir schon bewusst, dass es mir keine Freude machte, Kinder zu misshandeln. Ein Erwachsener … nun ja, das ist natürlich eine völlig andere Sache.«
Eadyth sah einen brennenden Schmerz in Stevens blutunterlaufenen Augen, als er sich vorübergehend vergaß und ins Leere starrte, als erinnerte er sich an irgendwelche Ereignisse aus ferner Vergangenheit. Was konnte ihm als Kind geschehen sein, das ihn so eigenwillig und hart hatte werden lassen?
»Du hast wirklich merkwürdige Moralvorstellungen, Steven. Du tust den Menschen grauenhafte Dinge an. Und dennoch behauptest du, du würdest Godric nicht wehtun, nur weil …«
Er schüttelte heftig den Kopf, als wollte er die schauerliche Vergangenheit damit aus seinem Bewusstsein verdrängen, und fauchte Eadyth an: »Ich muss dir nichts erklären! Komm. Ein Bauernkarren wartet unten. Du wirst mit Glanz und Gloria nach Ravenshire zurückreisen, Mylady.«
Dann wurden wieder Eadyth alle Fesseln angelegt, einschließlich des Knebels und der Augenbinde, und nachdem man sie gezwungen hatte, auf etwas hinaufzusteigen, was sich wie die Ladefläche eines Pferdekarrens anfühlte, wurde sie mit Stroh bedeckt. Bevor der Wagen sich in Bewegung setzte, sagte Steven: »Drei Tage, Eadyth. Oder du wirst ein Geschenk von mir erhalten.«
Mehrere Meilen von Ravenshire entfernt hielt der Bauer seinen Wagen an und ließ sie frei. Er zeigte auf die Straße, weigerte sich hartnäckig, ihre Fragen zu beantworten, und wendete den Wagen, um in die entgegengesetzte Richtung zurückzufahren. Eadyth begab sich auf den langen Weg nach Hause und betrat die Burg durch den Geheimgang. Um weitere unangekündigte Besuche von Steven zu verhindern, verriegelte und verbarrikadierte sie die Tür von innen.
Zum Glück waren Eirik und John noch nicht aus Wessex heimgekehrt, sodass ihr Zeit blieb, sich zu fassen und ihre Pläne in Angriff zu nehmen. Und wenn auch nur sehr skeptisch, akzeptierten der besorgte Wilfrid und die Dienerschaft von Ravenshire ihre Erklärung, sie habe sich verlaufen, als sie im Wald nach Godric suchte.
An jenem Abend suchte Eadyth Britta auf, um sie um Hilfe bei ihrem Vorhaben zu bitten. Die junge Magd, die selbst auf grausamste Weise von Steven erniedrigt worden war, würde verstehen, dass Eadyth sich zu solch drastischen Maßnahmen gezwungen sah. Oder zumindest hoffte sie, dass Britta es verstehen würde.
»Seid Ihr verrückt?«, rief Britta, als sie Eadyths Geschichte gehört hatte. »Ich soll Euch helfen, Euren eigenen und Johns Tod zu planen?«
»Nicht unseren wirklichen, sondern nur unseren vorgetäuschten Tod. Du weißt besser als jeder andere, dass er ernst meint, was er sagt. Er wird Godric enthaupten, wenn ich nicht tue, was er mir befohlen hat.«
»Und er hat Euch befohlen, unseren gnädigen Herrn zu töten?«
»Ja, und dann ihn, Steven, zu heiraten.«
Britta erschauderte bei dem Gedanken. »Aber es muss doch noch einen anderen Weg geben. Wenn Ihr es mit dem Herrn besprecht …«
»Das kann ich nicht. Steven würde es erfahren und den armen kleinen Godric dafür büßen lassen. Überdies würde Eirik Steven dann mit noch größerer Vehemenz zu stellen versuchen, und ich habe auch Angst um sein Leben.« Ihre letzten Worte waren kaum mehr als ein Flüstern, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Ihr liebt Lord Ravenshire?«, fragte Britta und legte mitfühlend eine Hand auf Eadyths.
Eadyth nickte, außerstande, etwas zu erwidern.
»Es würde dem Herrn das Herz brechen, von Eurem Tod zu hören. Er liebt Euch so.«
»Glaubst du das?«, fragte Eadyth hoffnungsvoll.
»Wer Augen im Kopf hat, kann sehen, wie sehr Ihr ihm am Herzen liegt. Wie könnt Ihr ihm so wehtun, wenn Ihr ihn doch liebt?«
»Wie kann ich es nicht tun, wenn ich ihn liebe? Es ist für alle das Beste. Es ist die einzige Möglichkeit.« Sie schluckte den bitteren Geschmack der Verzweiflung, die ihr die Kehle zuschnürte, und nahm Brittas Hände in die ihren. »Ich weiß, dass du Wilfrid liebst und dass er dich heiraten will. Nein, widersprich mir nicht. Ich weiß, wie besorgt du wegen eurer unterschiedlichen Herkunft bist … darüber werden wir später reden. Aber nehmen wir doch einmal an, du würdest dich in dieser Lage befinden und um Wilfrids Leben fürchten. Was würdest du dann tun?«
»Oh, Herrin!«, sagte Britta leise, weil sie voll und ganz verstand, dass Eadyth keine andere Wahl blieb. »Wie lange würdet Ihr Euch denn verstecken müssen?«
Eadyth zuckte mit den Schultern. »Bis Steven endlich tot ist.«
»Aber das könnte Jahre dauern!«
Eadyth nickte traurig.
»Und wenn Eirik sich dazu entscheiden sollte, eine neue Ehe einzugehen?«
Dieser Einwand verschlug Eadyth den Atem. An diese Möglichkeit hatte sie nicht gedacht. Sie stellte sich ihr Leben während der vor ihr liegenden Jahren vor … allein, verlassen und verzweifelt. Sie rüstete sich, um stark zu sein. »Dann würde ich für immer tot bleiben müssen, aber John könnte zurückkehren, wenn er volljährig wird, und Hawk’s Lair übernehmen.«
»Und wie würde er seinen und Euren angeblichen Tod erklären, wenn er selbst wiederauferstanden ist?«
»Ich weiß es nicht. All diese Fragen! Darüber werde ich mir Gedanken machen, wenn es so weit ist. Wirst du mir helfen, Britta? Du bist meine einzige Hoffnung.«
Britta stimmte widerstrebend zu.
»Es muss schon bald geschehen. Vielleicht schon morgen. Oder spätestens übermorgen. Steven hat mir nur drei Tage Zeit eingeräumt.«
»Und was ist mit Godric?«
»Ich denke, dass Steven ihn freilassen wird, wenn er erfährt, dass John und ich gestorben sind. Er hat ein paar Dinge gesagt, die mich zu der Überzeugung haben kommen lassen, dass er den Jungen nicht unnötigerweise quälen wird. Ich glaube, dass Steven in seiner Kindheit schwer misshandelt wurde.«
Britta betrachtete sie skeptisch. »Und wie werdet Ihr sterben? Mit dem Gift, das er Euch gegeben hat?«
»Nein, es darf keine Leichen geben, die Eirik untersuchen lassen könnte. Ich hatte an ein Feuer gedacht, aber es wäre zu verheerend für Emma, so etwas noch einmal durchzumachen. Mich und John zu verlieren wird schwer genug für sie und Larise sein.«
»Wie wäre es, wenn Ihr ertrinkt?«
»Auch daran hatte ich gedacht, aber es gibt keine größeren Gewässer in der Nähe, deren Strömung stark genug wäre, um die Beweise mitzureißen. Und Eirik würde unsere Leichen suchen.«
»Was denn dann?«, fragte Britta mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen.
»Ich habe gehört, dass es Probleme mit umherstreifenden Wolfsrudeln in den Bergen gab. Glaubst du, wir könnten es so darstellen, als wären wir ein Opfer dieser wilden Tiere geworden?«
»Aber dann müsste es Beweise dafür geben, oder nicht?«
»Ja, aber wenn man Teile unserer blutbefleckten Kleidung und ein paar Knochen fände …«
»Knochen? Was für Knochen?« Britta wich vor Eadyth zurück, als befürchtete sie, ihre Herrin habe den Verstand verloren. Und vielleicht war es ja auch so.
»Nun, ich dachte, vielleicht könntest du …«
»Ich? Was? Was habt Ihr vor? O Gott.« Die junge Frau wurde ganz blass, als ob ihr blitzartig klar geworden wäre, in welche Richtung Eadyth dachte »Ihr wollt wohl, dass ich Gräber ausraube?«
Eadyth lächelte freudlos. »Nein, nicht einmal ich würde so weit gehen. Ich denke, wenn wir Tierknochen aus der Küchenschlachtung verwenden und sie ein bisschen beschädigen und zersplittern, wird Eirik sie nicht zu gründlich überprüfen.« Sie sah Britta zuversichtlich an. »Was denkst du?«
»Ich denke, Ihr seid verrückt.«
Sie hatten keine Gelegenheit mehr, den Plan noch ausführlicher zu besprechen, da Girta an die Zimmertür klopfte und erfreut verkündete: »Es nähern sich Reiter, die die Farben von Ravenshire tragen. Es könnten Eirik und der kleine John sein, die aus Glastonbury zurückkehren. Beeilt euch!«
Eadyth umarmte Britta und dankte ihr flüsternd. »Ich werde nie vergessen, was du für mich tust.«
»Ich wahrscheinlich auch nicht«, brummte Britta, als sie hinunterging, um Knochen einzusammeln.
Eadyth war gerade in den Burghof getreten, als Eirik und sein Gefolge durch das Tor einritten. John sprang von seinem Pferd und stürzte sich in Eadyths Arme.
Während sie ihn an sich drückte und ihn wieder und wieder küsste, rief er aufgeregt: »Du hättest das Begräbnis sehen sollen, Mutter! Da waren so viele Menschen, und alle haben um den König geweint. Und es waren auch zweihundert weiße Pferde mit goldenem Zaumzeug da. Und Prinz Edwy und Prinz Edgar hatten ihre eigenen Ponys. Und ich habe das Würfelspiel gelernt …«
Eadyth warf Eirik, der gerade absaß, einen Blick zu. »Würfelspiel?«
Aber John redete ununterbrochen weiter und löste sich ein bisschen verlegen aus Eadyth Umarmung. »… und König Edred und ein Priester namens Dunstan haben mit mir über Vater gesprochen und mich nach einem Mann gefragt … Steven, hieß er, glaube ich … oder jedenfalls nannten ihn der König und der Priester so …«
John redete und redete, bis Eadyth ihn schließlich die Burgtreppe hinaufscheuchte, wo Larise und Emma ihn schon sehnsüchtig erwarteten. Dann wandte sie sich ab und fiel in die ausgestreckten Arme ihres Mannes, um ihn ganz, ganz fest an sich zu drücken. Es gelang ihr nicht, die Tränen zurückzuhalten, die ihr wenig später über die Wangen strömten. Jede Minute, die ihr mit Eirik blieb, war unendlich kostbar für sie.
Eirik blickte etwas befremdet auf Eadyth hinab. Sie hatte ihre Gefühle in der Öffentlichkeit noch nie so rückhaltlos zur Schau gestellt. Aber wahrscheinlich ist sie einfach furchtbar besorgt um Johns Schicksal gewesen, dachte Eirik. Außerdem waren er und ihr Sohn durch Dunstans Manöver auch viel zu lange aufgehalten worden. Er hielt dann auch die pure Erleichterung für den Grund, dass sie ihm schier den Atem aus den Lungen presste und ihre Tränen so reichlich flossen, dass sie seine Tunika durchnässten.
Vor allem aber hoffte er, dass ihre Umarmung ein Zeichen dafür war, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Genauso sehr, wie er sich nach ihr verzehrt hatte.
Ich liebe sie, dachte Eirik staunend. Daran hegte er nicht den kleinsten Zweifel mehr. Er hatte nur einen Tag fern von ihr gebraucht, um zu dieser Einsicht zu gelangen, aber das hatte er ihr in seinen Briefen nicht mitteilen wollen. Er wollte ihr Gesicht sehen, wenn er das erste Mal von seiner Liebe zu ihr sprach.
Ich liebe dich.
Eirik blickte auf seine weinende Frau hinab und lächelte. Es machte nichts, dass sie gelegentlich ein bisschen zänkisch war – oder eigentlich sogar mehr als nur ein bisschen und gelegentlich, dachte er mit einem reuigen kleinen Lächeln. Und er konnte sich auch mit ihrer rechthaberischen Art abfinden – oder zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Wieder verzogen sich seine Lippen zu einem kleinen Lächeln. So lange sie ihn auch weiterhin im Bett erfreute … und ihm sagte, dass sie ihn liebte … und ihm und ihren Kindern eine liebevolle Familie bot … und …
Ich liebe sie, so einfach ist das, unterbrach Eirik seine eigenen Überlegungen. Es gibt keine logische Erklärung dafür. Sie hat mich einfach ganz und gar verzaubert, diese scharfzüngige, bissige kleine Hexe!
»Beruhig dich, Liebste«, sagte Eirik und küsste sie auf ihr Haar, bevor er sie an seine Seite zog und einen Arm um ihre Schulter legte.
Wilfrid trat zu ihnen. »Ich habe Euch viel zu berichten. Der kleine Godric ist …«
Eirik winkte ab. »Später. Zuerst möchte ich meine Frau … trösten.«
»Aber …«
Eirik ignorierte Wilfrid und die anderen Bediensteten. Larise und Emma wurden von Girta auf der anderen Seite des großen Saals zurückgehalten. Später … später würde er seine Kinder begrüßen, wie es sich gehörte. Einstweilen wollte … nein, musste er mit seiner Frau allein sein.
Kaum war die Schlafzimmertür hinter ihnen zugefallen, drückte Eirik Eadyth auch schon mit dem Rücken an dieselbe und legte seine Hände rechts und links neben ihr Gesicht. Ihre Augen flackerten wild, und sie weigerte sich, seinen prüfenden Blick zu erwidern. Und sie seufzte leise, als hätte sie Schmerzen.
»Eadyth, Liebste«, sagte er heiser und umfasste mit einer Hand ihr Kinn, um sie zu zwingen, ihn anzusehen. »Hast du mich genauso vermisst, wie ich dich vermisst habe?«
»Schrecklich. Ich habe dich schrecklich vermisst«, gab sie ohne das geringste Zögern zu.
Eiriks Herz öffnete sich so weit, dass es ihm geradezu die Brust zu sprengen drohte, und ein fast schmerzhaftes Ziehen durchzuckte seine Lenden. Er zog Eadyth an sich und ließ sie den Beweis seiner Begierde spüren, um ihr zu zeigen, wie sehr auch er sie vermisst hatte.
»Es waren bestimmt sehr viele schöne Frauen an Edreds Hof«, stellte sie fest, bevor sie liebevoll mit einem Zeigefinger sein Kinn nachzeichnete und dann sehr sanfte, kleine Küsse darauf hauchte.
»Bestimmt«, sagte er rau. Sein Blut begann zu rasen, seine Haut wurde ganz fiebrig heiß. Wieder ging ein so heftiges Ziehen durch seine Lenden, dass er sich zwingen musste, seine Frau nicht einfach auf das Bett zu werfen und auf der Stelle zu nehmen.
Sie bog ihm ihre Hüften entgegen, und Eirik sog scharf den Atem ein, als er sah, dass sie ihn mit der gleichen Leidenschaft begehrte wie er sie.
»Und bestimmt waren diese Frauen auch … entgegenkommend zu dir.«
Glaubt sie wirklich, ich würde, nachdem ich sie hatte, andere Frauen auch nur bemerken? Zweifellos. Erfreut sah er, dass in ihren Augen Zorn aufflammte.
»Und waren sie auch artig und gefügig?«
Ist das meine kratzbürstige Eadyth, die so verletzbar und unsicher aussieht? »Zweifelsohne«, sagte er mit sanfter Stimme und lächelte an ihren Lippen.
Sie biss ihn in die Unterlippe, um ihm ihr Missfallen kundzutun.
Er tat das Gleiche auch bei ihr, bevor er hinzusetzte: »Doch merkwürdigerweise habe ich mich nach Widerspenstigkeit gesehnt … und nach einer Frau, die mich gefügig zu machen weiß. Kennst du vielleicht zufällig so eine Frau?«
»Vielleicht.« Und nun lächelte auch sie an seinen Lippen.
Eirik berührte mit der Zungenspitze ihr entzückendes kleines Muttermal, und dann strich er zwischen ihren Lippen entlang, die sich auch prompt unter einem unbewussten kleinen Seufzer teilten. »Also sag mir, meine nicht-so-artige und nicht-so-gefügige Frau, was du dir von mir wünschen würdest?«
»Dass du meine Sehnsucht stillst«, sagte sie zu seiner Überraschung leise. »Kannst du mich von diesem süßen, heißen Schmerz erlösen, der mich überkommen hat?«
Eiriks Knie gaben fast unter ihm nach. Er hob Eadyth an der Taille an, bis ihre Füße den Boden nur gerade noch berührten, und schob sich zwischen ihre weit gespreizten Beine.
Sie legte aufstöhnend den Kopf zurück.
»Ich bin fast blind, Eadyth, das weißt du …«
Sie gab einen ungläubigen Laut von sich.
»… deshalb wirst du mir schon zeigen müssen, wo es … schmerzt.«
Aus halb geschlossenen, vor Verlangen ganz glasig gewordenen Augen blickte sie zu ihm auf. Ohne ihren Blick von ihm abzuwenden, nahm sie eine seiner Hände und legte sie nur stumm über ihr Herz.
Und da verlor Eirik fast auch den letzten Rest seiner mühsam aufrecht erhaltenen Selbstbeherrschung. Mit beiden Händen umfasste er ihren Kopf, küsste sie mit hemmungsloser Leidenschaft und ließ all den Gefühlen, die sich in den letzten beiden Wochen in ihm aufgestaut hatten, endlich freien Lauf. Drängend presste er seinen Mund auf ihren und drang mit seiner Zungenspitze zwischen ihre Lippen, um die feuchte warme Höhlung ihres Mundes zu erforschen. Er glaubte, vor Lust und Wonne zu vergehen, als sie seinen harten, besitzergreifenden Kuss mit unverhohlener sinnlicher Begierde erwiderte.
Er wollte sie in Besitz nehmen und von ihr in Besitz genommen werden.
Er wollte sie verbrennen mit der Hitze, die auch ihn verbrannte. Und er wollte, dass sie ihn ganz und gar mit ihrem Feuer umgab.
Er wollte sie bis ans Ende aller Tage lieben. Und er wollte, dass sie diese Liebe erwiderte.
Aber sagen konnte er nur: »Eadyth …«, leise, staunend, immer wieder, zwischen Küssen und fieberhaften Zärtlichkeiten und einem sinnlichen Begehren, das sich steigerte und steigerte, bis es fast nicht mehr zu ertragen war. Und schließlich zwang er sich, den Kuss zu unterbrechen, weil er kaum noch Luft bekam. Er ertrug es einfach nicht mehr länger. Und so hob er Eadyth auf die Arme und trug sie zu dem breiten Bett hinüber.
Mit ungeduldigen, fahrigen Bewegungen zogen sie einander aus und zerrissen in ihrer Hast sogar das ein oder andere Stück Stoff. Als sie beide vollständig entkleidet waren und schwer nach Atem rangen, beugte Eirik sich über seine Frau und ließ sich zwischen ihren Schenkeln nieder. Dann schob er eine Hand zwischen ihre Beine und berührte das ihm schon vertraute weiche Haar an ihrer intimsten Körperstelle.
»Du bist bereit für mich, Eadyth«, sagte er heiser, als er ihre warme Feuchte spürte.
»Ich bin schon seit Tagen bereit für dich, mein Liebster. Vielleicht sogar schon ein Leben lang«, gestand sie flüsternd.
»Auch ich habe seit Tagen an nichts anderes gedacht«, sagte Eirik mit zusammengebissenen Zähnen, als er langsam, so quälend langsam, dass er fast nicht atmen konnte, in ihre samtene Feuchte eindrang. Eadyth stöhnte leise auf, und alles schien sich in ihr zusammenzuziehen, als er sie mehr und mehr ausfüllte. Und die wonnevolle Feuchtigkeit, die ihn begrüßte, ließ ihn um ein Haar den letzten Rest seiner Selbstbeherrschung verlieren.
Mit einem halb lustvollen, halb schmerzlichen kleinen Laut schlang Eadyth ihre langen Beine um seine Taille.
Er liebte sie mit beinahe quälend langsamen Bewegungen, die ihn genau wie sie fast an den Rand des Wahnsinns trieben, und hielt dann inne, nur um gleich darauf wieder von vorne zu beginnen. Ohne sich von ihr zu lösen, richtete er sich auf die Knie auf und hob mit beiden Armen ihren Oberkörper an, um ihre Brüste zu seinem hungrigen Mund zu führen. Als er sie küsste und ihre harten kleinen Spitzen zwischen seine Zähne nahm und daran zupfte, zog sich alles in ihr zusammen, und ein heftiges Erschauern durchlief sie. Aber Eirik hielt seine leidenschaftlichen Begierden immer noch im Zaum.
Er füllte sie perfekt, vollkommen aus, körperlich und auch seelisch. Er wollte alles, was sie zu geben hatte, und dann noch mehr.
Er war neben ihr, über ihr, unter ihr, um sie herum – berührte, küsste, liebte und liebkoste sie. Er konnte nicht sagen, wo ihr Körper begann und der seine endete. Dass sie sich so wild herumwarf, sprach eine ganz und gar ursprüngliche, animalische Seite in ihm an.
»Lass … es geschehen«, bat sie stammelnd.
Das Blut dröhnte in seinen Ohren wie ein heftiger Sturm auf einer aufgewühlten See.
Er stützte sich auf seine Ellbogen und lehnte sich zurück. »Sieh mich an, Eadyth«, verlangte er mit rauer Stimme. Als sie nur leicht die Lider anhob und verträumt zu ihm aufblickte, befahl er: »Nein, mach die Augen auf. Sieh mich richtig an.«
Als er sich ihrer vollen Aufmerksamkeit sicher war, zog er sich fast ganz aus ihr zurück. »Ich liebe dich, Eadyth. Hörst du? Ich … liebe … dich.«
Ihre Augen wurden groß, und Tränen verschleierten ihren Blick, als sie dann lächelte. Ein wundervolles, sanftes, atemberaubendes Lächeln, das fast schon wie ein Streicheln war. »Ich liebe dich auch. Oh, Eirik, vergiss nie, dass ich dich auch liebe.«
Und da gab er jede Selbstbeherrschung auf und überließ sich vollkommen dem Rausch der Lust. Immer schneller bewegte er sich, liebte sie in einem ungezügelten, stürmischen Tempo, bis erst sie und dann er zu einem Höhepunkt gelangten, bei dem alles um sie herum zu versinken schien. »Ich liebe dich, Eadyth«, flüsterte er heiser, bevor er sich ermattet auf sie sinken ließ.
Ein erstaunliches Gefühl der Einheit und Verbundenheit erfüllte ihn, als er langsam aus dem Abgrund erotischer Verzückung auftauchte, sich zur Seite rollte und Eadyth mit sich zog. Dieses wundervolle Verschmelzen von Geist und Seele, das sie soeben erfahren hatten, war so viel mehr als nur ein körperlicher Akt. Eirik suchte nach den richtigen Worten, um Eadyth zu sagen, was er empfand, als er ihr seidiges Haar und ihre glatte Schulter streichelte. Aber dann bemerkte er, dass Eadyth leise, aber heftig weinte.
Er stützte sich auf einen Ellbogen, um seine Frau, seine über alles geliebte Frau anzusehen. »Ist das eine Art, auf meine erste Liebeserklärung zu reagieren, Eadyth?«, scherzte er, seltsam gekränkt in Anbetracht ihrer Tränen.
Sie versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr nicht. Und so streichelte sie stattdessen seine Wange und sagte leise: »Deine Liebe bedeutet mir mehr als alles andere auf der Welt. Vergiss das bitte nie, niemals Eirik.«
Nie, niemals? Das Wort hatte einen ominösen Klang für Eirik. Er verengte seine Augen und musterte sie prüfend. Seine verdammte Schwachsichtigkeit! Er blinzelte und lehnte sich ein wenig zurück, um besser sehen zu können. Sie hatte dunkle Schatten unter ihren Augen, und ihre schönen Lippen waren ganz schmal vor Anspannung. Hatte sie bei seiner Ankunft schon so ausgesehen? Oder hatte ihr Liebesakt sie so verstört? Oder schlimmer noch, war es wegen seines Eingeständnisses, dass er sie liebte?
»Sag mir, was dich bedrückt, Eadyth«, verlangte er und setzte sich auf. »Habe ich irgendwie dein Missfallen erregt?«
»Oh nein, es hat nichts mit dir zu tun«, beruhigte Eadyth ihn und wandte dann schuldbewusst die Augen ab, als versuchte sie irgendetwas vor ihm zu verbergen. Trotz seiner schlechten Augen konnte er sehen, dass sie versuchte, sich zu sammeln. Sie hatte ihm von Godrics Verschwinden erzählt und ihm auch berichtet, dass sie sich im Wald verirrt hatte. Aber sie hatte es ganz bewusst vermieden, ihn anzusehen, als er sie in kühlem Ton gefragt hatte, warum sie seine Anordnungen missachtet und die Burg verlassen hatte, und von ihr hatte wissen wollen, wo genau im Wald sie sich verirrt hatte.
»Wir werden Godric finden«, versprach er ihr und sah, wie ihr Blick nervös durchs Zimmer huschte. Er nahm ihre zitternden Hände in die seinen und fragte: »Ist das alles, Eadyth?«
Sie nickte, hatte dabei aber einen so merkwürdig verschlossenen Ausdruck im Gesicht, als ob sie in Gedanken ganz woanders wäre.
»Und du hattest keine weiteren Begegnungen mit Steven?«, fragte Eirik, als er sich wieder neben sie legte, mit der Fingerspitze ihren Arm hinunterstrich und dann die Innenseite ihres Handgelenkes küsste.
Sie erschauerte, aber er hätte nicht sagen können, ob sie es wegen seiner Berührung oder aufgrund seiner Frage tat. Dann schüttelte sie den Kopf. Eirik schaute noch genauer hin und sah, dass sie über und über errötet war.
»Warum fragst du überhaupt nach Steven?«, erwiderte sie zögernd und ballte die Hände an ihren Seiten zu Fäusten.
Eirik zuckte mit den Schultern und spürte, wie ihn ein ungutes Gefühl beschlich. »Nur so. Du kommst mir so nervös und … ängstlich vor.«
Er spürte, wie sich der Puls an ihrem Handgelenk beschleunigte. Wieder blickte er ihr prüfend ins Gesicht und suchte nach weiteren verräterischen Reaktionen. »Und das ist alles?«
Sie zögerte. »Ja.«
Und da wusste Eirik, dass er von seiner Frau nach Strich und Faden belogen wurde. Die Frau, der er gerade unsterbliche Liebe geschworen hatte, verbarg schon wieder etwas vor ihm. Ein scharfer Schmerz durchzuckte ihn.
Frauen und Lügen, die ewige Verbindung! Verdammt noch mal! Würde er es denn niemals lernen?