Polizeiobermeister Wagner schien auf diesen Moment nur gewartet zu haben. Er kniff die Brauen zusammen, was die Augen noch enger zusammenführte, sodass sie sich über den Nasenrücken hinweg sozusagen die Hände reichen konnten. »Der Tote«, sagte er gedehnt, »ist unser Wilhelm Kock.«
»Unser?«
»Ein Vennebecker, meine ich.«
Hufeland verstand. Vennebeck, hieß das, war noch eine große Familie. Das konnte heiter werden. Alle denkbaren Intrigen und Familienkräche eingeschlossen.
»Kock war Unternehmer hier am Ort. Verheiratet, ein Sohn, der Bruno. Bruno Kock. Wohnt auch in Vennebeck. Genauso wie Werner, der Bruder vom alten Kock. Unser Gemeindegärtner, Lanfermann, hat ihn gefunden. Also, den Kock Wilhelm jetzt.«
Na, den Rest der Familie wohl kaum, dachte Hufeland. »Interessant«, sagte er. Und mit einem knappen Nicken forderte er Wagner auf, fortzufahren.
»Paul, also der Lanfermann, rief mich an, und ich fand den Kock auf dem Grab dort.« Sein Kopf ruckte leicht nach rechts, der Otterschwanz nach links.
»Wo ist der Zeuge jetzt?«, fragte ihn Hufeland.
»Welcher Zeuge?«
»Na, Ihr Friedhofsgärtner, Lanfermann! Wo steckt er?«
»Ach, der!« Wagner lachte kurz auf. »Tut mir leid, den können Sie zurzeit nicht sprechen. Ihm ging’s nicht so gut. Gestern Abend einen über den Durst getrunken.« Wagner unterstrich es durch zwei schnelle Kippbewegungen mit der Hand.
»Die Leiche ist ihm nicht zufällig auf den Magen geschlagen, nein?«, warf Kevin Kuczmanik ein.
Wagner blickte ihn an, als sei er nicht ganz sicher, ob die Frage ernst gemeint war.
»Wessen Grab ist das, Herr Wagner?«, wollte Hufeland wissen.
»Das von Lene Kock, seiner ersten Frau. Das heißt«, er kratzte sich amüsiert-verlegen im Nacken, »eigentlich war die andere Hälfte sowieso für Wilhelm vorgesehen.«
»Ein Doppelgrab«, erläuterte Kevin Kuczmanik, was Hufeland durchaus schon verstanden hatte.
»Wobei nicht ganz klar ist, ob er wirklich noch neben seiner früheren Frau hätte ruhen … also liegen wollen«, schob POM Wagner genüsslich hinterher.
Hufeland schickte genervt einen heftigen Atmer durch seine großen Nasenlöcher. »Weiter, Wagner!«, drängte er. »Was haben Sie unternommen?«
»Na ja«, sagte Wagner gedehnt und arbeitete dabei seine Brust heraus, »hab ihn kurz untersucht, den Kock. Tot, ganz klar. Ein Unkrautstecher oder so im Kopf. Wissen Sie, die Sorte mit so einem langen, spitzen Dorn. Steckte in seinem linken Auge, das Gerät. Bis ins Hirn, vermute ich mal.«
»So, vermuten Sie«, brummte Hufeland unergründlich. »Ich wurde von der Zentrale informiert, dass Sie von einem Unfall ausgehen, Herr Wagner?«
»Was mit Sicherheit voreilig wäre«, konnte sich Kevin nicht verkneifen.
»War bloß mein erster Eindruck, Herr Kommissar«, rechtfertigte Wagner sich erschrocken. »Ich meine, gestern war Allerseelen, und vielleicht ist Kock gestolpert und in das Stecheisen … na ja, Pech gehabt.«
»Er stürzt zufällig genau mit dem Auge in einen herumliegenden Unkrautstecher? Ist das Ihr Ernst?«, fuhr Hufeland ihn an.
Der Polizist zog wie ein Dackel, die geklaute Wurst noch zwischen den Zähnen, die Lefzen hoch. »Vielleicht in der Dämmerung«, schlug er lustlos vor.
»Ach, richten sich Unkrautstecher neuerdings von selbst auf, wenn es dunkel wird, ja? Und woher wissen Sie eigentlich, dass es in der Dämmerung geschah?«
POM Wagner zuckte die Achseln. »Bloß angenommen. Wird ja schon früh duster um die Jahreszeit. Und im Hellen hätte ihn doch gleich jemand gefunden, oder? An Allerseelen ist zwar nicht mehr so viel Betrieb auf dem Friedhof wie früher, aber immer noch mehr als an den anderen Tagen.«
»Wie auf dem Rummel, was?«, lachte Kevin.
Wagner zuckte zusammen wie von einer Stecknadel im Hemd. »Lanfermann sagt jedenfalls, an Allerseelen kommen die Bummelanten«, rechtfertigte er sich. »Das ganze Jahr keine Zeit, Allerheiligen verschlafen, also Allerseelen auf den letzten Drücker frische Blumen aufs Grab gehauen. Diese Sorte.«
Hufeland hatte eine unangenehme Assoziation zu den Blumen für seine Mutter, die er heute selbst vergessen hatte. Die Techniker, bemerkte er jetzt, machten Platz am Grab, auf dem der Tote lag. Er fing ein Zeichen des Kollegen Möllring auf, ließ Wagner und Kevin stehen und schritt auf die Leiche zu, um sie von allen Seiten in Augenschein zu nehmen.