KAPITEL 11

Noch kaum, dass Gaiswinkler am folgenden Tag die Augen aufgeschlagen hatte, erhielt er die Nachricht, er könne die erste Befragung vornehmen. „Einen recht schönen guten Morgen, junger Herr. Obersthofmeister Wolf Siegmund Rumpff von Wullross lässt Euch ausrichten, dass der Botschafter von Mantua bereit ist, Euch Audienz zu gewähren. Er speist bis zwölf Uhr, und danach will er Euch kurz Auskunft geben“, begrüßte ihn der Trabant Miguel, der mit von der Kälte geröteter Nase im Eingangsbereich des Palais stand. Gleich darauf nannte der Leibgardist ihm auch eine Adresse unweit der Moldau und fügte bedauernd hinzu: „Viel Glück, erwartet Euch aber nicht zu viel.“

Das unfreundliche, frostige Wetter, das Gaiswinkler begleitete, als er ein paar Stunden später durch die Gassen zum Flussufer hinunterwanderte, sollte ganz seinem Besuch bei Andrea Galeazzo entsprechen. Der Empfang durch den Botschafter war von Beginn an distanziert und eiskalt. Offensichtlich hätte dieser einen Nicht-Adeligen ohne die Bitte oder Anweisung des Obersthofmeisters nicht einmal ins Haus gelassen, ganz zu schweigen von dem pompösen Zimmer, in dem er den Salzamtsgegenschreiber mürrisch aufforderte, Platz zu nehmen. Alles in dem Palais wirkte opulent, geradezu protzig. Die Räume wurden von üppigen Fresken, unzähligen orientalischen Teppichen und prunkvollen Waffen fast schon erschlagen.

Galeazzo schien nicht nur das Prahlerische zu lieben, sondern auch sehr eitel zu sein. Immer wieder strich er sich durch seine Haare, die ihm in kräftigen Wellen bis auf die Schultern fielen. Er saß keineswegs entspannt in dem breiten Armstuhl und versprühte eine unbeschreibliche Verachtung für seinen Besucher, den er wohl am liebsten gleich wieder hinaus auf die Straße geschickt hätte. Lediglich mit einem hochmütigen Blick bedachte er ihn, keine Miene machend, das Gespräch zu eröffnen. Obwohl die Stimmung mehr als unterkühlt war und er unter anderen Umständen sofort aufgestanden und mit einem scharfen Wort von dannen gezogen wäre, blieb Gaiswinkler in dieser Situation nichts anderes übrig, als selbst zu versuchen, eine Unterhaltung zu beginnen.

„Eure Exzellenz waren gestern im Vladislav Saal, wo das Bild eines Mannes, der in einer kleinen Gasse der Kleinseite ermordet aufgefunden wurde, aufgestellt war“, hob er an, während er sich bemühte, die ihm entgegengebrachte Feindseligkeit an sich abprallen zu lassen. „Ich habe bemerkt, dass Eure Exzellenz sehr heftig auf dieses Porträt reagiert haben. Kennt Exzellenz vielleicht die Person, die Bartholomäus Spranger abgebildet hat?“

„Was fällt Ihm ein, mich mit einem abscheulichen Verbrechen in einem Atemzug zu nennen? Ich konnte den Mann nicht erkennen, weil ich ihn noch nie gesehen habe. Aber natürlich hat mir der arme Teufel leidgetan, daher wohl meine Reaktion. Jedenfalls kann ich mich nicht an jemanden erinnern, dem ich nie begegnet bin. Um was geht es hier eigentlich?“

Gaiswinkler schwenkte nun ins Italienische, in die Muttersprache des Botschafters, denn er hoffte, dass dies der Sache dienlicher wäre: „Wir sind ohne jede Vermutung, wer der Tote ist. Weder kennen wir seinen Namen, noch haben wir eine Ahnung über sein Leben. Daher suchen wir jemanden, der Bekanntschaft mit ihm gemacht hat und etwas über seine Person preisgeben kann. Der Obersthofmeister, der mich mit der Nachforschung beauftragt hat, appelliert an alle, die etwas wissen, und sei es auch noch so wenig, ihre Kenntnis weiterzugeben. Immerhin handelt es sich dem Gewand und der Erscheinung nach bei dem Mordopfer sehr wahrscheinlich um einen Adeligen. Es ist also nicht die Frage, wer einen Bettler oder Landstreicher getötet hat, sondern jemanden von Euresgleichen. Jeglicher Hinweis wäre daher für den Obersthofmeister äußerst wichtig, und ich bitte Eure Exzellenz, mit dem Hof zusammenzuarbeiten.“

„Es nutzt Ihm auch nichts, wenn Er in einem schlechten, bäuerlichen Italienisch mit mir spricht. Selbst, wenn ich ihn gekannt hätte, was hat das mit dem Mord zu tun? Ich habe bereits gesagt, ich weiß nichts über diesen Mann und will, oder besser kann, Ihm nicht helfen. Auf meinen zahlreichen Reisen in unterschiedliche Länder bin ich so vielen Menschen begegnet. Sei es am spanischen Hof der Habsburger oder in Frankreich, wo ich am Zustandekommen eines bedeutungsvollen Friedensvertrages mitgearbeitet habe. Auch in Rom beim Papst, in Florenz bei Francesco I. de Medici, in Urbino bei den della Rovere, im grandiosen Venedig mit seinen Kanälen und Brücken und in der glanzvollen Hafenstadt Genua lernte ich zuhauf Leute kennen. Ich war sogar Botschafter im Osmanischen Reich, in Konstantinopel, das ich viel wunderbarer empfunden hätte, wenn es eine christliche Stadt geblieben wäre. Die schönsten Frauen sind dort verschleiert und gänzlich verhüllt. Sie hätten einem viel sinnliche Freude und Lust bieten können“, schnaubte Galeazzo, und etwas an seinem Blick schien plötzlich gierig geworden. „Wie gesagt, ich bin in meinem Leben viel herumgekommen, und es ist unmöglich, sich alle, die man dabei getroffen hat, zu merken. Und nun Schluss, es reicht mir, ich habe dieses Gefrage satt. Er soll mein Haus wieder verlassen, ich habe Wichtigeres zu tun.“ Mit einer wegwerfenden Handbewegung unterstrich er, dass die Audienz damit beendet war.

Da es ihm mehr als aussichtslos erschien, sinnvolle Antworten zu bekommen, bedankte sich Gaiswinkler und verließ das Palais. Er wusste so viel, oder besser so wenig wie zuvor. Niedergeschlagen steuerte er die Burg an, um Wolf Siegmund Rumpff vom Wullross Bericht zu geben. Da sich dieser noch bei Rudolf II. aufhielt, musste er länger auf ihn warten. Es war einer jener Tage, an dem der launische Kaiser ausschließlich seinem Obersthofmeister Zutritt gewährte.

Rumpff sah nach der Unterredung mit Seiner Majestät ziemlich gereizt aus, doch nachdem er Gaiswinkler in seinem Zimmer begrüßt hatte, erhellte sich langsam seine Miene. Sein prüfender Blick hatte festgestellt, dass der junge Salzamtsgegenschreiber bedrückt wirkte.

„Wie ich befürchtet habe, macht Ihr mir keinen zufriedenen Eindruck.“

„Da gehen Eure Exzellenz leider recht in der Annahme. Mein Versuch, mehr über den Toten herauszufinden, ist gescheitert. Der mantuanische Botschafter hat mich deutlich spüren lassen, dass ich ihm nicht ebenbürtig bin, und hätte sicher nichts Lieberes getan, als mich auf der Stelle hinauszuwerfen. Er beteuerte lediglich, das Mordopfer niemals gesehen zu haben, geschweige denn zu kennen. Was ich allerdings nicht glaube. Dazu war sein Ausdruck des Erschreckens im Vladislav-Saal zu deutlich. Einem Menschen gegenüber, der ihm angeblich unbekannt ist, hätte er nicht so intensive Gefühlsregungen gezeigt. Und bei dem Wenigen, was er mir schilderte, kam es mir so vor, als ob er von etwas ablenken wollte.“

Rumpff nickte verständnisvoll. „Galeazzo ist ein eitler Mann, an den man nicht herankommt. Er spricht immer nur von sich und was er als Diplomat schon alles erreicht hat. Wenn es Euch beruhigt, er ist auch gegenüber den Aristokraten aus der Habsburgermonarchie voreingenommen. Seine Familie stammt ursprünglich aus der Toskana. Die Toskaner sind der Meinung, dass sie die Größten sind und die Kultur, die Diplomatie und auch sonst noch alles erfunden haben. Mit einigen dieser Menschen habe ich mehrmals vergeblich versucht, ein Thema abzuhandeln. Also nehmt es nicht zu ernst, wenn dieser erste Versuch nicht erfolgreich war.“

Dass der Obersthofmeister mit dem Botschafter auch nicht zurechtkam, war zwar tröstlich, Gaiswinkler blieb aber dennoch verdrossen. Alle Aristokraten, mit denen er bisher zu tun gehabt oder auch längere Gespräche geführt hatte, waren zumindest stets oberflächlich freundlich geblieben. Keiner von ihnen hatte so offensichtlich auf ihn herabgeblickt. Galeazzo aber verletzte jegliche Gesetze der Höflichkeit.