KAPITEL 14

Christoph Praunfalk, der oft mürrisch aufgelegt sein konnte, war an diesem Abend sehr guter Laune. Und das, obwohl sein Vorsprechen auf der Burg wegen der Saline tagsüber nicht sehr erfolgreich verlaufen war. „Stell dir vor“, sagte er, während er entspannt an einem der Bücherschränke in der Bibliothek Hoffmann von Grünbühels lehnte und Gaiswinkler dabei zusah, wie dieser am Lesepult eine umfangreiche Druckschrift durchblätterte, „die langsame Bürokratie am Hof hat mich heute zwar fast in den Wahnsinn getrieben, da dort oben der Eine zum Nächsten schiebt, weil dieser angeblich zuständig ist, dieser wieder zum Nächsten und so weiter, bis man am Schluss vermutlich wieder beim Ersten landet, aber dieser anstrengende Vormittag hatte dann eine sehr angenehme Fortsetzung. Du erinnerst dich daran, dass wir bei der Auffindung der Leiche auf der Kleinseite eine junge Frau mit einem auffallenden Rock gesehen haben?“

„Natürlich, dieses Mädchen hat uns ja dank deiner Neigung zu jungen Weibern in den Mordfall geführt“, erwiderte sein Freund und grinste, ohne von seiner Lektüre aufzublicken.

„Spar dir diesen spöttischen Ton, Matthias, zumal ich bemerkt habe, wie du die – zugegeben sehr hübsche – Magd meines Onkels ansiehst. Jedenfalls habe ich diese Frau auf meinem Weg hinunter vom Hradschin getroffen und sie freundlich gegrüßt. Da sie mich auch gleich erkannt hat, stellten wir uns einander vor. Sie heißt Veronika, stammt aus Meißen im Kurfürstentum Sachsen und ist die Tochter von Moritz Andraský Ritter von Audráz, der vor wenigen Monaten gestorben ist. Da ihre Mutter auch nicht mehr lebt, wurde sie nach dem Tod ihres Vaters von entfernten Verwandten hier in Prag aufgenommen, der Familie der Herren von Laiming. Veronika und ich gingen dann – trotz des kühlen Wetters – ein wenig bei den Gärten spazieren, und sie rutschte auf einer der Eisplatten aus. Obgleich ich sie noch auffangen konnte, verstauchte sie sich dennoch den Knöchel, und ich musste sie – teilweise stützend, teilweise tragend – nach Hause bringen. Ich weiß nicht, wie das weitergehen wird, aber ich glaube, ich habe mich verliebt.“

„Das habe ich von dir schon etliche Male gehört, und wenn der nächste Rock auftritt, sieht alles anders aus.“

„Nein, diesmal wird das nicht passieren. Es ist sicher nicht so wie sonst … Doch kommen wir nun zu etwas anderem, wie war dein Gespräch mit dem Jesuiten?“

Gaiswinkler zog die Augenbrauen hoch und seufzte. „Ach, der war noch schlimmer als der eingebildete mantuanische Botschafter gestern. Dieser furchtbare Papist wollte sogar mit mir beten. Außerdem hat er schreckliche Dinge über alle Nicht-Katholiken gesagt und sich ausführlich über die zu nachsichtige Behandlung der Ketzer durch den Kaiser geäußert. Auch als ich ihn über seinen Aufenthalt in Konstantinopel fragte, hat er darüber nur geflucht.“

„Ich weiß nicht, ob das eine Spur in dem Mordfall ist“, warf Praunfalk ein, „aber vielleicht kann dir mein Onkel, wenn er hoffentlich bald wieder gesund ist, mehr über seine Zeit im Osmanischen Reich erzählen. Er war ja im Gefolge der kaiserlichen Botschaft dort.“

„Es wäre freilich ein großer Zufall, wenn dieser Mord auf irgendeine Weise mit Konstantinopel in Zusammenhang steht, ganz auszuschließen ist es allerdings nicht. Denn es ist wirklich etwas seltsam, dass so viele in dem Umfeld eine Reise dorthin unternommen haben. Auch abgesehen von meinen Nachforschungen, würden mich die Schilderungen deines Onkels über den Orient aber sehr interessieren. Wie herrlich doch David Ungnad von Sonnegg in seinem Reisebericht, den ich hier vor mir habe, die Dinge dieser anderen Kultur schildert. All das werde ich wohl nie zu sehen bekommen.“

„Nun, ich bin nicht sicher, ob von Kultur in dieser brutalen Gesellschaft, die ständig mit großer Beharrlichkeit Krieg führt, die Rede sein kann. Aber manche Bemerkungen meines Onkels lassen mich vermuten, er könnte dir auch viel von dem erzählen, was er an Schönem in diesem Land gesehen hat. Wappne dich jedoch mit Geduld. Er spricht gerne über alles so lange und begierig, dass es einem nur hilft, wenn man während seines Vortrags einige Gläser des guten Weines trinkt.“

Praunfalk hatte den letzten Satz noch kaum beendet, als Božena den Kopf bei der Tür hereinsteckte. Sie nickte den beiden fröhlich zu und kam dann so schwungvoll in die Bibliothek hereingeschwirrt, dass sich einige Locken aus ihrem an diesem Tag nur locker zusammengesteckten Haar lösten. „Der Trabant, der bereits am Morgen hier gewesen ist und dich, Matthias, in die Stadt begleitet hat, steht wieder mit einer Nachricht des Hofes vor dem Haus“, verkündete sie und bot an, die herausgenommenen Bücher in die Schränke zurückzustellen, damit die zwei unverzüglich zum Portal eilen konnten, wo Miguel wartete.

Was der Leibgardist mitzuteilen hatte, erwies sich von großer Tragweite. Salomon Porticus habe sich bereit erklärt, am kommenden Tag ein Gespräch mit dem Salzamtsgegenschreiber zu führen, und bei diesem Gespräch würde auch der Kaiser anwesend sein. „Da es sich bei dem Alchemisten um einen Mann handelt, der viele Geheimnisse erforscht hat und ein Wissen besitzt, das nicht nach außen dringen darf, kann man ihn nicht allein mit Euch sprechen lassen“, erklärte Miguel, dem man am Hradschin oben auch ein Paket mitgegeben hatte, in dem sich elegante Kleidung befand, die Gaiswinkler am nächsten Tag tragen sollte. „Denn“, so erläuterte der Trabant, „bei einem Treffen in Anwesenheit Seiner Majestät Rudolfs II. muss man entsprechend angezogen sein.“

Er, der unbedeutende Ausseer, würde morgen den Kaiser treffen! Bei Gaiswinkler machten sich gleichzeitig Stolz, Angst und Beklemmung breit. Doch es half nichts, Miguel drückte ihm den Pack mit dem Gewand in die Hand und bekundete nochmals, wann er am nächsten Tag bereit zu sein habe. Auch Praunfalk, der die ganze Zeit schweigend zugehört hatte, war zwiegespalten. Auf der einen Seite freute es ihn, dass seinem Freund eine solche Ehre zuteilwerden sollte, andererseits verspürte er tiefen Neid, denn schließlich war er der Ranghöhere und ein Adeliger, Matthias hingegen nur der Sohn eines Wirtes, von nicht einmal dem größten Gasthaus in Aussee. „Ich gratuliere dir von ganzem Herzen“, sagte er, wobei er versuchte, so gut es ging, seine Enttäuschung zu verbergen. „Es ist ein ganz besonderes Ereignis, den Kaiser persönlich zu sehen und mit ihm sprechen zu dürfen. In dieser Gunst zu stehen, ist ungewöhnlich für einen Mann in deinem Alter, deiner gesellschaftlichen Herkunft und deiner Konfession.“

„Ich habe dir viel zu verdanken, Christoph, ohne dich wäre ich wohl nie nach Prag gekommen. Wie sehr wünschte ich mir, dass auch du von Seiner Majestät empfangen würdest“, erwiderte Gaiswinkler, und er meinte es aufrichtig. Als sie sich wenig später in ihre Zimmer zurückzogen, fühlte er sich, obwohl er eigentlich glücklich sein sollte, schlecht. Er lag auf seinem Bett und starrte an die Decke, mit zu vielen quälenden Fragen. Auf welche Weise er den Kaiser anreden musste, wusste er, aber welche Umgangsformen waren sonst gefragt? Reichte es, sich vor dem Kaiser tief zu verbeugen oder enthielt dieses komplizierte Zeremoniell noch andere Dinge, die es unbedingt zu beachten galt? Schließlich konnte er ja nicht darauf hoffen, dass Rudolf II. Rücksicht auf den Umstand nahm, nicht mit einem adeligen Höfling zu sprechen, sondern mit einem einfachen Menschen von niederem Stand. Während er so vor sich hin grübelte, klopfte es. Es war Božena, die ihm einen Krug voll heißem Gewürzwein und ein großes Stück safrangelben Kuchen brachte. „Darf ich überhaupt noch mit dir sprechen, jetzt wo dir morgen der Kaiser Audienz gewährt?“, fragte sie, schelmisch, wie sie war.

„Hier können keine Geheimnisse länger als zwei Atemzüge verschwiegen bleiben. Woher weißt du, was mir Miguel mitteilte?“

Die junge Magd zuckte nur mit der Schulter. „Das ist doch bereits im ganzen Haus bekannt.“ Dann betrachtete sie ihn nachdenklich. „Du scheinst mir aber nicht besonders glücklich zu sein“, stellte sie fest.

„Setz dich doch und nimm dir einen Schluck“, forderte Gaiswinkler sie auf und räumte einige Papiere von dem Armstuhl beim Fenster. Kurz darauf nahm auch er wieder Platz, im Schneidersitz auf seinem Bett, und ihr den warmen Wein aus seinem Becher reichend, begann er, ohne zu zögern, von seinen Nöten zu erzählen.

Božena hörte ihm aufmerksam zu, stellte dabei auch ab und zu eine Frage, bis sie ihn schließlich beruhigte: „Nun, ich denke, deine Furcht ist unbegründet. Man berichtet zwar, dass der Kaiser rasen, toben und schreien kann und ein schwieriger Mensch sei, doch er ist klug, und in seinem Umfeld gibt es einige, die nicht seines Standes sind und anfangs wohl ebenfalls nicht ganz mit dem offensichtlich sehr komplizierten Zeremoniell bei Hof vertraut waren. Ich bin mir sicher, Rudolf II. wird bei dir über so manchen Fehler hinwegsehen.“

Sie sprachen noch eine ganze Weile weiter, teilten sich das Stück Kuchen und leerten gemeinsam den Krug Wein. Als Božena Gaiswinkler knapp vor Mitternacht verließ, hatte er ihr viel von den letzten Tagen und so einiges aus seinem Leben anvertraut. Zum Abschied wünschte sie ihm Glück für den nächsten Tag und küsste ihn dann plötzlich auf beide Wangen, bevor sie geschwind, damit er nicht sah, wie sehr sie dabei errötet war, die Tür hinter sich zuzog und entschwand.