KAPITEL 15

Schon kurz nach dem ersten Krähen des Hahnes, der mit seinen sieben Hennen neben schnatternden Gänsen und mehreren Volieren voller Fasane und Tauben im Wirtschaftshof des Gartens lebte, wurde Gaiswinkler vom ältesten Diener des Hauses, den er ansonsten nur selten zu Gesicht bekam, geweckt. Praunfalk hatte noch am Vorabend veranlasst, dass an diesem Morgen ein Zuber in der Badestube für ihn bereitstand. In den kleinen Raum schleppten mehrere Bedienstete in großen Krügen das heiße Wasser für das erste Bad, das er seit Längerem nehmen konnte, herbei. Dank der Seife, die man ihm für den heutigen besonderen Tag zur Verfügung stellte, duftete es nach wildem Majoran, Quendel, Lavendel und manch anderen Kräutern. Nachdem der greise Mann ihn in dem warmen Nass fleißig geschrubbt und nach dem Abtrocknen auch noch mit wohlriechenden Ölen eingerieben hatte, zog Gaiswinkler das neue Gewand an. Es passte perfekt – demjenigen, der es besorgt hatte, musste eine meisterhafte Gabe zur Abschätzung der Größen einzelner Kleidungsstücke eigen sein. Die relativ weite Tracht gab ihn deutlich als Bürger zu erkennen und zeigte unterschiedlich abgestufte Grüntöne. Er trug Unterkleider und ein Hemd aus feinem Leinen, ein bis zur Taille reichendes Wams, eine gepluderte Oberschenkelhose, eine Schaube und auf dem Kopf ein schlichtes Barett ohne jeglichen Firlefanz. Seine Füße bedeckten die vorne sehr breiten Kuhmaulschuhe, deren schwarzes Leder man schlitzte, damit die Farbe der Strümpfe noch besser zur Geltung kam.

Bereits einige Zeit, bevor ihn Miguel abholen sollte, war er bereit. Da das Treffen auf der Burg noch vor dem Frühmahl stattfinden würde, hatte er nach dem Bad nur schnell den morgendlichen Becher Wein und eine Fleischbrühe zu sich genommen, mehr hätte er aber wohl sowieso nicht hinuntergebracht. Der Trabant erschien pünktlich gegen acht Uhr. „Alles wird halb so schlimm, mein Freund“, sagte er aufmunternd lächelnd auf Spanisch, das Gaiswinkler aufgrund seiner Italienischkenntnisse weitgehend verstand.

Den Weg zum Hradschin hinauf legten er und Miguel sehr zügig zurück. Nachdem sie dann in einem Teil der Burg, den er noch nicht kannte, durch etliche Korridore geschritten waren, musste er jedoch – vielleicht gehörte das ja auch zu dem speziellen Zeremoniell des Kaisers – in einem Kabinett länger als eine gefühlte halbe Stunde warten, bis man ihn in einen verhältnismäßig kleinen und privat wirkenden Raum einließ. Dort saß in der Mitte des Zimmers, umgeben von mythologischen Szenen und Jagdmotiven, die auf großen Teppichen die Wände zierten, in einem breiten und mit einer gepolsterten Lehne versehenen Sessel der Kaiser. Auf seinen Knien lag ein Buch mit dem Titel Monas Hieroglyphica, in dem er offenbar gerade gelesen hatte.

Rudolf II. war ganz in Schwarz gekleidet, lediglich seine blendend weiße Halskrause und die goldene Kette mit dem Ordenssymbol des Goldenen Vlieses, dem goldenen Widderfell, hoben sich als Farbtupfer in seiner Erscheinung hervor. Obwohl im großen Kamin ein helles Feuer brannte, trug er auf dem Kopf einen Hut in der Form eines Zylinders, dessen Krempe rundum mit Edelsteinen besetzt war. Seinen eindrucksvollen Anblick machte allerdings nicht seine Kleidung aus, auch nicht sein Vollbart oder sein markantes Gesicht, sondern etwas, das der Kaiser selbst ausstrahlte – etwas, das Gaiswinkler weder beschreiben noch erklären konnte. Er fühlte sich sofort von diesem Mann in Beschlag genommen, und ein kleines Teufelchen flüsterte in ihm: „Weil man weiß, dass er der Kaiser und etwas Besonderes ist, nicht vergleichbar mit den Adeligen oder Klerikern, die sich so viel auf ihre Geschichte und ihre Macht einbilden.“

Im Gegensatz zu seinem Besuch bei dem Jesuiten am Vortag, als ihm Weihrauch und Qualm Übelkeit verursacht hatten, duftete es um ihn herum angenehm nach Lebkuchen und gebratenen Äpfeln. Es erinnerte ihn an das Wirtshaus seines Vaters in Aussee, in dem es zu dieser Zeit des Jahres ähnlich roch. So fiel es ihm etwas leichter, nun all seinen Mut zusammenzunehmen und sich tief zu verbeugen, mit den einfachen Worten: „Guten Morgen, Eure Majestät.“

Rudolf II. wandte sich Gaiswinkler darauf ganz zu und blickte – zur Beruhigung seines Besuchers – sehr freundlich drein. „Er ist also der junge Mann aus Unserer Saline in Aussee, der, wie mir mein Obersthofmeister berichtete, so lobenswerte Beobachtungen bei dem Toten machte, den Er auf der Kleinseite gefunden hat.“

„Ja, Allerdurchlauchtigster Kaiser, ich bin gemeinsam mit Eurem Salzamtsverweser Christoph Praunfalk, der Eurer Majestät seine alleruntertänigsten Wünsche sendet, in diese Geschichte hineingestolpert.“

„Rumpff hat mir dargelegt, dass Er ein sehr fähiger Beobachter ist, auch die Idee mit dem Bild des Toten, das im Vladislav-Saal ausgestellt wurde, war eine sehr abenteuerliche und kluge Maßnahme. Offensichtlich haben zwar einige den Mann erkannt, sind aber nicht bereit gewesen, ihr Wissen über diese Person weiterzugeben. Was mich persönlich interessiert, ist die Tatsache, dass Er meint, mein Alchemist Salomon Porticus wäre einer derjenigen, der mit dem Opfer Bekanntschaft gemacht hat.“

„Eure Majestät müssen entschuldigen, wenn ich es so einfach sage, aber ich denke, dass sich am Ausdruck des Gesichtes einiges über die Gedanken und Gefühle eines Menschen ablesen lässt. Und dieser Ausdruck des Gesichtes war bei drei Männern, als sie das Porträt betrachteten, nicht mehr unter Kontrolle. Mit zwei von ihnen habe ich gesprochen, sie haben jedoch aufbrausend bestritten, das Mordopfer zu kennen. Der dritte, dem – wie ich meine – der Ermordete nicht unbekannt war, ist der Alchemist.“

„Ich habe Ihn eingeladen zu diesem Gespräch, doch Er muss schwören, dass Er alles, was Porticus sagt, unverzüglich wieder vergessen wird, außer den Fakten, die mit dem Mord zu tun haben. Salomon Porticus ist einer meiner engsten Berater. Er arbeitet in seinem Laboratorium für mich, und nichts, aber auch wirklich gar nichts darüber darf in falsche Hände fallen. Der Hof ist ein Kosmos für sich, und jedes Gerücht, so wie auch jede Wahrheit, verbreitet sich schneller als das Feuer des Blitzes. Er muss also diese Schweigepflicht akzeptieren, bevor ich Porticus ins Zimmer lasse.“

„Eure Majestät, es ist für mich selbstverständlich, dass ich kein Wort über dieses Gespräch weitergeben werde, auch wenn mich noch so viele Menschen befragen wollen. Aqua in bocca, wie die Italiener sagen. Ich werde schweigen wie ein Grab, wie es im Deutschen heißt.“

„Er spricht Italienisch, wie hat Er das in Aussee gelernt? Dort beherrscht man doch außer einer Abart des Deutschen, die man kaum versteht, keine andere Sprache.“

„Das ist wahr“, sagte Gaiswinkler und lachte, „wenn man mit Holzknechten oder Bauern redet, versteht man natürlich nicht alles, aber die Händler und Beamten können sich weitgehend verständlich machen. Um die Frage Eurer Majestät zu beantworten: Ich wurde mit dem Sohn des früheren Salzamtsverwesers ausgebildet und war mit diesem in Padua, um an der Universität zu studieren. Dort lernte ich die italienische Sprache. Latein musste ich schon zur Vorbereitung auf das Studium meistern, das ich dann leider durch den Tod meines Begleiters vorzeitig beenden musste.“

„Ungewöhnlich, das Leben, das Er, der noch so jung ist, geführt hat. Aber ich denke, nun sind alle Fragen klargestellt und man kann Salomon Porticus hereinrufen.“