„Warum schaust du denn noch immer so nachdenklich in die Welt? Der Mörder kann nur der Diener dieser abgefeimten Livia sein. Er hat die Tat nicht abgestritten. Wer sollte Reniger nach allem, was du weißt, denn sonst in ihrem Auftrag ermordet haben? Oder bist du bloß ärgerlich, weil dieses schöne Weib dich um den Finger gewickelt hat?“, fragte Praunfalk und grinste. In manchen Augenblicken schien er den Kummer über seine verlorene Liebe bereits wieder vergessen zu können.
„Natürlich beschäftigt es mich, dass mir Livia entkommen ist. Allerdings weniger aus dem Grund, deshalb wie ein dümmlicher Neuling dazustehen. Der Mord an Thommerl Niderthor bleibt weiter ungeklärt. Jetzt, wo sie fort ist, kann sie nicht mehr unter härteren Bedingungen dazu befragt werden. Wenn Václav diese Tat nicht auch gesteht, befürchte ich, dass man ihm trotzdem die Schuld dafür zuschieben könnte. Womit möglicherweise der wahre Mörder nicht gefunden wird“, erwiderte Gaiswinkler. Er war nach der fast schlaflosen Nacht sehr zeitig an diesem Morgen in den Stall gegangen. In der Hoffnung, auf dem Pferderücken klarere Gedanken fassen zu können. Letztendlich vergeblich. Trotz eines langes Rittes entlang des Moldauufers war seine Stimmung unverändert geblieben. Mit so manchem Zweifel hatte er während des Frühmahls seinem Freund über den vorhergehenden Tag erzählt.
„Wie wäre es, wenn du dich noch einmal im Haus des Doktors umhörst? Bei Ivana oder den anderen Dienstboten. Und dich nach diesen italienischen Freundinnen erkundigst, denen Livia angeblich immer wieder einen Besuch abstattete“, warf Božena, die ihr Gespräch am Rande mitverfolgte, ein. „Vielleicht hat sie sich ja bei ihnen versteckt.“
„Ein kluges Mädchen“, meinte Praunfalk, als sie wieder verschwand. „Bist du dir wirklich sicher, dass du Božena mit nach Aussee nehmen willst? Mit ihrem hübschen Antlitz und ihrem gescheiten Kopf könnte sie unseren Marktflecken ordentlich durcheinanderbringen. Und ich fürchte, sie wird dir auch nicht so gehorsam sein, wie andere Frauen es sind. Sie scheint den Widerspruch nicht zu scheuen.“
„Ich bin mir vollkommen sicher“, lächelte Gaiswinkler.
„Das ist schön, Matthias. Es genügt wohl, wenn einer von uns beiden unglücklich in die Heimat zurückkehrt. Ich nehme an, du wirst dem Rat deiner Liebsten folgen und dich in die Karmelitergasse begeben. Wie gerne hätte ich dich dabei begleitet. Leider muss ich aber los, um die geschäftlichen Dinge heute hoffentlich endlich abzuschließen“, erklärte Praunfalk und bat, am Abend weiter über alles unterrichtet zu werden.
Da Miguel nirgendwo auffindbar war, machte sich Gaiswinkler bald darauf allein auf den Weg. Flott schritt er durch die wenigen Gassen. Hinter den Fenstern des Palais Schrattenbach sah er trotz des trüben Tages keinen Kerzenschein. Wie verlassen lag das Gebäude vor ihm. Als er an das Tor klopfte, erschien jedoch die misslaunige alte Dienerin. Mit bösem Blick murmelte sie leise etwas vor sich hin, das fast wie eine Beschwörungsformel klang. Dabei streckte sie ihm drohend eine Hand entgegen. Doch das kümmerte ihn nicht. Ehe sie die Tür zuschlagen konnte, drängte er sich rasch an ihr vorbei und fand im Inneren des Hauses unerwartet ein hektisches Treiben vor.
Seit dem gestrigen Tag schien sich hier alles verändert zu haben. Die Dienstboten, sonst ruhig und leise ihren Aufgaben folgend, rannten aufgewühlt durcheinander wie Ameisen in einem Haufen, den eine äußere Gewalt soeben zerstörte. Manche hatten Tränen in den Augen. Das Gerücht, dass man Albrecht Schrattenbach gefangen hielt und sich Livia auf der Flucht befand, sorgte für Unruhe. Obgleich der Doktor den meisten von ihnen kein freundlicher Dienstherr gewesen war, verspürten wohl alle Angst vor der Zukunft. Auch Ivana, die Gaiswinkler mit zwei Bündeln unter dem Arm entgegenkam. Sie habe ihre wenige Habe zusammengepackt, um sich einen neuen Arbeitgeber zu suchen, tat sie kund.
„Hat Sie trotzdem einen Augenblick Zeit?“, fragte er. „Denn ich möchte gerne wissen, wohin die Hausherrin geflohen sein könnte.“
„Ich kann Euch darüber leider nur wenig sagen. Mir hat sie kaum etwas erzählt. Aber vielleicht solltet Ihr mit ihrer Kammerzofe sprechen. Ihr müsstet sie oben in Olivias Gemach finden. Sie sucht sich wahrscheinlich Kleider aus dem Schrank, bevor sie sich von hier aus dem Staub macht. Das eitle Weib ist gewohnt, Sachen der Herrin zu tragen, da es öfters Röcke von ihr geschenkt bekam.“
Die Kammerzofe, ein schlankes, dunkelhaariges Mädchen, weitaus schöner gekleidet als die anderen Bediensteten, befand sich tatsächlich in Livias Zimmer, mit einem Berg an Gewand zu den Füßen. Keineswegs darüber verlegen, war die junge Frau, die Gaiswinkler, wie er bemerkte, am Vortag schon kurz irgendwo im Palais gesehen haben musste, auch bereit, Auskunft zu geben: „Olivia hat mir lange nicht viel über ihr Leben berichtet. Vor etwa einem halben Jahr begann sie allerdings, von Freundinnen zu sprechen, von zwei Damen, die sie aus ihrer Heimat Genua kenne und die sie durch Zufall in Prag wiedergetroffen habe. In den letzten Monaten besuchte sie diese ein bis zwei Mal die Woche. Da die beiden außerhalb der Stadt leben, nahm sie für den Weg zu ihnen immer ihr Pferd. Ich bin ihren Freundinnen nie begegnet, weder hier noch sonst wo. Gelegentlich habe ich mich daher gefragt, ob das alles stimmt.“
„Hat Doktor Schrattenbach die zwei italienischen Damen kennengelernt?“, erkundigte sich Gaiswinkler, dem der Verdacht kam, dass sich Livia damit ein paar unbeobachtete Stunden außerhalb des Hauses verschafft haben könnte. Gleichzeitig stellte sich ihm freilich die Frage, wo sie tatsächlich gewesen war, falls es die beiden Italienerinnen nicht gab.
„Soviel ich weiß nicht. Da er den Nachmittag oft bei seinen Patienten verbringt, erfuhr er auch kaum von den Besuchen. Er ist schrecklich eifersüchtig und möchte meine Herrin am liebsten im Hause festhalten. Livia sollte sich nicht allzu oft fortbegeben, auch nicht in die Stadt.“
„Hielt sie sich daran?“
„Meistens ja. Sie ging nur selten aus. Manchmal auf den Markt oder in die Apotheke, aber sonst …“
„Ich danke Ihr vielmals, Sie ist offenbar über so einiges in Kenntnis. Darf ich Sie deshalb noch fragen, wie eng verbunden der Diener Václav Livia war?“
„Václav“, lachte das Mädchen, „der ist immer schon verrückt nach Olivia gewesen. In der Dienerschaft wird getratscht, dass er vor Kurzem einmal in ihr Bett durfte. Ich will das nicht glauben. Denn ich weiß, dass sie ihn nicht leiden mag, auch wenn sie ein paar Mal heimlich mit ihm redete.“
„Ein Traum Livias ist Václav sicherlich nicht“, dachte Gaiswinkler bei sich, „aber wohl gut genug, um für sie die Schmutzarbeit zu erledigen. Und vielleicht wurde er ja dafür mit Liebesdiensten in ihrem Gemach belohnt.“ Er bedankte sich nochmals und verabschiedete sich von der jungen Zofe, die sich wieder der Kleidung ihrer Herrin zuwandte.
Als er zur Treppe ging, sah er an der Balustrade Miguel lehnen. „Endlich, Matthias“, rief ihm der Trabant zu, voller Ungeduld, die ihm ansonsten fern lag. „Božena sagte mir, dass Ihr hier seid. Ich war vorhin beim Obersthofmeister. Er lässt Euch bitten, unverzüglich zu ihm zu kommen. Es gibt Neuigkeiten.“
In aller Eile marschierten die beiden zum Hradschin, auf dem Weg, den sie in den letzten Tagen so viele Male miteinander zurückgelegt hatten.
In der Burg fanden sie Wolf Siegmund Rumpff vom Wullross unruhig in seinem Zimmer hin- und herwandernd vor. „Seid gegrüßt“, sagte er mit gerunzelter Stirn und einem mehrdeutigen Lächeln. „Ich habe Euch einbestellt, da der Diener von Doktor Schrattenbach gestern Abend ein verwunderliches Geständnis abgelegt hat. Auch nachdem man ihn daraufhin die ganze Nacht über im Weißen Turm strengster Tortur unterzogen hat, ist er dabei geblieben.“ Er unterbrach sich und forderte Gaiswinkler auf, in einem der beiden Stühle vor dem Kamin Platz zu nehmen. Nachdem auch er sich gesetzt hatte, fuhr er fort: „Noch kaum, dass man Václav befragte, gab er zu, Thommerl Niderthor gefoltert und ermordet zu haben. Denn seine Herrin – Olivia, Livia, oder wie auch immer sie sich nennen mag – habe eines Tages eine Nachricht bekommen, in der hundert Gulden gefordert wurden. Von einem unbekannten Schreiber, der drohte, Sachen aus ihrem Leben berichten zu können, die sie wohl besser geheim halten wollte. Er habe Schriften in seinem Besitz und Beobachtungen gemacht. Olivia sollte das Geld an einen bestimmten Ort bringen. Obwohl seine Herrin, wie Václav sagte, ihn zuvor noch nie in etwas eingeweiht hatte, berichtete sie ihm davon und schickte ihn in den einsamen Winkel, wo er den Sack mit den Münzen für sie hinterlegen musste.“
„Ich nehme an, Livia hat Václav aber nicht erzählt, welche Dinge man über sie verbreiten könnte“, warf Gaiswinkler ein. Er war bass erstaunt. Mit einem Geständnis im Mordfall an dem Hofzwerg hätte er nicht gerechnet.
„Nein, ihr Diener behauptet, nicht zu wissen, was das gewesen sein könnte. Er hält seine Dienstgeberin für so rein wie eine Jungfrau“, lachte Rumpff. „Jedenfalls aber lauerte Václav dem Erpresser dann an dem dunklen Ort auf. Als er in der Finsternis den Zwerg erblickt habe, sei er nicht überrascht gewesen, denn er habe ihn in den letzten Wochen immer wieder auf der Straße vor dem Palais herumschleichen sehen. Er folgte Thommerl Niderthor bis zu dessen Haus, wo er ihn überraschte und die belastenden Dokumente verlangte. Den Rest der Geschichte kennt Ihr wohl nur allzu gut! Da Thommerl die Aufzeichnungen nicht herausrücken wollte, marterte Václav ihn so lange, bis er sie hergab. Dass er den Hofzwerg dann auch erdrosselt hat, rechtfertigt er damit, dass dieser sonst trotz der gezahlten Geldforderung sicherlich falsche Gerüchte über Oliva gestreut hätte. So weit, so gut. Nun aber kommt das Merkwürdige. Als man Václav nach dem anderen Mord fragte, leugnete er hartnäckig, irgendetwas damit zu tun zu haben. Trotz der Folter die ganze Nacht über blieb er dabei, Jacob Reniger nicht umgebracht zu haben.“
„Es ist in der Tat wirklich sehr seltsam, warum er das so hartnäckig abstreitet“, wunderte sich Gaiswinkler. Angestrengt überlegte er, wie man diesem verhexten Chaos beikommen konnte. Dann fiel ihm etwas ein: „Vielleicht sollten wir noch auf eine andere Weise herauszufinden versuchen, ob Václav den Mord an Reniger wirklich begangen hat. Erinnert Eure Exzellenz sich an František, den Novizen aus dem Clementinum? Er hat die Tat ja beobachtet. Zwar aus der Ferne und in der Dunkelheit, aber mit etwas Glück kann er uns womöglich etwas dazu sagen.“
„Ihr gebt Euch wohl nie zufrieden! Aber das ist eine gute Idee von Euch. Ich werde František sofort holen lassen“, meinte Rumpff. Er sah den jungen Ausseer anerkennend an, und als dieser bat, in der Zwischenzeit noch einmal allein mit Václav reden zu dürfen, stimmte er ohne Zögern zu und schrieb die dafür notwendige Nachricht.
Der Weiße Turm, der Ort, wo der Diener in Gewahrsam genommen worden war, lag am Ende des Goldschmiedegässchens. Die dicken Mauern des Gefängnisses strahlten nichts als Kälte und Finsternis aus und waren von ins Mark gehenden Schreien durchdrungen. Sie hallten aus dem vergitterten Schacht im Boden, unter dem sich der Kerker befand. Aus diesem Verlies wurde Václav heraufgebracht, in den schweren Ketten, mit denen man ihn dort festgebunden hatte. Sein nackter Oberkörper war voller tiefer roter Striemen und sein Gesicht leichenblass. Den Rücken gebeugt, stierte er aus blutunterlaufenen, übernachtigen Augen vor sich hin, bis sich sein Blick plötzlich an dem jungen Ausseer festhielt. Gaiswinkler musste mit ihm in der Folterkammer sprechen, unmittelbar neben der Streckbank mit ihren vielen kleinen Eisenspitzen, die er – ebenso wie die anderen Marterinstrumente – genauer anzusehen vermied. Es war ein Raum voller Schrecken, der ihn immer mehr frösteln ließ. So kam er schnell zu der Frage, ob der Diener nicht auch den Mord an Jacob Reniger begangen hatte.
Václav stöhnte zunächst nur vor sich hin. Erst nach einer Weile brachte er etwas heraus und beharrte auf seiner Aussage. „Ich habe den adeligen Herrn nicht getötet und ihm auch nicht diesen Beziwa – oder so – weggenommen. Den Zwerg, ja, den habe ich ermordet. Und das ist gut. Er war ein gemeiner Schurke, der Böses wollte. Meine schöne Herrin ließ mich für diese Tat einmal in ihr Bett. Das ist mehr, als ich mir jemals erträumt habe. Auch wenn ich dafür gehängt werde.“ All das bekannte er weinend und vermutlich in der Hoffnung, dass ihn der Salzamtsgegenschreiber besser verstand als die Folterknechte, mit denen er es in der Nacht zu tun gehabt hatte.
„Dann möchte ich Ihn etwas anderes fragen“, erklärte Gaiswinkler. „Hat Er mitbekommen, dass Jacob Reniger im Haus Schrattenbach vor ein paar Wochen mit Livia gesprochen hat? Es müsste an dem Tag gewesen sein, an dem der Doktor angeblich nach Konnepisch aufgebrochen ist.“
„Ich habe meine Herrin dort nie mit diesem Reniger sprechen hören, schon gar nicht an diesem Tag. Ich fuhr am dreizehnten November, bevor es Licht wurde, zu meinem Vater nach Počernice. Es ging ihm sehr schlecht. Ich wollte ihn noch einmal sehen. Da sich Doktor Schrattenbach nicht in Prag aufhielt, hat er meine Hilfe nicht bei seinen Patienten gebraucht.“
„Wie lange blieb Er dort?“ Gaiswinkler zweifelte kaum daran, dass der Diener hier die Wahrheit sprach. Dieser kam ihm nicht helle genug vor, sich auf die Schnelle so etwas einfallen zu lassen.
„Nur bis zum nächsten Tag. Am vierzehnten November bin ich wieder zurück.“
„Dann könnte Er am fünfzehnten November den Mord begangen haben.“
„Beim Seelenheil meines verstorbenen Vaters“, flehte Václav. „Warum glaubt Ihr mir nicht, dass ich dem Mann nichts getan habe? Was kann ich denn noch verlieren? Mein Leben endet demnächst. Ich werde für meine Schuld im Wind baumeln.“
Gaiswinkler war sich nicht sicher, ob der Diener die Wahrheit sprach. Was würde Václav allerdings Lügen bringen? Für den Henker machte es keinen Unterschied, ob er einen oder zwei Morde begangen hatte. Die Hinrichtung konnte nur ein einziges Mal erfolgen.
Da er nicht länger in der Folterkammer bleiben wollte, eilte er hinaus, um an der Mauer vor dem Turm auf Miguel und František zu warten. Zermürbt darüber, dass der Mörder womöglich noch immer nicht gefunden war, und mitgenommen von all dem Elend, das er gerade gesehen hatte, sehnte er sich plötzlich heim nach Aussee, nach einem einfachen, friedlichen Leben, ohne jegliches Zeremoniell des Hofes. Und so hoffte er insgeheim, dass der Novize Václav als Täter erkennen würde und alles bald vorüber war.
František und der Trabant erschienen erst eine geraume Weile später. Der junge Novize wirkte ängstlich. Bleich und zitternd ging er zur Folterzelle. Als sich der Geruch nach Kot, Schweiß, Furcht und Schmerzen aus dem Kerkerloch unten immer stärker in seiner Nase festsetzte, wäre er wohl am liebsten sogleich umgekehrt. Die Folterinstrumente und den Gefangenen erblickend, wurde sein Antlitz noch fahler.
„Ihr habt“, sagte Gaiswinkler nichtsdestotrotz zu ihm, „ja das Verbrechen in der Gasse auf der Kleinseite beobachtet. Ist der Mann, den Ihr hier vor Euch seht, derjenige, der den Mord begangen hat?“
Auf den Angeketteten starrend, äußerte sich František zögerlich: „Durch die Finsternis habe ich das Gesicht des Mörders ja nicht erkennen können. Die weite Krempe des Hutes hat es auch noch zusätzlich verdeckt. Ich kann Euch daher nicht sagen, ob dieses Geschöpf hier die Tat begangen hat. Der Mann, den ich sah, scheint mir größer gewesen zu sein, aber sicher bin ich mir nicht.“ Der Novize schluckte mehrmals, offenbar immer mehr gegen die Übelkeit ankämpfend.
„Ich danke Euch“, bekundete Gaiswinkler. Mitleid mit ihm habend, zog er František schnell hinaus ins Freie. Nach einem letzten Blick auf den vor sich hin wimmernden Václav, dessen Urteilsvollstreckung vermutlich nicht allzu weit entfernt war.
Ohne Erfolg in der Hand musste er sich zu Rumpff begeben. Mit Bitterkeit in der Stimme berichtete er dem Obersthofmeister über die Aussagen. „Mir scheint das Ganze aber noch nicht völlig geklärt“, merkte er danach an. Denn wie hätte Václav, der Reniger nicht gekannt hatte, den Adeligen verfolgen können? Hatte Livia ihn so gut beschrieben, dass dies trotzdem möglich war?
Wolf Siegmund Rumpff vom Wullross lehnte sich zurück und schloss die Augen, wie immer, wenn er angestrengt nachdachte. Nach einer Weile des Schweigens verkündete er mit einer entschlossenen Eindringlichkeit: „Man könnte wohl ewig darüber rätseln, ob jemand anderer Reniger ermordet hat. Aber wir müssen die Sache zu einem Ende bringen. Es wird uns daher nicht anderes übrig bleiben, als mit der Annahme zu leben, dass Václav der Mörder ist, selbst wenn er das abstreitet. František schließt nicht aus, ihn in jener Nacht bei der Tat beobachtet zu haben. Wenn der Bote aus Konnepisch Schrattenbachs Aussage bestätigt, werde ich den Fall abschließen und das auch dem Kaiser melden. Das wird vermutlich noch heute geschehen. Wir werden uns dann wohl nicht mehr sehen, wenn Ihr demnächst abreist. Daher seid nun von mir herzlichst für Eure große Hilfe bedankt. Schade, dass Ihr vor einigen Wochen meinem Angebot, in meine Dienste zu treten, nicht gefolgt seid. Doch der kleine Ort, in dem Ihr lebt, ist wahrscheinlich beschaulicher als Prag.“
Bald darauf entließ ihn der Obersthofmeister, nicht ohne ihm zu sagen, dass Rudolf II. ihn vielleicht nochmals zu sich bitten wollte. Miguel, der dem Ausseer nach den vielen Tagen, an denen er ihn begleitet hatte, mittlerweile wie ein Freund erschien, umarmte ihn zum Abschied.
Während er wohl zum letzten Mal die Burgstiege hinabwanderte, war Gaiswinkler mit Rumpffs Entscheidung nicht so recht glücklich. Trotzdem erzählte er, als er heimkam, nichts von seinen Zweifeln. Denn im Speisezimmer fand er Praunfalk nicht allein, sondern mit dem Grafen und der wieder genesenen Gräfin vor. Die beiden waren von ihrem Neffen bereits über so manches informiert worden. Während Heinrich Hoffmann von Grünbühel die Betroffenheit über die Ereignisse im Hause des von ihm geschätzten Arztes Albrecht Schrattenbach ins Gesicht geschrieben stand, strahlte seine Ehefrau vor Schadenfreude. Was sie gehört hatte, war Wasser auf ihren Mühlen.
„Da siehst du es, Neffe. Man darf sich nie zu sehr mit jemandem unter seinem Stand abgeben. Wenn ich daran denke, dass der Doktor neulich hier am Tisch saß, wird mir ganz elend. Ein Mann, der solch ein Gesindel zum Weib hat. Pfui, pfui Teufel!“
Praunfalk überging die Bemerkung seiner Tante. „Ist die Sache nun endgültig erledigt, Matthias?“, fragte er stattdessen.
„Ja, so sieht es aus. Der Obersthofmeister möchte die Ermittlungen für beendet erklären. Er hält den Diener Václav für schuldig an beiden Morden.“
„Das ist eine sehr gute Nachricht. Dann können wir ja in den nächsten Tagen endlich heim nach Aussee.“
„Welch schöner Erfolg. Jetzt, wo eure Geschäfte und Untersuchungen fruchtbar zu Ende gegangen sind, solltet ihr zwei wirklich nicht mehr allzu lange mit dem Aufbruch warten“, warf Grünbühel ein. „Die Reise wird bei dem Wetter lange dauern. Bevor ihr Prag verlasst, werdet ihr Helena und mich allerdings noch zu Joachim von Eitzing begleiten. Er lädt uns zu einem Fest bei sich übermorgen Abend ein.“