Fünfzig Meter von der Einfahrt der amerikanischen Botschaft entfernt hielt ein uralter VW-Bus. Das Fahrzeug war von den täglichen Straßenschlachten so verbeult, dass es in jeder europäischen Stadt aus dem Verkehr gezogen worden wäre. Aber hier in Kairo fiel es nicht weiter auf.
Der Fahrer war ausgestiegen und rauchte lässig gegen das Fahrzeug gelehnt eine selbstgedrehte Zigarette. Es sah aus, als wartete er gelangweilt auf jemanden. Doch der Eindruck trog. Unter dichten Augenbrauen beobachteten hellwache Augen die Einfahrt der amerikanischen Botschaft.
Die beiden Männer hinten im VW-Bus hatten die Schiebetür geöffnet, um frische Luft hereinzulassen. Unter ihren langen Galabijas trugen sie europäisch geschnittene Anzüge. Auch die beiden saßen so, dass sie die Botschaft sehen konnten.
Die Männer hatten etwa eine Stunde gewartet, als das eiserne Einfahrtstor zur Botschaft zurückglitt, ein bewaffneter Posten auf die Straße lief und den Verkehr stoppte, während eine schwarze Limousine durch die Einfahrt rollte und in Richtung Innenstadt davonfuhr.
Der Fahrer des VW-Busses, dessen Gesicht von unzähligen Pockennarben entstellt war, blickte auf das Nummernschild. Es war die gleiche Nummer, die er sich mit Kugelschreiber auf seine Handfläche notiert hatte. Mit einem Satz war er im Führerhaus, startete den Motor und quetschte sich, ohne auf das wütende Hupen zu achten, in den dichten Verkehr.
Weder dem Wachtposten am Eingangstor der Botschaft noch dem schlanken, dunkelhaarigen Herrn im klimatisierten Fond der Limousine fiel der verbeulte VW-Bus auf.
Während der Fahrer der Limousine sich mühsam einen Weg in die Innenstadt bahnte, stand ein Mann vor dem breiten Panoramafenster seiner luxuriösen Hotelsuite und blickte nachdenklich auf die schlammigen Wasser des Nils, die sich nur wenige hundert Meter von seinem Fenster entfernt vorbeiwälzten. Der Herr mochte Anfang Fünfzig sein und war von kleiner, bulliger Statur. Die durchdringend blickenden Augen, die zusammengekniffenen Lippen und das energische Kinn zeugten von Willen, Entschlusskraft und Durchsetzungsvermögen. Es war offensichtlich: Der Mann vor dem Fenster war gewohnt zu befehlen. Im Gegensatz zu seinen herrischen Gesichtszügen standen die fahle Blässe seiner Haut und die bläuliche Färbung der Lippen. Auch wenn er es nicht wahrhaben wollte, er war krank, sehr krank.
Zum wiederholten Male blickte er auf seine Armbanduhr. Missmutig drehte er sich um und trat ins Zimmer zurück. Dennis C. Albright, Präsident der Spartec, ließ sich in einem Sessel nieder und begann, mürrisch in den Papieren zu blättern, die ihm sein Sekretär zurechtgelegt hatte. Eigentlich hätte er zufriedener sein müssen, denn er hatte gestern die Verhandlungen mit dem ägyptischen Handelsminister und den Vertretern der ägyptischen Industrie zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht. Nach diesem Vertrag würde die Spartec in der Nähe von Kairo eine Fabrik bauen, die elektronische Bauteile für Radar und Computeranlagen produzieren sollte. Aber Dennis Albright war trotz des Erfolgs ungehalten und nervös. Nicht weil die Verhandlungen sich besonders schwierig gestaltet hatten – das hätte ihn wenig gestört –, sondern weil er sich nicht an die ägyptische Mentalität gewöhnen konnte. Immer wieder wurden die Abende mit Essen, Empfängen oder sonstigen Unterhaltungen vertan, statt die wertvolle Zeit zu nutzen, um die noch offenen Probleme zu lösen. Wiederholt hatte ihn sein Nahostberater beschworen, seine Ungeduld nicht zu offensichtlich zu zeigen. Besonders lästig war der gestrige Abend gewesen. Um den Vertragsabschluss zu feiern, hatten seine Gastgeber ihm zu Ehren ein Galadiner gegeben. Vier Stunden lang musste er eine Fülle von Speisen probieren, die ihm undefinierbar und unverdaulich vorkamen. Wie vorauszusehen gewesen war, hatte er danach die halbe Nacht wach gelegen. Als er dann endlich gegen Morgen eingeschlafen war, wurde er von dem durchdringenden Ruf des Muezzins, der die Gläubigen zum Morgengebet mahnte, aus dem Schlaf gerissen. Wütend hatte er die Decke über die Ohren gezogen, doch er konnte nicht mehr einschlafen. Und jetzt, mürrisch und ungehalten wie er war, musste er auch noch auf den Wirtschaftsattaché der amerikanischen Botschaft warten. Sie hatten sich zum Frühstück verabredet, und der Attaché war schon seit fünf Minuten überfällig.
Es klopfte.
»Herein!«, rief Albright herrisch.
Die Tür öffnete sich, und ein schmächtiger junger Mann mit intelligenten Gesichtszügen betrat die Suite.
»Guten Morgen, Sir!«, begrüßte er seinen Chef. »Ich bringe Ihre Medizin.« Der junge Mann stellte ihm eine kleine Schale mit zwei Tabletten und ein Glas Wasser hin. Albright winkte unwillig ab und fragte: »Haben Sie in der Botschaft angerufen?«
»Ja, Sir, Mister Fullerton ist bereits vor einer Dreiviertelstunde abgefahren. Er müsste eigentlich schon hier sein.«
Albright knurrte: »Verdammte Warterei.«
Fred Marlin versuchte seinen Chef zu beschwichtigen. »Vielleicht ist er irgendwo steckengeblieben. Sie haben es ja selbst erlebt. Der Verkehr hier ist das reinste Chaos.«
Mit einer Handbewegung tat Albright die Bemerkung ab. »Unsinn, der Kerl hätte gefälligst früher losfahren sollen. Meine Zeit ist mir zu wertvoll, um mit Warten auf den Wirtschaftsattaché vertan zu werden«, schimpfte er. Doch dann wechselte er das Thema. »Wann geht unsere Maschine?«
Der Sekretär, an die Temperamentsausbrüche seines Chefs gewöhnt, antwortete ruhig: »Um ein Uhr fünfzig, Sir.«
Albright blickte auf die Uhr. »Wie lange brauchen wir bis zum Flugplatz?«
Fred Marlin zog nachdenklich die Schultern hoch. »Bei dem Verkehr werden wir wohl mindestens eine Stunde benötigen. Das bedeutet, wir müssten spätestens um halb zwölf von hier abfahren.«
Wieder sah Albright auf die Uhr. »Wenn der verdammte Kerl endlich käme, müsste die Zeit für die Besprechung gerade noch ausreichen. Sorgen Sie dafür, dass das Frühstück sofort serviert wird, wenn Fullerton eintrifft. Ich will keine weiteren Verzögerungen. Danach brauche ich Sie nicht mehr. Der Attaché kann mich zum Flughafen bringen.«
»Sehr wohl, Sir. Ich werde Sie im Abfertigungsgebäude erwarten. Ihre Flugkarte habe ich bei mir.«
Marlin wollte gerade das Zimmer verlassen, als das Telefon klingelte. Mit einem Kopfnicken wies Albright ihn an, das Gespräch anzunehmen.
Marlin nahm den Hörer ab und meldete sich.
»Hier spricht Jeff Stoner von der Boston Daily News«, stellte sich der Mann am anderen Ende der Leitung vor. »Meine Zeitung möchte einen Artikel über die Wirtschaftsverhandlungen und ihre Auswirkungen auf die amerikanisch-ägyptische Zusammenarbeit bringen«, erklärte er und fügte hinzu: »Würden Sie mich bitte mit dem Präsidenten der Spartec verbinden?«
Marlin hielt die Hand über die Sprechmuschel. »Presse«, sagte er.
Albright winkte ab. Er hatte jetzt keine Lust, mit irgendeinem Pressefritzen zu sprechen. Die sollten gefälligst warten, bis sie eine offizielle Mitteilung über die Verhandlungsergebnisse erhielten.
Marlin antwortete höflich, aber bestimmt: »Tut mir leid, Mr. Stoner, aber Mr. Albright ist im Augenblick nicht zu sprechen.«
»Können Sie mir dann etwas über die Verhandlungsergebnisse sagen?«
»Ich bedaure, das ist zurzeit nicht möglich. Aber heute Nachmittag gibt der Wirtschaftsattaché unserer Botschaft eine Pressemitteilung heraus. Bis dahin müssen Sie sich gedulden.«
Am anderen Ende der Leitung war es für ein paar Sekunden still, dann meldete sich der Reporter wieder: »Könnten Sie mir wenigstens einige Informationen über die Spartecgeben?«
»Kommt darauf an, was Sie wissen wollen«, antwortete Marlin zurückhaltend.
Der Reporter erklärte ihm, an welche Informationen er gedacht hatte und wozu er sie benötigte.
Marlin wandte sich an seinen Chef und fragte, ob er dem Reporter einen kurzen Überblick über den Konzern geben dürfe. Albright nickte.
»In Ordnung«, sagte Marlin, »ich nehme an, Sie wissen, dass Spartec für Aero-Space Research and Technology Corporation steht. Wir sind der führende High-Technology-Konzern der USA. Die Corporation beschäftigt mehr als zweihunderttausend Mitarbeiter. Unsere Forschungs- und Produktionsstätten sind über die ganzen Staaten verteilt. Die Geschäftsführung und Verwaltung sitzt in Washington, D.C.« Dann gab Marlin dem Reporter einen Überblick über die einzelnen Hauptabteilungen der Spartec, ihren Personalumfang und ihre Aufgaben. Zum Schluss fragte er: »Reichen Ihnen diese Informationen?«
Jeff Stoner stellte noch einige Fragen und legte dann auf.
Da Albright keine Anstalten machte, auf das Telefongespräch einzugehen, verließ Marlin die Suite.
Kurz darauf klopfte es erneut, und nach einem barschen »Herein!« betrat der Wirtschaftsattaché der US-Botschaft in Kairo, Miles Fullerton, das Zimmer.
»Guten Morgen, Mr. Albright«, begrüßte er den Präsidenten der Spartecmit einem verbindlichen Lächeln.
»Verdammt noch mal, Miles, wo haben Sie sich rumgetrieben? Sie kommen vierzig Minuten zu spät«, fuhr Albright ihn an.
Miles Fullerton tat, als hätte er die Grobheiten nicht gehört, und antwortete weiter verbindlich lächelnd: »Der Verkehr, Sir, der Verkehr. Zwei Busse waren ineinandergefahren. Wir kamen weder vor noch zurück.«
»So«, knurrte Albright, »und ich dachte schon, man hätte Sie gekidnappt. Aber jetzt lassen Sie uns endlich anfangen.«
Miles Fullerton holte einige Papiere aus seiner Aktenmappe, und die beiden Männer setzten sich daran, die Pressemitteilung über den Vertragsabschluss abzustimmen. Es dauerte lange, bevor Albright mit dem Text einverstanden war, den sein Rechtsexperte und Fullerton vorbereitet hatten. Nachdem die beiden Männer mit der Arbeit fertig waren, machten sie sich auf den Weg zum Flughafen.
Der Verkehr war zu dieser späten Vormittagsstunde geradezu selbstmörderisch. Rücksichtslos drängten sich die Autofahrer durch die Straßen. Albright und Fullerton wurden im Fond der Limousine heftig durchgeschüttelt, denn der Fahrer konnte nur zwischen Vollgas und Vollbremsung wählen. Erst als sie die Ausfallstraße zum Flughafen erreichten, ließ der Verkehr nach.
Ein verbeulter VW-Bus mit drei Insassen hatte sie überholt und blieb dicht vor ihnen. Ganz plötzlich hielt er an. Reflexartig trat der Fahrer der Limousine auf die Bremse, dass die Reifen quietschten. Die Limousine geriet beinahe von der Fahrbahn und schleuderte auf den VW-Bus zu. Mühsam gelang es dem Fahrer, die Kontrolle über das Fahrzeug zurückzugewinnen. Indessen wurden die Türen des VW-Busses aufgerissen, und zwei europäisch gekleidete Männer sprangen heraus.