Gegen sieben Uhr wachte Susan auf. Sie war schweißgebadet und fühlte sich am ganzen Körper zerschlagen. Erst um drei Uhr war sie von dem Besuch bei Tom nach Hause gekommen, hatte sich zwar gleich hingelegt, aber Albträume hatten sie gequält. Im Traum hatte sie ihren Vater gesehen, wie er gefesselt in einem Verlies schmachtete. Sie wollte ihm helfen, wusste aber nicht, wie. Dann waren vermummte Gestalten erschienen, die mit Stöcken auf ihn einschlugen. Am ganzen Körper zitternd war sie aufgewacht und hatte verzweifelt versucht, die Gedanken zu verscheuchen, sie als Traum abzutun. Vergeblich.
Abgespannt, verzagt und mutlos kauerte sie auf dem Bett,
Tränen rannen ihr über die Wangen. Nach einer Weile ließ die Anspannung nach, und sie wurde ruhiger. Von ihrem Nachttisch nahm sie ein Kleenextuch, schnäuzte sich und wischte die Tränen ab. Ihre Gedanken wurden klarer und verscheuchten die Angstbilder der Nacht. Sie zog die Decke bis unters Kinn und versuchte, sich auf das Gespräch mit Tom zu besinnen. Sie hatte viel Neues gehört, Wesentliches und Unwesentliches. Es war nur ein oberflächlicher Streifzug durch die Geschichte und heutige Lage im Libanon gewesen. Die Motivationen der Menschen und ihre Denkweisen hatte er nur angerissen. Susan hatte vieles nicht verstanden, aber eines war ihr klargeworden: Ohne eine Gegenleistung würden die Entführer ihren Vater nicht freilassen. War aber die amerikanische Regierung bereit, auf die Forderungen einzugehen oder etwas anderes als Tausch für die Freiheit ihres Vaters und die der anderen Geiseln anzubieten? Susan bezweifelte es. Sie musste an die Amerikaner denken, die schon seit über zwei Jahren im Libanon gefangengehalten wurden. Natürlich wusste sie nicht, was die Regierung alles tat oder getan hatte, um sie zu befreien. Was es auch immer gewesen sein mochte, es hatte nicht gereicht, denn die armen Menschen saßen immer noch in Gefangenschaft.
Ihre Augen begannen zu funkeln, und das Kinn schob sich nach vorne. »Nein«, sagte sie halblaut zu sich selbst, »so werde ich Vater nicht leiden lassen. Ich werde ihm helfen.«
Dieser Entschluss gab ihr neuen Mut und Kraft. Sie sprang aus dem Bett und eilte ins Bad.
Nachdem sie sich unter der kalten Dusche erfrischt und mit einer Tasse Kaffee und etwas Toastbrot gestärkt hatte, überlegte sie, was zu tun sei. Als erstes musste sie den neuesten Stand erfahren. Sie zog das Telefon zu sich heran, wählte aber nicht die Geschäftsnummer ihres Verlobten, sondern die Nummer des Hilton-Hotels in Kairo. Nach dem dritten Versuch hatte sie Glück und hörte das Freizeichen. Eine Stimme meldete sich auf Arabisch.
»Hallo, sprechen Sie Englisch?«, fragte Susan.
Für einen Augenblick herrschte Stille, dann hörte Susan eine Stimme mit starkem Akzent auf Englisch antworten: »Hotel Hilton, womit kann ich Ihnen dienen, Madam?«
»Hier Susan Albright. Würden Sie mich bitte mit Mr. Fred Marlin verbinden?«
»Gewiss, Madam. Einen Augenblick, bitte.«
Es verging eine Weile, dann hörte sie wieder die Stimme. »Tut mir leid, Madam, aber Mr. Marlin meldet sich nicht.«
»Hat er eine Notiz hinterlassen, wo man ihn erreichen kann?«
»Einen Augenblick, bitte, ich werde nachsehen.«
Susan wartete. Plötzlich hörte sie ein konstantes Piepen. Die Leitung war zusammengebrochen, oder jemand hatte sie getrennt. Verärgert legte sie den Hörer auf und wählte nach ein paar Minuten noch einmal. Der Mann, mit dem sie zuvor gesprochen hatte, war wieder am Telefon.
»Tut mir leid, Madam, aber Mr. Marlin hat keine Nachricht hinterlassen. Vielleicht versuchen Sie es bei der amerikanischen Botschaft. Mr. Marlin ist in den letzten Tagen oft dorthin gefahren.«
Susan bedankte sich und legte auf, um sofort die Botschaft anzurufen. Diesmal musste sie fast eine Stunde lang probieren, bevor die Verbindung zustande kam.
Sie erklärte der Dame am anderen Ende der Leitung, was sie wollte.
Es entstand eine Pause, und Susan hörte, wie in einem Buch geblättert wurde. Dann meldete sich die Stimme wieder. »Ich bedaure, aber ein Mr. Marlin arbeitet nicht in der Botschaft.«
Ärgerlich erwiderte Susan: »Ich weiß, ich sagte ja auch, dass sich Mr. Marlin als Besucher in der Botschaft befindet.«
»Wissen Sie denn, bei wem sich der Herr aufhalten könnte?«, fragte die Telefonistin in leicht schnippischem Ton.
»Nein, das weiß ich nicht. Aber es gibt bei Ihnen doch sicher einen Pförtner, bei dem sich die Besucher anmelden müssen. Könnten Sie nicht dort nachfragen?«
»Tut mir leid, das darf ich nicht. Das ist gegen die Bestimmung.«
Susan war über diesen Mangel an Hilfsbereitschaft aufgebracht und fuhr die Telefonistin gereizt an: »Dann geben Sie mir den Botschafter!«
»Der Herr Botschafter ist nicht im Hause«, kam es pikiert zurück.
»Verdammt noch mal«, rief Susan, »dann geben Sie mir seinen Vertreter, und wenn der nicht da ist, seine Sekretärin – und beeilen Sie sich, sonst werde ich dafür sorgen, dass der Botschafter erfährt, wie wenig hilfsbereit amerikanische Staatsbürger von seinem Botschaftspersonal behandelt werden. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
»Tut mir leid, aber ich kann Ihnen wirklich nicht helfen«, antwortete die Telefonistin jetzt merklich höflicher. »Ich werde Sie mit dem Sekretariat des Botschafters verbinden. Vielleicht kann man Ihnen dort weiterhelfen.«
Eine geschäftsmäßig freundliche weibliche Stimme meldete sich gleich darauf und fragte Susan nach ihren Wünschen. Als sie der Sekretärin mitgeteilt hatte, dass sie die Tochter des entführten Präsidenten der Spartecsei und Fred Marlin suche, der sich möglicherweise in der Botschaft aufhalte, wurde sie äußerst zuvorkommend behandelt. Schon nach wenigen Minuten konnte sie mit Stan Harper, dem Chef der Sicherheitsabteilung der Botschaft, sprechen.
Susan erklärte ihm ihren Wunsch.
»Sie haben Glück«, antwortete Harper. »Er ist hier. Einen Augenblick, ich übergebe.«
Gleich darauf hörte Susan Fred Marlins vertraute Stimme. »Guten Tag, Miss Albright, das ist ja eine freudige Überraschung.«
»Hallo, Fred, wie geht’s Ihnen?«
»Danke, Miss Albright. Den Umständen entsprechend gut. Leider ist ja der Grund für meinen Aufenthalt äußerst traurig. Darf ich Ihnen auch persönlich sagen, wie …«
Susan unterbrach ihn. »Danke, Fred, danke, aber ich war schon ein bisschen enttäuscht, dass Sie seit Vaters Entführung nichts von sich haben hören lassen.«
Als Marlin antwortete, klang seine Stimme aufrichtig betroffen. »Verzeihen Sie, Miss Albright, aber ich hatte strikte Anweisung, mich nur bei Mr. Duncan zu melden. Trotzdem hatte ich versucht, Sie anzurufen, aber ich habe Sie nie erreichen können.«
»Oh – wie dumm von mir«, sagte Susan bedauernd. »Ich hatte auf meinem Anrufbeantworter ja nicht hinterlassen, wo ich zu finden war. Aber wer hat Ihnen die Anweisung gegeben, nur Mr. Duncan zu informieren?«
»Mr. Duncan selbst.«
»So«, war alles, was Susan dazu sagte. Sie war über die eigenmächtige Entscheidung ihres Verlobten verärgert, doch sie unterdrückte ihre Gefühle, denn jetzt galt es, Wichtigeres zu besprechen. »Haben Sie etwas von meinem Vater gehört?«
»Ja und nein«, antwortete Marlin zögernd. »Oberst Yussuf, der ägyptische Unterhändler, hat sich heute Morgen in Damaskus bei der ägyptischen Botschaft gemeldet. Genaues weiß ich noch nicht. Die ägyptische Regierung hat erst vor kurzem unsere Botschaft telefonisch informiert. Angeblich wurde der Oberst von den gleichen Leuten gefangengehalten, die auch Ihren Vater verschleppt haben. Erst heute Morgen wurde er wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Entführer haben ihm gesagt, dass sie die Gefangenen töten, wenn wir ihre Forderungen nicht voll erfüllen. Verhandlungen lehnen sie ab.«
»Mein Gott«, stöhnte Susan, »das ist ja schrecklich. Wie geht es Vater? Hat der Oberst etwas über die Verfassung der Gefangenen gesagt?«
»Ja, er hat sie gesehen. Sie leben, und ihnen geht es den Umständen entsprechend gut. Anscheinend werden sie zufriedenstellend behandelt und versorgt. Nur Ihr Vater war gefesselt. Es soll als Strafe dienen, weil er sich geweigert hat, einen Brief zu unterschreiben, in dem die amerikanische Regierung aufgefordert werden sollte, auf die Forderungen der Entführer einzugehen.«
Susan atmete erleichtert auf. Wenn es sie auch schmerzte, dass ihr Vater leiden musste, so zeigte ihr seine typische Dickköpfigkeit, dass er wohlauf war. Aber wie lange würde er ohne seine Medizin durchhalten? Sie äußerte Marlin gegenüber ihre Befürchtungen, doch der beruhigte sie.
»Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Miss Albright. Ich habe Oberst Yussuf Medizin für Ihren Vater mitgegeben, und ich bin sicher, er hat sie auch bekommen, sonst hätte man uns bestimmt davon unterrichtet. Aber ich werde versuchen, mit Oberst Yussuf selbst zu sprechen, und Sie dann anrufen.«
Susan fiel ein Stein vom Herzen, und spontan rief sie: »Fred, Sie sind ein Engel. Wenn Sie nicht so weit weg wären, würde ich Sie umarmen und Ihnen einen Kuss geben.«
Verlegen versuchte Marlin, seine Handlung als selbstverständlich herunterzuspielen, doch Susan wusste genau, was Fred für ihren Vater und damit auch für sie getan hatte. Mit bewegten Worten dankte sie ihm und legte dann auf.
Für eine Weile blieb sie still sitzen. Sie war erleichtert, dankbar und besorgt zugleich. Ihre Gedanken drehten sich im Kreise. Sie brauchte jetzt jemanden, mit dem sie sich aussprechen konnte. Ihr erster Impuls war, zu Tom Porter zu fahren, doch nach einigem Überlegen sagte sie sich, dass John Phillip mehr Anrecht darauf hatte, die Neuigkeit zu hören. Auch gab es vieles, was sie mit ihrem Verlobten besprechen musste; denn dass es darauf ankam, zu handeln, davon war sie mehr denn je überzeugt.
Susan steuerte ihren kleinen japanischen Sportwagen geschickt durch den Verkehr. Schon von weitem konnte sie das ganz aus Stahl und Glas gebaute Verwaltungsgebäude der Spartecsehen. Sie bog in die breite Auffahrt ein und parkte den Wagen auf dem Platz, der für den Präsidenten der Firma reserviert war. Sie war noch nicht ausgestiegen, als auch schon ein Wachmann auf sie zugerannt kam.
»He, können Sie nicht lesen? Sie dürfen da nicht parken«, rief er.
Susan lächelte ihn an. »Schon gut, ich bin Susan Albright, und ich glaube nicht, dass mein Vater etwas dagegen hat, wenn ich seinen Parkplatz benutze.«
Sie eilte an dem verdutzten Wachmann vorbei. Die Empfangshalle, die sie gleich darauf betrat, war ganz in Marmor gehalten. Schwere Ledersessel waren an den Seiten zu einzelnen Sitzgruppen arrangiert. In der Mitte der Halle befand sich ein halbhoher, kreisförmiger Informationsstand, der gleichzeitig als Wache diente. Drei in schwarze Uniformen gekleidete und mit 45er Colts bewaffnete Männer taten hier Dienst.
Susan winkte dem älteren Werkschutzbeamten zu. »Tag, Tom, ich geh zu Mr. Duncan. Sie brauchen mich nicht anzumelden.«
»In Ordnung, Miss Albright«, antwortete der Mann.
Susan ging zu einem der Fahrstühle an der Ostseite der Halle und fuhr in den zehnten Stock. Hier lagen John Phillips Büroräume. Die Flure waren mit dicken Teppichen ausgelegt und dämpften ihre Schritte. Ohne anzuklopfen betrat sie das Vorzimmer von John Phillips Büro.
»Hallo, Maggie«, begrüßte sie die Sekretärin. »Ist Mr. Duncan da? Ich muss ihn dringend sprechen.«
Obwohl sie von Maggie Stoner äußerst höflich begrüßt wurde, spürte Susan in ihrer Gegenwart immer ein leichtes Unbehagen. Sie wusste nicht, warum. Aber sie hatte den Eindruck, dass Maggies Worte und Lächeln einen Hauch zu freundlich waren. Vielleicht bildete sie sich das auch nur ein und war unbewusst eifersüchtig auf sie, weil sie den ganzen Tag mit ihrem Verlobten zusammenarbeitete.
Maggie erhob sich höflich von ihrem Sitz und sagte: »Mr. Duncan ist nicht in seinem Büro. Er befindet sich im Büro des Präsidenten.« Nach einer Kunstpause fügte sie hinzu: »Er arbeitet dort, seit der Präsident abwesend ist.«
Die letzten Worte klangen wie eine beiläufige Information und waren in gleichbleibend höflichem Ton gesprochen, und doch empfand Susan sie wie eine absichtlich gehässige Bemerkung, die darauf abzielte, sie zu verletzen. Und das gelang auch. Dass jemand anders in den Räumen ihres Vaters arbeitete, kränkte sie, auch wenn es ihr Verlobter war.
Susan ließ sich ihre Gefühle nicht anmerken, bedankte sich zuvorkommend für die Auskunft, verließ das Büro und fuhr zu den Büroräumen ihres Vaters. Als sie das Vorzimmer betrat, wurde sie von der Sekretärin ihres Vaters herzlich begrüßt. Ihre aufrichtig gemeinten Worte der Anteilnahme taten Susan wohl.
Über die Gegensprechanlage teilte die Sekretärin Duncan mit, dass seine Verlobte ihn zu sprechen wünsche. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann öffnete sich die Tür zum Büro ihres Vaters. Groß, schlank, sonnengebräunt, in einen eleganten Anzug gekleidet, eilte John Phillip auf seine Verlobte zu.
»Susan, Liebling, welch eine freudige Überraschung.« Er beugte sich vor, um ihr einen Kuss zu geben. Mehr instinktiv als geplant drehte Susan den Kopf ein wenig zur Seite, so dass sein Kuss nicht ihren Mund, sondern nur die Wange traf.
»Komm in mein Büro, dort können wir ungestört reden«, sagte er freundlich, während er sie mit einem prüfenden Blick musterte, um den Grund für ihr Verhalten herauszufinden.
»Dein Büro?«, konnte Susan sich nicht verkneifen zu sagen.
Wieder traf sie sein forschender Blick. »War nur so eine Redensart«, antwortete John pikiert. »Ich benutze das Büro deines Vaters nur, weil hier die wichtigsten Gespräche eintreffen. Doch bitte, nimm Platz.«
John Phillip führte sie zu der ledergepolsterten Sitzgruppe.
»Möchtest du etwas trinken, Kaffee, Cognac?«
»Nein, danke, vielleicht später. Jetzt will ich dir erst einmal die letzten Neuigkeiten mitteilen.«
John Phillip sah seine Verlobte überrascht an. Sie erzählte ihm von dem Anruf bei der amerikanischen Botschaft in Kairo und dem Gespräch mit Fred Marlin. Das Lächeln, das sonst immer seinen Mund umspielte, verschwand von Duncans Lippen. Er musste sich zwingen, seinen Unmut nicht allzu offensichtlich zu zeigen. Aber er ärgerte sich, dass Susan ihn einfach übergangen und selbständig etwas unternommen hatte. Damit hatte er nicht gerechnet. Diese Eigeninitiative passte nicht in sein Konzept und konnte seinen Absichten gefährlich werden. Das musste unterbunden werden. Um an sein Ziel zu gelangen, musste er alle Fäden uneingeschränkt in der Hand behalten. Mit erzwungener Herzlichkeit sagte er deshalb: »Gott sei Dank, dein Vater lebt! Das ist wenigstens nach all den schlechten Nachrichten der letzten Wochen eine gute. Aber, Liebling, meinst du nicht, es wäre besser gewesen, du hättest mich anrufen lassen?«
Susan sah ihn mit großen Augen an. »Wie meinst du das?«
»Nun ja, ich finde, es ist nicht gut, wenn jeder sich selbst um Nachrichten bemüht oder eigenständig handelt. Zu leicht könnten dabei Informationen verlorengehen. Ich bin der Meinung, alle Aktivitäten sollten in einer Hand liegen.«
Susan glaubte, nicht richtig gehört zu haben, und rief empört: »Ich bin nicht jeder! Mein Vater wurde entführt und nicht deiner. Ich lasse mir von niemandem, auch nicht von dir, das Recht nehmen, mich um Vaters Wohlergehen zu kümmern.« Sie hatte das Kinn vorgeschoben und sah ihren Verlobten mit funkelnden Augen an.
»Aber, Liebling, es war doch nicht persönlich gemeint«, versuchte John Phillip die Wirkung seiner Worte abzuschwächen.
»Klang aber so!«
»Darling, versuch doch, mich zu verstehen. Natürlich spricht dir niemand das Recht ab, dich um deinen Vater zu kümmern. Aber wäre es nicht vernünftiger, wenn du alles über mich laufen lassen würdest? Sieh mal, ich stehe in ständigem Kontakt mit dem Sicherheitsberater des Präsidenten, und wir müssen doch in dieser Sache koordiniert vorgehen. Schon zum Besten deines Vaters. Und du kannst mir glauben, ich tue alles, wirklich alles, was in meiner Macht steht, um deinem Vater zu helfen. Schließlich weißt du doch, wie sehr ich ihn verehre.«
Aus den Augenwinkeln beobachtete er Susan und lehnte sich zufrieden zurück, als er sah, dass seine Worte ihre Wirkung nicht verfehlt hatten.
»Schon gut, John«, lenkte Susan ein. »Ich sehe ja ein, dass du recht hast, aber wir müssen etwas tun. Wir können Vater nicht in den Händen dieser Menschen lassen.«
»Liebling, ich schwöre dir, ich werde alles tun, was erforderlich ist, um deinen Vater freizubekommen. Aber die Regierung …«
»Regierung, Regierung, immer höre ich Regierung«, unterbrach sie ihn hitzig. »Was tut denn die Regierung? Sag es mir, wenn du es kannst.«
Duncan versuchte, ihren Gefühlsausbruch zu dämpfen. »Im Augenblick können wir nur abwarten und uns bemühen, mit den Entführern in Kontakt zu kommen.«
Doch seine Worte bewirkten genau das Gegenteil. Statt Susan zu beruhigen, erregten sie sie noch mehr. »Abwarten, wenn ich das Wort schon höre, werde ich fuchsteufelswild. Abwarten! Pah! Unternehmen – tun müssen wir etwas.«
Sie hatte ihr Kinn kämpferisch nach vorne geschoben. Duncan kannte dieses Anzeichen. Er wusste aus Erfahrung, dass sie in dieser Stimmung, wenn das albrightsche Temperament in ihr durchbrach, nur schwer zu lenken war. Seine Freude darüber, dass sie sich seiner Führung uneingeschränkt überlassen würde, war wohl verfrüht gewesen. Um überhaupt etwas zu sagen, fragte er sie: »Und was sollte deiner Ansicht nach getan werden?«
»Wir müssen ihren Forderungen nachgeben.«
Er glaubte nicht richtig gehört zu haben, doch ein Blick in Susans funkelnde Augen sagte ihm, dass sie es ernst meinte.
»Darling, das kannst du nicht im Ernst meinen. Eine solche Reaktion von uns würde weitere Entführungen geradezu herausfordern – und außerdem würde die Regierung dabei niemals mitmachen.«
»Was schert mich die Regierung! Für mich zählt allein das Leben meines Vaters. Alle anderen Überlegungen sind mir völlig schnuppe. Wenn die Regierung nicht mitmachen will, dann gehen wir eben getrennt vor. Warum bieten wir nicht den Entführern Geld an und eine Garantie, dass die Sparteckeine Waffen mehr nach Israel liefern wird. Ich bin überzeugt, damit könnten wir mit ihnen ins Geschäft kommen.«
»Das ist doch Unsinn.« Duncan konnte seinen Ärger nicht mehr verbergen. »Weißt du, für wieviel Dollar wir jährlich nach Israel liefern? Das sind Millionen. Eine solche Handlungsweise nähme dein Vater niemals hin. Er würde mich nach seiner Rückkehr an die Luft setzen. Wir können uns doch nicht erpressen lassen. Nein, niemals! Außerdem fielen wir der Regierung mit so einem Vorschlag in den Rücken. Und das hätte, das garantiere ich dir, sehr nachteilige Auswirkungen auf künftige Regierungsaufträge.«
Susans Stimmung wurde immer kämpferischer. »Willst du damit sagen, dass Geschäfte wichtiger sind als das Leben meines Vaters?«
»Natürlich nicht, das weißt du doch«, versuchte Duncan sie zu beschwichtigen. »Aber wir müssen auch realistisch bleiben.«
Susan war nicht gewillt nachzugeben. Nachdrücklich sagte sie: »Was du für realistisch hältst und was ich darunter verstehe, scheinen zwei verschiedene Stiefel zu sein. Ich erkläre hier noch einmal: Mich interessiert allein Vaters Leben und Gesundheit. Was die Regierung denkt, ist mir völlig egal. Aber ich bestehe ja gar nicht darauf, dass wir den Forderungen der Entführer nachgeben. Wenn wir das nicht wollen, dann müssen wir Vater eben gewaltsam befreien. Und das ist gewiss in seinem Sinne. Warum schlägst du nicht der Regierung vor, sie solle ein militärisches Unternehmen vorbereiten, um die Gefangenen zu befreien? Wozu hat denn die Armee so viele Spezialisten rumsitzen! Sollen die doch auch mal etwas Sinnvolles tun. Und wenn die Regierung nicht will, setz sie unter Druck. Schließlich weiß ich, mit wieviel Geld Vater den Wahlkampf der Republikaner unterstützt hat.«
Ihr Verlobter schäumte innerlich vor Wut. Susan hatte die Initiative ergriffen und gab ihm Befehle, ihm, John Phillip Duncan. Es wurde höchste Zeit, dieses Gespräch abzubrechen, bevor sie mit weiteren wilden Vorschlägen kam und von ihm verlangte, sich dafür einzusetzen. Auf alle Fälle aber musste er verhindern, dass Susan einen Alleingang unternahm und womöglich auf die Forderung der Entführer einging. Das wäre katastrophal für seine Pläne. Er brauchte Zeit, um sich sein weiteres Vorgehen zu überlegen. Eins war ihm aber jetzt schon klar: Jede Aktion musste so weit wie möglich hinausgeschoben werden. Ohne seine Medizin, so dachte John, schwebte Dennis Albright in Lebensgefahr, und die Wahrscheinlichkeit, dass er in der Gefangenschaft starb, wurde mit jedem Tag größer.
Aber jetzt brauchte er erst einmal Zeit zum Nachdenken. Er musste Susan abwimmeln. In einer betont verständnisvollen, herzlichen Art sagte er deshalb: »Dein zweiter Vorschlag ist interessant. Ich muss ihn mir in Ruhe überlegen. Wir sollten darüber heute Abend sprechen. Was hältst du davon, wenn ich dich, sagen wir um halb acht, abhole und wir essen gehen? Nur jetzt musst du mich entschuldigen, ich habe gleich eine Konferenz.«
Susan hatte sich wieder etwas beruhigt. Versöhnlich sagte sie: »Sicher, John, ich verschwinde schon.«
Sie erhob sich, und John brachte sie zum Fahrstuhl. Bevor sie durch die geöffnete Tür in den Lift trat, sagte sie: »Und bitte, John, sei so lieb und sag Fred Marlin noch einmal recht herzlichen Dank, auch in meinem Namen.«
Er sah sie erstaunt an. »Wofür?«
»Oh, habe ich das nicht erzählt? Fred hat dafür gesorgt, dass Vater seine Medizin bekommen hat. Damit haben wir eine Sorge weniger.«