Susans Worte trafen Duncan wie ein Keulenschlag. Nur mit Mühe konnte er einen Fluch unterdrücken und sich zu einem verzerrten Lächeln zwingen. Zum Glück schloss sich die Fahrstuhltür, bevor er antworten konnte.
»Verfluchter Hund«, stieß er zwischen den Zähnen hervor, sobald Susan außer Hörweite war. Wütend drehte er sich um und ging in sein Büro zurück. Über die Gegensprechanlage befahl er der Sekretärin, ihn nicht zu stören. Die Konferenz hatte er nur als Ausrede benutzt, um Susan loszuwerden.
Fred Marlins Handeln hatte alle seine Pläne über den Haufen geworfen. Seine Hoffnung, Albright werde in der Gefangenschaft sterben, weil er seine lebensnotwendige Medizin nicht bekam, war durch diesen verfluchten Assistenten zunichte gemacht worden. Und damit war sein Ziel, Präsident der Sparteczu werden, wieder in weite Ferne gerückt. Jetzt galt es, als die veränderte Lage zu überdenken und die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Wie es seine Gewohnheit war, wenn er ein Problem zu analysieren hatte, legte er ein Blatt Papier vor sich hin und teilte es mit einem Bleistiftstrich in zwei Hälften. Dann ordnete er links alle Aspekte an, die seine Pläne behindern konnten, und rechts alle, die sie unterstützten. Danach beurteilte er die verschiedenen Möglichkeiten, die sich ihm boten, und wog sie gegeneinander ab. Er arbeitete konzentriert und ließ sich nicht durch anderweitige Gedanken ablenken. Nach zwei Stunden war er zu einem Entschluss gekommen und hatte sein weiteres Vorgehen festgelegt. Das Wichtigste war, dass niemand den Forderungen der Entführer nachgab. Und da die Regierung sich nicht erpressen lassen würde, konnte er damit rechnen. Doch die schwache Stelle in seinen Plänen war und blieb Susan. Bei ihr wusste man nie, ob sie sich in ihrer impulsiven Art nicht zu einem Alleingang hinreißen ließ. Und dies musste er unter allen Umständen verhindern. Er musste also, um an sein Ziel zu gelangen, über jeden ihrer Schritte informiert sein. Um dies zu erreichen, wollte er auf Susans Vorschlag, die Geiseln gewaltsam zu befreien, eingehen. Er war überzeugt, dass sie dann wieder volles Vertrauen zu ihm hätte und sich seiner Führung anvertrauen würde. Aber nicht nur aus diesem Grund wollte er ihren Plan unterstützen. Er glaubte, eine solche Aktion müsse misslingen. Wenn die Geiseln dabei ums Leben kämen, konnte ihm das nur recht sein. Und die Wahrscheinlichkeit war sehr groß. Schließlich hatten alle Kommandounternehmen, die die amerikanische Armee in den letzten dreißig Jahren unternommen hatte, mehr oder weniger in einer Katastrophe geendet. Ein verächtliches Lächeln lag um seinen Mund, als er an das Desaster bei der Befreiung der Botschaftsangehörigen in Teheran dachte.
Zufrieden, das Problem vorerst gelöst zu haben, drückte er auf den Knopf der Gegensprechanlage.
»Rufen Sie meinen Fahrer«, wies er die Chefsekretärin an, »er soll sich sofort bei mir melden.«
Eine Viertelstunde später betrat Bob Scanner das Büro. Seine Miene wirkte verschlossen, und tiefe Falten um seinen Mund verstärkten den mürrischen Gesichtsausdruck.
»Setz dich«, forderte Duncan ihn auf und deutete auf den Sessel, der vor dem Schreibtisch stand.
Wortlos nahm Bob Platz.
»Hör zu«, sagte Duncan mit leiser Stimme, »ich suche für eine bestimmte Aufgabe einen zuverlässigen Mann.«
Scanner schwieg und wartete.
»Der Mann«, fuhr Duncan fort, »soll jemanden für mich beschatten und mir bestimmte Informationen besorgen. Er muss gut, zuverlässig und skrupellos sein. Besorg mir jemand Geeigneten.«
Für Scanner war die Anweisung in keiner Weise ungewöhnlich. Er hatte schon oft für Duncan ähnliche Aufträge ausgeführt. Ohne zu überlegen, antwortete er: »Ich kenne jemanden – mich.«
»Geht nicht, Bob. Du bist zu bekannt. Die Gefahr, dass du erkannt wirst, ist zu groß. Außerdem brauche ich dich hier.«
»Dann, Chef, muss ich mir das erst mal überlegen. Wie schnell brauchst du ihn denn?«
»Gestern.«
Scanner grinste. Die Frage hätte er sich sparen können, denn er wusste, dass Duncan immer alles sofort haben wollte.
»Ich glaube, ich könnte bis heute Abend jemanden finden. Reicht das?«
Duncan nickte und erhob sich zum Zeichen, dass das Gespräch beendet war.
Nachdem Scanner die Tür hinter sich geschlossen hatte, informierte Duncan die Chefsekretärin, dass er wieder zu sprechen sei. Dann verbannte er jeden Gedanken an Albright und konzentrierte sich ausschließlich auf die Aufgaben, die er als Leiter der Spartec zu erfüllen hatte.
Am Abend, gegen sechs Uhr zwanzig, verließ er das Verwaltungsgebäude. Scanner wartete mit der Cheflimousine vor dem Portal. Als sie sich in den starken Feierabendverkehr eingefädelt hatten, sagte Scanner: »Ich habe den passenden Mann für dich. Es ist ein Privatdetektiv. Ich kenne ihn noch aus meiner New Yorker Zeit.«
»Ist er zuverlässig? Kann man ihm vertrauen?«
»Absolut. Die Detektivagentur ist nur eine Tarnung. In Wirklichkeit lebt er von Aufträgen wie deinem. Wenn du gut zahlst, übernimmt er jede Arbeit. Augenblicklich ist er frei. Wenn du willst, kann ich ein Treffen mit ihm arrangieren.«
»Wie vertrauenswürdig ist er?«, kam Duncan auf seine Frage zurück. »Nicht, dass er glaubt, uns nachher erpressen zu können.«
»Keine Sorge, Chef. Der ist okay. Sonst läge er schon längst im Hudson. Außerdem, was hindert uns, ihn verschwinden zu lassen, wenn er lästig wird?«
Duncan überdachte Scanners Worte. Nach einer Weile sagte er: »Gut, arrangier ein Treffen. Sagen wir morgen, sechs Uhr abends, im Quality Inn – das am Capitol Hill. Da wimmelt es um diese Zeit von Geschäftsreisenden, Ausländern und Touristen. Ich werde dort nicht auffallen. Sag ihm, er soll dort auf mich warten.«
»Okay, Chef, wird erledigt.«
Als Duncan endlich in seinem Apartment ankam, war es schon spät. Er musste sich beeilen, um Susan pünktlich abzuholen. Schnell warf er die Kleider ab und nahm ein Bad. Trotz aller Eile machte er das sorgfältig, denn er wollte Susan schon durch seine äußere Erscheinung beeindrucken. Pünktlich klingelte er an ihrer Apartmenttür.
Der Abend mit seiner Verlobten verlief ganz so, wie Duncan es erhofft hatte. Die elegante Atmosphäre des Restaurants, sein Charme und vor allem seine Bereitwilligkeit, ihren Vorschlag zu unterstützen, hatten den gewünschten Erfolg. Zufrieden erkannte er, dass Susan wieder volles Vertrauen in seine Redlichkeit hatte. Mehrfach versicherte sie ihm, in Zukunft alle Pläne mit ihm abzusprechen.
Am nächsten Morgen rief er als erstes Barlowsky an. Er hatte unerwartetes Glück. Der Sicherheitsberater war in seinem Büro und stimmte einer Besprechung noch am späten Vormittag zu.
Da bis zu dem Termin noch ausreichend Zeit war, rief er den Krisenstab zu einer Sitzung zusammen. Den erstaunten Mitgliedern unterbreitete er Susans Plan und achtete bei der Darstellung darauf, dass ihm später niemand falsches Handeln vorwerfen könnte. Gelang das Unternehmen, was er nicht hoffte, so konnte er behaupten, er habe es unterstützt. Misslang es, dann konnte er glaubhaft versichern, dass er von Anfang an Bedenken gehabt habe und nur Susans Wunsch und dem Beschluss des Krisenstabs gefolgt sei. Wie erwartet, wurde der Plan von den Mitgliedern einstimmig gebilligt. Jeder hielt gezieltes Handeln für besser als untätiges Warten.
Pünktlich um elf Uhr dreißig wurde Duncan am Weißen Haus von einem Sicherheitsbeamten an der Wache in Empfang genommen und durch einen Seiteneingang und mehrere Flure ins Büro des Sicherheitsberaters geführt.
Ein mittelgroßer, agil wirkender Mann kam ihm mit ausgestreckter Hand entgegen. »Sie wollten mich in der Entführungssache sprechen«, kam er sofort zur Sache.
Beide Männer nahmen auf einer Ledercouch Platz, und Duncan trug seine Vorstellungen über eine gewaltsame Befreiung der Geiseln in knappen, aber zwingenden Worten vor. Er hatte sich seine Vorgehensweise und Argumentation vorher gründlich überlegt.
Mit unbewegter Miene hörte Barlowsky zu. So sehr Duncan sich auch bemühte, er konnte in dem Pokergesicht seines Gesprächspartners nicht erkennen, wie er die Worte aufnahm.
»Und wie stellen Sie sich die Befreiung konkret vor?«, war alles, was Barlowsky schließlich fragte.
»Nun, ich denke an ein militärisches Kommandounternehmen«, antwortete Duncan. »Ein solches Unternehmen würde unser, ich meine das amerikanische Ansehen im Ausland fördern. Seit dem militärischen Desaster im Iran ist unser Image schlecht. Das ist weder für die Regierung noch für die Wirtschaft gut. Im Ausland fängt man bereits an, uns zu belächeln. Immer häufiger hören wir von unseren Geschäftspartnern die Frage, warum wir Amerikaner uns solche Entführungen gefallen lassen. Papiertiger nennt man uns. Nicht öffentlich, aber hinter vorgehaltener Hand. Es ist schon beschämend, wenn man uns zu verstehen gibt, wir sollten uns ein Beispiel an Israel oder der Bundesrepublik Deutschland nehmen. Und, ich sage es Ihnen in aller Deutlichkeit, wenn das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unserer Regierung verlorengeht, dann trifft das zwangsläufig auch unsere Wirtschaft. Und das, Mr. Barlowsky, können wir nicht hinnehmen.«
Die Miene des Sicherheitsberaters blieb steinern. Nichts wies darauf hin, dass er die versteckte Drohung in Duncans Worten gehört hatte. Seine Stimme blieb gleichbleibend kühl, als er antwortete: »Eine interessante Analyse, die Sie da gegeben haben, aber Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
Duncan ließ sich nicht in die Enge treiben. »Ich glaube nicht, dass jetzt und hier der richtige Ort ist, über Details zu sprechen. Trotzdem will ich Ihnen sagen, wie ich mir ein solches Unternehmen vorstelle«, fuhr er fort und skizzierte in knappen Worten seine Gedanken.
»Etwas abenteuerlich«, meinte der Sicherheitsberater.
Duncan sah Barlowsky fest in die Augen, als er erwiderte: »Ich kann daran nichts Abenteuerliches finden. Abenteuerlich ist für mich nur, dass wir nichts unternehmen und so tun, als würden wir durch Verhandlungen etwas erreichen, und uns damit zum Gespött der Welt machen. Wie lange sitzen denn schon die anderen Amerikaner im Libanon in Gefangenschaft? Über zwei Jahre«, beantwortete Duncan seine eigene Frage. »Und was haben wir durch Verhandlungen erreicht? Nichts!«
Duncan wurde immer ärgerlicher. Vor allem, weil er sein Gegenüber nicht einschätzen konnte und das Gefühl hatte, Barlowsky wolle ihn absichtlich provozieren, um herauszufinden, wie ernst es ihm mit seinem Vorschlag war. Nun gut,dachte er, wenn das seine Absicht ist, dann soll er es hören. Er versuchte, seinen Ärger zu unterdrücken und seiner Stimme einen geschäftsmäßigen Klang zu geben.
»Wie ich schon sagte, neben der rein menschlichen Tragödie, die die Entführung für Opfer und Angehörige bedeutet, kann sie auch Auswirkungen auf die Wirtschaft, insbesondere den Außenhandel, haben. Und dies kann und wird die Spartecnicht hinnehmen.«
»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte der Sicherheitsberater, und Duncan glaubte, zum ersten Mal Anzeichen von Unruhe herauszuhören.
»Ich will damit Folgendes sagen: Wenn die Regierung nichts unternimmt, werden wir, die Spartec, handeln. Zum Beispiel könnten wir versuchen, Mr. Albright ohne Rücksicht auf das Schicksal der beiden anderen Geiseln gegen ein angemessenes Lösegeld freizubekommen. Aber ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass eine solche Transaktion erhebliche Summen kostet. Geld, das wir aus der Spartec ziehen müssten und das natürlich bei den kommenden Präsidentschaftswahlen nicht mehr zur Unterstützung Ihrer Partei zur Verfügung stehen würde.«
Der Sicherheitsberater musterte Duncan mit einem Blick, der ihm sagte, dass die Drohung wohl verstanden worden war. Nach einigen Augenblicken des Schweigens erhob sich Barlowsky. Die Unterredung war beendet. Zum Abschied sagte er: »Wir müssen schon im Interesse der Gefangenen unter allen Umständen versuchen, gemeinsam zu handeln. Ich werde unserem Krisenstab Ihren Vorschlag unterbreiten. Wir werden diese Möglichkeit eingehend prüfen. Ich werde Sie über das Ergebnis informieren. Bis dahin bitte ich Sie, keine eigenen Schritte zu unternehmen.«
»Einverstanden. Wir werden warten«, versicherte Duncan.
Zufrieden mit dem Ergebnis der Unterredung fuhr er zur Spartec zurück.
Es war elf Uhr abends geworden, als Duncan wieder seine Wohnung betrat. Er schlüpfte aus seinem Jackett, warf es achtlos über einen Stuhl, schenkte sich ein Glas Whisky ein und lümmelte sich in seinen Lieblingssessel. Die Beine weit von sich gestreckt, nahm er einen tiefen Schluck. Die Wärme des Alkohols breitete sich in seinem Körper aus und entspannte ihn. Es war ein anstrengender Tag gewesen, aber er war zufrieden mit den Ergebnissen. Der Privatdetektiv, den Bob Scanner ihm empfohlen hatte, machte einen guten Eindruck. Er war anscheinend ganz der Mann, den er brauchte. Eiskalt und skrupellos. Duncan hatte ihm zwei Aufträge gegeben: Er sollte seine Verlobte überwachen und herausfinden, ob es unter den arabischen Botschaften in Washington oder den arabischen Delegationen bei der UNO in New York Männer gab, die mit den Entführern in Verbindung standen. Hank Smith, so nannte sich der Detektiv, hatte die Aufträge übernommen, ohne Fragen zu stellen. Sein Preis war hoch, aber Duncan hatte kommentarlos gezahlt.
Nach dem Gespräch mit Smith war Duncan noch zu Susan gefahren, um sie über seine Unterredung mit Barlowsky zu unterrichten. Sie war ihm für seine Hilfe sehr dankbar, und er hatte das Gefühl, dass sie ihm wieder voll vertraute.
Zufrieden, wieder alle Fäden in der Hand zu halten und seinem Ziel einen Schritt näher gekommen zu sein, trank Duncan seinen Whisky aus.