Kapitel 11

Am nächsten Morgen kurz nach sieben Uhr riss das Telefon Susan Albright aus dem Schlaf.

Es war Tom, der wissen wollte, ob sie an ihrem Entschluss von gestern Abend festhielt.

»Natürlich«, sagte sie entschieden. »Was ich mir einmal vorgenommen habe, das führe ich auch aus.«

»Alles klar, ich wollte nur sichergehen, dass du es dir nicht über Nacht anders überlegt hast. Also dann bis übermorgen, und halt die Ohren steif.«

Gegen zehn Uhr, Susan war gerade dabei zu waschen, rief die Chefsekretärin ihres Vaters an. Sie übermittelte Susan John Phillips Bitte, ihn um halb eins in Karby’s Steakhouse zum Lunch zu treffen, da er wichtige Informationen für sie habe.

Susans erster Impuls war, ihm abzusagen. Sie ärgerte sich noch immer darüber, dass er es nicht für nötig gehalten hatte, ihr die Entscheidung der Regierung sofort mitzuteilen. Aber dann stimmte sie doch zu, denn das Treffen würde ihr Gelegenheit bieten, John zu sagen, wie sehr sie sein Verhalten missbilligte.

Es wurde ein unerquickliches Essen. Susan kam wenige Minuten nach halb eins im Steakhouse an, John war bereits da und empfing sie mit einem breiten Lächeln. Susan begrüßte ihn kühl und ging auf seine betont herzliche Art nicht ein. Mit abweisender Miene fragte sie ihn, was er ihr so Wichtiges zu sagen habe. Verwundert über ihre zurückhaltende, distanzierte Art, erzählte er ihr von dem Entschluss der Regierung und der erneuten Forderung der Entführer. Als Susan nicht antwortete, fragte er irritiert: »Was ist mit dir, Liebling? Du benimmst dich heute so sonderbar. Interessieren dich die Nachrichten nicht?«

Susan antwortete gleichgültig: »Das schon, nur kenne ich sie bereits. Du hättest deine kostbare Zeit deswegen nicht opfern müssen.«

Er blickte sie verblüfft an. »Du kennst sie schon? Unmöglich! Ich habe sie ja selber gerade erst erfahren.«

Susan war empört über diese Lüge. Hitzig erwiderte sie: »Das erstaunt mich. Der Sicherheitsberater sagte mir, dass du den Entschluss der Regierung schon seit Tagen kennst.«

»Wer hat das gesagt?«, fragte Duncan scharf.

Betont gleichgültig antwortete sie: »Du solltest besser zuhören. Ich sagte, der Sicherheitsberater hat es mir mitgeteilt. Ich habe ihn angerufen.«

»Du hast was?«

»Du scheinst tatsächlich schlecht zu hören. Ich sagte, ich habe ihn angerufen.«

John zerknüllte die Serviette, Wut entstellte sein sonst so hübsches Gesicht. »Wie konntest du es wagen, hinter meinem Rücken mit dem Sicherheitsberater zu sprechen. Ich …«

Susan ließ ihn nicht ausreden. Obwohl sie innerlich in Aufruhr war, zwang sie sich zur Ruhe und antwortete kalt: »Ich glaube, du vergisst dich. Ich wäre dir dankbar, wenn du dich zügeln würdest. Ich lasse mir weder von dir noch von sonst jemandem vorschreiben, mit wem ich sprechen darf und mit wem nicht. Aber weil wir gerade dabei sind, unsere schmutzige Wäsche in aller Öffentlichkeit zu waschen, sage ich dir, ich war mehr als verärgert, als ich feststellen musste, dass du Informationen vor mir zurückhältst. Ich werde aus deinem Verhalten Konsequenzen ziehen.«

Mühsam zwang sich Duncan zu einem Lächeln. Das Gespräch nahm eine für seine Pläne ungünstige Wendung. »Aber, Liebling, lass dir …«

»Spar dir deine Erklärungen«, unterbrach sie ihn und stand auf. Als sie sah, dass auch John sich erhob, fügte sie eisig hinzu: »Danke, du brauchst mich nicht zu begleiten. Ich finde allein hinaus.«

Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, verließ sie den Speiseraum. Vor dem Restaurant bog sie nach rechts ab, ging aber nicht zum Parkplatz, auf dem ihr Wagen stand, sondern die Straße hinunter zu einem kleinen Shopping Center, wo sie sich in einer Cafeteria einen Kaffee bestellte. Sie war zu aufgewühlt, um jetzt Auto zu fahren. Sie betrachtete den Ring an ihrer linken Hand. Der große Diamant funkelte im Licht der Lampen. Das Feuer des Steins, das sie sonst so fasziniert hatte, kam ihr fremd vor. Aus einem Impuls heraus streifte sie John Phillips Verlobungsring vom Finger und steckte ihn in ihre Handtasche.

Nach diesem wenig erfreulichen Ereignis verlief der Rest des Tages ruhig. John versuchte weder am Nachmittag noch am nächsten Tag, mit ihr in Verbindung zu treten. Es war Susan recht. Sie wartete einzig auf einen Anruf von Tom. Endlich, gegen sechs Uhr abends, meldete er sich.

»Hallo, Susan«, begrüßte er sie fröhlich. »Ich ruf vom Flughafen aus an. Alles lief besser, als ich dachte. Bist du bereit, mit mir morgen früh um acht Uhr zehn nach Birmingham zu fliegen? Birmingham in Alabama, meine ich. Alles andere erkläre ich dir im Flugzeug. Ich bin jetzt in fürchterlicher Eile.«

Susan war sprachlos. Der Vorschlag überraschte sie völlig. Sie wollte etwas fragen, besann sich dann jedoch anders und stimmte zu.

»Gut, dann treffen wir uns morgen um halb acht bei Republic Airlines im International Airport. Besser, du nimmst einige Sachen mit, falls wir ein paar Tage unten bleiben müssen. Alles klar?«

Susan bestätigte, und er sagte: »Also, dann bis morgen.«

Als Susan am nächsten Morgen zum Flugplatz kam, wartete Tom bereits am Eingang zur Abfertigungshalle auf sie.

Am Schalter der Republic Airlines standen, wie jeden Morgen, die Passagiere Schlange. Da Tom erste Klasse gebucht hatte, brauchten sie nicht zu warten. An einem gesonderten Abfertigungsschalter gaben sie ihr Gepäck auf und ließen sich die Bordkarte aushändigen. Als sie außer Hörweite der am Schalter wartenden Fluggäste waren, konnte Susan ihre Neugierde nicht mehr bezwingen und bestürmte Tom mit Fragen. Doch er winkte lachend ab. »Geduld. Wenn wir in der Maschine sind, werde ich dir alles erklären.«

Die Boeing 727 war bis auf den letzten Sitz ausgebucht, doch das störte beide wenig. Sie hatten in der ersten Klasse ausreichend Platz und konnten sich ungestört unterhalten.

»Also, hör zu, Susan«, begann Tom, »ich hatte ja schon angedeutet, dass ich jemanden kenne, der dir vielleicht bei deinem Plan helfen kann. Ich bin vorgestern zu ihm geflogen und habe mich mit ihm über die Möglichkeiten einer gewaltsamen Geiselbefreiung unterhalten, ohne einen bestimmten Fall zu erwähnen. Theoretisch hält er ein solches Unternehmen für machbar. Ich habe dann gleich einen Termin für heute ausgemacht, um mich mit ihm über das Thema genauer zu unterhalten. Er weiß nicht, dass ich dich mitbringe, und natürlich auch nicht, worum es sich im Detail handelt. Versprich dir also nicht zu viel von unserem Unternehmen. Es kann gut sein, dass er ablehnt.«

Susan hatte aufmerksam zugehört und wollte wissen, wer denn dieser »Er« sei.

Porter überlegte einige Augenblicke und sagte dann: »Mein Bekannter heißt Mark Foreman und ist ein typischer Hansdampf in allen Gassen. Bis vor fünf Jahren war er Lieutenant Colonel bei den Marines und hat sich während seiner Dienstzeit überall herumgetrieben, wo was los war. Er hat auch an dem unglücklichen Unternehmen im Iran teilgenommen – du weißt, wo sie versucht haben, die Botschaftsangehörigen zu befreien. Nach zwanzig Jahren Dienstzeit ist er in Pension gegangen. Danach hat er sich in einigen zivilen Berufen versucht, die seinen Abenteuerdrang aber alle nicht befriedigen konnten. Vor drei Jahren gründete er dann zusammen mit einem israelischen Freund in der Nähe von Birmingham eine private Schule für Personenschutz und Anti-Terror-Kräfte. Sein Freund heißt Sam Tilkowsky, war auch Lieutenant Colonel und gehörte zuletzt dem israelischen Geheimdienst an. Ihre Schule ist ein wahrer Renner. Sie können sich vor Bewerbern aus dem In- und Ausland kaum retten.«

Susan wollte noch vieles über Mark Foreman und seine Schule wissen, und Tom versuchte, ihre Fragen, so gut er konnte, zu beantworten. Trotzdem blieb etliches ungeklärt, und Tom gab Susan den Rat, eine Frageliste für die Konferenz mit Mark Foreman aufzustellen.

Ihr Gespräch wurde unterbrochen, als die Stewardess einen Morgenimbiss servierte. Während des Essens fiel Tom auf, dass Susan ihren Verlobungsring nicht mehr trug. Neugierig fragte er nach dem Grund.

Zuerst wollte sie nicht darüber sprechen, doch nach einer Weile kam sie selbst auf das Thema zurück. Vielleicht war es gut, wenn sie sich bei einem unbeteiligten Freund aussprach. Und so erzählte sie ihm von ihren ersten Zweifeln, von der Versöhnung, von Johns Verhalten in den letzten Tagen und von ihren verletzten Gefühlen. Zum Schluss sah sie Tom an. »Ich kenne mich selbst nicht mehr. Ich kann dir nicht einmal sagen, ob ich John noch liebe. Du als mein Freund, kannst du mir nicht einen Rat geben?«

Ihre Stimme klang verzweifelt, und Tom, der Susan voller Mitgefühl betrachtete, bemerkte, wie ihre Augen feucht wurden. Seine sonst so lustigen Augen sahen sie ernst an.

»Weißt du, ein alter chinesischer Philosoph hat einmal gesagt, ein kluger Mann gibt keinen unerbetenen Rat und ein weiser Mann auch keinen erbetenen. Und wenn es um dein Gefühlsleben geht, dann kann ich dir wirklich nicht helfen. Da musst du schon selbst deinen Weg finden.«

Susan seufzte: »Ich weiß.«

Beide schwiegen. Erst als die Boeing 727 Memphis anflog, wo sie umsteigen mussten, ergriff Tom erneut das Wort.

»Ich will dir keinen Rat geben, versteh mich bitte recht, aber ich kann dir sagen, was ich von Duncan halte. Willst du es hören?«

Susan antwortete nicht, sondern nickte nur.

»Ich halte ihn für einen Emporkömmling, der sich nur für seinen eigenen Vorteil interessiert. Ich traue ihm nicht. Mir ist er zu aalglatt. Hast du schon einmal bemerkt, dass seine Augen nicht mitlachen, wenn er lacht? Ich kann mir sogar vorstellen, dass er dir nur den Hof gemacht hat, weil du die Tochter seines Chefs bist. Aber ich kenne ihn natürlich nicht so gut wie du, und es mag alles falsch sein, was ich gesagt habe. Dann vergiss es.«

Susan schwieg. Tom konnte nicht erkennen, ob sie ihm überhaupt zugehört hatte. Sie ging mit keiner Bemerkung auf seine Worte ein, weder während sie in Memphis warteten noch während des Flugs nach Birmingham.

Tom vermied es, noch einmal über dieses Thema zu sprechen.

Nach der Landung ging er zum Schalter von Avis Rent-A-Car, wo er vor zwei Tagen einen Leihwagen bestellt hatte.

Ein Mann mittleren Alters, der in Memphis mit ihnen umgestiegen war, hatte sich hinter Tom in die Schlange eingereiht und blickte dem Journalisten unauffällig nach, als dieser mit den Autoschlüsseln zu Susan ging und beide zusammen das Ankunftsgebäude verließen. Hastig bestellte er einen Leihwagen, musste aber zu seinem Ärger hören, dass alle Fahrzeuge vorbestellt waren. Er versuchte es bei einer anderen Agentur, hatte aber auch dort kein Glück. Wütend drehte er sich um und rannte nach draußen, aber auch der Taxistand war leer. Er knirschte mit den Zähnen und stieß einen unflätigen Fluch aus, während er in die klimatisierte Ankunftshalle zurückkehrte. Eine Zeitlang überlegte er, was zu tun sei, dann ging er zu einer Telefonzelle und wählte eine Washingtoner Nummer. Die Anweisungen, die er von seinem Gesprächspartner erhielt, waren unmissverständlich, aber sie halfen ihm bei seinem Problem nicht weiter. Mürrisch verließ er die Telefonzelle.

Tom war inzwischen mit Susan zum La Quinta Motel gefahren, telefonierte von seinem Zimmer aus mit Mark Foreman und kündigte seinen Besuch für drei Uhr nachmittags an.

Da die Schule für Personenschutz und Anti-Terror-Kräfte gut vierzig Meilen außerhalb Birminghams lag, verließen Susan und Tom bereits um zwei Uhr das Motel. Während der Fahrt versuchte Tom, Susan mit ein paar Anekdoten aufzuheitern, die er über die Schule gehört hatte. Er hatte jedoch wenig Erfolg. Susan, die sonst immer bereit war, auf seine witzige, ironische Art einzugehen, quittierte die Pointen nur mit einem mechanischen Lächeln. Sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut, war nervös und hatte Angst vor dem, was ihr bevorstand. Je näher sie dem Camp kamen, desto größer wurden ihre Zweifel, ob das, was sie tun wollte, auch wirklich richtig war. Würde sie nicht doch das Leben ihres Vaters gefährden, wenn sie sich einem Mann anvertraute, von dem sie nicht mehr wusste, als dass er ein Bekannter von Tom Porter war? Der Gedanke, das Leben ihres Vaters durch ihren spontanen Entschluss zu gefährden, lastete schwer auf ihr. Am liebsten wäre sie umgekehrt und hätte die ganze Aktion abgeblasen. Aber irgendetwas in ihr zwang sie weiterzumachen.

Nach fünfzig Minuten verließ Tom den Highway und bog in eine schmale Schotterstraße ein. Rechts und links säumte ein undurchdringbarer Urwald die Fahrbahn. Nach vier Kilometern mündete die Straße in einen kleinen Platz, der auf der Südseite durch einen hohen Zaun begrenzt wurde. Die Fahrbahn lief auf ein eisernes Tor zu, das von einem hölzernen Wachhaus überwacht werden konnte. Auf der Straße, die dahinter ins Lager zu führen schien, waren mit Sand gefüllte Ölfässer so aufgestellt, dass sie nur im Schritttempo passiert werden konnten. Als Tom vor dem Tor hielt, traten ein Mann und eine Frau, in Tarnanzüge gekleidet und mit Maschinenpistolen bewaffnet, aus dem Gebäude. Susan wurde beim Anblick der Waffen unheimlich zumute.

»Haben die richtige Munition?«, fragte sie ängstlich.

»Sicher, aber du brauchst keine Angst zu haben, auch wenn sie uns gleich gründlich kontrollieren werden. Es sind alles Schüler, und Personen- und Fahrzeugkontrolle gehören mit zu ihrem Ausbildungsprogramm.«

Auf Susan wirkten diese Worte wenig beruhigend.

Tom nannte der Frau, die ans Tor getreten war, ihre Namen und reichte ihr zur Identifikation die Führerscheine durchs Gitter. Die Frau verschwand mit den Ausweisen im Wachgebäude. Nach wenigen Minuten kam sie zurück, öffnete das Tor und händigte den beiden Sicherheitsmarken aus. Bevor sie jedoch weiterfahren konnten, wurden zuerst sie und anschließend ihr Fahrzeug nach Waffen und Sprengstoff untersucht. Die Frau erfüllte ihre Aufgabe so gründlich, dass Tom und Susan über eine Viertelstunde an der Wache warten mussten. Endlich war die Frau fertig, und Tom und Susan konnten wieder einsteigen. Der Mann, der als Sicherungsposten abseits gestanden hatte, nahm auf dem Rücksitz Platz und eskortierte sie zur Schule.

Das Gebäude stand auf einer weiten Lichtung und sah aus wie eine große Lagerhalle. Das fensterlose Gebäude wirkte auf Susan so unwirklich und unheimlich, dass sie sich zusehends unwohl und beklommen fühlte. Auch das Innere des Gebäudes war nicht dazu angetan, ihre Stimmung zu verbessern. Die bloßen Steinwände waren mit einem undefinierbaren Grün angepinselt, und der Fußboden bestand aus grauen Kunststoffplatten. Sie hatte das Gefühl, als befände sie sich in einer Armee-Baracke, wie sie sie in Kriegsfilmen gesehen hatte. Das Einzige, was ihr wohltat, war die kühle, klimatisierte Luft, die das Gebäude durchzog.

Ihr Begleiter brachte die beiden zu einem Empfangshaus, in dem sie einen neuen Sicherheitsausweis bekamen. Dann übernahm sie wieder der Wachtposten vom Tor und führte sie einen Gang entlang, an dessen Ende er vor einer Tür stehenblieb. Ohne anzuklopfen, öffnete er die Tür.

»Die Besucher, Sir«, meldete er und hielt die Tür auf, so dass Susan und Tom eintreten konnten.

Ein wahrer Hüne erhob sich hinter dem Schreibtisch. Groß, breitschultrig, muskulös. Aber trotz seiner massigen Gestalt wirkten seine Bewegungen geschmeidig, als er auf sie zutrat. Susan musste an einen Tiger denken. Seine von Wind und Wetter braun gegerbte Haut und die scharfgeschnittenen Gesichtszüge zeugten von eisernem Willen und Entschlusskraft. Und trotzdem strahlte seine ganze Erscheinung so viel Ruhe und Gelassenheit aus, dass Susan sich sogleich von ihm angezogen fühlte.

»Hallo, Tom«, begrüßte er ihren Begleiter. »Ich sehe, du hast Besuch mitgebracht. Auch eine Journalistin?«

Tom schüttelte Mark Foreman die Hand und stellte Susan Albright vor. Foreman musterte sie interessiert.

»Albright? Heißt so nicht der Präsident der Spartec, der in Kairo entführt wurde? Sind Sie mit ihm verwandt?«

Sein offener, freundlicher Blick zog Susan noch mehr an als seine männliche Ausstrahlung. Ihre Beklommenheit wich. Unwillkürlich lächelte sie, als sie antwortete. »Ich bin seine Tochter.«

Foreman pfiff durch die Zähne und wandte sich an Tom. »Jetzt verstehe ich, warum du mich gefragt hast, ob wir auch Einsätze zur Befreiung von Geiseln durchführen können. Interessant! Äußerst interessant!« Die letzten Worte hatte er mehr zu sich selbst als zu Porter gesprochen.

»Doch bitte nehmen Sie Platz.« Mark Foreman führte seine Gäste zu einem Tisch, um den zehn Metallstühle standen. Höflich rückte er den Stuhl für Susan zurecht.

Bevor er sich selbst setzte, wandte er sich an Tom: »Da ich mir inzwischen denken kann, worum es sich bei dem Besuch handelt, möchte ich gerne meinen Partner Sam Tilkowsky zur Besprechung hinzuziehen. Hast du was dagegen?«

Tom sah Susan an. Sie schüttelte den Kopf.

Foreman ging zum Telefon und beauftragte jemanden, Tilkowsky in sein Büro zu bitten.

Der Mann, der einige Minuten später eintrat, war ein ganz anderer Typ als Mark Foreman. Er war auch Anfang Vierzig, aber im Gegensatz zu Foreman höchstens mittelgroß und extrem schlank. Sein dunkles Haar war an den Schläfen ergraut. Seine hohe Stirn und die flinken, intelligent blickenden Augen fielen besonders auf. Auf Susan machte er eher den Eindruck eines Gelehrten als den eines ehemaligen Offiziers.

Mark Foreman stellte Samuel Tilkowsky vor. Außer ein paar höflichen Worten zur Begrüßung sagte Tilkowsky nichts, zog sich einen Stuhl heran und nahm neben Foreman Platz. Seine intelligenten Augen musterten die beiden Besucher prüfend.

»Ich schlage vor, du erläuterst uns kurz deinen Wunsch. Danach werden wir weitersehen«, wandte sich Foreman an Tom.

Der deutete auf Susan. »Miss Albright wird das tun.« Er sah Susan aufmunternd an.

Nervös begann Susan zu sprechen. Die gelassene Selbstsicherheit Foremans beruhigte und irritierte sie zugleich.

»Wie Sie vielleicht wissen«, begann sie zögernd, »ist mein Vater Präsident der Spartec. Er wurde vor über zwei Monaten zusammen mit dem Wirtschaftsattaché unserer Botschaft und dessen Fahrer in Kairo entführt und wird seitdem im Libanon gefangengehalten. Vor etwa einem Monat habe ich den Vorschlag gemacht, meinen Vater gewaltsam zu befreien. Die Regierung hat den Vorschlag abgelehnt und will versuchen, die Gefangenen durch Verhandlungen freizubekommen.« Während sie sprach, wurde sie immer sicherer. »Ich glaube nicht an den Erfolg solcher Verhandlungen. Schließlich sind ja schon andere amerikanische Geiseln seit über zwei Jahren im Libanon gefangen, und alle Bemühungen um ihre Freilassung waren bislang erfolglos. Aber abgesehen davon, Verhandlungen brauchen Zeit, und Zeit habe ich nicht! Mein Vater ist herzkrank. Aufregungen und unzureichende Betreuung können für ihn tödlich sein. Ich kann nicht mehr warten. Ich suche deshalb Männer, die bereit sind, meinen Vater für ein angemessenes Honorar zu befreien. Würden Sie eine solche Aufgabe übernehmen?«

Foreman sah seinen Freund und Partner an. Dieser bewegte nur leicht den Kopf. Eine Geste, aus der Susan nichts entnehmen konnte. Foreman jedoch schien seinen Partner verstanden zu haben. Zu Susan gewandt, sagte er: »Ich kann Ihre Frage nicht mit Ja oder Nein beantworten. Wenn sich ein solcher Plan überhaupt durchführen lässt, dann wird es ein äußerst gefährliches Unternehmen, das gut vorbereitet sein will. Aber einen Erfolg kann ich auch dann nicht garantieren. Außerdem würde es Sie eine Stange Geld kosten.«

Susan hatte das Kinn vorgeschoben und erwiderte: »Ich weiß, dass es schwierig ist und Geld kosten wird. Aber wenn es eine realistische Chance gibt, meinen Vater zu befreien, dann will ich es versuchen. Werden Sie es machen?« Sie sah Mark Foreman fragend an.

Foreman antwortete nicht darauf.

»Wissen Sie, wo Ihr Vater im Libanon gefangengehalten wird?«

»Nein, jedenfalls glaube ich, dass es nicht bekannt ist, aber …«

Tom unterbrach sie: »Ich glaube, ich kann es herausfinden. Ich habe viele Freunde in Frankreich, die mir dabei helfen werden.«

Foreman sah den Journalisten skeptisch an. »Möglich«, sagte er wenig überzeugt. »Ich glaube jedoch, dass die Entführer alles getan haben, damit der Aufenthaltsort der Geiseln nicht entdeckt wird. Aber wenn wir nicht genauestens wissen, wo die Geiseln gefangengehalten werden, können wir jeden Versuch, sie zu befreien, vergessen.«

Es war allen klar, dass Foreman mit seiner letzten Bemerkung recht hatte. Deshalb wurde die Frage, ob es möglich sei, den Aufenthaltsort der Geiseln festzustellen, eingehend diskutiert. Man kam schließlich zu der Überzeugung, es sei zwar schwierig, aber nicht aussichtslos.

Bis spätabends saßen die vier zusammen und erörterten eine Vielzahl von Problemen. Schließlich beendete Foreman die Besprechung und sagte Susan, dass er sich die ganze Sache überlegen wolle. Morgen früh werde er ihr seine Entscheidung mitteilen. Man vereinbarte, sich um neun Uhr zu einem gemeinsamen Frühstück im La Quinta Motel zu treffen.

Während der Rückfahrt nach Birmingham war Susan sehr schweigsam. Sie hing ihren Gedanken nach und war dankbar, dass Tom ihr keine Unterhaltung aufzwang. Sie dachte an Mark Foreman, fragte sich, warum sie sich zu dem ihr völlig fremden Mann so hingezogen fühlte. Sie verglich ihn mit John Phillip. Beide waren sie Erfolgsmenschen, aber was für ein Unterschied! Bei Foreman wirkte alles offen, aufrichtig, ehrlich. Nichts an ihm schien künstlich anerzogen. Vom ersten Augenblick an hatte sie das Gefühl, dass sie ihm bedingungslos vertrauen konnte. Sie dachte an seine warmen Blicke und die herzliche, unaufdringliche Freundlichkeit, mit der er sie behandelt hatte, und plötzlich wurde ihr deutlich, was sie an ihrem Verlobten vermisst hatte, was sie an seinen Gefühlen hatte zweifeln lassen. Es war, als hätte ihr jemand den Schleier von den Augen gerissen und als könne sie nun plötzlich den wahren Charakter von John Phillip Duncan erkennen. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie daran dachte, dass sie mit John geschlafen hatte, sich in ihrer Leidenschaft völlig vor ihm entblößt hatte, körperlich und seelisch.

»Ist was?«, fragte Tom, dem nicht entgangen war, dass Susan sich geschüttelt hatte.

»Nein«, winkte sie ab, »mich fröstelt nur. Die Klimaanlage bläst zu kalt.«

Sofort stellte er die Klimaanlage schwächer. Im Wagen wurde es wärmer, aber auch feuchter.

Als sie in ihrem Motel ankamen, fragte Tom, wann sie sich zum Dinner treffen wollten. Doch Susan lehnte das Essen ab. Sie sei müde und wolle zu Bett gehen, entschuldigte sie sich. Tom akzeptierte schweigend ihre Entscheidung, und Susan war ihm dafür dankbar.

Am nächsten Morgen holte er sie kurz vor neun Uhr ab. »Gut geschlafen?«, fragte er.

»Danke, gut«, log Susan, denn sie hatte die halbe Nacht wach gelegen. Zu viele Gedanken waren ihr durch den Kopf gegangen und hatten sie nicht zur Ruhe kommen lassen. Vor allem die Vorstellung, das Leben ihres Vaters durch ihren Plan zu gefährden, hatte sie gepeinigt.

Als sie den Frühstücksraum betraten, war Foreman noch nirgends zu sehen. Tom ließ sich einen Tisch in einer Nische geben, wo sie sich ungestört unterhalten konnten. Sie hatten gerade Platz genommen, als Foreman auf sie zukam. Groß, aufrecht und selbstsicher. Herzlich lächelnd sah er Susan an, während er sie begrüßte und ihre schlanken Finger mit seiner Hand fest umschloss. Ungewollt überzogen sich Susans Wangen mit einer zarten Röte. Alle Ängste und Zweifel, die sie in der Nacht geplagt hatten, waren wie weggeblasen.

Nachdem sich jeder am Frühstücksbüfett bedient hatte, kam Foreman zur Sache.

»Sam und ich haben beschlossen, Ihren Auftrag zu übernehmen.«

Susan strahlte ihn dankbar an. Sie wollte etwas sagen, doch Foreman kam ihr zuvor.

»Die Durchführung des Unternehmens kostet Sie drei Millionen Dollar.«