»Drei Millionen!«, wiederholte Susan entsetzt. Sie war bleich geworden. Der Betrag ging weit über das hinaus, was sie aufbringen konnte.
Foreman nickte. »Ich fürchte, es kann eher noch teurer werden. Die drei Millionen sind unser erster Kostenvoranschlag. Sam und ich glauben zwar, damit auszukommen, aber hundertprozentig sicher sind wir nicht.«
Tom wollte etwas sagen, doch Foreman winkte ab.
»Ich kann mir denken, was du sagen willst, Tom, aber es hat keinen Zweck zu feilschen. So leid es mir tut, wenn wir das Unternehmen durchführen sollen, dann brauchen wir den Betrag.«
Die letzten Worte waren an Susan gerichtet. Sie sah in seine Augen und hatte das Gefühl, dass er es ehrlich meinte und nicht ihre Notlage ausnutzen wollte.
Es war, als hätte Foreman ihre Gedanken erraten, denn er fuhr fort: »Miss Albright, bitte glauben Sie mir. Ich habe nicht die Absicht, Ihre Lage auszunutzen. Aber das Unternehmen dürfte äußerst schwierig werden. Wir müssen in einem fremden Land unter extremen Bedingungen operieren. Wir haben keinen politischen Schutz, müssen für unsere Sicherheit und die der Geiseln selbst sorgen. Das kostet Geld, viel Geld. Wir werden eine Motoryacht benötigen, die speziell für unser Vorhaben angefertigt sein muss. Wir brauchen Ausrüstungsgegenstände wie Waffen, Funkgeräte, Schlauchboote und anderes mehr. Alles muss höchstwahrscheinlich unter Zeitdruck beschafft und bereitgestellt werden. Wir müssen Bestechungsgelder einplanen. Und dann sind da die Personalkosten. Wir brauchen Freiwillige. Jeder muss ein Experte auf seinem Gebiet sein. Und verständlicherweise werden die Leute an einem solchen Unternehmen nur teilnehmen, wenn die Höhe der Prämie das Risiko ausgleicht.«
Foreman machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen, dann lehnte er sich vor und sah Susan fest in die Augen. Es war ein Blick, der eisernen Willen und Entschlossenheit verriet, der Susan aber zugleich Vertrauen einflößte.
»Miss Albright, überlegen Sie sich Ihre Entscheidung gut. Aber wenn Sie sich zu der Durchführung des Unternehmens entschließen, dann müssen Sie das Geld herbeischaffen. Schnell und in voller Höhe. Das Unternehmen hat nur Erfolg, wenn jede unserer Maßnahmen blitzschnell ausgeführt werden kann. Warten, weil Geld nicht verfügbar ist, kann im wahrsten Sinne des Wortes tödlich sein.«
Foreman schwieg. Susan war überzeugt, dass er alles gesagt hatte, was er sagen wollte. Jetzt war es an ihr, sich zu entscheiden. Stumm saß sie da und überlegte. Die Männer störten sie nicht, denn sie wussten, was Susan bewegte. Nicht nur, dass sie das Geld beschaffen musste, nein, auf ihr lastete auch die ganze Verantwortung für Wohl und Wehe der Geiseln. Es dauerte lange, bis Susan sich aus ihrer nachdenklichen Haltung aufrichtete.
»Gut, wir machen es«, sagte sie mit fester Stimme.
Ein Lächeln umspielte Mark Foremans Lippen, als er Susan ansah. Es drückte Respekt und Hochachtung aus.
Tom hob seine Kaffeetasse. »In Ermangelung von Champagner«, sagte er, »trinken wir mit Kaffee auf das Gelingen des Unternehmens Blitzschlag.«
»Und auf deine Story«, murmelte Susan.
Tom nahm die Bemerkung auf. Seine kleinen Augen funkelten lustig, als er sagte: »Natürlich, so eine Story darf man sich nicht entgehen lassen. Dabei zu sein, von der Planung bis zum erfolgreich Ende, ich werde verrückt. Eine Bombensache!«
Foreman merkte, wie sehr sich Susan durch Toms Freude getroffen fühlte, und versuchte, sie wieder aufzumuntern.
»Machen Sie sich nichts daraus, Journalisten sind keine normalen Menschen. Sie denken nur in Story-Kategorien. Doch kommen wir zurück zu unserer Aufgabe. Oberste Priorität hat die Geldbeschaffung. Das ist Ihre Aufgabe«, sagte er und deutete auf Susan. »Als nächstes müssen wir erfahren, wo die Geiseln gefangengehalten werden. Das ist der Schlüssel zum ganzen Unternehmen. Wenn es uns nicht gelingt, das herauszufinden, sind alle anderen Bemühungen sinnlos. Wir müssen deshalb alle unsere Möglichkeiten ausschöpfen, um an diese Information heranzukommen. Sam Tilkowsky wird versuchen, über seine Freunde in Israel die benötigten Infos zu erhalten. Ich werde das Gleiche über meine Verbindungen in Frankreich und Italien versuchen.«
»Und ich«, warf Tom ein, »werde meine journalistischen Verbindungen anzapfen. Ich fliege übermorgen nach Paris.«
»Ich könnte versuchen, über die Spartec und unsere ausländischen Geschäftsfreunde den Aufenthaltsort herauszufinden«, schlug Susan vor.
Foreman wiegte nachdenklich den Kopf. »Ich glaube, wir sollten auf die Spartec nur im Notfall zurückgreifen. Wenn zu viele Leute beteiligt sind, können wir leicht das Gegenteil von dem erreichen, was wir wollen. Wir müssen auf jeden Fall verhindern, dass die Entführer Wind von unserem Plan bekommen.«
Eine Weile diskutierten sie noch andere Wege der Informationsbeschaffung, dann brach Foreman die Diskussion ab und sagte: »Ich glaube, wir haben alles besprochen, was es im Moment zu besprechen gibt. Wichtig ist, dass wir absolutes Stillschweigen über das Unternehmen wahren. Und das gilt besonders für dich, Tom.«
Porter machte ein beleidigtes Gesicht und wollte aufbegehren, doch Foreman ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Nur wenn unser Unternehmen geheim bleibt, haben wir eine Chance. Deshalb dürfen wir auch nie, wenn wir uns telefonisch über das Unternehmen unterhalten, die Sache beim Namen nennen. Wir müssen ein Codewort verwenden, und da Tom dem Kind schon einen Namen gegeben hat, schlage ich vor, wir bleiben dabei und nennen das Unternehmen Blitzschlag. Alle Nachrichten, die an mich übermittelt werden, sofern es nicht persönlich geschieht, sollten mit diesem Codewort gekennzeichnet werden. Es ist für mich ein Zeichen, dass die Nachricht echt ist. Benutzt aber das Codewort nicht zu auffällig, sondern verarbeitet es sinnvoll im Text.«
Foreman erhob sich und wünschte beiden einen angenehmen Rückflug. Selbstsicher, wie er gekommen war, verließ er den Raum. Susan sah ihm nach, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte.
Foreman beachtete den Mann, der gleich nach Mark den Frühstückssaal verließ, nicht. Er hatte die ganze Zeit an der gegenüberliegenden Seite gesessen und die drei unauffällig beobachtet. Jetzt eilte der Fremde zu seinem Auto, das direkt neben dem Eingang parkte. Als Foreman in seinem Geländewagen vom Parkplatz fuhr und in die vierspurige Straße Richtung Osten einbog, folgte ihm der Fremde. Der Geländewagen war im dichten Morgenverkehr gut auszumachen, so dass der Mann einen großen Sicherheitsabstand halten konnte. Als sie Birmingham verlassen hatten, vergrößerte er den Abstand und sorgte dafür, dass sich immer ein oder zwei Wagen zwischen ihnen befanden. Nach einer halben Stunde wurde das Gelände bergiger und kurvenreicher, und der Verfolger schloss dichter auf. Doch als er nach einiger Zeit wieder eine längere gerade Strecke vor sich hatte, konnte er den Geländewagen nicht mehr sehen. Wütend schlug er mit der Faust aufs Lenkrad, gab Gas und raste mit achtzig Meilen über die Landstraße, in der Hoffnung, Foreman einzuholen. Er war noch keine zwei Meilen gefahren, als ein braunes Fahrzeug aus einem Feldweg herausschoss und mit blinkendem Rotlicht und heulender Sirene hinter ihm her raste.
»Verdammte Scheiße«, stieß der Mann zwischen den Zähnen hervor, verlangsamte das Tempo und hielt am Straßenrand an. Das andere Fahrzeug stoppte dicht hinter ihm. Die rechte Hand an einem 45er Colt, trat der Streifenpolizist an das Auto heran.
»Vermute, hier endet Ihr Rennen, Mister. Ihren Führerschein«, forderte er im breiten Slang der Südstaaten.
Der Fremde versuchte, einen möglichst zerknirschten Eindruck zu machen, während er seinen Führerschein durchs heruntergekurbelte Fenster reichte.
Der Streifenpolizist las umständlich die Angaben. Hank Smith, 1004 Garden Road, New York, war als Adresse angegeben. Während der Polizist den Block mit den Strafmandaten hervorzog, musterte er den Fremden kritisch.
»Wissen Sie eigentlich, wie schnell Sie gefahren sind, Mister?«
Weiter den ertappten Sünder spielend, antwortete der: »Ich weiß, ich bin etwas zu schnell gefahren, aber ich sollte einem Bekannten folgen. In den Bergen wurde ich aufgehalten, und nun wollte ich hier auf dem geraden Stück versuchen, ihn wieder einzuholen. Glauben Sie mir, sonst halte ich mich immer an die Geschwindigkeitsvorschriften.«
Der Beamte zeigte sich wenig beeindruckt.
»Achtundzwanzig Meilen sind Sie zu schnell gefahren. So was können Sie in New York machen. Hier in Alabama herrscht Ordnung. Wenn Sie noch drei Meilen schneller gefahren wären, hätte ich Ihnen den Führerschein abgenommen. Sie haben gerade noch mal Glück gehabt, Mister. Dafür kostet Sie die Raserei hundert Dollar. Wollen Sie zahlen?«
»Ja«, sagte der Ertappte, mühsam seine Wut unterdrückend.
Während der Streifenpolizist den Strafzettel ausfüllte, kam Hank Smith ein Gedanke.
»Officer«, fragte er so freundlich wie möglich, »Sie kennen sich doch hier aus. Mein Bekannter fuhr einen dunkelblauen Cherokee 2000, einen Geländewagen, kennen Sie den vielleicht?«
Der Beamte gab Smith den Strafzettel, dann kratzte er sich nachdenklich am Kopf.
»Blauer Cherokee 2000, sagten Sie?«
»Ja.«
»Ich kenn einen blauen, der hat aber ein weißes Dach und an beiden Seiten zwei breite weiße Streifen.«
»Genau, der gehört meinem Bekannten!«, rief Smith. »Können Sie mir sagen, wo der hingefahren sein könnte?«
»Der Wagen gehört Mark Foreman. Wo haben Sie ihn denn verloren?«
»In den Bergen, vielleicht fünf Meilen von hier.«
»Tja, dann ist er wohl zu seinem Camp gefahren.«
»Genau da wollte ich auch hin. Wo kann ich das Camp finden?«
»Drehen Sie um und fahren Sie etwa drei Meilen zurück. Links geht ein Feldweg ab. Kaum zu sehen, aber an der Straße stehen zwei rote Briefkästen. Die sind nicht zu übersehen. Und, Mister«, fügte der Streifenpolizist warnend hinzu, »wenn ich Sie noch mal beim Rasen erwische, sind Sie Ihren Führerschein los.«
Smith bedankte sich übertrieben höflich, wendete den Wagen und fuhr zurück. Den Feldweg fand er ohne Schwierigkeiten und fuhr ihn langsam entlang. Als er die Wache sah, hielt er an und überlegte, was er tun sollte. Bei dem Posten Erkundigungen einzuholen, erschien ihm zu gefährlich. Da fiel ihm ein, dass er nur einige Meilen zuvor an einer Tankstelle vorbeigekommen war. Dort wollte er sein Glück versuchen.
An der Tankstelle musste er mehrere Male hupen, bevor ein alter Mann hinter dem Gebäude hervorgeschlurft kam.
»Haben Sie Motoröl?«, fragte Smith ihn.
Der Alte brummte etwas vor sich hin. Zweimal musste Smith nachfragen, bevor er ihn verstanden hatte. Er ließ sich drei Kannen Öl geben. Während der Alte sie heraussuchte, fragte er ihn, ob er das Camp kenne, die einige Meilen entfernt im Wald lag. Der Alte gab sich sehr zugeknöpft und wurde erst mitteilsamer, als Smjth ihm eine Zwanzigdollarnote über den Tisch schob. Nach zehn Minuten hatte Smith mehr erfahren, als er zu hoffen gewagt hatte. Die hundert Dollar Strafe hatten sich gelohnt.
Als er zum Motel zurückkam, musste er zu seinem Ärger feststellen, dass Susan Albright und Tom Porter inzwischen abgereist waren. Er setzte sich nochmals ins Auto und fuhr zu einem Supermarkt. Vor einer Telefonzelle hielt er an, stieg aus und wählte eine Nummer. Erst nach dem dritten Versuch kam die Verbindung zustande. Im Telegrammstil gab er seine Meldung durch. Für einen Augenblick herrschte Stille, dann befahl die Stimme am anderen Ende der Leitung: »Kommen Sie zurück. Kümmern Sie sich um den Begleiter der Dame. Ich will, dass Sie ihn ausschalten. Nicht ganz, aber für längere Zeit.«
Hank Smith musste bis zum nächsten Tag warten, bis er nach Washington zurückfliegen konnte. Gegen ein Uhr nachmittags traf er auf dem National Airport ein. Sein erster Weg führte ihn zu einem Fernsprecher, wo er sich aus dem Telefonbuch Tom Porters Adresse heraussuchte. Namen, Beruf und Wohnort hatte er noch im Motel in Birmingham herausgefunden. Er wählte die Nummer, um festzustellen, ob Porter zu Hause war. Niemand meldete sich. Enttäuscht verließ er die Telefonzelle, ging zum Schalter einer Leihwagenfirma und mietete ein Auto. Dann fuhr er zu einem kleinen, billigen Hotel, das er von früheren Aufenthalten her kannte. Mit einer Flasche Brandy und einem Glas bewaffnet, warf er sich aufs Bett, um zu überlegen, wie er seinen Auftrag am besten ausführen könnte.
Am nächsten Morgen war Smith schon um sechs Uhr auf den Beinen und rief die Vermittlung der Zeitungsverlage in Washington an. Beim sechsten Verlag hatte er Erfolg. Die Telefonistin teilte ihm mit, dass es bei ihnen in der Redaktion einen Tom Porter gebe. Ohne sich ein Frühstück zu gönnen, fuhr er zum Redaktionsgebäude der Washington Daily News. In sicherer Entfernung vom Eingangstor parkte er seinen Wagen und wartete geduldig Stunde um Stunde. Als Porter gegen elf Uhr immer noch nicht erschienen war, wurde er unruhig. Er ging zu einer Telefonzelle und rief in der Redaktion an.
»Verbinden Sie mich mit Mr. Porter«, forderte er die Dame in der Vermittlung auf.
Es dauerte einen Augenblick, bis sich eine Frau meldete.
»Entschuldigen Sie, ich glaube, ich bin falsch verbunden worden. Ich wollte Tom Porter sprechen«, sagte er mit verstellter Stimme.
»Nein, mein Herr, Sie sind richtig verbunden, aber Mr. Porter befindet sich nicht im Haus. Kann ich etwas für Sie tun?«
»Ja, können Sie mir sagen, wo ich ihn finden kann? Ich habe eine wichtige Nachricht für ihn.«
»Mr. Porter ist für einige Tage nach Paris geflogen. Ich vertrete ihn. Sie können die Nachricht auch mir durchgeben.«
»Verd-« Smith konnte gerade noch den Rest des Fluchs hinunterschlucken. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, hängte er ein. Er kramte in der Tasche nach einem Fünfundzwanzig-Cent-Stück und wählte eine andere Nummer. Als er hörte, dass der Hörer abgenommen wurde, sagte er kurz: »Der Kerl ist nach Paris geflogen. Was soll ich machen?«
Die Antwort bestand nur aus zwei Worten. »Folgen! Ausschalten!«
Tom Porters erster Weg, nachdem er sich von Susan verabschiedet hatte, führte ihn zur Redaktion der Washington Daily News. Ohne den Berg Post auf seinem Schreibtisch zu beachten, ging er zum Chefredakteur und erklärte ihm, welcher grandiosen Story er auf der Spur war. Die Unterhaltung dauerte nur knapp dreißig Minuten, dann war Tom von allen Routinearbeiten befreit. Es gab nur noch eine Aufgabe für ihn, nämlich die Story des Unternehmens Blitzschlag zu schreiben. Noch von der Redaktion aus buchte er einen Flug nach Paris.
Pünktlich um siebzehn Uhr dreißig startete die Boeing 747 der Pan American Airlines vom Dulles International Airport in Washington. Sie war nur mäßig besetzt. Die Sitze links und rechts neben ihm waren frei, so dass er es sich bequem machen konnte. Bis auf ein paar Turbulenzen über Grönland verlief der Flug ruhig, und Tom konnte fast die ganze Nacht durchschlafen. Gegen sechs Uhr morgens wurde er von einer freundlichen Stewardess geweckt, die ihm das Frühstück servierte. Lustlos stocherte er in dem Essen. Er hasste das nach Pappe schmeckende Bordfrühstück. Aber der heiße Kaffee tat ihm gut.
Die Boeing 747 hatte eine halbe Stunde Verspätung – der Gegenwind auf ihrer Route war stärker gewesen, als die Wettervorhersage in Washington angekündigt hatte. Doch das war ein Vorteil, denn so war die Pan-Am-Maschine der einzige Überseeflug, der um diese Zeit landete, und an der Gepäckausgabe und beim Zoll fehlten die gewohnten Schlangen. Die Zollformalitäten waren schnell überstanden, und Tom trat in den verregneten, kühlen Morgen. Da alle Spesen von Susan getragen wurden, nahm er sich am Flughafen ein Taxi und ließ sich zu seinem Stammhotel in der Nähe des Trocadero bringen. Der ältere, stoppelbärtige Mann an dem abgeschrammten Rezeptionspult begrüßte ihn herzlich. Tom schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter und stellte eine Flasche Whisky, die er zollfrei im Flugzeug gekauft hatte, vor ihn auf den Tisch.
Tom liebte das Hotel. Immer wenn er nach Paris kam, übernachtete er hier. Es störte ihn wenig, dass das Haus einen heruntergekommenen Eindruck machte und die Zimmer wie die eines Stundenhotels aussahen. Wichtig für ihn war allein, dass er hier wie ein Mitglied der Familie aufgenommen wurde und die Dame des Hauses fantastisch kochen konnte. Sein erster Weg führte ihn deshalb auch in die Küche.
Nachdem er sich durch ein amerikanisches Frühstück gestärkt fühlte, das die Köchin extra für ihn zubereitet hatte, ging er auf sein Zimmer, rief die Redaktion des Figaro an und ließ sich mit Claude Jardin verbinden. Eigentlich war Claude nur Lokalreporter, aber unter den Kollegen war er berühmt wegen seiner ausgezeichneten Verbindungen und seines phänomenalen Gedächtnisses. Claude und Tom waren Freunde, hatten sich vor Jahren kennengelernt, als Porter gerade anfing, Reportagen über den internationalen Terrorismus zu schreiben. Claude hatte ihm viele Tore geöffnet und so manchen Tipp gegeben. Tom hatte sich revanchiert, indem er Claude Anekdoten über amerikanische Persönlichkeiten erzählte, die Paris zu besuchen pflegten. Wenn Tom in Paris war, versäumte er es niemals, sich mit Claude zu treffen.
In der Redaktion hatte er allerdings Pech. Man sagte ihm, dass Jardin nicht im Hause sei, man ihn aber noch vor Mittag zurückerwarte. Tom hinterließ eine Nachricht, wo er um ein Uhr zu finden sei.
Um zwölf Uhr ging er zum Trocadero, kaufte sich eine Fahrkarte und fuhr mit der Metro zum Montparnasse. Da er noch Zeit hatte, bummelte er durch die kleinen Gassen abseits der Hauptstraße, ehe er pünktlich um ein Uhr das kleine, unscheinbare Restaurant betrat, das zu Claudes Stammkneipen gehörte. Der verqualmte Raum fasste höchstens zehn Tische, alle besetzt bis auf einen. Tom nahm Platz und bestellte beim Wirt einen Aperitif.
Er hatte wohl fünfzehn Minuten gewartet, als die Tür aufging, ein kleiner, quirliger Mann unbestimmten Alters eintrat und sich suchend umblickte. Als er Tom erkannte, kam er mit flinken Bewegungen auf ihn zu.
»Tom, mon ami, welch eine Freude, dich wiederzusehen. Du scheinst ja förmlich in Paris verliebt zu sein, denn so oft wie in der letzten Zeit habe ich dich hier schon lange nicht mehr gesehen. Aber das ist gut, mon ami, das ist sehr gut. In der Redaktion sagte man mir, du wolltest mich sprechen. Voilà, hier bin ich. Was gibt’s? Aber erst essen wir. Eh, François, was empfiehlst du heute?« Ohne Luft zu holen, sprudelte Claude Jardin die Worte heraus.
Während des ausgezeichneten Essens unterhielten sich die Freunde über den Tagesklatsch diesseits und jenseits des Ozeans. Erst als der Kaffee und ein Glas Cognac vor ihnen standen, kam Tom auf den eigentlichen Grund des Treffens zu sprechen. »Claude, ich brauche deine Hilfe.«
»Hast du, mon ami, hast du. Worum dreht’s sich?«
»Du erinnerst dich doch an die Entführung des Präsidenten der Spartec und des Wirtschaftsattachés der amerikanischen Botschaft in Kairo?«
»Sicher.«
»Ich muss herausfinden, wo sie gefangengehalten werden.«
Claude pfiff leise durch die Zähne und sah seinen Freund mit flinken Augen aufmerksam an.
»So, so, du willst wissen, wo sie stecken. Ort, Gebäude und so, eh? Ihr führt wohl was im Schilde?«
»Kannst du mir helfen? Du hast doch überall Verbindungen.«
»Ich weiß nicht, mon ami. Es dürfte schwierig werden.« Claude strich sich nachdenklich übers Kinn. »Ich versuche es, aber versprechen kann ich nichts. Was springt denn für mich dabei heraus?«
Tom hatte sich bereits auf dem Flug überlegt, was er Claude anbieten könnte, deshalb antwortete er: »Wenn alles klappt, dann beteilige ich dich an einer Mords-Story. Exklusiv für dich. Du bekommst sie einige Stunden, bevor die anderen Journalisten davon Wind bekommen. Einverstanden?«
»Abgemacht.« Claude sah auf seine Uhr. »Mon dieu, ich muss mich beeilen. Hab kurz nach drei Uhr ein Interview. Du hörst von mir. Salut, Tom.«
Jardin sprang in seiner raschen Art auf und stürmte zur Tür hinaus, Tom die Rechnung überlassend.
Tage vergingen, bevor er sich wieder meldete. Doch er teilte Porter nur mit, dass seine Bemühungen bislang erfolglos geblieben waren, er aber weiterhin alles versuchen werde. Tom war in der Zwischenzeit nicht untätig geblieben und hatte versucht, die für das Unternehmen so wichtige Information über andere Kanäle zu beschaffen. Vergeblich. Weder seine Freunde bei der israelischen Botschaft noch bekannte Korrespondenten anderer, vor allem arabischer Zeitungen konnten ihm weiterhelfen. Die Hizb el Baath el Lubnan schien über ein ausgezeichnetes Sicherheitssystem zu verfügen. Endlich, sieben Tage nach seiner Landung in Paris, bekam er einen ersten erfolgversprechenden Hinweis. Claude Jardin besuchte ihn am Abend und nannte ihm die Adresse eines Mannes in Marseille. Wenn einer etwas wissen könne, sagte Claude, dann dieser Mann. Er habe ausgezeichnete Verbindungen zum Libanon. Als Tom wissen wollte, wer der Mann sei, zuckte Claude nur mit den Achseln und antwortete: »Genaues weiß man nicht über ihn, aber er scheint seine Hände in allen trüben Geschäften zu haben, vor allem in Waffengeschäften. Und mach dich darauf gefasst«, fügte er hinzu, »dass er sich für seine Informationen gut bezahlen lässt.«
Am nächsten Morgen war Tom schon früh auf den Beinen, denn er wollte nach Marseille. Vor dem Hotel stieg er in den R 16, den er sich am Tag zuvor von einer Leihwagenagentur gemietet hatte.
Der Verkehr in Paris war um diese Morgenstunde zwar schon stark, aber noch nicht so chaotisch, wie er es in spätestens einer Stunde sein würde. Ohne in einen Stau zu geraten, erreichte er die Autobahn nach Lyon. Als er nach vier Stunden die Stadt erreichte, war er schweißgebadet. Die hektische, aggressive Fahrweise der Franzosen ging ihm an die Nerven. Kurzentschlossen bog er von der Autobahn ab; er wollte die zweite Hälfte der Reise genießen und ruhig über Landstraßen nach Marseille fahren. Abseits der Autobahn herrschte nur wenig Verkehr, und er konnte sich ganz den Reizen der romantischen Landschaft hingeben. Er war so gefangen von dem Anblick, dass er den dunklen Citroën, der ihm schon seit Paris folgte, nicht bemerkte. Kurz hinter Yssingeaux hielt er bei einem kleinen Gasthof zum Mittagessen an. Der dunkle Citroën rollte, als Tom das Gasthaus betreten hatte, auf den Parkplatz und hielt neben dem Renault. Ein mittelgroßer Mann stieg aus und beugte sich unter Toms Auto. Wenige Minuten später stieg er wieder in den Citroën und fuhr vom Parkplatz. In Sichtweite des Gasthofs hielt er an und wartete.
Von einem ausgiebigen und exzellenten Mahl gestärkt, setzte Tom seine Reise fort. Die Strecke wurde bergiger und die Straße kurvenreicher. Auf einer kurzen, geraden Strecke wurde er von einem dunklen Citroën überholt. »Idiot!«, fluchte er, denn das Fahrzeug schnitt ihn so, dass er voll auf die Bremse treten musste. Je weiter Tom fuhr, desto mehr verstärkte sich sein Eindruck, dass die Bremsen nicht mehr voll griffen. Er nahm sich vor, sie im nächsten Ort prüfen zu lassen. Auf einer abschüssigen Strecke kam ihm ein Fahrzeug entgegen – auf seiner Fahrbahnseite. Trotz der frühen Nachmittagsstunde war das Licht voll aufgeblendet. Tom war für einen Sekundenbruchteil wie gelähmt, dann drückte er wild auf die Hupe. Umsonst, das Fahrzeug kam weiter direkt auf ihn zu. Angstschweiß trat ihm auf die Stirn. Ihm blieb nichts anderes übrig, als das Lenkrad herumzureißen und auf die linke Fahrbahnseite zu schleudern. Aus Angst, die Kontrolle über das Fahrzeug zu verlieren, trat er auf die Bremse. Er spürte keinen Gegendruck. Das Auto raste auf die Böschung zu, die Vorderräder kippten ab. Tom wurde gegen die Windschutzscheibe geschleudert und spürte nicht mehr, wie der Wagen abrutschte und sich mehrfach überschlug.