Kapitel 14

Susan stand vor dem Spiegel, betrachtete kritisch ihr Gesicht und legte sorgfältig Make-up auf. Sie nahm nur einen Hauch, gerade genug, um die Besonderheiten ihrer Persönlichkeit zu unterstreichen. Eigentlich benutzte sie Rouge nur selten, aber heute Abend wollte sie besonders schön sein, denn Mark Foreman hatte sie zum Essen eingeladen. Susan sah auf die Uhr. Sie musste sich beeilen, denn in einer Viertelstunde würde Mark sie abholen. Schnell schlüpfte sie in das Kleid. Noch ein paar Handgriffe …

Es klopfte. Susan warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel: Sie war mit ihrem Aussehen zufrieden. Das Kleid unterstrich wirkungsvoll ihre schlanke, wohlgeformte Figur und brachte ihre blonden Haare und den sonnengebräunten Teint voll zur Geltung.

Sie öffnete die Tür, und Mark trat ein. Er sah prächtig aus in seiner weißen Sporthose, dem dazu passenden Hemd und einem schwarzen Blazer.

»Zauberhaft, einfach zauberhaft«, sagte er zur Begrüßung und blickte Susan bewundernd an.

Erfreut über das spontane Kompliment, lächelte sie ihn dankbar an. Dann hakte sie sich bei ihm ein und fragte: »Wohin entführen Sie mich?«

»Zur Eisenbahn.«

Susan lachte. Sie dachte, er wolle sie necken, doch als Mark einige Zeit später von der Hauptstraße abbog, sah sie tatsächlich mehrere Eisenbahnwaggons winklig zusammengeschoben. Anscheinend war es ein beliebtes Restaurant, denn der Parkplatz war nahezu voll.

Mark nahm ihren Arm und führte sie hinein. Es herrschte ein anheimelndes Dämmerlicht. Susan sah sich neugierig um. Das Restaurant war zwar nicht supervornehm, aber es strahlte eine gediegene Gemütlichkeit aus. Man hatte die alte Einrichtung belassen und sie nur durch einige Tische und Stühle ergänzt.

Da ihr Tisch noch nicht frei war, führte Mark Susan an die Bar. Am Tresen war es brechend voll, aber Mark drängelte sich durch und kam mit zwei Cocktails zurück. In einer Ecke fanden sie einen kleinen Tisch, an dem gerade ein Pärchen aufgestanden war.

»So«, sagte Mark und hob sein Glas, »ich glaube, es ist Zeit, dass wir mit der förmlichen Anrede aufhören. Ich heiße Mark.«

»Und ich Susan.«

Sie stießen mit ihren Gläsern an, und Mark meinte, während er sich bedeutungsvoll im Raum umsah: »Schade, dass wir unsere Verbrüderung nicht gebührend feiern können.«

Susan lächelte.

Susan überließ es Mark, ein Menü zusammenzustellen. Sie hatte nur wenig Hunger, ihr hätte es vollkommen gereicht, mit Mark an der Bar zusammenzusitzen.

Während des Essens plauderten sie über alles, was Susan erlebt hatte, über ihre Kindheit, die Schule, das Studium und über John Phillip. Mark schien sich für alles zu interessieren. Er war ein aufmerksamer Zuhörer. Und Susan tat es gut, sich mit ihm über ihre Probleme zu unterhalten. Sie hatte das Gefühl, als würde sie ihn schon lange kennen. Sie erzählte ihm, dass sie mit John verlobt sei, sich aber entschlossen habe, die Verlobung zu lösen. Obwohl Mark auf ihren Entschluss nicht einging, fühlte sie doch, wie er sich darüber freute, und das machte sie glücklich. Erst als sie beim Kaffee angekommen waren, wechselte Susan das Thema.

»Mark, wir haben die ganze Zeit über mich gesprochen, jetzt bist du dran mit deiner Lebensbeichte.«

Er spielte nachdenklich mit dem Stiel des Weinglases. »Da gibt’s nicht viel zu berichten. Ich war und bin halt ein typischer Kommisskopp.«

»Das glaube ich nicht. Komm, erzähl. Ich möchte wissen, was Mark gemacht hat, als er klein war.«

»Nun gut, ich bin in Springfield, Missouri, geboren und aufgewachsen. Mein Vater hatte dort eine Apotheke. Nach meinem High-School-Abschluss bin ich in Oklahoma zur Universität gegangen und habe dort meinen Bachelor in Elektronik gemacht. Dann sind meine Eltern kurz hintereinander gestorben, und ich wusste nicht, was ich tun sollte, und so habe ich mich zum Militär, zu den Marines, gemeldet.«

»Warst du eigentlich nie verheiratet?«

»Doch, das schon, aber Helen und ich sind geschieden. In diesem Jahr werden es zehn Jahre.«

Susan sah ihn mitfühlend an. »Das tut mir leid. Hast du Kinder?«

»Es braucht dir nicht leid zu tun«, winkte er ab. »Helen und ich haben nicht zueinander gepasst. Wir haben uns auseinandergelebt und dann im Guten getrennt. Weißt du, es war eine Heirat, die nie hätte stattfinden dürfen. Helen war Krankenschwester. Wir haben uns in Vietnam kennengelernt und geheiratet. Kinder haben wir keine. Helen wollte keine. Es hätte ihrer Karriere geschadet. Im Nachhinein muss ich sagen, es war auch gut so, denn dadurch konnten wir uns ohne Probleme trennen. Keiner hatte darunter zu leiden.« Mark blickte nachdenklich und, wie es Susan schien, etwas traurig auf sein Glas. »Ich hätte gerne einen Sohn und eine Tochter gehabt. Ich mag Kinder.«

»Wie lange warst du denn beim Militär?«, fragte Susan, um ihn abzulenken. Sie wollte nicht, dass der Abend durch unglückliche Erinnerungen getrübt wurde.

»Zwanzig Jahre. Dann habe ich mich als Lieutenant Colonel pensionieren lassen. Ich hätte bleiben können und wäre noch Colonel geworden, aber ich hatte keine Lust mehr. Man kann sich dort nicht frei entfalten, ist immer abhängig von dem, was die Vorgesetzten entscheiden. Zu meinem Entschluss beigetragen hatte ein Angebot einer Studienfirma aus Birmingham. Der Job war so lukrativ, dass ich dumm gewesen wäre, hätte ich ihn nicht angenommen.«

»Und warum bist du nicht mehr bei der Firma?«

»Ganz einfach, ich war dort genauso eingebunden wie beim Militär. Ja, eigentlich viel schlimmer. Da wir hauptsächlich Studien fürs Militär machten, war ich bei der Firma zwar der Fachmann, musste mir aber von jedem Idioten in Uniform sagen lassen, wie ich meine Aufgabe zu verstehen hätte. Beim Militär war ich wenigstens Lieutenant Colonel, bei der Firma nur hochdotierter Hanswurst. Und so habe ich eines Tages meine Sachen gepackt und aufgehört. Durch Zufall traf ich meinen alten Kumpel Sam Tilkowsky. Bei unserer Wiedersehensfeier mit viel Whisky kam uns der Gedanke, eine Schule zur Bekämpfung von Terrorismus und für Personenschutz zu gründen. Und Susan, was soll ich dir sagen? Wir sind in eine echte Marktlücke gestoßen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viele Männer und Frauen für diese Aufgaben ausgebildet werden wollen. Die Nachfrage nach guten Leuten ist groß. Vor allem Politiker und Industrielle wollen sich einen persönlichen Schutz zulegen. Unsere Schüler kommen aus dem In- und Ausland. Dank Khomeini haben wir vor allem viele Perser. Männer und Frauen, die dem alten System treu geblieben sind und sich auf eine Wiedereroberung des Irans vorbereiten.«

Obwohl Susan aufmerksam und interessiert zuhörte, überlegte sie doch ständig, wie sie das Gespräch nochmals auf ihre Unterhaltung vom Nachmittag bringen könnte. Sie druckste herum, bis es Mark schließlich auffiel.

»Was hast du?«, wollte er wissen. »Du bist so still und nachdenklich geworden.«

Sie nahm allen Mut zusammen. »Du erinnerst dich doch noch, worüber wir heute Nachmittag im Auto gesprochen haben?«

»Sicher.«

»Mir war es ernst mit dem, was ich sagte. Bitte versteh mich. Ich muss bei der Befreiung meines Vaters dabei sein.«

»Weiß ich. Ich habe schon gemerkt, dass du einen Dickschädel hast und alle meine Einwände bei dir nichts gefruchtet haben. Ich habe mir deshalb Folgendes überlegt: Du weißt, dass das Einsatzteam körperlich absolut fit sein muss, um alle erdenklichen Strapazen ertragen zu können.« Als Susan nickte, fuhr er fort. »Also, du gehst morgen früh zum Arzt und lässt dich untersuchen. Bist du gesund, dann werde ich dich testen, ob du belastbar bist. Wenn ja, kannst du mitkommen, wenn nein, musst du ohne Murren zu Hause bleiben. Bist du damit einverstanden?«

»Sicher bin ich einverstanden«, rief sie so begeistert, dass sich einige Gäste erstaunt nach ihr umsahen. Susan störte es nicht. Dankbar drückte sie seinen Arm.

»Freu dich nicht zu früh«, warnte Mark, »du ahnst nicht, was auf dich zukommt.«

»Ich werde es schaffen«, antwortete sie selbstbewusst und schob das Kinn nach vom.

»Na gut, dann ist es höchste Zeit, ins Bett zu gehen. Du wirst deine ganze Kraft noch brauchen.« Mark winkte dem Kellner und zahlte. Auf der Rückfahrt sprachen beide kein Wort, jeder hing seinen Gedanken nach. Als sie vor Susans Motelzimmer ankamen, schloss Mark die Tür auf, machte jedoch keine Anstalten, ihr ins Zimmer zu folgen. Susan war enttäuscht und erleichtert zugleich. Im Grunde ihres Herzens war sie ihm für seinen Takt dankbar. Er wünschte ihr eine gute Nacht und versprach, sie morgen Mittag gegen eins abzuholen. Als er sich umdrehen wollte, trat Susan schnell auf ihn zu, legte ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn zärtlich auf den Mund. »Danke für den schönen Abend.«

Hätte Susan geahnt, was in den nächsten Tagen auf sie zukam, sie hätte sich ihre Entscheidung zweimal überlegt. So aber ging sie am nächsten Morgen zum Arzt, der feststellte, dass sie völlig gesund war. Körperliche Belastungen würden ihr nicht schaden. Gegen Mittag holte Mark sie ab und fuhr mit ihr zum Sportplatz. Es ließ sich alles gut an, nur die Hitze machte ihr zu schaffen. Das war auch kein Wunder, denn das Thermometer zeigte dreißig Grad, und die Luftfeuchtigkeit betrug neunzig Prozent. Zusammen mit Mark begann sie zu trainieren. Erst eine Stunde Gymnastik zum Aufwärmen, wie Mark sagte. Am Ende fühlte sie sich schlapp, doch Mark ließ ihr keine Ruhe. Nach einer kurzen Pause ging es erst richtig los. Waldlauf. Intervalltraining. Nach einer halben Stunde konnte Susan nicht mehr. Ihre Beine waren schwer wie Blei, und ihr Atem ging stoßweise. Aber Mark kannte keine Gnade. Weiter und weiter trieb er sie. Das einzige Zugeständnis, das er machte, waren längere Gehpausen. Susans Sportdress, den sie sich vorsorglich gekauft hatte, war längst bis auf die letzte Faser durchgeschwitzt. Mark dagegen sah noch so frisch aus wie am Anfang. Als er sie nach dieser Tortur ins Motel zurückbrachte, sank sie erschöpft aufs Bett. Zum Ausziehen und Duschen hatte sie keine Kraft mehr. Nach drei Stunden stand Mark wieder vor der Tür. »Wir gehen schwimmen«, ordnete er an. Susan rappelte sich auf, duschte und machte sich fertig. Ihr junger Körper hatte sich wieder erholt. Das Schwimmen tat ihr gut. Die Bewegung im warmen Wasser lockerte die Muskeln. Aber auch im Wasser verstand es Mark, sie bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit zu treiben.

Wenn Susan, als sie an diesem Abend endlich im Bett lag, dachte, das Schlimmste sei überstanden, so hatte sie sich gründlich geirrt. Am nächsten Morgen holte Mark sie um sieben Uhr ab, und sie fuhren ins Camp. Für Susan wurde es zum Ort der Tortur. Kaum angekommen, begann das Trainingsprogramm. Eine Stunde Gymnastik, anschließend eine Stunde Waldlauf. Nach einer kurzen Rast ging es ins Gelände: drei Stunden Marsch durch das unwegsame Bergland. Susans Füße waren von aufgeplatzten Blasen bedeckt und bluteten. Mark nahm darauf keine Rücksicht. Weiter und weiter trieb er sie. Kein Wort der Aufmunterung, kein fürsorglicher Blick, nur sachgerechte Betreuung. Ein paarmal war Susan dem Weinen nahe, aber sie unterdrückte ihren Schmerz, schob das Kinn nach vorne und machte weiter. Sie wollte nicht aufgeben. Nach ihrer Rückkehr ins Lager ließ Mark sie zwei Stunden ruhen, dann wieder Gymnastik, anschließend Karateübungen und Waldlauf. Rückfahrt zum Motel, zwei Stunden später Schwimmen. Als sie endlich ins Bett sinken konnte, war Susan zu erschöpft, um irgendetwas zu fühlen. Am nächsten Morgen konnte sie kaum noch humpeln. Jeder Muskel ihres Körpers schmerzte. Trotzdem trieb Mark sie durch das gleiche Programm wie am Vortag. Susan wusste manchmal nicht mehr, was sie tat, und folgte den Anordnungen wie eine Maschine.

Fünf Tage hielt sie so durch, dann war sie am Ende. Als er sie endlich ins Motel zurückgebracht hatte, warf sie sich aufs Bett und schluchzte hemmungslos. Sie weinte aus Wut über Marks unpersönliche Art, aus Erschöpfung und Enttäuschung, ihr Ziel nicht erreicht zu haben. Nach einer Stunde hatte sie sich etwas beruhigt. Wenn Mark sie zum Schwimmen abholte, wollte sie ihm sagen, dass sie nicht mehr am Unternehmen Blitzschlag teilnehmen würde.

Als Mark kam, war Susan vor Erschöpfung eingeschlafen. Da sie die Tür nicht verschlossen hatte, trat er ein, in der Hand eine Flasche Öl. Susan wachte auf, sagte aber nichts. Sie fühlte sich zu hundeelend. Wenn sie sich schlafend stellte, würde er hoffentlich wieder gehen. Aber Mark ging nicht. Leise trat er an ihr Bett, zog vorsichtig das Oberbett zur Seite, cremte sich die Hände ein und begann sie zu massieren. Susan spürte den sanften Druck seiner Hände, fühlte, wie sie genau die Stellen ihres Rückens berührten, die schmerzten. Der Schmerz ließ nach, und ein unwahrscheinlich wohltuendes Gefühl durchströmte sie. Sie wünschte, Mark würde immer so weitermachen. Er zog die Decke ganz weg und begann, ihre Beine zu massieren, von den Füßen bis zum Hintern. Es störte sie nicht, dass sie nackt vor ihm lag. Im Gegenteil, ihr Körper begann sich zu dehnen, zu strecken und folgte den Bewegungen seiner Hände. Wieder beugte sich Mark über ihren Oberkörper, hob ihr Haar und küsste ihren Nacken.

»Du warst großartig«, flüsterte er ihr zärtlich ins Ohr. »Was du geleistet hast, hätte so mancher erfahrene Mann nicht geschafft. Du kannst mitmachen.«

Susan spürte seine heißen Lippen auf ihrem Rücken und fühlte, wie seine Zunge langsam ihr Rückgrat hinunterfuhr. Heiße Wellen durchfuhren ihren Körper, und sie stöhnte leise. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus, drehte sich um, zog Mark zu sich heran und küsste ihn leidenschaftlich. Sie presste ihren Körper gegen seine muskulöse Brust.

Wieder und wieder liebten sie sich in dieser Nacht. Alle Schmerzen und Leiden der vergangenen Tage waren vergessen. Susan kuschelte sich an Mark, im Halbschlaf nahm er sie in die Arme. Sie selbst konnte nicht schlafen, denn sie war zu glücklich. Glücklich wie noch nie in ihrem Leben …

Ein schrilles Klingeln riss sie aus ihren Träumen. Trunken vor Schlaf richtete Mark sich auf, aber Susan hatte schon den Hörer abgenommen. Am Telefon war Sam Tilkowsky.

»Tut mir leid, wenn ich dich so früh störe, aber ich suche Mark. Weißt du vielleicht, wo er ist? Ich kann ihn nirgends finden, und es ist wichtig.«

»Augenblick! Für dich, Mark. Es ist Sam«, flüsterte Susan und reichte ihm den Hörer.

»Hallo, Sam. Ist man vor dir nirgends sicher? Was gibt’s?«

»Sorry, Mark, du hast ein Telegramm von Tom Porter bekommen. Ich lese vor.« Mark hielt den Hörer so, dass Susan mithören konnte.

habe Verkehrsunfall gehabt – stop – blitzschlag – stop – bin verletzt – stop – liege im krankenhaus von st etienne – stop – brauche dringend unterstuetzung – stop – gruss tom