Sam Tilkowsky fuhr, nachdem er Mark verlassen hatte, in den Keller, um sich aus Ali Assarwars gut bestücktem Fuhrpark ein geeignetes Auto auszusuchen. Ein 1,5-Tonner fiel ihm auf. Zwar sah er recht ramponiert aus, aber er war für seine Aufgabe geeignet. An dem verbeulten Aussehen störte Sam sich nicht, ihm kam es nur darauf an, dass sich das Auto technisch in einem guten Zustand befand, und davon war er überzeugt. Ali Assarwar konnte es sich bei seiner Art von Geschäften nicht erlauben, seine Waren mit defekten Fahrzeugen zu transportieren. Sam kletterte ins Führerhaus. Der Schlüssel steckte. Er ließ den Motor an und sah zu seiner Freude, dass der LKW aufgetankt war.
Am frühen Vormittag verließ er Beirut; der Weg führte ihn entlang der Küste bis Nahr el Kelb, von hier aus ging es nach Osten in Richtung Baskinta weiter. Niemand achtete auf den LKW und den hageren Mann hinterm Steuer. Südlich von Baskinta verließ er die Asphaltstraße und bog in den Schotterweg ein, der direkt in die Berge führte. Er benötigte keine Karte, um sich zu orientieren, denn er hatte die Strecke im Kopf. Nicht umsonst hatte er sie immer wieder studiert und sich von Sheila und Ahmed jede Kleinigkeit beschreiben lassen. Bis auf zwei Kilometer kam er mit dem LKW an die Stelle heran, von der er zur Sheilahöhle aufsteigen musste. Er fuhr den Wagen in ein kleines Seitental, damit er vom Schotterweg aus nicht gesehen werden konnte, dann machte er sich auf den Weg zum Kamm.
In den späten Nachmittagsstunden hatte er ihn erklommen. Geduckt, die Felsbrocken als Deckung nutzend, näherte er sich der Höhle. Hinter einem Felsvorsprung sah er Steve, der mit einem Fernrohr das Dorf beobachtete. Im Vorbeigehen schlug er ihn begrüßend auf die Schulter und sagte: »Komm einen Augenblick mit.« Akbay, der oberhalb der Höhle Posten bezogen hatte, bemerkte er nicht. Als Sam in die unmittelbare Nähe der Höhle kam, hörte er gedämpftes Gelächter. Erfreut beschleunigte er seine Schritte, denn das konnte nur bedeuten, dass Pat mit seiner Gruppe angekommen war. Und er hatte sich nicht geirrt. In der Höhle hockten sie: Pat, Ron und Rashid. Die Kleidung klebte an ihren schweißgebadeten Körpern und zeigte deutlich die Strapazen, die sie durchgemacht hatten. Aber ihre gute Stimmung schien das nicht beeinträchtigt zu haben, denn sie lachten gerade über einen Witz, den Pat erzählt hatte.
Als Sam die Höhle betrat, begrüßten ihn die Männer mit einem freudigen Hallo.
»Probleme gehabt?«, fragte Sam.
Pat antwortete: »Nee, alles klar. Wir sind durch die Berge gekommen. War ein verdammt anstrengender Marsch. Dafür sind wir aber auch keiner Menschenseele begegnet.«
»Sehr gut. Und wie sieht’s hier aus?«, wandte sich Sam an Pierre.
»Alles unverändert. Die Geiseln sind noch im Haus. Gegen Vormittag wurde es mal etwas hektisch, Männer rannten ins Haus des Sheiks, kamen heraus, liefen zu dem Haus der Geiseln, kamen zurück und so. Wir haben schon befürchtet, man wollte die Geiseln verlegen, aber dann hat sich die Aufregung wieder gelegt.«
»Na, hoffentlich bleibt es so. Nun aber zum Einsatzplan.« Sam hatte ihn während der Fahrt in allen Einzelheiten ausgeknobelt.
»Wir, das heißt Pierre, Akbay, Pat und Ron, werden uns nach Anbruch der Dunkelheit bis an den Ortsrand schleichen. Eindringen werden wir, sobald alle Männer zum Abendgebet in der Moschee sind. Wenn wir die Geiseln befreit haben, ziehen wir uns in Richtung Baskinta zurück. Sobald wir die Tankstelle passiert haben, wirst du, Steve, sie in die Luft sprengen. Dadurch wird im Dorf ein solches Chaos herrschen, dass man das Fehlen der Geiseln nicht so schnell bemerkt. Gleichzeitig versperrt das Feuer die Straße, und man kann uns, selbst wenn die Flucht bemerkt werden sollte, nicht mit Autos verfolgen.«
Sam sah Steve an. »Kannst du die Tankstelle so sprengen, dass die Straße versperrt ist?«
»Kein Problem. Ihr werdet ein herrliches Feuerwerk bekommen.« Steve machte einen absolut zuversichtlichen Eindruck.
»Sehr gut«, sagte Sam. Dann wandte er sich an Rashid. »Nun zu dir. Du wirst zurückklettern und uns auf der Straße, die von Baskinta nach Al Zariff führt, mit dem LKW entgegenkommen.« Sam erklärte Rashid, wo er den Wagen versteckt hatte. »Wenn du um sechs Uhr losfährst, müsstest du uns zwischen dem zweiten Dorf und Al Zariff treffen. Auf dem Weg dorthin schneidest du die Telefonleitungen durch. Alles klar? Fragen?«
Die Männer schüttelten die Köpfe.
»Okay, dann ruht euch aus«, sagte Sam. »Ich werde Akbay einweisen.«
Es begann zu dämmern. Sam kroch zu Pierre, der Steve abgelöst hatte. Steve war bereits auf dem Weg zur Tankstelle. Mit seinem Nachtglas prüfte Sam nochmals die Route, die er für den Einsatz einschlagen wollte, und sah er, wie ein Lieferwagen beim Haus des Sheiks vorfuhr und hielt. Plötzlich zuckte er zusammen.
»Pierre, siehst du den Lieferwagen vor dem Haus des Sheiks? Kannst du die Frau erkennen, die gerade aussteigt?«
Pierre richtete sein Glas auf das Haus. Im selben Moment rief er: »Mon dieu, sieht aus wie Susan Albright – nein, es ist Susan.«
»Richtig. Wie kommt sie in die Hände der Banditen? Egal, wir müssen sofort eingreifen. Wer weiß, was die mit ihr anstellen. Komm!«
In der Höhle erklärte Sam den Wartenden die neue Lage.
Die Männer machten sich sofort fertig. An ihren Gürteln hingen, verdeckt durch die weiten Jacken, Handgranaten. Auf die Läufe der Pistolen waren Schalldämpfer geschraubt. Auch Maschinenpistolen nahmen sie mit. Erst im Dorf würden sie sie ebenfalls unter den Jacken verbergen. Nur im äußersten Notfall sollte von den Waffen Gebrauch gemacht werden, hatte Sam befohlen. Er wollte unnötiges Blutvergießen vermeiden.
Zügig stiegen sie zum Dorf hinab, erreichten es unbemerkt und betraten zwischen ein paar verfallenen Häusern eine kleine Gasse. Die Tücher, die sie als Kopfschutz trugen, hatten sie so gewickelt, dass nur ihre Augen herausschauten. Aber auch sonst hätte man sie nur schwer erkannt, denn es war inzwischen dunkel geworden. Selbstbewusst, so, als gehörten sie ins Dorf, gingen sie die Gasse entlang, bogen in eine Nebenstraße und betraten den Platz, an dem das Haus des Sheiks lag. Niemand hatte sich bis jetzt um sie gekümmert. Wie selbstverständlich gingen sie auf das Haus zu. Sam öffnete die Tür, und die Männer traten ein.
Sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, kam Leben in die Gruppe. Wie vorher festgelegt, sprangen Pierre und Akbay in die oberen Stockwerke, Pat und Ron rannten den Gang des Erdgeschosses entlang, während Sam die Treppe in den Keller hinuntereilte. Die Maschinenpistole hatte er um den Hals gehängt, die Pistole mit dem Schalldämpfer hielt er schussbereit in der Hand.
Mark starrte auf den Finger am Abzug. Sollte dies das Ende sein? Nein, er würde bis zum Schluss kämpfen. In wilder Entschlossenheit warf er sich zur Seite, jeden Augenblick damit rechnend, von einer Kugel getroffen zu werden. Doch er hörte nur ein leises Plopp. Im Fallen sah er, wie der Mann mit dem Revolver sich im Zeitlupentempo um die eigene Achse drehte und zu Boden sackte. Sein Revolver fiel klackend neben ihn. Ehe er gewahr wurde, was geschehen war, hörte er ein zweites Plopp. Der Pockennarbige, der sich halb aufgerichtet hatte und mit seinem Revolver ebenfalls auf Mark zielte, sank mit einem kreisrunden Loch in der Stirn nach vorn.
Sam sprang in den Gang. Die Pistole in seiner Hand rauchte. »War wohl höchste Zeit, wie?«, rief er und grinste seinen Freund an. »Wo ist Susan?«
Mark rappelte sich auf. »Danke«, war alles, was er sagte. »Susan liegt hier im Zimmer.«
»Bring sie hoch! Ich helfe den anderen. Sie räumen oben auf.« Ohne ein weiteres Wort zu verschwenden, drehte sich Sam um und sprang die Treppe hinauf.
Mark verstand ihn. Jetzt, im Kampf, war jedes Wort, das nicht dem Einsatz galt, überflüssig. Mark drehte sich nach Susan um. Sie war wieder zu sich gekommen. »Mark«, hauchte sie, »es war schrecklich. Die Ratte, ich …«
Mark beugte sich über sie. »Schon gut, Liebes, denk nicht dran. Wir müssen jetzt hier raus. Kannst du gehen?«
Susan nickte, während Mark ihr hoch half. Auf seinen Arm gestützt ging sie zur Treppe. Mark hielt die Pistole schussbereit in der Hand. Im Erdgeschoss stand Sam und sah zum ersten Stock hoch. Sheik Hamlek und zwei seiner Männer kamen die Treppe herunter, gefolgt von Pierre und Akbay, die ihre Maschinenpistolen im Anschlag hielten.
»Bringt sie in den Keller, fesselt und knebelt sie!«, befahl Sam. Dem Sheik quollen fast die Augen aus dem Kopf, als er Susan bemerkte, aber er sagte nichts. Susan drehte den Kopf zur Seite. Sie wollte ihn nicht sehen.
Sam wandte sich an Mark. »Halt du hier Wache. Ich muss Pat und Ron helfen. Sie haben drei Frauen und vier Kinder im hinteren Zimmer zusammengetrieben. Wir werden sie ebenfalls in den Keller schaffen und fesseln.«
Nur acht Minuten hatte der Überfall gedauert. Susan war befreit, und der Sheik und seine Angehörigen saßen gefesselt und geknebelt im Keller.
Mark war mit Susan wieder hinuntergestiegen, nachdem er einen schweren Holzriegel vor die Eingangstür geschoben hatte. »Und jetzt«, sagte er zu Sam, »befreien wir die Geiseln. Wie hast du es geplant?«
»Das Haus hat einen Hof, der von einer Mauer umgeben ist – so.« Mit dem Finger zeichnete Sam die Umrisse in den Staub des Bodens. »Vom Hof aus geht eine Tür in das Gebäude, und eine Treppe führt aufs Dach. Vom Dach aus kann man durch eine Luke ins Haus einsteigen. Wir klettern über die Mauer in den Hof. Dort teilen wir uns. Eine Gruppe dringt durch die Hintertür und die andere Gruppe durch die Dachluke ins Haus. Die Männer wissen Bescheid. Wir müssen bei dem Einsatz allerdings mit zwei kritischen Phasen rechnen. Erstens müssen wir ungesehen in den Hof gelangen und zweitens unbemerkt mit den befreiten Geiseln aus dem Haus und an den Dorfrand kommen. Dort soll uns Rashid mit einem Auto abholen.«
»Kein Problem«, sagte Mark, »ich habe an der Seitenmauer einen Lieferwagen stehen. Akbay wird den Wagen quer zur Straße manövrieren und so tun, als wolle er wenden. Wir sind dadurch zum Marktplatz hin gegen unerwünschte Beobachter gedeckt und können im Schutz des Wagens ungesehen über die Straße in den Hof gelangen. Haben wir die Gefangenen befreit, geht’s zurück zum Wagen. Einverstanden?«
»Ja, geh voran«, stimmte Sam zu.
Mark huschte über den Hof und hielt an der Stelle, wo der Lieferwagen das Loch in der Mauer verdeckte, an. Die Männer kauerten sich nieder. Mark winkte Akbay zu, ins Führerhaus zu klettern und das geplante Manöver zu beginnen. Während Akbay nach vorne eilte, half Mark Susan auf die Ladefläche. »Da drinnen liegt ein Toter«, warnte er sie. Mark hörte, wie Susan tief durchatmete, dann fuhr der Wagen an. Als er quer in der Gasse stand, sprang Mark über die Straße und schwang sich über die Mauer in den Hof. Er hatte noch nicht den Boden erreicht, da folgte schon der nächste. In weniger als einer Minute waren alle Männer im Hof versammelt.
»Gib uns eine Minute Vorsprung«, flüsterte Mark Sam zu, dann huschte er mit Pierre zur Treppe, die aufs Dach führte. Sie sahen die Falltür. Pierre versuchte sie zu öffnen. »Verdammt, sie ist verschlossen – von innen«, flüsterte er.
»Lass sehen!« Mark hatte sein Kampfmesser gezogen und sich niedergekniet; mit der Klinge fuhr er die Ritzen nach. »Hier ist ein Riegel«, gab er leise zurück. Im selben Moment hörte er das Bersten einer Tür.
Sam fing an zu zählen, als Mark und Pierre losrannten. Als er bei sechzig war, befahl er: »Los!« Er erreichte als Erster die Tür. Mit einem Krachen riss sie aus den Angeln und stürzte nach innen, Ron mit ihr. Über ihn hinweg sprangen Sam und Pat ins Haus.
Im Gang saßen zwei Männer an einem wackligen Tisch und spielten Backgammon. Als sie den Krach hörten, wollten sie aufspringen, aber sie schafften es nur bis zur halben Höhe, dann war Sam bei ihnen. Der Lauf seiner Maschinenpistole fuhr dem ersten in den Magen. Röchelnd brach dieser zusammen. Bevor der zweite noch eine Abwehrbewegung machen konnte, hatte Sam ihm bereits den Kolben der Maschinenpistole gegen die Schläfe geschlagen.
Pat war an Sam vorbeigestürmt und trat mit den Füßen die Türen auf. Ron war, sobald die beiden über ihn hinweggesprungen waren, aufgeschnellt und machte das Gleiche auf der anderen Seite des Gangs. Im letzten Zimmer sah er zwei bärtige Männer auf einer Pritsche sitzen.
Als Mark das Krachen hörte, riss er seine Pistole heraus. Plopp, plopp, plopp, der Riegel splitterte. »Schnell!« Er zog die Falltür hoch und nahm sich gar nicht erst die Zeit, die Leiter hinunterzuklettern. Die Pistole in der Faust, sprang er durch die Luke und landete wie eine Katze auf den Füßen.
Eine Tür hatte sich geöffnet, und ein unrasiertes Gesicht blickte ihn entsetzt an. Doch der Mann erholte sich schnell von seinem Schrecken. Er sprang zurück, wollte die Tür zuwerfen und den Schlüssel umdrehen. Er kam nicht mehr dazu. Mark warf sich nach vorne, schlug die Tür auf und wirbelte ins Zimmer. Der Mann sprang zum Tisch, auf dem sein Revolver lag, aber bevor er ihn erreichte, wurde er von einem Fausthieb zur Seite geschleudert. Sofort war Mark über ihm. Ein Schlag mit dem Pistolenlauf traf ihn und setzte ihn völlig außer Gefecht. Mark drehte sich zu einem Mann um, der mit den Füßen ans Bett gekettet war. Seine linke Hand war mit einer Binde umwickelt.
»Mr. Albright?«
»Ja.«
»Ich bin Amerikaner. Sie sind frei. Wo sind die Schlüssel zu den Ketten?« Dennis Albright fiel auf das Bett zurück, seine Augen waren geschlossen. Mark hatte schon die Befürchtung, er wäre ohnmächtig geworden, doch dann hörte er eine heisere Stimme. »Der Kerl da drüben hat sie in der Hosentasche.«
Mark drehte den am Boden liegenden Mann um und durchsuchte seine Taschen. Er fand den Schlüssel und öffnete Albrights Fesseln. »So, jetzt sind Sie frei.«
Tränen rannen über Albrights Gesicht. Er stammelte, von Freude überwältigt: »Ich, ich da-danke …«
»Schon gut«, unterbrach Mark. »Wir haben jetzt keine Zeit für Gefühle. Helfen Sie mir lieber, den Mann zu fesseln.«
Der Bewusstlose wurde aufs Bett gelegt, fest verschnürt und geknebelt. Mark fasste Albright am Arm und zog ihn mit. »Beeilung! Noch sind wir nicht in Sicherheit.«
Pierre stürmte, nachdem er gesehen hatte, dass Mark keine Hilfe brauchte, in die anderen Zimmer. Sie waren leer. Er eilte nach unten, aber da war Sam inzwischen Herr der Lage. Während Pat und Ron die Verletzten knebelten und fesselten, führte er den befreiten Attaché Fullerton und dessen Fahrer zur Tür in den Hof.
»Habt ihr Albright gefunden?«, fragte er.
»Ja, Mark ist bei ihm.«
»Dann nichts wie weg. Sieh nach, ob die Luft rein ist und wir die Befreiten zum Wagen bringen können.«
Pierre eilte davon. Aber noch bevor er die Mauer erreicht hatte, hörte er Stimmen. Vorsichtig zog er sich an der Mauer hoch und spähte über den Rand. Einige Männer standen um den Wagen und sprachen mit Akbay. Er hörte, wie Akbay gerade sagte: »Ja, das stimmt. Wir sollen die Gefangenen übernehmen. Sie sollen verlegt werden.«
Pierre ließ sich fallen und hastete zurück. »Jetzt sitzen wir schön in der Scheiße«, raunte er Mark und Sam zu, die mit den Befreiten im Gang standen und auf Zeichen von ihm warteten.
»Was ist los?«, fragte Sam.
»Bei Akbay stehen Dorfbewohner und unterhalten sich mit ihm. Er hat ihnen gesagt, dass die Gefangenen verlegt werden sollen.«
»Mist, verdreckter«, fluchte Sam. »Das hat uns gerade noch gefehlt. Wenn wir uns den Weg freischießen, haben wir gleich das ganze Dorf auf dem Hals. Aber es wird uns wohl nichts anderes übrigbleiben.« Entschlossen griff er zur Maschinenpistole. »Gehen wir. Die Befreiten nehmen wir in die Mitte.«
»Ruhig Blut, Sam, nicht so hitzig«, hielt Mark ihn zurück. »Pierre hat doch gesagt, die Gefangenen sollen verlegt werden. Na, dann verlegen wir sie halt. Wir binden uns die Kopftücher so um, dass nur die Augen herausschauen, dann sind wir kaum zu erkennen. Pierre und ich gehen zuerst, dann kommen die Befreiten, den Schluss bilden du, Pat und Ron. Einverstanden?«
Die Männer nickten.
»Dann los.« Mark öffnete die Vordertür und trat, gefolgt von Pierre, auf den Marktplatz. Zielstrebig ging er vorwärts und bog in die Gasse ein, wo Akbay im Wagen wartete. Der traute seinen Augen nicht, als er die Gruppe kommen sah. Doch geistesgegenwärtig startete er den Motor. Die Dorfbewohner traten zur Seite und ließen die Gruppe durch. Mark hob die Plane von der Ladefläche halb hoch und gab den drei Befreiten mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie aufsteigen sollten. Albright, Fullerton und der Fahrer kletterten hinauf, dann schwangen sich Mark, Pierre, Pat und Ron hinterher.
Während Sam ins Führerhaus sprang, lief eine Frau wild gestikulierend und schreiend über den Marktplatz. Als sie die Dorfbewohner sah, rannte sie rufend auf sie zu. Akbay rammte den ersten Gang ins Getriebe, und der Wagen schoss nach vorn. Im Rückspiegel sah er, wie die Männer wütend die Fäuste hoben und auseinander rannten.
Mit quietschenden Reifen bog er auf die Hauptstraße und raste davon. Immer wieder blickte er suchend in den Rückspiegel. Jeden Augenblick mussten die ersten Verfolgerfahrzeuge auftauchen. Endlich sahen sie die Tankstelle. Sam hatte sein Kopftuch abgenommen und winkte damit aus dem Fenster. Hinter der nächsten Straßenbiegung befahl er Akbay, den Wagen anzuhalten, und sprang ab. Mark streckte den Kopf durch eine Öffnung in der Plane.
»Was ist los, Sam? Warum halten wir?«
»Wir müssen Steve aufnehmen. Er soll …«
Eine gewaltige Explosion riss Sam die Worte aus dem Mund. Gleich darauf erfolgte eine zweite und kurz darauf eine dritte. Steve kam angerannt, lachte übers ganze Gesicht.
»Das hättet ihr sehen müssen. Ich habe die Benzintanks so gesprengt, dass der ganze Mist über die Straße spritzte. Jetzt ist sie ein einziges Flammenmeer. Da kommt keiner mehr durch.«
»Los, rein«, rief Sam und schob den begeisterten Steve zum Auto.
Die Fahrt ging weiter. Sie fuhren durch das erste Dorf, wo niemand sie beachtete. Wenig später sahen sie das zweite Dorf vor sich liegen. Dort rannten Männer auf der Straße hin und her, Gewehre in der Hand, und gaben Zeichen zu halten.
»Fahr durch!«, brüllte Sam Akbay zu, doch der brauchte diese Aufforderung nicht. Er hatte das Gaspedal bis zum Anschlag durchgetreten und raste auf die Männer zu. Sam beugte sich aus dem Fenster und gab mit seiner Maschinenpistole Feuersalven in die Luft ab. Die Männer rannten auseinander. Einige schossen. Sie zielten nicht genau, aber ein Querschläger traf den rechten Hinterreifen. Der Wagen schleuderte, Akbay steuerte dagegen und brachte ihn mühsam wieder unter Kontrolle. Mit dem defekten Reifen rasten sie weiter, aber nur wenige hundert Meter hinter dem Ort platzte auch der zweite Hinterreifen. Das Heck sackte herunter. Die Männer auf der Ladefläche wurden durcheinandergeworfen. Akbay verlor die Kontrolle, er stemmte seinen Fuß auf die Bremse. Es half etwas, trotzdem schleuderte der Wagen gegen die Böschung, wurde zurück auf die Straße geworfen und kam schließlich schräg zur Fahrbahn zum Stehen.
Mark und Sam waren die Ersten, die auf die Straße sprangen. Ihnen folgte Steve, an der Stirn blutend. Vom Dorf her hörten sie ein jubelndes Gebrüll. Sam und Mark rannten in Richtung Dorf. Nach etwa hundert Metern machten sie Halt und eröffneten das Feuer. Sie wussten, dass die Entfernung für ihre Maschinenpistolen viel zu groß war, aber die Schüsse würden die Dorfbewohner in sicherem Abstand halten. Wenig später bekamen sie Verstärkung durch Pierre und Ron.
»Wie sieht es aus? Jemand verletzt? Wie geht’s Susan?«, wollte Mark wissen.
»Akbay hat sich den Arm gebrochen. Pat kümmert sich um ihn. Den anderen scheint nicht viel passiert zu sein. Susan ist okay.«
Vom Dorf her pfiffen Kugeln herüber. Aber die Schüsse waren schlecht gezielt und trafen nicht.
»Wollen denen doch mal zeigen, wie gut wir bewaffnet sind«, sagte Ron und nahm eine Handgranate vom Gürtel, zog den Sicherungsstift und schleuderte sie Richtung Dorf. Die Detonation hallte gewaltig zwischen den Bergen. Für einen Augenblick war es ruhig.
Pat kam nach vorne gehumpelt. »Rashid ist mit dem Laster da. Kommt«, rief er.
Die Männer zogen sich zurück. Ob ihnen vom Dorf jemand folgte, konnten sie nicht sehen. Rashid hatte inzwischen den LKW gewendet, und Susan und die Männer waren bereits hinaufgeklettert. Mark blieb beim Lieferwagen stehen.
»Fahr an«, rief er Rashid zu.
Als Rashid losfuhr, legte er eine Handgranate unter den Benzintank des Transporters, rannte los, sprang aufs Trittbrett des LKWs und schrie: »Los!« Rashid gab Gas. Die Handgranate explodierte, zerriss den Boden des Tanks, das Benzin explodierte, der Wagen stand in Flammen, und im weiten Umkreis brannte die Straße.
»So, auch hier werden sie so schnell nicht mehr durchkommen«, sagte Mark zufrieden und kletterte ins Auto.
Auf Umwegen fuhren sie an Baskinta vorbei. Hier war alles ruhig. Ohne weitere Zwischenfälle erreichten sie die Küstenstraße, bogen nach Norden ab und jagten in Richtung Tripolis davon.
Susan lag in den Armen ihres Vaters und schluchzte. Die Aufregung der letzten Stunden war zu viel für ihre Nerven. Ihr Vater strich ihr zärtlich und beruhigend über die Haare. Aber auch ihm rannen Tränen über die Wangen.