Wir sind schon an den Pinguinen vorbei, als Angelina plötzlich in Mamas Telefon brüllt: »Achtung! Die Nachtwächter kommen. Sie sind gleich bei euch!«

Im nächsten Moment leuchten auch schon ihre Fahrradscheinwerfer am Ende des Weges auf. Papa zieht mich hinter einen Busch und hält mir vorsorglich seine Hand vor den Mund. Auch der anwesende Rest der Familie Calzone versteckt sich zwischen ein paar Sträuchern, die auf der anderen Seite des Weges liegen.

Die beiden Wachmänner haben uns schon fast erreicht, als mich plötzlich etwas an meinem Rücken kitzelt. Als ich mich umdrehe, sehe ich den Kopf eines Ameisenbären, der seine schmale Nase durch das Gitter geschoben hat. Seine lange, raue Zunge kitzelt ganz schrecklich. Ich versuche den Ameisenbären zu verscheuchen, doch der lässt sich nicht im Geringsten stören und schleckt weiter meinen Rücken ab, als wäre ich ein Termitenhügel.

Erst als die Wachmänner mit ihren Rädern hinter der nächsten Ecke verschwunden sind, lässt Papa mich los, und ich kann endlich laut loslachen. Leider ertönt zur selben Zeit aus dem Löwengehege ein gewaltiges Brüllen, sodass die Wärter mich nicht hören. Ich weiß nicht, ob es an meinem Lachen liegt oder an den Löwen. Der Ameisenbär zieht jedenfalls schleunigst den Kopf zurück und verschwindet in einer dunklen Ecke seines Käfigs. Papa muss jetzt auch lachen, weil er die Situation so komisch fand. Mama, Oma und Renzo kommen aus ihrem Versteck und wollen wissen, was so lustig war, wo wir doch fast geschnappt worden wären.

»Ich habe das alles mit den Kameras aufgenommen! Das könnt ihr euch zu Hause angucken«, ruft Angelina über Mamas Telefon dazwischen. »Rocco und der hungrige Ameisenbär! Das stelle ich morgen auf Facebook.« Dann ist über das Handy plötzlich Geschrei zu hören. Enrico will an Angelinas Laptop, weil »Grand Theft« auf unserem alten Computer anscheinend nicht richtig funktioniert. Dann bricht die Verbindung ab.

Mir ist das Lachen vergangen. Als sich auch die anderen Calzones wieder beruhigt haben, machen wir uns auf den Weg zu dem Albino-Panda. Das ist jetzt gar nicht mehr weit und kurz darauf stehen wir auch schon vor seinem Gehege.

»Gibst du mir bitte den Schlüsselbund?«, sagt Papa.

Oma kramt in ihrer Handtasche nach dem Schlüsselbund, den sie am Nachmittag dem Zoowärter geklaut hat. Sie kann ihn aber nirgendwo finden. Dafür kommen eine Menge anderer Dinge zum Vorschein. Darunter auch mein Schulfüller, den ich schon ewig lange vermisse.

»Ich muss den Schlüsselbund auf der Liege verloren haben«, sagt Oma, als sie erfolglos ihre Tasche durchsucht hat.

»Ich gehe ihn holen«, rufe ich schnell. »Bin gleich wieder da.«

Bevor Mama und Papa widersprechen können, laufe ich zurück zum Wagen. Vielleicht ist das hier meine allerletzte Chance, die Entführung doch noch zu verhindern. Ich renne zum Lieferanteneingang, klettere über das Tor und öffne die hintere Tür des Leichenwagens. Ich muss gar nicht lange suchen, dann habe ich den Schlüsselbund auch schon gefunden. Er liegt direkt vor der Kofferraumklappe. Oma muss ihn verloren haben, als sie von der Liege aufgestanden ist. Ich schnappe mir die Schlüssel und renne zum Haupteingang des Zoos. Dabei gebe ich mir Mühe, den Überwachungsbereich der Kameras zu umgehen, damit Angelina mich nicht sehen kann. Ich werfe den Schlüsselbund schnell in den Zoobriefkasten, renne zum Lieferanteneingang, klettere über das Tor und mache mich wieder auf den Weg zum Panda.

So ganz allein ist es nachts im Zoo sogar noch gruseliger, und deswegen bin ich froh, als ich endlich Mama, Papa, Renzo und Oma sehe. Sie stehen vor dem Gehege, in dem der Panda ruhelos auf und ab läuft.

»Da war kein Schlüssel«, rufe ich. »Ich habe den ganzen Wagen abgesucht. Lasst uns wieder nach Hause fahren.«

»Halb so schlimm, dann machen wir es eben auf die altbewährte Weise«, antwortete Papa und holt seinen Dietrich heraus. Das ist so eine Art Draht, mit dem man Schlösser knacken kann. Das ist immer noch besser, als wenn er versuchen würde, sich den Weg ins Gehege freizusprengen. Das ist schließlich Papas Spezialität, deswegen nennt man ihn ja auch Dynamit-Theo.

»Geht ganz flott. Ist nicht mal ein Sicherheitsschloss«, kommentiert Renzo fachmännisch, als Papa den Draht in dem Schlüsselloch verschwinden lässt. Sogar der Panda scheint neugierig zu sein, was da vorgeht, und nähert sich der Tür. Weil wir alle so gebannt Papa bei der Arbeit zusehen, bemerken wir nicht, dass plötzlich die beiden Nachtwächter hinter uns stehen. Keine Ahnung warum, aber Angelina hat uns nicht gewarnt. Eigentlich wäre das ein guter Augenblick, um reinen Tisch zu machen und alles zu beichten. Doch weil Renzo mir wieder seinen Zeigefinger in den Rücken drückt, lasse ich es lieber.

»Was machen Sie denn da?«, fragt einer der Männer, die uns verwundert anstarren.

»Hat Ihnen denn niemand Bescheid gesagt, Kollegen?!« Es ist Mama, die als Erste reagiert. Sie holt die fünf Zoomitarbeiterausweise aus ihrer Tasche, die sie heute Nachmittag für uns gefälscht hat. »Der Direktor hat uns beauftragt, auch nachts ein Auge auf den Panda zu werfen.«

»Aber wieso haben Sie dazu Ihre Gesichter schwarz angemalt?«, will der andere Nachtwächter wissen, während sein Partner die Ausweise kontrolliert.

»Wir wollen das arme Tier nicht erschrecken«, erklärt Papa. »Es ist wirklich eine Schande, dass Ihnen niemand Bescheid gesagt hat.«

»Uns sagt hier nie jemand was«, brummt der Mann und reicht, ohne Verdacht zu schöpfen, die Ausweise zurück.

»Dabei machen Sie so eine wichtige Arbeit«, sagt Oma, und Mama, Papa und Renzo nicken bestätigend. Ich nicke auch, weil Renzo den Druck seines Zeigefingers in meinem Rücken noch einmal erhöht.

Die Männer nicken ebenfalls, weil sie derselben Meinung sind, und wünschen uns noch eine gute Nacht. Dann fahren sie weiter.

Als sie in der Dunkelheit verschwunden sind, macht sich Papa wieder an die Arbeit. Eine Minute später ist die Tür des Geheges offen.